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Inhalt
Vorwort 5
Zur Bilderkunde des Bauernkriegs 9
Erstes Buch:
Der Wolhuser Bund
(Seite 13 bis Seite 155)
I. Der Thomas-Abend 1652 im Entlebuch 15
II. Vom Bittgang zum Knüttelgang 24
III. «Ja, ja! ihr seid von Gott, wenn ihr gerecht, aber vom
Teufel, wenn ihr ungerecht seid!»
39
IV. Dieselben Würger verschlingen Bauern und Bürger 49
V. Das Richtfest des Aufruhrs 66
VI. Die «Katz im Sack» — und wie die Bauern sie «verzappeln»
liessen
81
VII. Die «Katz im Sack» — und wie die Bauern sie laufen
liessen
108
Zweites Buch:
Der Sumiswalder und der Huttwiler Bund
(«Volksbund» gegen «Herrenbund»)
(Seite 157 bis Seite 645)
VIII. Wiege und Stachel des bernischen Bauernzorns
159
IX. Der Berner Marsch: «Alli Manne stande-n-y,
Die vo dr Aemme, die vo dr Aare...»
174
X. «Je mehr man taget, je mehr es nachtet...»
Eidgenössisches Zwischenspiel: erstes Stück
190
XI. Die Erniedrigten und Beleidigten:
1. Die Berner Bauern finden den Leuenberger — aber
müssen mit ihm durch's Joch!
201
2. Die Solothurner schwenken ein, finden keinen
Führer — und müssen auch so durch's Joch!
221
3. Die Basler Landschäftler brennen ihren Führern
durch und galoppieren durch's Joch in die Rebellion
229
XII. Die «Entlebuchischen boessen Betten» und die «Wildsau
von Willisau» — «in Suchung der Erwyterung
ihres schaendtlichen Pundts»
265
XIII. Das Fest der Freiheit in Sumiswald:
Die letzte Bauern-Verfassung der Eidgenossenschaft —
ein erster Lichtblick in die Bürgerfreiheit einer neuen
Schweiz
295

XIV. Der «Zunder der zu besorgenden mehrern Unruhen
in der ganzen Eydtgenossenschaft»
321
XV. Zweites Stück vom eidgenössischen Zwischenspiel —
und das Gegenspiel der Bauern in Huttwil
341
XVI. «Auch dann nicht!...» Hans Emmenegger und der
entlebuchische «Geheime Landrat» geben ein grosses
Beispiel —auf dem Gipfel des Erfolges und in schwerster
Prüfung
403
XVII. «Wir, Euer Gnaden kleinfügige Unterthanen...»
Leuenberger muss den Landsturm ergehen lassen,
durchkreuzt den Kriegsplan der Entlebucher — und
sprengt, er weiss nicht wie, den Bund!
438
XVIII. Die «nöthige Abtreibung unbilliger Gewalt». Oder:
Des eidgenössischen Zwischenspiels dritter Teil, der
zeigt, wie «Volk» sich gegen Volk missbrauchen lassen
kann
482
XIX. Wie «disem ungeheuweren Thier der Rebellion syn
Kopf abgeschlagen, hiemit syne Krafft und Würkung
benommen» wurde. Das eidgenössische Schlusspiel
mit Marter, Richtschwert, und Galeeren, nebst herrenfrommen
Bibelsprüchen...
545
Die letzten Tellenschüsse im Entlebuch 633
Nachwort 646
Historisch-synoptische Tabelle der hauptsächlichsten Bauernkriege
und ihrer Ergebnisse
648
Kritisches Literaturverzeichnis zum schweizerischen Bauernkrieg 649
Verzeichnis der Tafeln 662

Inhalt der Tafeln
(Für nähere Angaben und Quellennachweise verweisen wir auf die
beigegebenen Legenden auf den hier angegebenen Seiten)
Abb. 1: Der «greuliche Komet mit dem gestutzten Bart» bei S.
12
Abb. 2: Das Landespanner des Amtes Entlebuch 32
Abb. 3: Hans Emmenegger 48
Abb. 4: Christian Schybi 64
Abb. 5: Kaspar Steiner 80
Abb. 6: Niklaus Leuenberger, Brustbild (Volkstradition) 96
Abb. 7: Derselbe, Ganzfigur (ebenso) 112
Abb. 8: Derselbe, Brustbild (Herrentradition) 128
Abb. 9: Derselbe, Ganzfigur (ebenso) 144
Abb. 10: Derselbe, Dreiviertelsfigur (ebenso) 160
Abb. 11: Derselbe, Ganzfigur (ebenso) 176
Abb. 12: Sebastian Bilgerim Zwyer 192
Abb. 13: Johann Heinrich Waser 208
Abb. 14: Johann Rudolf Wettstein 224
Abb. 15: Johann Konrad Werdmüller 240
Abb. 16: Johann Rudolf Werdmüller 256
Abb. 17: Johann Georg Werdmüller 272
Abb. 18: Sigismund von Erlach 288
Abb. 19: Propagandablatt der Herren gegen die Bauern 304
Abb. 20: Eine Sitzung der Tagsatzung in Baden 320
Abb. 21: Der Bundesschwur in Huttwil 336
Abb. 22: Leuenberger und Schybi zu Pferde im Bauernlager
auf dem Murifeld
352
Abb. 23: Auszug der Bauern unter Führung Leuenbergers in
den Kampf bei Wohlenschwil
368
Abb. 24: Der Kampf bei Wohlenschwil 384
Abb. 25: Rückzug der Bauern unter Führung Leuenbergers
aus dem Kampf bei Wohlenschwil
400
Abb. 26: «Friedensverhandlungen» der Bauern-Kapitulanten
mit Waser im Zelt General Werdmüllers
416
Abb. 27: Der Kampf an der Gisikoner Brücke 432
Abb. 28: Leuenbergers Verhöhnung in den Strassen Berns 448
Abb. 29: Schybi auf der Folter in Sursee 464
Abb. 30: Hinrichtung der sieben Basler Bauernführer 480
Abb. 31: Die letzten Entlebucher «Tellen» (Käspi Unternährer
und Hinteruli)
496
Abb. 32: Leuenberger-Denkmal in Rüderswil
(Originalaufnahme)
512


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 001 - arpa Themen Projekte

Hans Mühlestein: Der Grosse Schweizer Bauernkrieg


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 003 - arpa Themen Projekte

HANS MÜHLESTEIN

DER GROSSE SCHWEIZERISCHE

BAUERN KRIEG

1653

MIT 32 TAFELN

IM SELBSTVERLAG CELERINA 1942


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 004 - arpa Themen Projekte


SÄMTLICHE RECHTE, INSBESONDERE DAS DER DRAMATISIERUNG,
VERFILMUNG UND DER ÜBERSETZUNG IN ALLE SPRACHEN, SOWIE ALLE
SONSTIGEN REPRODUKTIONSRECHTE VOM VERFASSER VORBEHALTEN


COPYRIGHT 1942 BY DR. HANS MÜHLESTEIN, CELERINA, SWITZERLAND



DRUCK: BUCHDRUCKEREI GUSTAV HOFMAIER, FLORASTR. 18, BASEL
CLICHÉS: BECKER & BERTSCH I, THIERSTEINERALLEE 29, BASEL
TITELSCHRIFTEN: HAAS'SCHE SCHRIFTGIESSEREI, MÜNCHENSTEIN


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 005 - arpa Themen Projekte

«Was ihr den Geist der Zeiten heisst,
Das ist im Grund der Herren eigner Geist,
In dem die Zeiten sich bespiegeln.»
Goethe, Faust.




Vorwort

Von Zeit zu Zeit durchzuckt das Leben der Völker ein Wetterleuchten
ihrer wahren Bestimmung. Das einemal und bei dem oder
jenem Volk ist es nur wie ein kurzes Aufschrecken aus dem Schlafe,
mit dem es sich einen schweren Albtraum von der Brust wälzen will.
Ein andermal blitzt die Bestimmung der ganzen Menschheit als greller
Strahl aus der Tiefe eines Volkes. Dann wird das Wetterleuchten zum
Blitz des Bewusstseins, der vielen oder allen Völkern den Weg in die
Zukunft auf weite Strecken erhellt. Ein solcher Blitz, der die ganze
Menschheit auf neue Bahnen riss, war die Grosse Revolution des
französischen Volkes.

Nur ein schweres Sich-Wälzen im angstvollen Schlummer und ein
kurzes Aufschreien in der Nacht einer der dunkelsten Zeiten Europas
war der schweizerische Bauernkrieg mitten im 17. Jahrhundert, scheinbar
ohne allen Zusammenhang mit dem Leben der übrigen Menschheit.
Und doch war ein solcher Zusammenhang da: der Todesschatten
des gesamteuropäischen Absolutismus, die Nachgeburt eines dreissigjährigen
Krieges, lag dem Schweizervolk bleiern auf der Brust. Der
Albdruck einer furchtbaren totalitären Gewalt, die es rings umgab,
griff mit roher Faust in die Wiege der europäischen Freiheit. Ja, die
eigene Herrenklasse der Schweiz, gut bezahlt von ausländischen
Fürsten der totalitären Gewalt, gab sich als zupackende Faust her, um
den letzten Funken der Freiheit im Herzen des Kontinents zu ersticken.

Im schweizerischen Bauernkrieg war es daher nur die alte Freiheit
Europas — auf ihren ursprünglichen Herd in den Tälern der
Schweiz und auf die unterste Klasse des Landes, die Bauernklasse,
zusammengedrängt —, was für einen Augenblick, von der mörderischen
Faust gepackt, aufschrie, um dann elend und für immer zu
verröcheln. Die neue Freiheit wurde zur selben Zeit ganz anderswo


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 006 - arpa Themen Projekte
geboren: am Rande des Erdteils, auf der englischen Insel, wo die
Bürgerklasse sich auf dem Rücken der Bauernklasse gegen den Todesschatten
des Absolutismus erhob, statt sich, wie die Schweizer Bürger,
zu dessen Sklaven machen zu lassen. Allerdings muss gerechterweise
gesagt werden, dass die schweizerische Bürgerklasse damals ökonomisch
noch zu wenig entwickelt war, um das hiezu nötige politische
Selbstbewusstsein hervorzubringen. Ganz im Gegensatz zu England,
wo die Bürgerklasse durch die Erschliessung des Ueberseehandels in
der voraufgegangenen Epoche ökonomisch stürmisch entwickelt und
dadurch auch politisch revolutioniert worden war und wo deshalb
diese Klasse einen Führer zur Freiheit, Cromwell, hervorzubringen
vermochte. Er war es, der, getragen von einer fortschrittlichen Bürgerklasse,
die alte Freiheit Europas mit der neuen verband, die dann in
der Französischen Revolution als neue Freiheit der ganzen Welt
aufleuchtete.

Aber wenn es auch nur die alte Freiheit, die Bauernfreiheit, war,
die im Krieg der Schweizerbauern und ihrer Verbündeten, der kleinen,
entrechteten Landstädte, gegen die Schweizerherren sich erhob, um
dann für immer dahinzusinken, so war es doch diejenige Freiheit,
die ehemals die «Eidgenossenschaft» überhaupt hervorgebracht hatte.
Nur hatte die Herrenklasse den Bauern diese «Eidgenossenschaft»
schon seit dem Stanser Vorkommnis Schritt für Schritt aus den Händen
gewunden und sie zum Unterdrückungsinstrument gegen das
eigene Volk im Dienst des Auslandes gemacht. Damit war die alte
«Eidgenossenschaft» in ihr vollkommenes Gegenteil verfälscht und
genau denselben Mächten mit gebundenen Händen und Füssen wieder
ausgeliefert worden, gegen die sie als heilige Schwurgemeinschaft
gegründet worden war: den absolutistischen Erben der feudalistischen
Mächte des Mittelalters.

Es war also trotzalledem eine grosse Sache, wenn die Bauern und
ihre Verbündeten im schweizerischen Bauernkrieg die «Eidgenossenschaft'
der Herrenklasse wieder entwinden und sie von Grund auf
neu stiften wollten, auch wenn sie dabei nur die alte «Eidgenossenschaft»,
die auf der Bauernfreiheit begründete, im Auge hatten. Diese
Sache ging dennoch das ganze Schweizervolk an, seine ganze künftige
Freiheit, ja das Fundament der Menschheit: ein einziger Sieg der
Bauern — und alle unterdrückten Burgerschaften der Hauptstädte
des Landes, in denen es gleichzeitig heftig gärte, wären der Sache der
Bauern zugefallen und hätten dann notgedrungen von England
gelernt, wie man ein Volk zur neuen Freiheit führt. Damit aber
wäre das Schweizervolk — gleichzeitig mit dem englischen -—
in die Führung der Geschichte gekommen, statt an deren Schwanz,
wo es, im Grossen gesehen, bis heute geblieben ist. So haben
wir beispielsweise die bürgerliche Revolution der Menschenrechte,
die Französische, erst mit dem Sonderbundskrieg wirklich eingeholt


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 007 - arpa Themen Projekte
und diese Rechte — wenn auch nicht mehr in der
ursprünglichen, reinen Form — erst in der ersten Bundesverfassung
von 1848 für die ganze Schweiz niedergelegt. Statt so zum hinkenden
Boten der Geschichte, wären wir durch den Sieg der Bauern im
Jahre 1653 und durch den ihm notwendig folgenden der Bürger gegen
die Autokratie zu einem Pionier der Menschheit geworden — wie es
die echte «Eidgenossenschaft» der Bauern im Mittelalter (niemals die
der Herren, in keiner späteren Zeit) wirklich gewesen ist. Wovon der
Abglanz, wenn auch ganz zu Unrecht, bis auf unsere heutigen Herren
fällt — die ihn genau so fälschlich für sich auswerten, wie es die
Herren im Bauernkrieg getan haben.

Das Feldgeschrei der Bauern in ihrem Krieg vom Jahre 1653:
«Volksbund gegen Herrenbund!» ist also auch heute noch, wenn auch
unter ganz neuen und verheissungsvolleren Bedingungen, die Losung
sämtlicher freiheitsliebenden und vorwärtsdrängenden Kräfte des
ganzen Schweizervolkes.

Wie aus dem Vorstehenden klar hervorgeht, steht das vorliegende
Buch mit seiner Sympathie ganz offen auf der Seite der Bauern.
Dennoch, oder vielmehr gerade deshalb, bemüht es sich darum, die
objektive Wahrheit darzustellen bezw. wiederherzustellen. Die objektive
Wahrheit nämlich über das Verhalten und die Gesinnung der
damals weitaus zahlreichsten Schicht des werkenden Schweizervolkes.
Ueber sie hat damals eine verschwindende Minderheit, die
jedoch im Besitze eines wahren Bildungs- und Schreibmonopols war,
die Meinung gemacht. Die Bauern jener Zeit haben in ihrer erdrückenden
Mehrheit weder schreiben noch lesen können. Darum sind sämtliche
zeitgenössischen Chronisten des Bauernkriegs Herrenchronisten,
ohne jede Ausnahme; selbst der einzige Bauer, Jost von Brechershäusern,
der über diesen Krieg schrieb, charakterisiert sich selbst eindeutig
als Kapitulant gegenüber den Herren.

Aber mehr noch: sämtliche bisherigen Darstellungen des Bauernkriegs,
ohne jede Ausnahme, stützen sich nicht nur auf die Nachrichten,
sondern — bewusst oder unbewusst — auch auf die Meinungen
jener Herrenchronisten der Zeit. Dies ganz besonders, wenn diese etwa
Namen fragen wie Waser oder Wettstein. Diese Namen sind auch
heute noch sogut wie sakrosankt; vor ihnen beugt sich — in gutem
oder schlechtem Glauben, je nachdem — auch mancher der «gut
demokratischen» Geschichtsschreiber unserer Zeit. Und doch waren
beispielsweise diese beiden Koryphäen der damaligen «Eidgenossenschaft»
gerade die bedenkenlosesten, einseitigsten, ja fanatischsten
Verfechter der aristokratischen Herrenrechte gegen die wirklichen
Volksrechte, selbst gegen die bestverbrieften.

Auch alle heutigen Darstellungen des schweizerischen Bauernkriegs
sind also Herrenchroniken vom Bauernkrieg. Demgegenüber


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 008 - arpa Themen Projekte
will das vorliegende Buch bewusst eine Volkschronik sein! Zwar
stützt es sich auf genau dieselben Quellen — es gibt keine anderen.
Aber es stützt sich nicht auf die Meinungen der Herrenchronisten jener
oder unserer Zeit, sondern nur auf deren Nachrichten. Es geht
darin liebevoll jeder Regung des Volkes, die in ihnen bekundet
wird, nach und sucht sie von den Entstellungen des Hasses und
der Verachtung, oder auch nur der Missachtung, kurz, von aller
bewussten oder unbewussten Volksfeindlichkeit, sorgfältig zu säubern.
Und dies zwar mit dem ausgesprochenen Zweck, dem wirklichen
Verhalten und der wirklichen Gesinnung der erdrückenden
Mehrheit des damals werkenden Volkes so konkret und anschaulich
wie möglich Stimme und Ausdruck zu verleihen — weil diese Stimme
des Volkes von der Geschichtsschreibung ebenso ungerecht erstickt
worden ist, wie das Volk selbst ungerecht unterdrückt wurde.

Dennoch wird gerade in diesem Buch an den verhängnisvollen
Irrtümern der Bauern, die ihre Niederlage besiegelten, durchgehend
die denkbar eingehendste Kritik geübt. Vielleicht die eindringlichste,
weil liebevollste Kritik, die sich in irgendeiner Darstellung des Bauernkriegs
finden lässt. Die geschichtlich bekundete Gesinnung einer Partei
mit Liebe behandeln, heisst ja nicht, das Verhalten dieser Partei in
der geschichtlichen Wirklichkeit kritiklos hinnehmen. Das hiesse ja
nur, sich des einzigen Mittels zu berauben, aus der Geschichte zu
lernen, nämlich: wie man es für eine gleich gerechte Sache besser
machen soll.

Möge mich also die offene oder versteckte, die bewusste oder unbewusste
Volksfeindlichkeit unserer heutigen Herrenchronisten, möge
mich die erschreckend grassierende Legendenseuche in unserer «patriotischen»
Geschichtsschreibung ruhig der Parteilichkeit für die
Bauern zeihen. Ich werde dies als Ehrentitel zu schätzen wissen und
bezeichne meine eigene Darstellung des schweizerischen Bauernkriegs
als das simple Produkt längst fähiger ausgleichender Gerechtigkeit.

Celerina, im Dezember des 300. Gedenkjahrs der ersten bernischen
Volkserhebung, des «Thuner Handels» vom Jahre 1641.

Hans Mühlestein.



Zur Bilderkunde des Bauernkriegs

Mit dem Abbildungsapparat zu diesem Buch ist meines Wissens
zum erstenmal der Versuch gemacht worden, die Persönlichkeiten
und Ereignisse des schweizerischen Bauernkriegs systematisch zu
illustrieren. Vollständigkeit konnte dabei aus mancherlei Gründen
nicht erreicht werden, obwohl ich sie im Prinzip angestrebt habe.
Wichtige Ereignisse und Persönlichkeiten (z. B. Käspi Unternährer,
der Schulmeister Johann Jakob Müller, Uli Galli, der Notar Hans
Konrad Brenner, Isaak Bowe, Uli Schad u. a. m.) existieren im Bilde
überhaupt nicht. Die zeitgenössischen Darstellungen von den Ereignissen
wie von den Persönlichkeiten stammen ausschliesslich von
Künstlern im Dienste, der Herren partei, was natürlich nicht ohne Einfluss
auf die Gesinnung dieser Darstellungen ist. Da müssen wir froh
sein, dass wenigstens später ein Künstler wie Martin Disteli sich aus
reiner Begeisterung in den Dienst der Bauernsache gestellt hat und
durch seine volkstümlichen Darstellungen, obwohl naturgemäss nachträgliche
Konstruktionen, ein gewisses Gegengewicht herstellt.

Was die Anordnung des Bilderensembles betrifft, so geschah sie
vom historischen, nicht vom ästhetischen Gesichtspunkt aus; sie folgt
im Ganzen dem Gang des Buches. Abbildungen 1 und 2 nehmen unmittelbar
Bezug auf den Textanfang. Dann folgen mit den Abbildungen
3 bis 11 Bildnisse der Bauernführer, mit den Abbildungen 12 bis
18 Bildnisse der Herrenführer; Abbildungen 19 und 20 sind Aktionen
der Herren gewidmet. Die Abbildungen 21 bis 31 gelten den in Bildern
dargestellten historischen Ereignissen in chronologischer Abfolge
dieser Ereignisse. Den Abschluss bildet das 1903 vom Berner Volk
dem Niklaus Leuenberger errichtete Denkmal.

Es bedarf noch der Erklärung, warum diesem Bauernführer als
einzigem hier nicht weniger als sechs Bildnisse gewidmet sind. Dies
geschah nicht aus Ueberschätzung seiner zwar historisch anerkannten,
aber nicht wirklich überragenden Bedeutung. In dieser Beziehung
käme sämtlichen Entlebucher Führern, sowie den Bernern Uli
Galli und Hans Konrad Brenner — aber auch den im Bild ebensowenig
wie diese letzteren aufzutreibenden revolutionären Stadtbürgerführern
von Willisau, Olten und Liestal — gewiss nicht mindere


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 010 - arpa Themen Projekte
Bedeutung zu. Aber Leuenbergers Bildnis schwankt bisher wirklich
bedenklich in der Geschichte, ohne dass sich die dazu berufenen
Fachleute je seiner Ikonographie (Bildkunde) angenommen hätten.
Dazu sollen die hier von mir zusammengestellten Bildnisse (es sind
nicht alle existierenden) nebenher den Anstoss geben. Nicht weniger
als 4 von den 6 hier wiedergegebenen — nämlich die Abbildungen
7, 9, 10 und 11 — werden hier zum erstenmal veröffentlicht, wenn
auch Abbildung 7 einmal schon als Unterlage für eine moderne Umzeichnung
zu einem Buchumschlag, Abbildung 11 als Unterlage für
eine schlechte, winzige Reproduktion in einer illustrierten Zeitschrift
gedient haben.

Einer Erklärung bedarf auch die Anordnung der sechs Leuenberger-Bildnisse
selbst; denn diese spricht eine bestimmte ikonographische
Auffassung aus. An der Spitze der Reihe steht nicht das allgemein
bekannte, auf das in den Geschichtswerken mit Vorliebe, ja fast
ausschliesslich hingewiesen wird, nämlich unsere Abbildung 8: Leuenberger
als Gefangener im «Mörderkasten», unbärtig, weil ihm die Berner
Herren den Bart bei der Gefangennahme abgenommen haben. An
der Spitze steht vielmehr das von den Zürcher Herren auf Verlangen
der Berner Herren unterdrückte Bildnis des bärtigen Leuenberger: als
das einzige authentische seines Aussehens vor der Gefangennahme, So
wie er als Führer im Bauernkrieg in Wirklichkeit auftrat (vgl. Abbildung
6, sowie die Anmerkung dazu). Auf ihm beruhen einige, allerdings
nur ganz wenige, andere Bildnisse, von denen ich als frühestes
und bestes Beispiel das bisher unpublizierte Originalaquarell des Basler
Kupferstichkabinetts (Abbildung 7) gewählt habe. Sie konstituieren
zusammen die auf der Realität des geschichtlich wirksamen
Leuenberger beruhende volkstümliche Bildnis-Tradition. Aber selbst
der Herrenmaler, der die zeitgenössischen Darstellungen des Bauernkriegs
Abbildungen 23 und 25 malte, konnte es nicht wagen, dabei auf
das Berner Herrenbildnis Leuenbergers (Abbildung 8) abzustellen, obschon
dieses von den Berner Herren selbst als das allein offiziell gültige
verbreitet und z. B. auch dem Chronisten Mérian zugestellt worden
war. Diese Herrentradition des Leuenbergerbildnisses ist aber seltsamerweise
von der grossen Mehrzahl gerade der neuzeitlichen, auch
der gut «demokratischen» Historiker bevorzugt werden (z. B. auch
noch von Gitermann), obwohl das einzige authentische Bildnis (unsere
Abbildung 6) immerhin bereits im Berner Taschenbuch vom Jahr 1903
wieder publiziert worden ist. Dieser begreiflicherweise viel zahlreicheren
Bildnisreihe der Herrentradition gehören unsere Abbildungen 9, 10
und 11 an, lauter Erstpublikationen. Von diesen scheint mir das wichtigste
Werk das grosse Oelgemälde Abbildung 9 zu sein, dessen Auffindung
im Besitze einer Nachkommin Leuenbergers, der Frau Dr. Grand-Witz
in Basel, mir auf Grund von vorhergegangenen Nachforschungen


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 011 - arpa Themen Projekte
des Herrn Dr. Marcel Beck, Bibliothekar an der Landesbibliothek,
gelang. Ebenso übrigens auch die Auffindung des höchst interessanten
handkolorierten Stichs Abbildung 10 in der Sammlung von
Mülinen der Berner Stadtbibliothek. Während sich mir die Auffindung
des lange vergeblich gesuchten Aquarells Abbildung 11 im Basler
Kupferstichkabinett wie von selbst ergab, als ich dort, auf dem
Umweg über ein Verlagsgeschäft und über die Basler Universitätsbibliothek,
wo ich eine Photographie mit Hinweisen fand, das Aquarell
Abbildung 7 aufwand: beide Aquarelle nämlich sind dort als Pendants
zusammen unter der gleichen Inventarnummer aufbewahrt.
(Ueber die mutmassliche Filiation der sechs Leuenberger-Bildnisse
untereinander vgl. die Anmerkungen zu den einzelnen Abbildungen).

Für mannigfache Förderung bei der Beschaffung des Bildmaterials
habe ich einer ganzen Reihe von Instituten und an ihnen
tätigen Personen zu danken. Auch wo das nicht bereits aus dem Verzeichnis
selbst hervorgeht (z. B. auch bei den dafür benutzten Büchern),
stammen die Vorlagen — mit Ausnahme einer einzigen privaten
Quelle — aus folgenden öffentlichen Instituten: Schweizerische
Landesbibliothek in Bern; Stadt- und Hochschulbibliothek in Bern;
Zentralbibliothek in Zürich und Graphische Sammlung derselben;
Schweizerisches Landesmuseum in Zürich; Oeffentliche Kunstsammlung
in Basel und Kupferstichkabinett derselben. Den Leitern aller
dieser Institute sei hiermit mein wärmster Dank ausgesprochen, insbesondere
denen, die mir die erwähnten, bisher unveröffentlichten
Originale zur Publikation überlassen haben. Denselben Dank schulde
ich Frau Dr. Grand-Witz in Basel für die gütige Erlaubnis zur Publikation
des besonders wichtigen, in ihrem Besitz befindlichen Original-Oelbildnisses
Niklaus Leuenbergers. Besonders warmen Dank spreche
ich Herrn Dr. Marcel Beck, Bibliothekar an der Landesbibliothek,
aus, dessen wissenschaftliche Hinweise und persönliche Bemühungen
mich erst eigentlich auf den Weg zur Leuenberger-Ikonographie gebracht
haben. Schliesslich möchte ich nicht verfehlen, auch den technischen
Helfern, die ich an allen genannten Instituten fand, herzlich zu
danken für die Beschaffung der photographischen Unterlagen, insbesondere
Herrn Hermann Ryser, dem Leiter der photographischen Abteilung
an der Landesbibliothek, für die vorbildliche Herstellung
einer grossen Zahl derselben.

Der Verfasser.


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 012 - arpa Themen Projekte

Der "greuliche Komet mit dem gestutzten Bart"

der vom Dezember 1652 bis ins Frühjahr 1653 in der ganzen
Schweiz sichtbar war und im Aberglauben gerade der Gebildeten
(der Chronikschreiber) eine grosse Rolle als "Ursächer"
des Bauernkriegs spielte.

Aus einer zeitgenössischen chronik
(Merians "Theatrum Europaeum', Bd. VII).



Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 012 - arpa Themen Projekte
Abbildung 1


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 013 - arpa Themen Projekte


Erstes Buch:


Der Wolhuser Bund


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 015 - arpa Themen Projekte


I.
Der Thomasabend 1652 im Entlebuch

Am Thomas-Abend, dem 28. Dezember 1652, in sternklarer Nacht,
huschten kurz hintereinander wohl ein Dutzend stark vermummte,
kräftige Männergestalten, aus allen Richtungen des Tales kommend,
vereinzelt oder zu zweit zwischen den Schneehaufen des stattlichen
Dorfes Schüpfheim im hinteren Entlebuch hindurch und verschwanden
in dem hablichen Haus des Käspi Unternährer. Wohl stand über
ihnen schon während ihrer ganzen Wanderung am tiefblauen Nachthimmel
der «greuliche schweflichte Komet mit einem gestutzten Bart»,
der nun schon seit achtzehn Nächten allen gelehrten Chronikschreibern
in den Städten zu schaffen machte, sodass die sich hintersinnen
mussten, welch höchst besonders erschreckliches Unglück dieses
«himmlische Strafzeichen» über das «gemeine Vaterland» herabzubringen
berufen sei; dies um so gewisser, als in diesem Jahre bereits
eine «grosse Finsternis der Sonne im martialischen Widder» sich ereignet
hatte. Aber unsere wacker einherschreitenden Männer waren
Entlebucher Bauern; vielleicht, wenn sie gerade daran dachten, fühlten
sie sich wohl beschützt genug durch Christi Nägel, Kreuz und Krone,
die ihnen der Papst schon vor Zeiten des Bruders Klaus in ihrem
Landespanner zu führen gestattet hatte, und durch die Partikel des
heiligen Kreuzes, die ihnen Gott auf allerdings höchst wunderbare
Weise hatte zukommen lassen und die in ihrer Wallfahrtskirche desselben
Namens sicher verwahrt und stetsfort gläubig angebetet waren.
Ausserdem aber hatten diese Männer keine Zeit, sich jetzt über die
himmlischen Wunder Gedanken zu machen. Allzu heiss bedrängte sie
gerade jetzt die irdische Not und Drangsal, deren Träger und Boten sie
waren und zu deren Abstellung, und wäre es um des eigenen Lebens
Preis, sie die wahren geheimen Gesandten ihres Volkes waren.

Sie nämlich waren die ersten geheimen Verschwörer des grossen
Bauernzorns, mit dem das ganze «gemeine Vaterland» schon seit vielen
Jahren schwanger ging, mit dem es aber nun seit drei, vier Jahren in
die Wehen gekommen war; Wehen die gerade hier — denn irgendwo
musste es ja sein — gerade hier im oberen Entlebuch endlich zur Geburt
drängten. Sie waren, diese Handvoll Mannen, die Ausgeschossenen
der vierzig Geschworenen des Amtes Entlebuch, der eigentlichen, vom


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 016 - arpa Themen Projekte
Volk erwählten Landesväter, deren uralt freies Landrecht jedoch seit
einem Menschenalter noch von jedem Landvogt mit Füssen getreten
worden war, und von jedem neuen Landvogt härter, den die Luzerner
Stadtjunker ihnen alle sechs Jahre zur stetig wachsenden Ausräuberung,
sich selbst zur immer massloseren Bereicherung herausgeschickt.
Hatte nicht der eine, der Tyrann Leopold Feer, sie, die Geschworenen
des Landes —das waren noch ihre Väter —, schon im Jahre Dreissig
«Sauhirten» geschimpft; ihnen, den einheimischen Richtern, die Gerechtsame
genommen, um ohne Rechtsspruch Bussen über Bussen
diktieren und in die eigenen Taschen strömen lassen zu können? Und
ihnen eine Schar von blutsaugerischen Schreibern auf den Hals geschickt,
die bald für jedes Wort eines Schriftsatzes — und der wurde
für jede Lappalie verlangt — einen Gulden erpressten? Und hatten
nicht seitdem alle Landvögte auf diese Weise das Land geschröpft und
zur Verarmung getrieben? Und hatte nicht schon derselbe Feer sie
«Landesverräter» geschimpft, weil sie sich auf ihre verbrieften und
besiegelten Rechte und Freiheiten beriefen, und gesagt, es gebe Leute
unter den Geschworenen, denen man das Haupt zwischen die Beine
legen sollte? Und sind nicht seither viele von ihnen nicht nur mit Hunderten
und Tausenden von Gulden wegen «Aufruhr» gebüsst worden,
weil sie ein mannhaft rechtliches Wort gegen ihre Bedrücker gewagt;
vielmehr manche im Wäggisturm in Luzern verlocht, manchen wirklich
Haupt und Hand abgeschlagen und auf's Hochgericht gespiesst,
der Leib aber unter dem Schafott verscharrt worden?

Dies Alles —und noch unermesslich Vieles mehr —musste endlich
ein Ende haben! Und dazu eilten die tapferen Männer über den
knirschenden Schnee heimlich durch die Nacht in Käspi Unternährers
Haus. Der hatte seinen Kopf an die Luzerner Gnädigen Herren riskiert,
als er sie zu der geheimen Sitzung ins Haus lud, und sie alle nicht
minder, als sie seiner Einladung folgten. Und darum achteten sie des
greulichen Kometen nicht und dachten auch wohl nicht einmal an
Christi Nägel, Kreuz und Krone in ihrem Landespanner! Aber der
Landespannermeister Hans Emmenegger, der war unter ihnen, das
war ihr Stern und ihre Hoffnung.

Wenn der mitging, dann musste die Sache recht sein. Denn dieser
reiche Bauer aus Schüpfheim, dem Herzen des Entlebuchs, der mit
seiner weitverzweigten, seit Menschengedenken ureingesessenen und
im ganzen Land hochgeachteten Familie Güter und Alpen in Vorder-
und Hinter-Siggenhusen, Lamb, Bargell, Hapek und Unter-Inberg bewirtschaftete,
der 31 Kühe, 5 Stiere, 11 Gusti, 14 Kälber, 18 Rinder
und 19 Pferde besass, der der Kirche eine Glocke gestiftet und zum
Kirchenbau in Schüpfheim 500 Gulden bar aus seiner Tasche vergabt
hatte: wahrlich wenn der mitging, dann war es nicht, weil er von
einem Umsturz zu profitieren hatte, sondern weil die Sache des Volkes
ihre Richtigkeit hatte.


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 017 - arpa Themen Projekte

Das hatten sich die Herren Junker in der Stadt auch nicht gedacht,
als sie Hans Emmeneggers Wahl zum Landespannerherrn vor
nun bald drei Jahren, im April des Jahres Fünfzig, bestätigten — sie
hatten vergeblich darauf spekuliert, dass ihn sein Reichtum schon dazu
bringen werde, ihnen die Stange zu halten! Und doch konnten sie
schon lange gewarnt sein: hatte doch Hans Emmenegger bereits als
ganz junger Ehemann, im Jahre Fünfunddreissig, zu Luzern im Kerker
gelegen, weil er sich schon damals mit den Besten des Landes
ebendahier in Schüpfheim verschworen hatte, dem neuen Landvogt
die Huldigung zu verweigern und an die Luzerner Regierung das Begehren
zu stellen, diese solle die Entlebucher als freie Leute erklären,
indem man ihr dafür die ehemals an die Herzoge von Oesterreich erlegte
Pfandsumme zurückzahlen solle! Und er wäre damals beinahe
mit dem Waltisberger zusammen, dem Führer der damaligen Revolution,
geköpft worden, wenn da nicht sein junges Weib, mit seinen
kleinen Kindern an Brust und Schürze, vor den Ratsherren im Staub
gelegen und für ihn zum Steinerweichen um Gnade gefleht hätte.

Seitdem aber sass diese von den Herren erlittene Gnade wie ein
Wurm in Hans Emmeneggers mächtiger Brust und frass insgeheim an
seinem Freiheitsstolz unerträglich. Er habe nicht sein Leben lang
«ein geschenkter Mann» bleiben wollen, pflegte er jetzt im Jahre
Zweiundfünfzig seinen Mitverschworenen zur neuen Revolution zu sagen,
wenn er ihnen sein Mitgehen erklärte. Ausserdem war er eben kürzlich
noch um 300 Gulden gebüsst worden, weil er den Gnädigen Herren
in Luzern die Schande der fremden Pensionen vorgehalten und damit
die Käuflichkeit ihres «Patriotismus» vor allem Volk an den Pranger
gestellt hatte. Und darum pflegte er jetzt zur Begründung seiner Beteiligung
an dem neuen Aufstand scherzhaft wohl auch zu sagen: er
wolle nun gen Luzern, um das ihm durch behördlichen Diebstahl abgenommene
Kapital samt den Zinsen wieder zurückzuholen.

Da schloff aber mit dem schönen, pelzverbrämten Pannermeister
auch der vom Volk gewählte Landesweibel, der grosse und bärenstarke
Hans Krummenacher, durch Käspi Unternährers Tür. Er war
als der «stärkste Eidgenosse» weitherum in der Schweiz berühmt und
gefürchtet, als der beste Ringer, Schwinger und Steinstosser der ganzen
Innerschweiz. Und, versteht sich, der hatte bei den Herren in
Luzern, die ihn einen «bösen Buben» schalten, schon allerhand auf
dem Kerbholz. Wie denn übrigens seine ganze, weit verbreitete Familie
den Junkern Landvögten aus Luzern, besonders dem Krepsinger
und dem Schumacher, ihr Erpressungswerk schon seit Menschengedenken
zu einem dornigen Beruf zu machen verstand. Auch Hans
Krummenacher war kein armer Mann: er besass bei Schüpfheim die
zwei Höfe Wyden und Lindenbühl, die Alp Kurzhütte und Hüningers
Haus.

Auch der Stephan Lötscher kam, der Hauptwirt von Schüpfheim,


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 018 - arpa Themen Projekte
und der war schon einer der Aermeren. Denn auf ihm als Wirt lasteten
die neuen Steuern besonders schwer, und zudem war er durch
schwere Landvogt-Bussen schon öfters geplündert worden. Das war
ein etwas düsterer und leidenschaftlicher Gesell, dem die Revolution
immer zu langsam ging. Er hatte darum schon weit im Land herum
das Feuer geschürt, und schon im Jahr zuvor brachte er es in Kriens
beinahe zum offenen Aufstand. Er soll angeblich auch wegen «Blutschande»
um 300 Gulden gebüsst worden sein; doch wusste man zu
gut, dass es die Politik der Luzerner Herren war, jedem, der ihnen in
allzu empfindlicher Weise aufsässig war, solche diffamierenden Busszettel
anzuhängen, um ihn dem Volke verdächtig zu machen.

Doch da schlüpfte noch mancher andere heimlich in Käspis Haus.
Auch Hans Emmeneggers rechte Hand, der Landeshauptmann Niklaus
Glanzmann, fand sich am späten Abend noch ein. Er hatte den weitesten
Weg zu machen; er kam aus Marbach, ganz zuoberst im Entlebuch,
wo der Ilfis schon gegen das Emmental abfliesst und wo Glanzmann
einen schönen Hof und viele Alpen besass, auf denen auch viele Berner,
besonders die aus Schangnau, sömmerten; hatte er doch selber eine
ausgedehnte und habliche Verwandtschaft im Bernischen drüben. Er
hatte in Escholzmatt auch den Landessiegler Niklaus Binder mitgenommen.
Der Landesfähnrich Niklaus Portmann aus Schüpfheim
selber war schon beim Käspi im, Haus gewesen, als die ersten kamen.

Und so sass denn die illegale «Bauerntagsatzung» zu Schüpfheim
um Käspi Unternährers schweren, eichenen Tisch zu Rate, und «Käspi
der Teil», wie ihn die ganze Talschaft nannte, präsidierte. Er war der
erste gewesen, der sie zum Rat zusammenrief. Und da war nun viel
Schweres und Folgenreiches zu beraten: neue schlimme Gesetze oder
vielmehr Diktate der Gnädigen Herren in Luzern, die den Hafen zum
Ueberlaufen brachten.

Was war ihnen schon während des grossen Krieges alles aufgehalst
worden! Gewiss, auch sie hatten zuerst schöne Zeiten: als Getreide
und Wein massenhaft und für guten Preis nach Deutschland
geliefert wurden; als der reiche Transithandel kreuz und quer durch
die ganze Schweiz, aber besonders über den Gotthard, schöne Fuhr-
und Säumerlöhne abwarf; als Grund und Boden, Häuser und Güter,
landwirtschaftliche und Handwerksprodukte sprunghaft im Preise
stiegen, weil Zehntausende von deutschen Flüchtlingen, und das waren
gerade die Hablichen, ja Reichen, ihren Wohnsitz in die Schweiz verlegten,
um hier im Schutz des Friedens und der Neutralität den Verlauf
der Kriegsereignisse abzuwarten. Aber als der Krieg sich immer
länger hinzog, da lernten die Stadtherren bald, die Quellen des Wohlstands,
die da seit Menschengedenken zum erstenmal auch für die
grosse Masse der Bauern zu fliessen begonnen hatten, für sich abzuschöpfen.
Die Regierungen steigerten rapid alle alten Abgaben und
führten zahllose neue ein, direkte und indirekte Steuern auf alles und


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 019 - arpa Themen Projekte
jedes. Die drückendste indirekte Steuer war das Ohmgeld, das schon
seit dem Jahre Zweiunddreissig auf dem Lande lastete und mit dem
Wein vieles andere verteuerte; ein den Bauern besonders aufstachelnder
Zoll war das Trattengeld das ihm den Absatz des Viehs über die
Grenze erschwerte und dadurch die Viehpreise darniederhielt. Die
Weggelder, die Brücken-, Stadt- und Landeszölle, alles wurde von den
Herren erhöht, ohne dass der Bauer ein Wort dazu zu sagen hatte;
sagte er es einmal aus Unvorsichtigkeit, aus Zorn oder im Trunke
doch, so wanderte er in den Turm oder auf die Galeeren; und obendrein
musste er und seine ganze Familie Bussen zahlen, die oft lange
über des Gebüssten Tod hinaus die Kraft zahlloser Familien brachen
und viele an den Bettelstab brachten. Selbst Tote waren schon gebüsst
worden. Dazu legten die Herren das Monopol auf das Salz, das
damals dem Vieh in viel grösseren Mengen als heute verfüttert wurde
und jedem Bauern unentbehrlich war, und auf das Pulver. Sie verboten
dem Bauern die freie Jagd und die Fischerei, um sie für sich
selber auszunutzen. Ja, sie legten das Monopol sogar auf alle Arten
von Handel und Handwerk auf dem Lande, ohne die der Bauer gar
nicht auskommen konnte: nur die Zünfte der Stadt durften sie betreiben,
auch auf dem Lande, und wer dort von ihnen eingestellt wurde,
fiel aus dem Landrecht heraus und geriet unter den Zunftzwang.
Kein Bauer und kein Sohn eines Bauern aber durfte in die städtischen
Verbände aufgenommen werden; es gab keinen Aufstieg für den jungen
Kräfteüberschuss auf dem Lande. Handel, Gewerbe und Kunst durften
nur von Bürgern betrieben werden. Zu allen irgend einträglichen Stellen
auf dem Lande, geschweige zu den fetten Pfründen zu Stadt und
zu Land, gar zu Offiziersstellen in heimischen und fremden Diensten,
durften nur Stadtbürger zugelassen werden. So dehnten diese, das
heisst auch nur die bevorzugten Familien, ihre ursprünglich auf die
Stadt beschränkten Privilegien auf das ganze Land aus. Das Schlimmste
aber war, dass die vornehmen Herren vom Stadtregiment selber
es nicht verschmähten, höchst persönlich in Landgütern zu spekulieren:
sie, gerade die reichsten und darum mächtigsten, streckten den
Bauern massenhaft Geld zu wucherischen Zinsen von acht, zehn, ja
fünfzehn und mehr Prozent vor, liessen sich dafür Hypotheken auf
Bauerngüter geben, hetzten die Besitzer, wenn sie die Zinsen nicht
mehr zahlen konnten, rasch in Konkurs, brachten so die Güter an sich
und trieben mit diesen einen wilden, schwunghaften Handel, sofern
sie sie nicht zur Arrondierung ihrer Herrensitze auf dem Lande
brauchten. Und um die Schulden und Zinsen einzutreiben, besser gesagt,
um die Schuldner umso rascher in den Ruin treiben zu können,
hatte der Rat von Luzern zehn Schuldboten ernannt, die von einem
fälligen Termin zum andern reisten und die, solange eine Schuld oder
ein Zins nicht bezahlt waren, auf Kosten jedes einzelnen Schuldners in
den besten Gasthöfen zechen und fressen durften, bis der Schuldner


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 020 - arpa Themen Projekte
zusammenkrachte. Das waren die vom Volk furchtbar gehassten sogenannten
«Gislifresser», was Fresser der Geiseln, als welche die
Schuldner galten, heisst. «Allgemein klagte man», so sagt der sehr
konservative und sehr katholische Geschichtsschreiber Theodor von
Liebenau, «dass diese Treibboten weit köstlicher auf Rechnung der
armen Leute lebten als die reichsten Bauern». «Man sollte die Gislifresser
mit Hunden aus dem Lande jagen», hiess es im Volk. Und SO
dachten auch Hans Emmenegger und seine Verschwörergenossen am
Thomasabend in Käspi Unternährers Haus.
Was aber für sie den Hafen zum Ueberlaufen brachte, das war
die schreckliche Münzverschlechterung, die «Inflation», die nach dem
grossen Kriege gewiss zwangsläufig hereinbrach, die aber von den
Herren zu einem schamlosen Raubzug auf das ganze Volk ausgenutzt
wurde. Ohnehin waren der Wert des Bauernbesitzes und die Preise
der Bauernprodukte mit dem Abschluss des westfälischen Friedens
anno Achtundvierzig in eine katastrophale Tiefe gestürzt. Das Mütt
Korn (gleich 168 Liter), das noch im Jahr Vierundvierzig 10,5 Gulden
gegolten hatte, galt jetzt nur noch 2,4 Gulden. Die Armut grassierte
auf dem Lande infolgedessen wie die galoppierende Schwindsucht.
Umso wehrloser mussten die Bauern zuschauen, wie ihnen die Herren
buchstäblich den Boden unter den Füssen wegzogen. Als nun selbst
die reichen Herren in der Stadt in Finanzkalamitäten gerieten, weil
ihnen von den kriegsruinierten Staaten, von Spanien, Frankreich, Savoyen
und dem Kaiser die reichen Pensionengelder nur noch stockend
zuflossen und manchmal ganz ausblieben, da sannen sie auf ein Mittel,
sich an der Heimat selbst «gesund» zu machen. Was focht es sie an,
wenn sie dafür die Bauernschaft krank und siech auf ein künftiges
Jahrhundert brachten!...

Gerade jetzt, im Dezember Zweiundfünfzig, war es gewesen, dass
der Rat von Luzern die fürchterlichen Münzmandate erlassen hatte,
die dem ganzen werktätigen Volk auf dem Land das halbe Vermögen
stahlen und in die Taschen der Stadtjunker leiteten und viele Tausende
neu an den Bettelstab zu bringen drohten! Denn viele andere
Tausende waren es schon, dank den zahllosen neuen Auflagen, Bussen
und erbarmungslosen Schuldeintreibungen in allen luzernischen Aemtern,
ja im ganzen lieben Schweizerland.

Durch diese Münzmandate nämlich setzte die Luzerner Regierung
— nach dem Vorgang der Berner, obschon die immer stolz ausgeschrieen
hatten: «Batzen bleibt Batzen!» — die weitaus verbreitetsten
«Handmünzen», die Berner, die Freiburger und die Solothurner, aber
auch die Churer Batzen, auf einen Schlag um einen Viertel, ja um die
Hälfte ihres Nennwertes herab. Aber das war nicht einmal das
Schlimmste; ein Münzabruf kann sich als notwendig erweisen, besonders
wenn die Münzen wirklich minderwertig geprägt worden waren,
wie alle die genannten während des grossen, dreissigjährigen Krieges;


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 021 - arpa Themen Projekte
oder wenn gar übermässig viel falsches Geld in Umlauf ist, wie solches
zu dieser Zeit vor allein durch Italienisch-Bündner aus dem Calancatal
aus richtigen Fälscherwerkstätten in Oberitalien massenhaft in die
Schweiz geschmuggelt wurde. Jedoch das könnte und müsste im gütlichen
Einvernehmen zwischen Volk und Regierung erörtert und erklärt
werden, wie das noch anno 1621 bei der letzten Münzbereinigung
geschah. Vor allem aber: ein Münzabruf soll alle gleich betreffen
und zu niemandes Vorteil gemacht werden. Das aber war hier der
springende Punkt: die Luzerner Herren gaben ihren Leuten in der
Stadt heimlich rechtzeitig den Wink — und sie, die Herren vom Rat,
befolgten ihn selbst sehr eifrig —, die gesamten Handmünzen ans
Landvolk abzuschieben, sie noch für ihren vollen Wert gegen Silber,
Gold oder Häuser, Güter und Land und für «Gülten» (Hypotheken)
einzutauschen und erst als dies geschehen war, wurde der Münzabruf
verkündet! Das war die «gelenkte» Wirtschaft der «autoritären»
Patrizier und Gnädigen Herren von Gottes Gnaden: eine planmässige
Ausraubung des gesamten Landvolks zugunsten des städtischen Patriziats!
Und ganz ähnlich verfuhren die Gnädigen Herren von Bern und
andere Patriziate in den «Freistaaten» der Eidgenossenschaft.

Viel Landbesitz ist damals auf diese Weise in die Hände der
Stadtmagnaten gekommen. Das hat viel dazu beigetragen, das feudale,
d. h. auf ausgedehntem Landbesitz beruhende Fundament der «Souveränität»
zu schaffen, mit der diese fürstengleichen Herren, unsere
«vornehmen, regierungsfähigen Familien», nun anderthalb Jahrhunderte
lang, bis zum Zusammenbruch 1798, ihre Landvölker regierten
und drangsalierten — «absolut» wie der König von Frankreich.
Ebensoviel allerdings trugen die Folgen dieses Grossbetruges dazu bei:
die zahllosen Existenzen auf dem Lande, die in ihm zusammenbrachen,
wurden von ihren städtischen «Gülten»-Gläubigern in den Konkurs
getrieben und ihr Gut und Boden für einen Pappenstiel in deren
Hand gebracht. Hatte doch erst kürzlich der Rat von Luzern, um diesen
Prozess anzutreiben, ein Mandat erlassen, nach dem ein Gülten-Besitzer
jeden Zins verlor, für den er seine Schuldner nicht bis an den
Konkurs getrieben hatte!...

Mochten auch Hans Emmenegger und seine Verschwörergenossen
kaum ahnen, wohin diese Dinge im Grossen treiben mussten, so sahen
sie doch, wie die Gewalt der Stadt über das Land anschwoll, wie die
Freiheiten ihres Volkes in der Flut der Begehrlichkeit ihrer Gewalthaber
Schritt für Schritt ersäuft wurden. Wussten sie doch am besten
selber, wie ihre Güter mit Hypotheken überladen waren, die in den
Händen der städtischen Finanzkünstler lagen, und dass verschuldete
Bauern massenhaft auswandern mussten, weil ihnen der Boden unter
den Füssen weggezogen wurde. Und sahen sie doch mit Grauen ihre
Bauerngenossen schon seit Jahren immer verzweifelter zur Zerstückelung
ihrer Güter greifen, um sich wenigstens noch an ein paar Fussbreit


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 022 - arpa Themen Projekte
eigenen Bodens klammern zu können. Mit Entsetzen mussten sie
zuschauen, wie die grossen Bauern einer nach dem andern vor ihren
Augen verschwanden und an ihre Stelle die wachsende graue Schar
der armen Schuldenbäuerlein trat, die zu wenig hatten, um zu leben
und zu viel, um zu sterben.

Hans Emmenegger selbst war einer der letzten grossen Bauern,
der sich entschlossen gegen den Untergang seiner eigenen Wirklichkeit
zur Wehr setzte. Und er sah klar genug, um zu erkennen, dass er das
nur an der Seite der grauen Masse der Schuldenbauern zu tun vermochte.
Er irrte aber sehr, wenn er seinen draufgängerischeren Verschwörergenossen
in Käspi Unternährers Haus standhaft entgegenhielt:
es genüge, den Gnädigen Herren in Luzern aus alten Briefen
und Siegeln zu beweisen, dass sie, die Bauern des Entlebuchs, und
zwar alle, vom reichsten bis zum ärmsten, im rechtmässig ererbten
Besitz der heiligen alteidgenössischen Freiheiten seien; es genüge, den
Herren in Luzern zu versichern, dass man ihre Herrschaft nicht antasten
wolle, wenn sie nur sie, die Entlebucher, in ihren alten Rechten
und Freiheiten belassen wollten.

Da hatte der Bodenmüller von Willisau, der Melchior Kiener,
schon eher das Richtige getroffen, als der bereits anno Dreiunddreissig
gesagt hatte: es wäre gut, wenn man die Stadt Luzern «mit sampt der
Herren Siegeln und Briefen und allein, was darin ist, verbrunne; es
wäre dem ganzen Land ein grosser Nutz, da es wieder ledige Güter
gäbe». Zwar war auch dies keine Lösung; es war ungefähr dasselbe
Rezept wie das der armen Handweber beim Brand von Uster fast zweihundert
Jahre später: die Maschinerie des Geldverdienens zu stürmen
und zu vernichten, statt sie zu erobern, um sie dem ganzen Volk
dienstbar zu machen. Aber doch war dieser Bodenmüller von Willisau
damit schon vor zwanzig Jahren um einen Schritt weitergelangt als
der Pannerherr Emmenegger um die Wende von Zweiundfünfzig auf
Dreiundfünfzig. Und darum war er denn auch vom souveränen Rat
von Luzern für seinen kühnen Ausspruch für sechs Jahre gefesselt auf
die Galeeren Venedigs geschickt worden, wo er, an ein Geldschiff geschmiedet,
die Maschine anderer souveräner Herren in Schwung zu
halten helfen musste. Und das war soviel wie die Todesstrafe; denn
von den Galeeren gab es kaum je eine Wiederkehr... Allerdings hatte
dieser aufrechte Luzerner Bauer auch die Verwegenheit gehabt, der
erzkatholischen Luzerner Regierung ins Gesicht zu sagen, dass er sogar
die Schweden, die jeden glauben lassen, was er wolle, lieber zu
Landesherren wünsche als die Luzerner Ratsherren! Er hatte also die
Galeerenstrafe in deren Augen wohlverdient...

Denn die Luzerner Regierung war eine fromme Regierung. Auch
Emmenegger war ein frommer Mann. Aber seine Frömmigkeit reichte
doch nicht so weit, um mit derjenigen des Luzerner Rats verglichen
zu werden. Denn diese kann ihrerseits nur mit der Frömmigkeit eines


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 023 - arpa Themen Projekte
gewissen Herzogs von Savoyen gemessen werden, von dem es in einer
alten Komödie heisst: «als er vernommen, dass nur die Armen in den
Himmel kommen werden, so sagte er: 'ich will alle meine Untertanen
arm machen, damit alle in den Himmel kommen müssen'!»

Wahrlich, unter sotanen Umständen, von denen hier nur das
Gröbste gemeldet ist, konnte ihnen der Stoff nicht ausgehen, dem
Hans Emmenegger und seinen Mitverschworenen am Thomasabend
in Käspi Unternährers Stube. Fleiss ging es zu, wohl bis an den frühen
Morgen. Denn die zwei Heissporne, Stephan Lötscher und der Käspi
selbst, wollten der gutmütigen Bedachtsamkeit des Pannermeisters,
des obersten Betrauten der Geschworenen und des Volkes im Amte
Entlebuch, nicht leicht nachgeben. Da fand sich aber an dessen Seite
auch der zweitoberste, der Landeshauptmann Niklaus Glanzmann ein;
auch der drittoberste, der Landesfähnrich Niklaus Portmann, hielt
Emmenegger die Stange. Als dann auch der Landessiegler Binder
Hans Emmenegger beisprang, da waren schliesslich alle vier rechtmässigen,
beeideten Landesvorsteher für einen letzten gütlichen Versuch.
Darum bissen sich auch die Heissporne für diesmal auf die
Zähne und stimmten zu; dem Versuch nämlich, durch ein untertäniges
Bittgesuch, das eine Deputation aus ihren Reihen persönlich an die
Gnädigen Herren zu Luzern zu überbringen hatte, die Hauptbeschwerden
aus der Welt zu schaffen. Sollte dem aber nicht entsprochen werden,
nun — so schworen einmütig auch die vier Landesvorsteher —
dann wollten sie nicht nachgeben, sondern den Mitverschworenen und
dem ganzen Volke aus allen ihren Kräften und mit Leib, Gut und Vermögen
beistehen, sich ihr Recht selber zu verschaffen. Und damit
stand der gesamte rechtmässige und beeidete Vorstand des Amtes Entlebuch
an der Spitze des Aufruhrs und hielt dort durch alle Fährnisse
stand bis zum blutigen Ende...

Doch bevor sie aufstanden, um noch vor weichender Nacht ihre
teils weit entfernten Heimstätten wieder zu erreichen, beschlossen sie
noch, eilig die Amtsleute vom Ruswiler und vom Rothenburger Amt
anzuschreiben, sie möchten mittun bei dem Bittgang nach Luzern und
ihre Beschwerden aufsetzen. Desgleichen sollten die Berner Bauern,
ihrer verschiedenen Religion unbeschadet, über den Bruder Glanzmanns,
der im Emmental wohnte, zu freundlichem Aufsehen und zu
gegenseitiger Hilfe gemahnt werden; denn dass sie derselbe Schuh
drückte, wusste ein jeder. Und schliesslich hatten die Entlebucher den
Bernern, als diese anno Einundvierzig gegen eine verhasste Kopfsteuer
aufstanden, auch Hilfe und Zuzug versprochen.

Als sie in die kalte Nacht aufbrachen, stand der Komet schon tief
im Westen und streifte mit seinem «gestutzten Bart» bereits die Höhen
des Emmentals...


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 024 - arpa Themen Projekte


II.
Vom Bittgang zum Knüttelgang

Die erste Enttäuschung für unsere wackeren Entlebucher Geschworenen
war, dass weder die Leute vom Amt Ruswil, noch die vom
Amt Rothenburg sich schon mitzumachen getrauten, obschon sie der
Klagen voll waren. Aber auch mit dem Brief an die Berner hatten sie
Pech: er wurde von einem bernischen Spion abgefangen und dem
Trachselwalder Landvogt und weitherum berüchtigten Leuteschinder
Samuel Tribolet ausgeliefert. Der beeilte sich natürlich, nicht nur
seinen Berner, sondern auch den Luzerner Herren zu berichten. Denn
auch die Herren hielten unbeschadet der Religion zusammen, nach
dem Grundsatz: Herr ist Herr und Knecht ist Knecht.

Trotzdem gelangten andere Boten der Entlebucher heil ins Emmental.
Die Entlebucher aber beschlossen, ihren einmal beschrittenen
Weg weiterzugehen, auch wenn sie ganz allein bleiben sollten. Sie
wurden darin bestärkt durch die schon in den ersten Januartagen des
Jahres Dreiundfünfzig auffallend hervortretende Stimmung der
Kampfentschlossenheit im ganzen Lande. Wie ein heimliches Lauffeuer
war es von Hof zu Hof, von Stall zu Stall gelaufen: wir haben
ein Haupt! sie haben zusammengesessen! sie wollen uns helfen! wir
sind nicht mehr wehrlos! Und schon am Tage der unschuldigen Kindlein
durchliefen mit Knütteln bewaffnete Gruppen von jungen Leuten
das ganze Entlebuch, sangen alte Tellenlieder und riefen jedem zu:
wir wollen unsere alten Freiheiten wieder herstellen!

So schossen denn die Entlebucher Geschworenen den Pannermeister
Hans Emmenegger, den Landeshauptmann Glanzmann und
den Landessiegler Binder aus, um den schweren Gang nach Luzern anzutreten.
Schon am 8. Januar abends standen sie vor dem prächtigen
Haus des einen der beiden Schultheissen von Luzern, des Ulrich
Dulliker. Sie gratulierten sich noch, dass es nicht der andere war, den
sie gewählt hatten, der «alte Raubgeier» Ritter Heinrich von Fleckenstein,
der noch als hoher Sechziger in den Dreissigerjahren Philipp
dem Vierten von Spanien als Oberst gedient hatte und jetzt an die
Achtzig war. Aber an ein militärisches Rauhbein gerieten sie auch, als
sie nun beherzt vor Dulliker traten, um von ihm Audienz vor dem Rat
für den morgigen Tag zu verlangen. Denn Dulliker hatte als kräftiger


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 025 - arpa Themen Projekte
Vierziger noch vor fünf Jahren demselben König im Mailändischen als
Haudegen gedient. Und mit darum, weil seit Jahren zwei «Spanier».
die Stadt regierten, war ja in Luzern Alles so rasch «spanisch» und
so spanisch grausam geworden.

Dulliker wollte wissen, wofür er den drei Bauern Audienz vor
dem Hat verschaffen sollte. Kaum dass er ahnte, worauf die Sache
hinauslief, fuhr er sie zornig an: «ob sie denn von Sinnen seien, dass
sie glaubten, er sei verpflichtet, eine derartig unbillige Sache vorzutragen?»

Sofort ward den drei Deputierten klar, dass sie auf keinen guten
Ausgang zu rechnen hatten. Wenn schon der Dulliker so aufbrauste,
wie musste erst der Fleckenstein gegen sie verfahren? Der wäre imstande
gewesen, sie alle drei sofort zu verhaften und im Turm verschwinden
zu lassen. Aber Hans Emmenegger blieb so hartnäckig bei
seinem Vorhaben, dass sie beim Wirt zum Wildenmann, wo sie nächtigten,
beschlossen, am Morgen früh, Dulliker zum Trotz, direkt beim
Hat vorzusprechen und ihm ihre Klageschrift zu überreichen. War
doch darin noch sehr untertänig um die Aufhebung der Münzmandate,
um die Freigabe des Salzhandels, sowie um die Erlaubnis gebeten,
statt mit Geld auch mit Naturalien zu zinsen, wo, wie fast bei allen
Bauern, kein bares Geld vorhanden sei; eventuell wolle man sogar
zugunsten des Gültenbesitzers «ein Stück Erdreich abstecken», an
Zinses statt.

Aber als die drei Entlebucher am 9. Januar früh vor dem Rate
erschienen, da fühlten sie sich wie vom Feinde umzingelt. Der Dulliker
musste sie schon aufgereizt haben: bös, spöttisch und hochmütig blickten
die Ratsherren sie an. Waren das denn wirklich Menschen von
gleichem Fleisch und Blut, waren das überhaupt Eidgenossen diese
geschniegelten, gepäppelten und frisierten Herrchen ringsum, in heiteren,
gefärbten Mänteln, grauen Hüten, Schnabelschuhen, langen
Haaren und in absonderlich fremdländischen seidenen Trachten?
Richtig unter diesen auf Lebenszeit «gewählten», vielmehr schon
kraft ihrer Familienzugehörigkeit in den Rat hineingeborenen Regenten,
die alle untereinander verwandt, verschwistert oder verschwägert
waren, gab es ja nur zwei Parteien: eine kaiserlich-habsburgisch-spanische
Partei, die also gerade dem Landeserzfeind von ehemals, von
dem die Eidgenossenschaft sich in blutigen Kämpfen eines Jahrhunderts
losgerungen hatte, dienstbar war und von ihm Sold bezog,
und das war die bei weitem zahlreichere, der auch beide Schultheissen
angehörten; daneben die kleinere königlich-französische Partei, die
vom König von Frankreich Sold bezog, gegen den die Eidgenossen, als
sie noch frei waren, noch bei Marignano verzweifelt, aber vergeblich
gekämpft hatten. Ja, der Fleckenstein, der «reichste Eidgenosse jener
Tage», brachte es in seiner raffinierten Habsucht fertig — und das
war landeskundig —, von beiden Seiten Ströme Goldes zu empfangen,


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 026 - arpa Themen Projekte
worin er alle andern Ratsherren und auch seinen Rivalen Dulliker bei
weitem übertraf. Und wofür das? Weil sie dem Kaiser und dem
König, ja fast jedem beliebigen Fürsten Europas, jahraus jahrein das
Fleisch und Blut, die Seele und die Knochen Tausender Schweizer
Bauern verkauften, und weil sich die Fürsten Europas darum rissen,
diesen kostbaren Dung für ihre Schlachtfelder zu bekommen! Und
diese Grosshändler mit dem Wertvollsten, was die Eidgenossenschaft
besass und das sie für die eigene Bereicherung ins Ausland verschoben,
diese Grosspekulanten auf den Schlachtentod der Eidgenossen
selber — das sollten Eidgenossen sein? Sie trugen ja wie Lakaien die
Tracht ihrer zahlenden Herren. . . Das also waren die, die unseren
drei Entlebucher Bauern Gerechtigkeit widerfahren lassen sollten.
Mussten die nicht an die zahllosen Elendsgestalten ihrer Bauerngenossen
zurückdenken, die nun schon während vier Jahren aus dem
letzten «grossen» Krieg siech und verkrüppelt, ausgehungert und gebrochen
in die Heimat zurückgeströmt waren und von denen noch
jetzt arme, bettlerhaft verkrätzte und verlauste Reste aus den entferntesten
Winkeln Europas heimkehrten? Nicht zu gedenken der
anderen Zahllosen, für die es keine Heimkehr mehr gab, weil sie auf
fremden Schlachtfeldern vermoderten...

Aber unsere drei Bauern-Deputierten hatten nicht lange Zeit, sich
in den schrecklichen Sinn dieses fremden Schauspiels zu versenken,
das sie hier drohend umgab. Kaum hatten sie, barhäuptig und tief
verneigt, ihre Bittschrift überreicht, wurden sie barsch angefahren,
abzutreten und sich um zwölf Uhr wieder zu stellen, um den ihnen
gebührenden Bescheid entgegenzunehmen. Von einer Aussprache von
Mann zu Mann war keine Rede.

Jetzt wurde selbst Hans Emmenegger stutzig. Hatte man ihn
nicht schon einmal anno Fünfunddreissig, wegen des Ohmgeld-Handels,
hier in Luzern vom Platz weg überwältigt und ohne Gerichtsspruch
in den Kerker geworfen? Und hatte man nicht seinen damaligen
Mithelfer, den Peter Krummenacher, den Vater Hansens,
kurzerhand geköpft? Wie konnte er das vergessen und abermals so
zutraulich sein? Nein, diesmal sollten sie ihn nicht fangen — und
darum beschlossen die Drei, kaum dass sie wieder auf der Strasse
waren, gar nicht erst wieder in den Wildenmann zurückzukehren
und Mittag abzuwarten — schon der Wildemann konnte eine Falle
sein —, sondern unverzüglich den Weg unter die Beine zu nehmen,
den sie hergekommen. Darin wurden sie noch bestärkt, als sie, kaum
dass man sie verabschiedet hatte, einen Ratsherrn nach dem andern
das Rathaus verlassen und nachhause eilen sahen. Mithin, dachten
sie, ist es gar nicht auf eine Beratung unserer Sache, sondern auf
etwas anderes abgesehen, wozu die Verfügung einer «Kommission», «Kommission»,
ja die Willkür der beiden Diktatoren vollauf genügte. So machten
sie sich spornstreichs gegen die Bramegg auf, um über Wolhusen


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 027 - arpa Themen Projekte
so schnell wie möglich wieder in der schützenden Masse ihrer Bauerngenossen
unterzutauchen. Auf der Bramegg aber haben sie, bevor sie
weiterzogen, beschlossen, nie wieder zu Verhandlungen in die Stadt
zurückzukehren.

Kaum heimgekehrt, vernahmen sie, dass sie in Luzern wirklich
«vom Feinde umzingelt» gewesen waren. Am Tag nach ihrer fluchtartigen
Abreise nämlich tat einer der Massgeblichen unter den Ratsherren,
ein Mitglied der «Kommission», d. h. des engeren Regierungsausschusses,
einen Ausspruch, der Gesinnung und Absicht der Luzerner
Herren krass enthüllte. Es war der gefürchtete Landvogt Melchior
Krepsinger, der auch einmal ihr, der Entlebucher, Landvogt
gewesen war und dessen Grausamkeit und Gefährlichkeit sie kannten.
Auch seine moralische Verworfenheit hatten die Entlebucher Bauern
längst vor dem Luzerner Rat erkannt; denn erst fünf Jahre nach
alledem, was im Jahre Dreiundfünfzig geschah, wurde Krepsinger
«wegen unanständigen Lebens im Rate stillgestellt». Jetzt aber war er
im Rate noch eine «Hauptkanone» gegen die Bauern. Es war daher
kein Zufall, dass gerade er es war, der am zehnten Januar einen Entlebucher
so anfahren durfte: «Nur zu lange schon haben wir mit euch
Unverschämten den Weg der Güte und Milde fruchtlos eingeschlagen;
ihr seid unruhige, störrische Köpfe, die nicht eher Ruhe haben werden,
als bis man euch vier- bis fünfhundert gefrorene Welsche — d. h.
stich- und schussfeste italienische oder spanische Söldner — auf den
Hals schicken wird!» Diese Aeusserung «von den fremden Völkern, die
auf Geheiss der Regierung in die Schweiz kommen und das Kind im
Mutterleib nicht verschonen werden», lief, kaum getan, wie ein Blitz
durch's ganze Land. «Auf Strassen und in Häusern» — so meldet ein
Chronist — «bei Zusammenkünften in den langen Winternächten und
in Wirtshausgesellschaften waren die 'stich- und schussfesten Welschen'
der fortwährende Gegenstand des Gesprächs und ein durchgreifendes
Mittel, die Gemüter zu erbittern und die Köpfe in Feuer
und Flammen zu setzen». Dadurch wurden, wie derselbe Chronist
meldet, «noch während des ganzen Aufstandes... viele Gemeinden, die
sich lange ruhig verhielten, wie mit einem Zauberschlage zu den Waffen
getrieben».

Das Pulver war eben schon lange überdürr, und da brauchte es
nur diesen Funken, um es in Brand zu setzen. Und «weil denn doch»,
so hiess es nach einem zeitgenössischen Ohrenzeugen allenthalben,
«Stich und Schuss von vornen und geradeaus diesen verhexten Welschen
nichts anhaben mag, so müssen wir trachten, die Härte der
Italiener mit Knütteln zu brechen und den unauflösbaren Knoten mit
der Keule durch Querstreiche zu zerschmettern». Mit solchen Prügeln,
mit ihren «stächlinen Stäfzgen» an den «grosslechten schweren
Köpfen», wollten sie den gefrorenen Welschen «die Gfrörne schon
aufthun».


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 028 - arpa Themen Projekte

Und in der Tat, kaum waren Emmenegger, Glanzmann und Binder
von Luzern zurück und kaum hatte Krepsingers Kraftspruch das
Land erreicht, da machte sich «Mann und Weib, Jung und Alt rüstig
und freudig ans Werk, zweckdienliche Waffen zu verfertigen». Als
solche galten allenthalben in diesem noch urzeitlich-bäuerlichen Land
starke, eichens Knüttel, vorn mit mächtigen eisernen Nägeln, den
«Stäfzgen», gespickt. Es war die Wiederauferstehung des Morgensterns,
der Waffe der alten Eidgenossen, die schon im Jahre Sechsundvierzig,
in dem von den Zürcher Herren überaus grausam niedergeschlagenen
Wädenswiler Aufstand, in den Händen der Bauern
wieder aufgetaucht war. Jetzt aber nicht als Waffe gegen den äussern,
sondern gegen den innern Feind. Mit Recht hat sie die Luzerner Regierung
«ganz ungebräuchliche» Waffen genannt — denn sie kamen
dreihundert Jahre zu spät, um wirklich zweckdienlich zu sein! Aber
massenhaft wurden dafür von Männern, Frauen und Kindern junge
Eichbäume gehauen und in jedem Dorf ein Lager von vielen Hunderten
solcher Knüttel angelegt.

Einer von denen, die es nach der Heimkehr der Drei vom Bittgang
nach Luzern nicht mehr in ihrer Haut litt, war der hitzige Käspi
Unternährer, der am liebsten schon am Thomas-Abend losgeschlagen
hätte. Als er nun obendrein hörte, dass der Seckelmeister von Luzern
sich ausgerechnet diese bewegten Tage dazu ausgesucht hatte, um drei
Schuldboten, die berüchtigten «Gislifresser», abermals ins Entlebuch
zu schicken, da war er nicht mehr zu halten. Käspi wollte sie in einer
Weise nachhause schicken, dass es künftig keinem mehr einfallen
konnte, wieder ins Entlebuch zu kommen. Er organisierte mit Stephan
Lötscher, dem andern Heissporn vom Thomas-Abend, sowie mit seinem
mutigen und wendigen Vetter Ulrich von Hasle zusammen, der
eigentlich wie Käspi, auch Unternährer hiess und darum nach seinem
Vornamen nur der Hinteruli genannt wurde, einen Ueberfall auf die
«Gislifresser» von so besonderer bäuerlicher Spott- und Quälgeist-Art,
dass ihn der Höllen-Breughel, der grosse Maler und Rächer der
holländischen Dorfarmut, hätte erfunden haben können. Auch sein
Freund Hans Stadelmann aus Marbach, der, wie Hinteruli, noch manchesmal
an Käspis Seite auftauchen wird, aber auch manche seiner
Schüpfheimer Mitbürger, wie Fridolin Schnyder und zwei Brüder
Müller, waren mit grossem Eifer an Käspis Projekt beteiligt.

Als die «Gislifresser» in Schüpfheim einzogen, wurden sie auf
offenem Marktplatz überfallen und bös zugerichtet. Wie das zuging,
das hat damals ein katholischer Luzerner Pfarrer an einen protestantischen
bernischen Pfarrhelfer drastisch berichtet: «Erstlich zerschlagen
sie sie elendiglich und erbärmlich: zweitens schlitzen sie auch
etlichen die Ohren. Drittens, was das allergrausamste und unerhörteste
ist, drehen sie grosse starke Weiden, ziehen den Boten dieselbigen
durch das Maul und hinten auf den Rücken, binden ihnen noch damit


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 029 - arpa Themen Projekte
beide Hände, dass sie ihnen geschwollen, unbarmherziglich auf den
Rücken, begleiten sie solchergestalten ganz spöttisch- und höhnischerweis
mit Hebeln, Sparren, Stangen, nachdem sie dieselben genug zerschlagen,
zu den Dörfern hinaus, sagend, sie mögen nun gegen Luzern
zu gehen.» So verfuhren zum Beispiel der Hinteruli und seine
Mutwillsgefährten mit dem Hauptschuldboten Hans Arnold Roth.
rissen ihm dabei auch «einen Fecken von seinem Tschoppen», und,
nachdem sie ihm, notabene, zwar nicht die Ohren geschlitzt, aber
wie ein anderer Chronist meldet, «hölzerne Klammern an Ohren und,
Nase gesteckt und ihm einen Strohkranz um den Kopf gewunden»
und ihn dazu noch auf einen Schuhmacherstuhl gesetzt, «führten sie
ihn, unter schallendem Gelächter des von allen Seiten zusammenströmenden
Volkes, mit Pfeifen und Trommel zum Lande hinaus».

Doch mit solchem Mutwillen, mochte er auch dem Volksempfinden
Genüge tun, war ja nicht viel gewonnen. Schon wichtiger war,
dass zahlreiche heimgekehrte Söldner die Wirtshäuser füllten und
jeder, der es hören wollte, Abende lang den Geschichten von Volksaufständen
zuhören konnte, denen diese hartgesottenen und kriegskundigen
Landsknechte selber beigewohnt hatten und die sie mit nie ermüdender
Bravour phantastisch ausschmückten. Als wären sie selber die
Helden dieser Volksaufstände gewesen — da sie doch vielmehr im
Dienste fremder Fürsten immer dazu befohlen waren, sie blutig und
erbarmungslos niederzuschlagen! Doch mag es ein, dass manchem
dabei im Stillen das Herz geblutet hatte und dass sie nun, da der
Aufruhr im Herzen der eigenen Heimat schwoll, Scham darüber befiel,
dass sie sich zum Bütteldienst hatten verwenden lassen müssen.
Und wenn sie dabei aufschnitten, so war das vielleicht Ersatz für die
eben nicht verrichteten, vielmehr auf falscher Seite verrichteten Heldentaten.
Und jetzt, durch den langen Kriegsdienst aller heimischen
Arbeit entwöhnt, in ihrer grossen Zahl zu Krüppeln geschlagen —
was konnten diese armen «Becherbauern» noch anderes tun, als
ihrem zerschlagenen Leben wenigstens nachträglich noch einen Sinn
zu geben, der der Rolle entsprach, in die ihr eigenes Volk ringsum
nun Tag für Tag hitziger und entschlossener hineinwuchs? «Barfüssler»
hätten die französischen Herren ihre armen Zinspflichtigen voll
Verachtung genannt — sassen nicht Barfüssler » genug rings um den
Wirtshaustisch, an dem die Kriegsmannen erzählten? Und diese «Barfüssler»
hätten sich in der Guyenne voll Verzweiflung erhoben aber
«das Schwert der Edelleute hieb 8000 derselben in Stücke»! In Sizilien
hätte sich ein armer Schiffer, der zwischendurch auch Golddrahtzieher
war, der Joseph d'Alessio, der Gewalt im Staate bemächtigt und den
Vizekönig aus Palermo vertrieben — und der Zorn des Volkes habe
sich dort gerade wie hier gegen die Salzsteuer gerichtet! Und dann der
Aufstand des armen Fischers und Strassenverkäufers von Orangen und
Melonen, kurz des Lazzaroni Masaniello in Neapel: der habe im gleichen


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 030 - arpa Themen Projekte
Jahr, anno Siebenundvierzig, den Hof, den verderbten Adel und
die ganze abergläubische Geistlichkeit besiegt, und der einfache Büchsenmacher
Gennaro Annese habe fast ein ganzes Jahr als Generalkapitän
die Herrschaft geführt... Ob denn das gegen diese Luzerner
Herrchen nicht auch möglich wäre? Ihre Nutzanwendungen waren
stets praktisch, versteht sich, und der Lage angepasst — wenn sie dabei
auch ängstlich vermieden, ihre Zuhörer mit der Erzählung von den
Blutbädern zu verärgern, in denen sie selber als Söldner diese und
ähnliche Volksherrschaften hatten ersticken helfen...

In Stephan Lötschers Wirtschaft waren nicht nur die fünfhundert
Knüttel für die Mannschaft von Schüpfheim aufgestapelt; hier versammelten
sich auch Abend für Abend mit Vorliebe die «Politischen»,
die Volksgewählten, die Weibel und Geschworenen. Doch auch hier
fehlten niemals kriegs- und welterfahrene Reisläufer. Hier wurden
auch die nächtlichen Zusammenkünfte mit den nun immer häufiger
zur Erkundigung über die Grenze gekommenen Bernern abgehalten.
Hier ging es darum oft hochernst und hochpolitisch um alle Kernfragen
schweizerischer Eidgenossenschaft. Stephan Lötscher selbst
war in seinem Eifer für ein paar Tage nach Unterwalden geeilt, weil
er gehört hatte, dass sich dort alte Urkunden über ihre Freiheiten
finden lassen müssten, die ihrem jetzigen Freiheitskampf nützlich
sein könnten.

So aber hat solche Gespräche der beste Fortsetzer der Johannes
von Müller'schen Schweizergeschichte, der waadtländische Geschichtsschreiber
Vulliemin, nach Dutzenden von zeitgenössischen Quellen zusammengefasst:
«Was hilft es den Eidgenossen, die alte Knechtschaft abgeschüttelt
zu haben, wenn sie sich eine neue auflegen lassen? Zölle, Weggelder,
der tausendste Pfennig — kann ein freies Volk solche Auflagen dulden?
Eine Krone bei der Ausfuhr auf jedes Haupt Vieh gelegt (so viel
war das bernische Trattengeld; das luzernische sechs Batzen), trifft die
Last der Fremden, der um so viel den Preis, den er für Kühe und
Pferde bietet, heruntersetzt? Man beginnt damit eine Taxe, nur für
eine bestimmte Zeit, für einen bestimmten Fall aufzulegen, bald bleibt
sie für immer. Ist es denn noch nicht genug, dass die Herren den
Alleinhandel mit Salz und Pulver an sich gezogen haben? Sie schützen
das Bedürfnis der Grenzverteidigung vor; aber warum noch mit euren
Beuteln bezahlen, nachdem ihr mit euren Leibern bezahlt habt? Dennnoch,
wenn dieser Dienst auch nur einigen Ruhm hoffen liesse! Wenn
ihr zum mindesten nach verspritztem Blut für eure Herren bei der
Heimkehr auf eine billige Regierung hoffen dürftet! Aber wo ist eine
Gegend, die nicht unter der Zucht der Vögte seufzen muss?... Ihr
Uebermut ist noch gewachsen, seit Anerkennung unserer Unabhängigkeit
durch den Frieden von Westfalen. Tägliche Körperstrafen und
willkürliche Bussen, das ist ihr Tun. Dringt unsre Stimme bis in die


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 031 - arpa Themen Projekte
Hauptstadt, zuverlässig wird ein herber Verweis folgen. Was ist aus
der so gerühmten Gerechtigkeit der alten Schweizer geworden? Zwar
hat Bern, die Folgen der Tyrannei seiner Vögte fürchtend, Untersuchungen
angestellt; es hat schöne Verordnungen erlassen; schade nur
dass sie nicht gehalten werden. Unsere Regenten legen uns selbst Fallstricke,
damit wir in Fehler verfallen, welche sie bereichern. Ist die
Rechnung mit dem Landvogt berichtigt, dann kommt noch diejenige
seiner Frau. ('Wer schmiert, der fährt'! Und: 'Mach Mist, dieweil du
Landpfleger bist'! So heisst es sprichwörtlich bei diesen Herren). Täglich
legen sie aus dem Ertrage unserer Bussen neue Gelder an. Bekannt
ist der Streich jenes Landvogts, der einen Verstorbenen gebüsst hat,
damit, wie er sagte, derselbe ruhig in seinem Grabe schlummern
könne... Ueberall auf den Strassen trifft man auf Anschicksmänner,
welche das Land durchstöbern, um den Armen seiner letzten Hülfsquellen
zu berauben. Bald werden die schönen Gaue der Schweiz bedrückter,
ausgesogener sein als kaum die Untertanenländer von Fürsten.
Unsere Rechtstitel uns wegnehmen, unsere Freiheiten eine nach der
andern uns zu entziehen, das ist das Treiben unserer Obrigkeiten. Aber
noch zweifeln wir, dass dieses ihnen gelingen werde, wie sie sich einbilden
. . Glaubet, das Ende ihres Reiches naht heran. Und warum
sollten wir nicht frei werden können, wie das Volk in den kleinen Kantonen?
(in der Urschweiz nämlich, so wähnten sie!). Der Ruf 'zurück
zur Freiheit', klingt er nicht schön in Euren Ohren?»

Bei solchen Gesprächen geschah es, dass Hans Emmenegger und
seine Genossen im Januar den Schulmeister und Organisten von
Schüpfheim, den Johann Jakob Müller, endlich ganz für ihre Sache
gewannen. Das war ein grosser Gewinn. Denn Johann Jakob Müller
wusste in vielen Dingen des Rechts und der Geschichte Bescheid, in
denen die Bauern nicht beschlagen waren, und er wusste klar und klug
und mit echter Rednerbegabung darüber zu reden. Dazu führte er eine
je nachdem spitze oder feierliche, aber immer schlagfertige Feder, und
niemand wusste Schriftsätze schöner anzufertigen; jedes «Gsätzli » von
ihm war eine Augenfreude. Er war also der geborene «geheime Kanzler»
für ihren Aufruhr!

Aber der Gewinn war nicht leicht einzubringen. Der Schulmeister
war von Rapperswil gebürtig und vor noch gar nicht so langer Zeit
aus dem Bernerland hierher eingewandert. (Das war wichtig, denn
dort hatte er also Freunde, darunter wohl auch den Notar Brenner in
Münsingen, der später der Bundesschreiber der Berner Bauern und
dann auch der des grossen Huttwiler Bundes wurde.) Er getraute sich
zuerst nicht, sich in einen so weitausschauenden Handel einzumischen,
bei dessen eigentlichem Beginn und nun schon lange währendem
Werden er noch gar nicht im Lande gewesen sei. Auch hatte er
gerade eine verheissungsvolle Stelle in Mülheim an der Donau in
sicherer Aussicht, die er nicht für eine so ungewisse Sache fahren


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 032 - arpa Themen Projekte

Das Landespanner des Amtes Entlebuch

(Auf Seide gemalt)

Stamm und Wurzelwerk des Baumes (eines "Lebensbaumes"):
hellbraun. Blattwerk: hellgrün. Grund: verschiedene Nuancen
von Violett bis Rot. (Von "Christi Nägel, Kreuz und Krone"
ist hier nur das Kreuz sichtbar).

Nach: Schweiz. Archiv für Heraldik, 1933, Taf. III.



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Abbildung 2


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 033 - arpa Themen Projekte

lassen wollte. Einige drohten ihm nach Bauernart, um ihn zu gewinnen:
wenn er sich nicht entschliessen könne, auf ihre Seite zu
treten, deren Brot er doch esse, he nun, dann zahle man ihm eben
die dreihundert Gulden rückständigen Gehaltes nicht aus. Doch das
verfing bei Müller nicht. Erst als man ihm gelobte, «ihn an Leib
und Leben, Habe und Gut schadlos zu halten, übernahm Müller das
Schreiberamt und brachte Geist und Leben in die Bewegung».

Denn als dieser dickleibige, schwer zu revolutionierende Revolutionär
einmal den Handschlag getan hatte, da wurde er mit seinem
hartnäckigen Denken ein umso gewichtigerer und entschlossenerer
Antreiber und Organisator des Aufruhrs, und auch er hielt dann
durch bis zum bitteren Ende. Sein erster Akt als neuer Landschreiber
aber war, dass er sich die erste Beschwerdeschrift geben liess, mit der
Hans Emmenegger und seine Genossen auf den Bittgang nach Luzern
gegangen waren. Sein scharfer Verstand erkannte sofort, dass sie «mit
ihren bescheidenen Postulaten nicht geeignet sei, das Volk aufzuregen
und der Bewegung einen sicheren Sieg zu verschaffen. Deshalb suchte
er nach neuen Klagen und Beschwerden, welche den ganzen Bauernstand
der Schweiz zu gemeinsamem Handeln vereinigen konnten. Zunächst
aber sollten die Entlebucher zu gemeinsamem Vorgehen gebracht
werden.»

Die allgemeine, das ganze Land durchflutende Bewegung drängte
ohnehin zu einer allgemeinen, geordneten Aussprache, in der sich das
Entlebucher Volk als eins und zusammengehörig bekunden konnte.
Das brachte in den Vorstehern und Geschworenen des Landes den
einmütigen Entschluss zur Reife, eine grosse Entlebucher Landsgemeinde
zu veranstalten, trotzdem ihnen dieses uralte Volksrecht von
den Luzerner Herren längst abgesprochen und die schwersten Strafen
wegen «Aufruhrs» wie Köpfen, Rädern, Galeeren und Vermögenseinziehung,
auf die eigenmächtige Veranstaltung einer solchen gesetzt
waren. Aber die Entlebucher waren entschlossen, ihre eigenen Landesherren
zu werden und schrieben sogar, echt landesherrlich, bestimmte
Strafen für alle über Sechzehnjährigen aus, die sich an der
Kundgebung nicht beteiligen würden. Die allgemeine Meinung war:
«Wer das Entlebuch bekämpft, fällt dadurch in den Bann!» Sie richteten
auch bereits eine eigene Landespolizei ein: selbstbestellte Wächter
riefen nachts die Stunde aus und durchzogen das Land.

Und so kam der erste grosse Tag des Aufstandes, der 26. Januar.
Er war, trotz aller Not, wie immer bei der Geburt eines echten Aufruhrs,
aus dem Rausch der neu gefühlten Freiheit geboren und also
ein grosses Volksfest. Die Landesvorsteher hatten gut daran getan,
als Tagungsort den Platz zu wählen, wo das Entlebucher Volk von
alters her gewohnt war, seine Feste zu feiern. Es war der berühmte
Wallfahrtsort zum Heiligen Kreuz, im Kirchspiel Hasle, 1200 Meter
über dem Meer gelegen, mit herrlicher Fernsicht über das ganze Entlebuch,


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 034 - arpa Themen Projekte
auf die nahen Emmentalerhöhen und auf das ferne Gebirge
Hier nämlich kamen jedes Jahr im September, am Michaelstage, wenn
die Ernte eingebracht war, alle umliegenden Gemeinden zu einem
Sportfest zusammen wie die alten Griechen in Olympia: da wurde
zum Alphornklang gerungen, geschwungen, Steine gestossen, zur Wette
gelaufen, kurz, Kraft und Gewandtheit geübt, wie das bei den alten
Schweizern Brauch war. Nur dass überall anderswo mit dem Zunehmen
der Herrenmacht in den Städten diese Bauernfeste abnähmen
oder da und dort gar erstarben — ganz gleich wie bei den alten
Griechen, als ihnen die Freiheit schwand —, während hier im Entlebuch
bis zu diesem Tag zäh und trotzig an ihnen festgehalten worden
war.

Aber ein Volksfest ohne Wallfahrt war dem Entlebucher undenkbar.
So wurde ganz selbstverständlich auch mit dem Aufruhrfest eine
Wallfahrt verbunden, und sie umfasste sämtliche Geistlichen des
Tales! Denn das war noch ein letzter Rest der alten Entlebucher Freiheiten:
dass sie ihre Geistlichen selber wählten. Und so war hier die
niedere und teils sogar die höhere Geistlichkeit, wie auch noch in
einigen andern Luzerner Aemtern, so volksverbunden wie nie die Pastoren
in Zürich oder Bern, die alle Stadtbürger und von den Räten
eingesetzt waren und zu deren Obliegenheiten es geradezu gehörte, die
Aufseher und Berichterstatter, ja in vielen Fällen geradezu die Spione
und Hetzhunde der Herren zu machen.

So zog am 26. Februar das ganze Volk aller sieben Entlebucher
Kirchspiels, von Schüpfheim, vom Dorfe Entlebuch, von Dopplischwand,
von Romoos, von Hasle, von Marbach und von Escholzmatt,
in feierlicher Prozession den Berghang zum Heiligen Kreuz hinauf.
Kreuz und Fahnen wurden vorangetragen, die ganze Geistlichkeit in
Ornat zogen hinter ihnen einher. Hinter dieser aber erregte ein ganz
seltsames Schauspiel die Begeisterung der Menge: ein unabsehbarer
Zug von Knüttelträgern, an ihrer Spitze die «drei Teilen», und an deren
Spitze wieder des Käspi Unternährers hünenhafte Gestalt als Wilhelm
Tell verkleidet, mit Pfeil und Bogen, während ihn der Hinteruli von
Hasle als Stauffacher und der Hans Stadelmann von Marbach — nach
andern soll es der lange Zemp gewesen sein — als Arnold von Melchthal
flankierten! Diese Knüttelmänner zeigten jetzt allem Volke deutlich,
wozu Sportfeste vom Michaelstag, wozu die unermüdlichen
Körperübungen jahraus, jahrein auf diese Feste hin, von den Mannen
des Tales so hartnäckig festgehalten worden waren.

Noch ungewohnter aber war, was sich danach in der Kirche zutrug.
Zwar wurde zunächst ein Hochamt zelebriert, und das schien
an sich nichts Ungewöhnliches, wenn es auch hier gewiss einem
anderen als gewohnten Zwecke diente. Aber dann entfaltete sich ein
anderer Ritus, zu dem der kirchliche nur Einleitung und Sanktion


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 035 - arpa Themen Projekte
gewesen war: der längst nicht mehr gewohnte Ritus der Landsgemeinde,
noch dazu einer aufständischen.

Der schöne, schwarzbärtige Pannermeister Hans Emmenegger, in
rote Seide und Samt gekleidet, ganz Würde und Ernst, umgeben von
den andern Amtspersonen und trotzig flankiert von den drei sinnbildlichen
Tellen, erhob sich in dem sich schliessenden Ringe der
wohl tausend Knüttelträger und hielt eine Rede. Er knüpfte bei dem
seltenen Stern an, der all die Zeit über dem Entlebuch zu sehen sei
und der «eine Flamme habe wie ein Schwert», und er vergass nicht,
vielsagend hinzuzufügen, dieser Stern wandere in drei Stunden durchs
Entlebuch hinüber ins Trubertal im Bernerland, wo er, als vom Entlebuch
her kommend, von den Emmentaler Bauern sehr wohl gesehen
worden sei. Er meinte dann auch, die Zeit sei gekommen, da «die Prophezeiungen
des seligen Nikolaus von der Flüe» sich erfüllen müssten.
Doch da irrte Hans Emmenegger in seinem edlen Glauben an die Güte
des alten Rechtes abermals sehr: denn das Stanser Vorkommnis war
nicht sowohl ein Bund des Volkes als der Herren, und eben um den
Regierungen die Kraft zu stärken, Bewegungen der Untertanen gemeinsam
darniederzuhalten, War es beschlossen worden. Den Geist
dieser «Prophezeiungen» hätte mithin Hans Emmenegger, dem es so
treu und standhaft um die Sache des Volkes zu tun war, besser unbeschworen
gelassen!...

Dann aber gab er ehrliche und ungeschminkte Rechenschaft von
seinem und seiner zwei Genossen verunglücktem Bittgang nach Luzern.
Jetzt wollten sie nicht mehr hingehn und nicht mehr bitten,
sondern verlangen. Sie, die vierzig Geschworenen des Landes, hätten
neue Beratungen gepflogen und die Forderungen des Landes in acht
Punkten neu aufgesetzt. (Das war des Schulmeisters Johann Jakob
Müller erste Tat!) Darunter waren sechs sehr handgreifliche und jedem
damaligen Entlebucher Bauern sofort verständliche Verlangen:
der Salzhandel soll wieder ganz frei gegeben werden; der Zoll in Wolhusen
soll herabgesetzt und wieder auf dem alten Fusse erhoben werden;
die Zinsen sollen statt in Geld auch in Naturalien erstattet, bei
Kündigung einer Gülte soll das entsprechende «Stück Erdreich» von
dem verschriebenen Gute an Zahlungsstatt abgesteckt werden dürfen;
durch Herabsetzung der Zollsätze soll der freie Handel mit fremden
Kaufleuten wiederhergestellt werden; in Zivilstreiten darf bei Sachen
im Werte von nur hundert Gulden und weniger keine Anrufung der
Gerichte erfolgen; gegen Verstorbene darf keine gerichtliche Verfolgung
stattfinden, wie das gegen Weibel Krummenachers Vater selig
geschah, der noch im Grabe mit 1700 Gulden gebüsst wurde, woran
die Familie noch heute sich verzehre. Dann aber waren da zwei
Punkte, die an den Nerv der Vorrechte der regierenden Klasse rührten!
Erstens: dem Entlebuch ist seine alle freie Gerechtsame wiederzugeben,
die Ausübung der Kriminal- und Polizeigerichtsbarkeit den


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 036 - arpa Themen Projekte
eigenen Gerichten, das heisst den Geschworenen, zu übertragen. Zweitens:
der Rat von Luzern ist verpflichtet, den Abgeordneten des Entlebuchs
Gehör zu schenken. Das nämlich lief beides auf die Abschaffung
der ganzen Landvogtplage und auf die Einsetzung eines selbstgewählten
Statthalters hinaus.

Trotzdem war das nach dem Sinne der fortgeschrittensten Revolutionäre
in der Kirche zum Heiligen Kreuz nicht entfernt genug. Sie
meldeten sich zum Wort. Die einen wollten schon jetzt direkt darauf
aus, das Entlebuch aus der Herrschaft Luzerns gänzlich herauszunehmen
und zum eigenen eidgenössischen Stand zu machen; man
solle die Bramegg zur Grenzscheide machen! Eigentlich waren alle damit
einverstanden; Emmenegger selbst regte an, Luzern einfach zum
offenen Marktflecken für die umliegenden selbständigen Bauernländer
zu machen. Sie wussten nur nicht, wie das einstweilen zu machen
wäre. Andere wären zufrieden gewesen, wenigstens die Rechte und
Freiheiten etwa der Haslitaler im Bernbiet zu erringen, die gegenüber
den andern Untertanen die aus alter Zeit gewahrten Vorrechte
genossen. Der Schulmeister Müller aber, der inzwischen im
Auftrag der Geschworenen die alten Schriften durchstöbert hatte,
hatte herausgefunden, dass die Entlebucher ursprünglich freie Leute
gewesen seien, die nur unter der Schirmherrschaft Oesterreichs gestanden
hatten; Oesterreich habe dann nur seine Schirmrechte an Luzern
gegen eine Summe verpfändet. Jetzt brauchten die Entlebucher
nur diese Pfandsumme an Luzern zurückzuzahlen, und ihre ursprüngliche
Freiheit sei wieder hergestellt. Andere Rechte hätten die Luzerner
überhaupt nicht am Entlebuch. Damit nahm Müller nur genau
das Argument wieder auf, das Hans Emmenegger und seine Gefährten
schon in der Revolte vom Jahr Fünfunddreissig geltend gemacht hatten;
Emmenegger wird es ihm eingegeben haben. Stephan Lötscher
schliesslich, der Heissporn, sagte: Schluss mit allein Klagen und Lamentieren
über Bussen und Beschwerden — machen wir's wie ehemals
die Rothenburger: ziehen wir mit Gewalt gegen die Stadt Luzern!

Doch das «Gsätzli» mit den acht Postulaten war bereits fein aufgesetzt,
und so beschloss man eben vorläufig über diese acht Punkte.
Sie wurden einstimmig zum Beschluss erhoben. Nachdem der amtierende
Geistliche noch zu «kräftigem Widerstand» angefeuert hatte,
«leisteten die drei Tellen den Schwur auf treue Haltung der eingegangenen
Versprechen, nicht zu ruhen, bis alle diese Postulate angenommen
seien». Darauf schworen alle Anwesenden, oder, wie ein anderer
Geschichtsschreiber berichtet: «Zu Behauptung dieses Beschlusses, zu
Verteidigung ihrer Freiheiten gegen alle Eingriffe, zu mannhaftem
Widerstande gegen alle bewaffnete Macht, zumal gegen die ,festgemachten'
Welschen, verbanden sich die sämtlichen Anwesenden mit
einem feierlich zu Gott geschworenen Eide».

Das Erstaunlichste aber geschah zuletzt, als Höhepunkt und Abschluss


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 037 - arpa Themen Projekte
der Landsgemeinde: die Geistlichkeit weihte in einem feierlichen
religiösen Akt alle von den Entlebuchern mitgebrachten Knüttel,
«der Meinung, Heil und Sieg sei an solchen Waffen vorhanden», wie
ein Chronist der Zeit, der Fryburger Mönch Franz Katzengrau, berichtet.
Mit welchem Hochgefühl und Tatendrang, ja mit welchem
vorweggenommenen Siegesrausch die wackeren Mannen ihre geweihten
Knüttel bis in den hintersten Schachen des Entlebuches trugen,
auch das wird, von anderen, berichtet: «Dann kehrten sie, ohne sich
um die Zukunft zu kümmern, freudetrunken nach Hause.'

Am selben Tag, da der Bundesschwur der sieben Kirchgemeinden
des Entlebuchs beim Heiligen Kreuz geschworen wurde, am 26. Januar,
sassen der Schultheiss Dulliker und der Ratsherr und Ritter Ludwig
Meyer — den seine Schmeichler den «deutschen Platon' nannten —
als Standesgesandte der Luzerner Regierung in der eben versammelten
Tagsatzung in Baden, die ein schlechtes und nie richtig durchgeführtes
Münzmandat für die ganze Eidgenossenschaft erliess. Sie dinierten
an diesem Tag mit den Herren Berner Gesandten beim französischen
Botschafter, dem Grafen de la Barde. Die Luzerner Exzellenzen waren
sehr begierig, die Meinung der Berner Exzellenzen über die Sache der
Bauern zu erfahren und ob sie Mehreres über die geheimen Verbindungen
zwischen den Luzerner und den Berner Bauern wüssten.

Aber die Berner Herren waren prächtiger Laune, sie lachten
darüber, obwohl sie, wie wir schon erfuhren, allerhand darüber wissen
mussten. Die Sache war für sie von «absolut keiner Bedeutung», ein
Kuhdreck war sie, den man wegwischen lassen musste. Der Botschafter
des Königs von Frankreich allerdings machte sich dabei seine
eigenen Gedanken; er hatte längst von sich aus Kundschafter unter
die Bauern geschickt und mit diesen selbst geheime Verbindungen
aufgenommen. Denn er war, wie er einst seiner Regierung schrieb,
der Meinung, dass als Botschafter des Königs von Frankreich in der
Eidgenossenschaft nur ein Mann am Platze sei, «der nicht die bäurischen
Sitten und die Armut dieses Volkes verachte, das, obgleich in
Leinen gekleidet, immer ein sehr solides Urteil habe». Aber ganz
selbstlos war er dabei nicht — wie wir später erfahren werden.

Als mildernder Umstand für die Berner Gesandten darf wohl die
begründete Vermutung gelten, dass sie bei der Ausgiebigkeit und der
langen Dauer, die solche Gelage damals zu haben pflegten, schon
lange nicht mehr nüchtern waren. Der schon einmal gerühmte Fortsetzer
der Johannes von Müller'schen Schweizergeschichte hat solche
Gastmähler der damaligen Standeshäupter bereits vor hundert Jahren
deutlich genug beschrieben, um unsere Vermutung zur Gewissheit zu
erheben. Er konnte sich unter anderen auf einen der zuverlässigsten
Augenzeugen, den solothurnischen Staatsschreiber und Chronisten der
Zeit, Hafner, berufen, wenn er schrieb: «Da die ersten Standeshäupter


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 038 - arpa Themen Projekte
den grössten Teil des Tages gerne bei Tafel hinbrachten, so musste
den Raum, den in der Väter Chroniken Siegesberichte einnehmen, in
den ihrigen ein Verzeichnis von Pfauen, Kapaunen, von englischen
und französischen Pasteten, von Hirsch- und Rehbraten füllen, welche
an dem Tisch des Botschafters verschlungen wurden. Die Weinsorten
wurden nicht vergessen. Wie unter Domitian den Senat die wichtige
Frage in Anspruch nahm, an welcher Brühe die Steinbutte aufgetischt
werden solle, so war es auch hier. Nur entsprosste dem dürftigeren
Boden der Schweiz kein strafender Juvenal, kein rächender Tacitus,
wie dem italischen.»

Dafür eben sprangen die Schweizer Bauern mit ihren etwas derberen
Knütteln ein, deren «stächline Stäfzgen» vielleicht ebenso spitz
waren wie der Juvenalische Witz und deren Schlagkraft der Wucht
der Sprache des Tacitus gar nicht so sehr viel nachstand.

Als die Berner Herren wieder nüchtern und zuhause waren, da
scheinen ihnen übrigens, wenn nicht die Kapaunen und die Weine
des Grafen de in Barde, so doch die ängstlichen Erzählungen der
Luzerner Standesherren wieder aufgestossen zu sein. Jedenfalls hielt
es nach ihrer Rückkehr von Baden der Rat zu Bern für geratener,
«die ganze Umgegend», das heisst das Emmental, den Oberaargau
und alle Uebergänge zum Entlebuch, «durch Käsehändler, welche mit
Land und Leuten vertraut waren, überwachen» zu lassen...


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 039 - arpa Themen Projekte


III.
«Ja, ja! Ihr seid von Gott, wenn ihr gerecht, aber vom
Teufel, wenn ihr ungerecht seid!»

Nun erst begann der eigentliche Ringkampf zwischen den Entlebuchern
und der Luzerner Regierung.

Zwar klang die Antwort des Luzerner Rates vom achten Februar
auf die acht Begehren vom Heiligen Kreuz zunächst sehr eingeschüchtert:
«die Sache sei zu wichtig, als dass sie bloss durch Briefwechsel
abgetan werden könnte; eine mündliche Besprechung sei durchaus
nötig. Daher werden sie freundlich eingeladen, einen Ausschuss, dem
hiemit sicheres Geleit verheissen werde, nach Luzern zu schicken; mit
diesem werde man hoffentlich sich vergleichen können.»

Waren die «souveränen» Herren vom hohen Ross herabgestiegen?
So fragte sich mancher der Geschworenen, als sie am neunten
abends in Stephan Lötschers Wirtshaus in Schüpfheim tagten, um
den am selben Tag eingetroffenen Brief des Luzerner Rates zu beraten.
Als aber der Schulmeister Müller weiterlas, da blickte er erst verschämt
den Emmenegger, dann den Glanzmann und den Binder an.
Denn von ihnen war jetzt die Rede: sie hätten — das war der Sinn —
die Schuld am ganzen Missverständnis; denn sie hätten Luzern bei
ihrem Bittgang voreilig verlassen, während die Herren doch nur ihr
Bestes gewollt hätten; und dann hätten sie «unwahre Angaben über
den Empfang» im ganzen Land verbreitet!

Nein, nein. Die Herren waren nur schlau und wollten die Bauern
von ihren Führern trennen. Aber die Bauern waren noch schlauer
und beauftragten gerade die Beschuldigten, den Luzerner Herren zu
antworten. Dem Dulliker sollten sie schreiben: da sie seinem Schreiben
entnommen hätten, er sei bereit, ihre Klagen anzuhören und ihnen
entgegenzukommen, so möge doch er selbst, Dulliker, hierheraus nach
Schüpfheim. kommen, «die weilen der Gemeine Mann nienan anderstwo
eine Besprechung haben will». Dem Rat offiziell sollten sie
schreiben: am Samstag, dem 15. Februar werde hier in Schüpfheim
wieder eine Landsgemeinde abgehalten. Der Rat solle an diese Landsgemeinde
ein paar «gute Herren schicken, die sich auf die Landesverstehen»!
Schon damit, dass sie die Delegierten des
Rates vor eine vom Rat in Acht und Bann getane Landsgemeinde
zitierten, bekundeten die Entlebucher ja ihren entschlossenen Willen


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 040 - arpa Themen Projekte
zur eigenen Landesherrlichkeit. Trotzdem hielten sie es für gut, dem
Brief noch ausdrücklich beizufügen: «sie lassen sich nicht ein Recht
nach dem andern entreissen».

Und tatsächlich, was bisher unerhört war, die Herren kamen
auf's Land heraus, um mit den Bauern zu verhandeln!

Aber Geduld! Zuerst müssen wir erfahren, in welchen Geisteszustand
das Land inzwischen hineingewachsen war.

Schon in den ersten Tagen des Februar lief die Kunde durch
das Land, die Berner Herren hätten eine Grenzwache gegen das Entlebuch
aufgestellt und sie wollten die Berner Bauern ganz von den
Entlebuchern absperren. Das brachte in Escholzmatt, ganz oben an
der Berner Grenze, neue Kräfte ins Spiel des Aufruhrs. Da nämlich
lebte als Pintenwirt der alte, kriegslustige Haudegen Christian Schybi,
der sich bislang wenig ums «Politische» gekümmert hatte. Umso mehr
hatte er eine Nase dafür, wenn es nach Krieg brenzelte; denn da
konnte er hoffen, seine ihm besonderen Talente zu zeigen, für die
er im ganzen Land bekannt war und die auf seiner alten Söldnererfahrung
in fremden Ländern beruhte.

Der Christian Schybi nämlich war eine ganz besondere Nummer.
Er war der Landsknecht in Potenz, einer der Wenigen, die nicht siech
oder verkrüppelt, sondern mit ungeschwächter Körperkraft — übrigens
schon vor vielen Jahren — aus dem Kriegsdienst heimgekehrt
waren. «Auf der Hand trug er mit gestrecktem Arm einen Mann zur
Stube hinaus; in Zurzach trug er ein Pferd auf den Achseln», so wird
auf Grund des Zeugnisses eines Herrenchronisten der Zeit. Ludwig.
Cysats (mit Schreibhilfe des Kaplans Wagenmann). berichtet, der
zudem Mitglied des Luzerner Rates und früher als «Tyrann» bestgehasster
Landvogt von Willisau war. Kurz, Schybi war fast so berühmt
für seine enorme Körperstärke wie der «stärkste Eidgenosse»,
der Preisschwinger und Steinstosser Hans Krummenacher. Aber er
war diesem weit voraus in einer Reihe von Soldatenkünsten, die auf
Gewandtheit und Geschwindigkeit beruhten und die er in Italien gelernt
hatte. Geschwindigkeit ist zwar keine Hexerei. Dennoch galt er
bei den schwerblütigen Bauern der Schweizer Heimat dank diesen
Künsten weitherum als Hexenmeister, und er gefiel sich darin, sie
durch allerlei lustige Streiche, deren Geheimnis er für sich behielt, in
dieser Meinung zu bestärken. Ja, nicht nur die Bauern, auch die Herren
jener Zeit hielten ihn für einen Tausendsassa, der seine Soldaten
hieb- und stichfest zu machen verstehe. Sonst wäre er nicht später dafür
— wenn auch vergeblich —gefoltert worden, um die Geheimnisse
seiner Hexerei preiszugeben!...

Klar, dass ein Kerl von diesem Kaliber sich berufen fühlte, eine
Rolle zu spielen, als es in und ausser dem Lande brenzlich zu werden
begann. Es mochte ihm ziemlich gleich sein, gegen wen es ging —


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 041 - arpa Themen Projekte
wenn der Kampf nur Gewinn oder Genuss, Beute oder Ruhm brachte,
wie das eines eingefleischten Landsknechts Sinn gefiel. Aber, wenn es
gegen die Luzerner Herren ging, dann natürlich umso lieber! Die
hatten diesen Pintenwirt ohnehin auf den Hund gebracht mit ihren
Steuern und Bussen. Vergeblich hatte er ihnen immer wieder ins
Handwerk zu pfuschen versucht, indem er unter den Bauern —natürlich
gegen tüchtige Schmiere — heimlich Soldaten für fremde Kriegs
dienste warb. Das aber war ein geheiligtes Vorrecht der Herren, und
so haben sie diese Konkurrenz wiederholt durch schwere Bussen niedergeworfen;
damit haben sie Christen Schybi seines Schieberverdienstes
aus der Soldatenwerbung wieder beraubt, mit deren Erträgnissen
er seine bös heruntergekommene Pintenwirtschaft wieder gesund
zu machen hoffte. Hatte er doch anno Vierundzwanzig, in den ersten
Jahren seiner Heimkehr, noch 44 Saum Wein verohmgeldet, schon
anno Siebenunddreissig nur noch, sage und schreibe, sechs! Auch
hatten ihn die Luzerner Herren anno Vierzig für seine Werbekonkurrenz
ins Gefängnis geworfen. Und im Jahr darauf hatten sie ihn
wegen «Schlagens und Schwörens» abermals gebüsst, aber auch
wegen «frecher Herausforderung» der volksgewählten Landesgeschworenen,
und auf deren Antrag natürlich.

Christen Schybi hatte also wahrlich Grund genug, mit einer besonderen,
höchst persönlichen Rachelust in den Kampf gegen die
Luzerner Herren zu ziehen. Nicht viel weniger Grund hätten allerdings
die Bauern gehabt, dem Zuzug eines solchen anarchischen
Landsknechts Misstrauen entgegenzubringen. Aber jeder Zuzug
kriegerischer Kraft war ihnen jetzt um so erwünschter, je weniger
sie selber vom Kriegshandwerk verstanden.

So ist es denn nicht zu verwundern, dass im Lande eitel Freude
herrschte, als Christen Schybi gerade in der Zeit, da die Antwort der
Geschworenen nach Luzern abging, von Escholzmatt aufbrach, im
Handumdrehen fünfhundert Knüttelträger warb, sie kunstgerecht
kriegsmässig drillte und formierte und an ihrer Spitze kreuz und quer
das ganze Land durchzog. Das musste umso begeisternder auf die
Menge wirken, als der «tolle Schybi» auch für eine «Regimentsmusik»
gesorgt hatte: er hatte nämlich auch zwei tüchtige Fiedler geworben,
und die mussten zu seiner Seite an der Spitze des Zuges
marschieren und ihre Geige tüchtig strapazieren, wenn sie in ein Dorf
einmarschierten. Mit seiner lauten, rauhen, und groben Stimme, die
jedermann aus weiter Ferne und aus dem stärksten Trubel heraus
als die seine erkannte, stimmte dann Christen Schybi wohl ein altes
oder neues Tellenlied an, in das alle seine «Soldaten» und schliesslich
das ganze Dorf einfielen. Oder er gab echt landsknechtisch rasselnde
Befehle, um sein «Regiment» mit allen seinen militärischen Künsten
dem staunenden Volk stolz vorzuführen. Nicht geringeren Eindruck


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 042 - arpa Themen Projekte
machte sein eigenes martialisches Aussehen, mit dem chruselköpfigen
Löwenhaupt, dem mächtig seitwärts auf gezwirbelten Schnauz und dem
kecken Spitzbart, die ein grimmiges Gesicht umrahmten, aus dem der
strenge, strafende Blick eines verwundeten Wildtiers blitzte. Und den
Bauern konnte es auch nur Eindruck machen, dass er, mit zwei
Gefährten zusammen, Hand an die Köchin des Schüpfheimer Pfarrers
legte als die sich despektierlich über sein kriegerisches Gebaren ausliess,
und sie eigenhändig in Gefangenschaft legte. Das sah sehr entschlossen
für ihre Sache aus.

Gleichzeitig mit der Absendung der beiden Briefe nach Luzern
hatten die Geschworenen übrigens Abgesandte an die benachbarten
Aemter Rothenburg und Willisau gesandt. Im «Hunghus» in Rothenburg
hatten sie diesmal vollen Erfolg. Nicht minderen versprachen
auch die Unterhandlungen mit den Willisauern, besonders mit dem
Sechser Peyer, wenn auch der Seckelmeister des Städtchens selbst,
der ja von den Luzerner Herren abhängig war, noch für sein Amt
fürchtete. Im übrigen war dort alles bereits in hellem Aufruhr, von
dem die Entlebucher bald ein Mehreres für sich zu buchen hofften.

Als aber der Landvogt Jost Pfyffer von Willisau, ein Schwager
Dullikers, von diesen Unterhandlungen Wind bekam, es war am
zwölften Februar, da schrieb er seinen Herren in Luzern: sie sollten
sofort mit achthundert Mann ins Entlebuch einrücken! Das Land
zähle nur vierzehn- bis höchstens sechzehnhundert waffenfähige Männer,
vielleicht nur tausend, und die seien schlecht bewaffnet. Mit einer
kühnen Tat sei jetzt. noch alles zu retten und zur Ruhe zu bringen...

Damit mochte dieser forsche Landvogt militärisch ganz recht
haben. Aber bis sein Brief in Luzern war, hatten die Ratsherren, ebenfalls
am zwölften Februar, bereits eine Gesandtschaft ausgeschossen
und ins Entlebuch abgefertigt: Dulliker selbst an der Spitze; an seiner
Seite der Stadtschreiber und Herrenchronist Ludwig Hartmann, der
Stadtfähnrich Christoph Pfyffer und die zwei Landvögte Jakob Hartmann
und Melchior Schumacher. Am Dreizehnten erhielten sie noch
in Luzern die Nachricht, «die Entlebucher seien entschlossen, weder
Zinse noch Zehnten zu entrichten, wenn die acht Punkte nicht bewilligt
würden». Das war wenig verheissend, und darum verlief das
übliche Fastnachtsessen der Ratsherren bei den Franziskanern, das
auf den Abend dieses Tages fiel, in nicht besonders fastnächtlich
heiterer Stimmung. Was der Chronist des Klosters nicht zu vermerken
verfehlte.

Als daher tags darauf die Luzerner Gesandtschaft, mit Speise
und Trank wohlversehen, zur Reise ins Entlebuch aufbrach, wurden
ihr Späher vorausgeschickt, um die Stimmung im Land zu erkunden.
Aber ungefährdet, sogar unterwegs gelegentlich freundlich bewirtet,


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 043 - arpa Themen Projekte
langten die Herren am Abend des Vierzehnten hoch zu Ross vor dem
Gasthaus zu Schüpfheim an.

Man kann sich denken, dass die gastfreundlichen Entlebucher
zum würdigen Empfang der ersten Luzerner Gesandtschaft seit Menschengedenken
wohlgerüstet waren. Es ging den verwöhnten Herren
gewiss nichts ab, wenn es auch nicht so hoch herging, wie am Tisch
des Botschafters von Frankreich. Dafür hatte schon Hans Emmeneggers
Rechtlichkeit und Munifizenz gesorgt. Aber auch für eine lehrreiche
Nachtmusik! Er hatte nämlich seinen Vetter Kaspar, der mit
Verslein gar schön umzugehen vermochte, gebeten, ihm zur Melodie
des alten ein neues Tellenlied zu dichten, das der jetzigen Lage und
Stimmung im Entlebuch angepasst war. Ein bischen holprig ist's ja
geworden, das «Neu Wilhelm Tellen Lied, im Entlebuch gemacht
1653». Denn wenn das Entlebuch keinen Juvenal und keinen Tacitus
hervorbrachte, so war es noch viel weniger die Wiege eines Horaz.
Aber mit welcher Begeisterung hatten die wackeren Knüttelmänner
das Ständchen eingeübt! Als nun die Herren Gesandten noch tief in der
Nacht beim Weine sassen, da erscholl auf einmal jedes neugelernte
Wort markig betont aus hundert rauhen Männerkehlen gegen die
Fenster ihres Quartiers:

«Als man zählt sechshundert
Und drei und fünfzig Jahr,
Ereignen sich gross Wunder;
Ist kund und offenbar.

Was wend wir aber singen
Usa Gnad Herr Jesu Christ?
Vom Tellen fürzubrin gen,
Der längst gestorben ist.

Ich sing es Niemand z'tratzen;
Man soll mich recht verstehn:
Von wegen ganzen Batzen
Ist dieser Krieg herkohn...

Ach Gott! ich muss sie klagen,
Des Landmanns grosse Klag.
Es ist, wie ich werd sagen
Gar heiter an dem Tag.

Gleich wie zu Tellen Leben,
Also tut's jetzt hergohn:
Der Landmann sollt hergeben,
Geb, wo'rs möcht überkohn.



Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 044 - arpa Themen Projekte

Ach Tell! ich wollt' dich fragen,
Wach auf von deinem Schlaf!
Die Landvogt' wend Alls haben,
Ross, Rinder, Kälber, Schaf!

Ein jeder Herr will leben
Wie'n junger Edelmann;
Es muss es ihm hergeben
Der arme, gnüge Mann.

Ein armer Bauernzüttel,
Der nicht wollt ziehen d'ran
Mit Entlebucherknüttel
Und eis'nen Stefzgen dran.

Darum, ihr lieb Eidgnossen!
Stönd z'sammen, hattet fest!
Verachtet Herren-Possen
Und schüchet fremde Gast!

Thünd's ussem Land verjagen
Alsbald mit g'wehrter Hand,
Um Fried' und Ruh zu haben
In eurem Vaterland.

Denkt an den Bruder Klausen
Und sprechet früh und spat:
,Mit Knütteln muss man lausen',
Und folget minem Rat».

Die eigenmächtig trotzige Deutung des «Bruder Klausen» zugunsten
des Volkes gegen die Herren war ja gewiss nicht «aktenmässig»,
aber echt handfest bauernmässig. Sie annektierten ihn einfach für
sich, weil er ursprünglich — bevor er Frau und 11 Kinder schmählich
verliess, um den Heiligen zu spielen — einer der ihren und weil
es für sie undenkbar war, dass ein Bauer die Bauern den Herren
preisgab...

Den Herren Gesandten im Gasthaus zu Schüpfheim aber konnte
diese Knüttel-Auslegung des «Bruder Klaus» unmöglich gefallen, wie
auch alles Uebrige nicht. Ihnen musste umso übler zumute sein, falls
auch sie bereits in dieser Nacht Wind von der Nachricht erhielten,
die gerade auf den Abend aus dem Bernerland eingetroffen war: «das
ganze Emmen- und Simmenthal und selbst das Berner Oberland bis
nach Thun hinauf sei bereit, sich den Entlebuchern anzuschliessen!»
Umso sangesfreudiger machte diese Nachricht die Knüttelträger in
dieser Nacht, umso tatendurstiger auf den nächsten Tag...


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 045 - arpa Themen Projekte

In der Frühe des Landsgemeindetags, eines Samstags, wehte die
Fahne der Schüpfheimer stolz auf dem Gasthaus der Gesandten.
Schon sammelten sich auf weitem Feld rings ums Dorf die bewaffneten
Bauern aller sieben Kirchgemeinden des Tals. Es war Schybi
gewesen, der landauf, landab den Befehl gegeben hatte, mit den
Knütteln zu erscheinen. Um zehn Uhr holten die Schüpfheimer
die Fahne herunter und trugen sie zum Dorf hinaus, um die vor
sammelte Hauptmacht des Entlebuchs feierlich einzuholen. Dort
wurde ein Zug formiert, und nun marschierte unter den Klängen
vieler Alphörner der schier endlose Zug von vierzehnhundert Knüttelträgern,
immer zu drei Mann hoch, mit wehenden Fahnen ins Dorf
ein und unter den Fenstern der Gesandten vorbei zur Kirche. Voran
schritten die vierzig Geschworenen, Hans Emmenegger, Glanzmann
und Binder an der Spitze, und ihnen wieder voran die drei Tellen,
unter Käspi Unternährers Führung, und dieser trug, als Knaben des
Tell, das zwölfjährige Büblein Hans Emmeneggers stolz auf den
Schultern. In der Kirche aber berieten sie zuerst unter sich, ohne die
Gesandten, fast eine volle Stunde lang. «Dann erst liessen sie den Gesandten
von Luzern durch drei Ausgeschossene melden, dass man
bereit sei, sie zu empfangen.»

Was sollten die nun mit der Instruktion des Luzerner Rates
anfangen, möglichst nicht vor der Landgemeinde, sondern nur vor
den vierzig Geschworenen oder vor Ausschüssen zu erscheinen? Auch
die Vorsicht, «nicht gegen die Milde zu verstossen», war ihnen vorgeschrieben.
So blieb ihnen nichts anderes übrig, als der eindeutigen
«Einladung» der Landsgemeinde sich zu fügen. Auch machten sie
nun vor dieser instruktionsgemäss allerhand schöne Worte und halbe
Versprechungen. Als aber nun, um die Ehre der Regierung zu retten,'
die sattsam bekannten Klagen über die Unbotmässigkeit der Bauern
erschollen, da ging sofort ein dumpfes Grollen durch die Reihen der
Knüttelmänner. Als gar der langen Reden kurzer Sinn, ebenfalls
instruktionsgemäss, darin gipfelte: «Auf die acht Beschwerdepunkte
könne die Regierung jetzt noch nicht eintreten, denn man könne mit
Untertanen nicht kapitulieren oder sich in ein Traktat einlassen» -—
da ging es hart auf hart! Jetzt brauchte nur noch der Landvogt Schumacher
die Behandlung der «Gislifresser» durch die Entlebucher als
deren besonderes Verbrechen anzuschwärzen, da war es jedem klar,
dass man in Luzern nicht$ zu lernen und nichts zu vergessen beabsichtigte
— und so schrie ihm der Weibel von Schüpfheim, Hans
Ackermann, zornig ins Gesicht: «Schweig du, Landvogt! Man weiss
schon lang, dass alles erheit (erlogen) ist, was du redest!» Und als
darauf die Erregung der Menge auf Sturm zeigte und der Pater Guardian
der Kapuziner zu Luzern sich ins Mittel legte, den die Herren
zu dem Zweck mitgebracht hatten, Oel aufs Wasser zu giessen, wenn


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 046 - arpa Themen Projekte
ein Sturm ausbrechen sollte, da war es Oel ins Feuer. Denn da schleuderte
ihm derselbe, sicherlich sonst treu katholische Weibe! von
Schüpfheim die gewiss nicht gläubigen Worte ins Gesicht: «Schweig,
du grauer Lecker, geh auf Luzern und lug alldort auch wieder so lang
du magst!» Den Nagel auf den Kopf aber traf der «stärkste Eidgenosse»
Hans Krummenacher, als der Schultheiss Dulliker selber eingriff,
die Bauern drehend «vor Rebellion warnte und von den Rechten
der von Gott eingesetzten Obrigkeit sprach». Denn da rief der Koloss
Hans Krummenacher mit gewaltiger Stimme die Worte aus, die
aus der tiefsten Brust eines jeden das Volksgewissen selbst geformt
zu haben schien: «Ja, ja! ihr seid von Gott, wenn ihr gerecht, aber
vom Teufel, wenn ihr ungerecht seid!»

Und nun schossen die Bauern mit ihren Forderungen los und, auf
Biegen und Brechen, weit über die verweigerten acht Punkte hinaus.
Sie verlangten jetzt nicht mehr nur «Freigebung des Handels mit
Salz, Vieh und Pferden» und «Aufhebung der neuen Zölle»; sie forderten
nun auch «Nachlass des dritten Teiles der Hypotheken», weil
das Geld, mit dem sie die Zinsen zahlen müssten, um so viel und
mehr entwertet sei; sie forderten «Sistierung der Schuldbetreibung»,
d. h. Abschaffung der «Gislifresser», «Nachlass aller verfallenen Bussengelder»,
ja «Beschränkung des Kriegsdienstes auf einen Tag», d. h.
sie hatten begriffen, dass die Kriege, in die sie von den Herren ausser
Landes geschickt wurden — wie noch eben anno Zweiundfünfzig
wegen eines elenden Kirchenstreites in den Thurgau — nur noch
Kriege der Herren gegen das Volk, welches auch immer, waren, und
und sie waren entschlossen, sich nicht mehr dafür brauchen zu lassen.
Und dann forderten die Bauern noch «Vorlegung der Urkunden über
die Erwerbung der Hoheitsrechte Luzerns über das Entlebuch»!

Ja, diese letzte Forderung führte noch nach vollendeter Landsgemeinde,
als die Herren eben unverrichteter Dinge abtreten mussten,
beinahe zu einer kriegerischen Verschärfung der Lage. Sofort nämlich
sandten ihnen die Bauern einen Ausschuss nach, der von den Herren
forderte, dass sie so lange, gewissermassen als Pfand oder Geiseln,
hier in Schüpfheim zu bleiben hätten, bis ihr Läuferbote die verlangten
Urkunden aus Luzern beigebracht hätte. So eingefleischt war ihr
Glaube, den sie mit Hans Emmenegger und dem Schulmeister Müller
teilten, dass die «alten Briefe und Siegel» ihnen ihr Recht zu verschaffen
vermöchten! Und schnell überreichte der Schulmeister im
Auftrage der Vierzig den Herren noch ein besonderes Schreiben, in
dem die eigene Gerechtsame der Landesgeschworenen zurückgefordert
wurde, indem nur am Wohnort des Schuldners gegen diesen geklagt
werden sollte; auch verlangten sie darin Taxfreiheit für die Verleihung
ihrer Alpen an ihre Berner Freunde jenseits der Grenze. Endlich
liessen sie die Herren doch zu Pferde steigen und gen Luzern traben


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 047 - arpa Themen Projekte
— aber nicht bevor sie noch einmal mit der gesamten «Heeresmacht»
der vierzehnhundert Knüttelträger an ihnen vorbeimarschiert
waren, und dies zwar umso trotziger als es ihnen der Dulliker soeben
in der Kirche noch drohend «abgemahnt» hatte...

Mochten nun die paar «Vertrauten» Dullikers im Entlebuch, die
ihm schon in Schüpfheim oder auf dem Heimritt Bericht erstatten
kamen, den Herren noch so beschwichtigend zureden; mochte besonders
der Pfarrer Melchior Bislinger aus dem Dorfe Entlebuch, der
heimlich auf beiden Schultern trug, weil er ein Stadtbürger von Luzern
und nur seit neun Monaten im Amte war, dem Dulliker versichern,
sein Auftreten «habe sehr gefallen»; mochte er versichern und
verschwören, dass alle «ehrlichen Leute» im Entlebuch «bereit seien,
Zinsen und Zehnten zu entrichten» und dass «nur einige Liederliche,
welche ihr Vermögen durchgebracht haben», an Krieg dächten, während
alle andern «um Frieden bäten» — jetzt musste es den Herren
klar werden, dass alle diese Agenten ihrer Herrschaft Schmeichler
waren!

Darum liess der Rat von Luzern sofort nach der Rückkehr der
Gesandten verstärkte Wachen aufstellen und die Alarmplätze für
jeden Notfall genau bezeichnen. Denn, so beschämend es für sie war,
dies einzugestehen: ihre Gesandtschaft an die Landsgemeinde in
Schüpfheim war die erste klare Niederlage des Gottesgnadentums des
neuen Herrenregiments im Kampf mit den Volksrechten.


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 048 - arpa Themen Projekte

Hans Emmenegger

Landespannermeister des Entlebuch.
"General-Oberster' des Sumiswalder- und Huttwiler-Bundes.

Aus: Aloys Vock, Der Bauernkrieg im Jahre 1663, oder der

grosse Volksaufstand in der Schweiz, 2. Auflage, Aarau 1831:
Titelbild (Lithographie).



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Abbildung 3


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 049 - arpa Themen Projekte


IV.
Dieselben Würger verschlingen Bauern und Bürger

Jetzt breitete sich das Feuer des Aufruhrs wie auf einer brennenden
Oelfläche über das ganze Land aus. Innert elf Tagen seit der
Schüpfheimer Abfuhr der Luzerner Ratsherren erfasste es zehn von
sechzehn Aemtern, Vogteien und Städten des ganzen Kantons; ausser
natürlich Luzern, blieben nur die Aemter Weggis und Habsburg,
sowie die Städte Sursee und Münster und die Gemeinde Meerenschwand
den Herren treu.

Schon am siebzehnten Februar konnte der forsche Landvogt
Jost Pfyffer mit seinem Sperberblick für die Realitäten an die Luzerner
Herren berichten, dass in seinem Amte Willisau «die Zahl derjenigen,
die gegen die Obrigkeit auftreten werden, weit beträchtlicher
sei als die der Getreuen». Ja, «bereits hätten die Vertrauensmänner
der Vogteien Entlebuch, Willisau, Ruswil und Malters zusammen
geschworen», falls ihnen ihre Forderungen nicht sofort bewilligt
würden, «zusammenzustehen, und sollte es ihnen ,Haut und Haar'
kosten». Jost Pfyffer nämlich hatte den besonders ausgeprägten Klasseninstinkt
des schwärzesten Reaktionärs gegen alles nicht streng der
Konvention Gemässe. So hat er einen Bauern deshalb um 30 Gulden
gebüsst, weil er «einen Berner Arzt, so wegen der Unholderey verdacht,
lange Zeit gebrucht» (wobei die «Unholderey» vermutlich in
der reformierten Religion des Berner Arztes bestand); ferner die Hausfrau
eines Untervogtes um 6 Gulden deshalb, weil sie «ein Kind wegen
des costens nit wollen usa Taufe heben». So wie sein Vorläufer und
Namensvetter einmal vier Bauern von Grossdietwil um 60 Gulden
büsste, weil «sy einen frömden Schuolmeister mit samt siner frauen
und 5 kindern angenommen»...

Am gleichen Tag verbreitete sich unter den Bauern das panikartige
Gerücht: der Rittmeister Ludwig Pfyffer, ein Vetter des Landvogts
und gefürchteter Kriegsmann, sei aus dem Elsass — wo er
auf den Gütern seiner Frau, einer geborenen Anastasia von Reinach,
lebte —plötzlich zurückgekehrt, «um die Pässe zu untersuchen, durch
welche das deutsche Kriegsvolk ins Entlebuch einrücken sollte». In
der Tat war der Rittmeister in diesen Tagen in Luzern angekommen;


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 050 - arpa Themen Projekte
aber zu welchem Zweck, das konnten die Bauern nicht wissen, das
blieb das Geheimnis des Rates, der sich allerdings nun zu weitausschauenden
Kriegsrüstungen anschickte.

Nicht nur wurde, abermals am selben Tag, den Entlebuchern
vom Luzerner Rat aufs schärfste verwiesen, dass sie die überall aufgestellten
Wachen nicht beseitigt hätten, wie sie der Gesandtschaft
versprochen; sowie, dass sie allen Entlebuchern den Marktgang nach
Luzern verboten hätten; kein einziger sei auf dem Markt erschienen.
Vielmehr sandte der Rat zwei Tage darauf, am Neunzehnten, den
Ratsherrn und Landvogt Ludwig Meyer nach Bern, um dort «zu bewirken,
dass den Entlebuchern weder Waffen, Munition noch Lebensmittel
zugeführt werden dürfen».

Bald aber griffen die Vorkehrungen des Rates noch viel weiter
aus. Am Zweiundzwanzigsten beschloss er, die Regierungen der vier
katholischen Innerkantone «auf künftigen Mittwoch — das war auf
den 26. Februar — zu einer Konferenz einzuberufen», sowie die zwei
katholischen Aussenkantone Solothurn und Freiburg, gleichzeitig aber
auch die beiden grossen reformierten Stände Zürich und Bern «zu
getreuem Aufsehen zu mahnen».

Um ja deutlich zu machen, dass es sich hierbei nicht um eine
Religions-, vielmehr um eine ausgesprochene Klassenfrage der regierenden
Herrenklasse der ganzen Eidgenossenschaft handle, genierte
sich dabei der Rat von Luzern nicht, die Zürcher Herren an seine
ehemalige «freundeidgenössische Bereitwilligkeit» zu erinnern, bei der
blutigen Niederwerfung des um sein beurkundetes Recht kämpfenden
Wädenswil im Jahre Sechsundvierzig mitzuwirken. Das war
eine Unterdrückungsaktion gewesen, die mit zu dem Zweck unternommen
worden war, um die Wädenswiler ihrer alten Freiheitsbriefe
zu berauben; für deren mannhafte Verteidigung sind denn auch die
Häupter des Aufstandes paarweise aneinandergefesselt nach Zürich
geführt und dort hingerichtet worden.

Vier Tage später, am Sechsundzwanzigsten, der allerdings ein
besonders schwarzer Tag für die Luzerner Regierung geworden ist,
ging dann ihr Hilferuf «zu getreuem Aufsehen» und um «tapferen
Beistand, wenn die gütlichen Mittel ihren Zweck nicht erreichen sollten»,
auch an alle übrigen eidgenössischen Stände. Noch am Zweiundzwanzigsten
aber trafen die luzernischen «Kriegsräte» alle nötigen
Anstalten zur Verteidigung der Stadt, richteten ein Signalwesen ein,
bezeichneten die Sammelplätze und ordneten den Kundschafterdienst.
Selbst aus Kriens und Horw, vor den südlichen Toren der Stadt,
glaubten die Luzerner Herren Musterungsplätze machen zu können,
und sie sandten dahin ausgerechnet den verhassten Grobian Krepsinger.
Aber da wachte der im Volk äusserst beliebte Untervogt Hans
Spengler von Kriens, ein naher Freund Stephan Lötschers und wie
dieser ein höchst aktiver Heissporn, der sich seit zehn Jahren ständig


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mit Revolutionsplänen abgegeben hatte. Wenige Tage genügten —
und die Bauern von Kriens und Horw waren unter den Vordersten
bei dem grossen Aufmarsch des ganzen Landes gegen die Tyrannei
der Luzerner Junker, der nun in gewaltigen Schwung kam.

Denn auch die Bauern hatten vorgesorgt. Unermüdlich schickten
Hans Emmenegger, Johann Jakob Müller und ihre Kampfgenossen
Boten in die umliegenden Aemter, um alle Bauern zu einem mächtigen
Bund zusammenzuschliessen. Sie brachten überall Schlag auf
Schlag «ungemein kriegerische» Amtsgemeinden zustande.

Am Neunzehnten trafen die Leute im Amt Ruswil in Gaiss zusammen
und entwarfen eine Beschwerdeschrift von dreizehn Begehren.
«Alle waren bereit, die Oberherren zu zwingen und bis auf
den letzten Mann zu sterben.» Am gleichen Tag schickten die Ruswiler
Deputierte an die Willisauer, um sie zum Anschluss zu bewegen.
Ueberflüssiges Bemühen; denn das Amt Willisau hatte durch Jakob
Bircher aus Luthern längst geheime Verbindung mit dem Entlebuch
aufgenommen. Als daher die Ruswiler in Willisau ankamen, trafen
sie dort bereits auf die Entlebucher Deputierten, die mit den Bauern
und Bürgern von Willisau beim Sternenwirt Hans Ulrich Amstein gerade
zu Rate sassen, um, auf den übermorgigen Tag eine grosse Amtsgemeinde
nach Schötz zusammenzurufen. Am Zwanzigsten wollte der
Landvogt des Amtes Rothenburg, unmittelbar vor den Toren Luzerns,
seine Leute einem neuen Huldigungseid für die Obrigkeit unterwerfen.
Sie entzogen sich jedoch dem Eid und verlangten vier Tage Bedenkzeit.
Noch am selben Abend aber schrieb der Siegrist von Emmen,
Kasper Steiner, den Entlebuchern zu: die Rothenburger wollten alle
zu ihnen stehen.

Kaspar Steiner übrigens, der nach dem Herrenchronisten Cysat
«vermeinte, glichsam Graf zu Rothenburg zu werden», aber ein «grober
Geselle» gewesen sei, erschien den Herren von Luzern als eine besondere
Gefahr, als «der allerärgste, böseste Rädliführer» nach Hans
Emmenegger. Denn er galt ihnen für so etwas wie ein Klassenverräter.
Hatte Steiner doch, als Sohn eines auf dem Lande niedergelassenen
Herrenbauern, in der Luzerner Jesuitenschule dieselbe Bildung
genossen wie die Herren und pflog seither zahlreiche heimliche
Beziehungen mit der oppositionellen Bürgerschaft in der Stadt selbst.
Er war ein Halbintellektueller, und seine jesuitische Erziehung hinterliess
bei ihm eine bedeutende Rede- und Schriftgewandtheit und
einen Hang zum Diplomatisieren, die der Sache der Bauern nicht
selten verhängnisvoll zu werden drohte. Jetzt aber bedeutete er einen
besonderen Gewinn für die ganze Bauernbewegung.

Einen Tag nach den Rothenburgern verweigerten auch die an
den nördlichen Einfallstoren zur Stadt gelegenen Gemeinden Ebikon
und Udligenschwil den Huldigungseid und erklärten, sie wollten sich
nach den grossen Aemtern richten. Damit war die Stadt Luzern ringsum,


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 052 - arpa Themen Projekte
von Horw über Emmen bis Ebikon, von lauter rebellischen Gemeinden
eingekreist.

Die grossartigste, revolutionärste und folgenreichste Amtsgemeinde
aber war die des Amtes Willisau zu Schötz am einundzwanzigsten
Februar. Dreitausend Männer aus Stadt und Land Willisau
strömten hier zusammen. Welch ein Reichtum von Gemeinden war
da durch Scharen von Abgeordneten vertreten: Pfaffnau, Reiden,
Dagmersellen, alle drei schon ganz nah am Oberaargau und am Zofinger
Amt; Ettiswil, Gettnau, Altishofen, Buchs, Nebikon, Ufikon,
Omenstal, Dietwil, Fischbach, Zell, ganz hinten gegen Huttwil; Luthern,
Adelboden, Langnau (nicht die bernischen!), Mehlsecken, Richenthal,
Roggliswil, Altbüron und Uffhusen. Natürlich schickte auch
die Stadt Willisau eine starke Vertretung.

Die anerkannten Führer dieser starken Bauernschaft von Willisau-Landwaren
waren zwei unter sich sehr verschiedene Männer. Erstlich der
besonders willenszähe und kopfklare Däywiler Bauer Hans Häller, der
schon seit fünf Jahren auf allen Viehmärkten zum Widerstand gegen
den ungerechten, ausbeuterischen Viehzoll angetrieben hatte und der
darum bei den Luzerner Herren als «besonders boshaft» galt. Ferner
aber der Besitzer des Hofes Steinaren bei Hilferdingen, Fridolin Bucher,
der als höchst schwankendes Charakterbild in die Geschichte
kam: der Herrenchronist Cysat, der damals gerade der — von Luzern
eingesetzte —Stadtschreiber von Willisau war, will in ihm einen
«sonderbaren Huorenbuob und Tröler» sehen, der sich «des Regiments
gar viel angemasset» hat; das Volk aber hat den Fridli Buecher
noch auf lange Zeit hinaus in Liedern besungen und geradezu als Heiligen
verehrt.

Neben diesen beiden ragte auf dem Lande der Bauer Jakob
Sinner von Richenthal hervor, der den revolutionären Spruch tat:
«Min Lebtag habe ich gehört, wenn man gegen die Stadt die Stücke
(Kanonen) abschiesse, so schiesse man die Gülten (Hypotheken) hinweg»!
Jakob Sinner brachte das ganze untere Amt auf die Beine.
«Er mahnte die Leute, das Beispiel der Entlebucher nachzuahmen: es
sei jetzt der Moment da, grosse Freiheit zu erlangen; man solle nur die
Köpfe zusammenhalten, man gehe zu tyrannisch mit dem Volke um.'
Alle drei waren sie natürlich längst gebüsst worden: Häller z. B. um
33 Gulden wegen «zu thüren Dings Kaufen», um 15 Gulden wegen
einer Keilerei und weil er «am Osterzinstag keine Mass gehört»; Fridli
Buecher zweimal wegen «Lästerungen» um je zwanzig Gulden usw.

Dann war da auf der Willisauer Landschaft noch eine höchst
zweifelhafte Figur, die zuletzt eine kaum mehr zweifelhafte Rolle
spielte. Es war der alte Landsknecht Jakob Schlüssel, ein gewandter,
schleuniger Schnüffler und «Diplomat», der in alle Löcher kroch, bezeichnenderweise
«Schneggli» genannt, der in Altishofen als reicher
Bauernkrämer hochgekommen war und als gewiefter Händler weit im


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 053 - arpa Themen Projekte
Schweizerland herum Geschäfte machte. Er hatte früher acht Jahre
lang als Wachtmeister im Ausland gedient und drei Feldzüge mitgemacht
und verstand sich darum ausgezeichnet auf das «Drüllen und
Volk (Soldaten) anführen». Man nahm ihn deshalb geradeso unbesehen
als Führer in die bäuerliche «Wehrmacht» auf wie den anderen
Landsknecht Schybi. Nur dass dieser der Bauernsache, die die seine
war, haudegenhaft treu blieb und ihr nur durch seine primitive Prahlsucht
und seine Unfähigkeit zu irgendwelcher höheren Disposition,
kurz, durch sein anarchisches Gebrechen, schadete. Während der
schlaue «Schneggli» mit den Herren allüberall, so auch mit dem
Bruder des Zürcher Generals und «Bauerntöters» Werdmüller, vermutlich
nicht nur Warengeschäfte machte. Jedenfalls berichtete später
der Luzerner Ratsherr Jakob Hartmann, derselbe, der mit Dulliker
in Schüpfheim war, höchst vielsagend: «unter 1000 Soldaten sei keiner
zu finden, der sich so gut zum Spion eigne, wie Schlüssel, der in
alle Sattel passe, in Zürich bei den Vornehmsten, z. B. General Werdmüller,
wohl gelitten sei, Verbindungen in Bern und Aarau besitze
usw.»

Aus Willisau-Stadt aber erschienen bei der Schötzer Landsgemeinde
einige Gestalten auf der Bauernkriegsbühne, wie wir sie
dort bis jetzt — ausser dem, in zwei Farben schillernden Kaspar Steiner
— noch nicht gesehen haben: Vertreter eines nicht patrizischen,
nicht zu einer wiederaufgerichteten Feudalität zurückstrebenden,
mithin nicht regressiven, sondern eines progressiven Bürgertums, das
aus der bäuerlich-handwerklichen Umgebung hervorgegangen war
und zu seiner eigenen Autonomie hinstrebte.

Zwar war dieses Streben in den grösseren Schweizerstädten schon
seit Jahrhunderten der eigentliche Nerv aller selbständigen Entwicklung
des Bürgertums gewesen. Aber schon seit dem Stanser Vorkommnis,
das heisst: seitdem die regierende Klasse der Schweiz einhellig
ihr Herreninteresse gegenüber dem Volksinteresse erkannt
hatte, war die ganze Schweiz zum Schauplatz eines ewig sich erneuernden
Volkskampfes gegen die Vorrechte der regierenden Klasse geworden.
Die Schweizer Herren nämlich hatten erkannt, dass die schweizerische
Volkskraft, die in den Burgunderkriegen das letzte mittelalterliche
Feudalreich zum Staunen der Welt kurz und klein geschlagen
hatte, dank diesem blutig errungenen Kriegsruhm ein von allen
kriegführenden Mächten Europas heiss begehrter Exportartikel geworden
war, dessen Ausbeutung gewaltige Vermögen versprach. Denn
die Abnehmer waren die gut zahlenden Päpste, Kaiser, Könige und
Fürsten der ganzen europäischen Welt, von denen die Schweizer
Herren immer wachsende «Pensionen» für die Lieferung von
Schweizer Fleisch und Blut bezogen. So ging der Kampf der Herren
um immer ausgedehntere Vorrechte gegenüber dem Volk, das heisst
möglichst vollständige Rechtlosmachung des Volkes, zu dem Zweck,


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 054 - arpa Themen Projekte
um möglichst hindernislos, möglichst «souverän», über dessen Volkskraft
als den geldbringenden Ausfuhrartikel verfügen zu können.

Dieser Kampf der Herren ging jedoch nicht nur gegen die Bauern,
sondern auch gegen die kleineren Städte, ja gegen das Bürgertum in
den eigenen Mauern. Denn der Profit aus diesem riesigen Menschenhandel
sollte immer grösser werden, und dazu musste der Kreis der
daran Profitierenden immer kleiner gemacht werden. So spalteten
sich die «Patrizier», die sich das Vorrecht, an diesem Handel zu profitieren,
zu verschaffen gewusst hatten, immer schärfer von den übrigen
Bürgern und erst recht von denen der kleineren Städte ab und
unterdrückten diese schliesslich genau so rücksichtslos wie die Bauern.
Und natürlich wurde der Kreis der allerreichsten, d. h. allermächtigsten
Profitierer schliesslich mit Hülfe beider Kirchen als von Gott
zu diesem Zweck eingesetzt, als allein «regierungsfähig», und diese
Gottesgnade des Alleinregierens und Grossverdienens wurde in den
betreffenden Herrenfamilien, und nur in diesen, für erblich erklärt.

Damit aber wurde jede Auflehnung gegen diese «Ordnung», ja
jeder Besitz eines alten Freiheitsbriefes, sei es in den Händen der
übrigen Bürgerschaft, sei es in denen einer Landschaft, sei es in denen
einer kleinen Stadt, zu einer Gefahr für die «privilegierten Obrigkeiten»,
und die blosse Berufung darauf wurde zum «Hochverrat», ja
zum «Sakrileg», d. h. zu einem Verbrechen gegen Gott, gestempelt.
Darum trachteten die Herren, d. h. das «privilegierte Patriziat», danach,
ihnen allen die alten Freiheitsbriefe wegzunehmen; wie die
Herren von Zürich die Waldmannschen Artikel nicht nur dem aufständischen
Wädenswil, sondern noch zehn weiteren Städtchen und
Flecken der Landschaft raubten — bis auf zwei, die dann hundertfünfzig
Jahre später eine grosse revolutioniernde Wirkung ausübten.
So waren die Herren bemüht, alle rechtlos zu machen, die Bürger,
die Bauern, wie die kleinen Städte. Sie verleibten sie ihrem Verfügungs-,
ja Besitzrecht ein wie der «absolute» König von Frankreich
die französischen Provinzen.

Aus dieser fortschreitenden Entrechtung entsprang auch in Luzern
ein ewiger Kampf zwischen den Patriziern und den Bürgern,
der sogenannte «Bürgerhandel». Noch eben, in den Jahren Einundfünfzig
und Zweiundfünfzig, war er gefährlich wieder aufgeflackert;
aber es war nur eine letzte Zuckung gewesen. Der Führer der Opposition,
der Hauptmann Melchior Rüttimann, war eingekerkert worden.
«Dann wurde den Bürgern ernstlich verboten, sich wieder zusammenzurotten.
Die Bürger sollten sich auch nicht beigeben lassen, dem
Rate Vorschriften geben zu wollen..., ansonst man sie als Rebellen,
meineidige Leute und Verräter an Leib und Leben strafen würde.»

Jetzt waren die Bauern gegen ihre erstickend gewordene Entrechtung
losgebrochen, und das hätte auch den Bürgern die Freiheit
wieder verschaffen können. Einige Wenige suchten auch anfangs die


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 055 - arpa Themen Projekte
Verbindung mit den Bauern aufzunehmen. Aber diese Bürger der
Hauptstadt kamen als Bundesgenossen der Bauern schon deshalb
nicht in Betracht, weil sie mit den Patriziern nur darum kämpften,
um an den Profiten der Ausbeutung der Bauern und an der Verteilung
der riesigen «Pensionengelder» der fremden Fürsten (was dasselbe
ist) teilzunehmen.

Es kann uns daher wirklich «nicht wundern» — um mit dem
modernen Herren-Chronisten dieses Kampfes, Theodor von Liebenau,
zu sprechen — «dass unter den ersten Eindrücken dieser Bewegung
(der Bauern) die früher entzweiten Patrizier und Bürger in rührender
Eintracht zusammenstehen und sich» — wie das eben am zwanzigsten
Februar in der Peterskapelle in Luzern geschah — «eidlich geloben,
ihre Freiheiten (!) und Rechte (!) gegen die Bauern zu verteidigen».

Wohl aber kamen als Bundesgenossen für die Bauern andere
Bürger in Betracht, und zwar als politisch besonders hochwertiger
Zuzug: nämlich die Bürger derjenigen, als politische Gemeinwesen
entrechteten kleineren Städte, die von der Habgier der Herrenklasse
bereits verschlungen worden waren oder eben verschlungen werden
sollten. Eine solche kleine Stadt im Zustand des endgültigen Verschlungenwerdens
war Willisau. Nun braucht man nur noch hinzuzufügen,
dass eben dieser Stadt —und mit ihr der ganzen Landschaft —
der einzige Freiheitsbrief, den sie besassen, von den Luzerner Herren
auf dunkle Weise entwendet worden war. Es war dies eine schon beinahe
zweihundertfünfzig Jahre alte Abtretungsurkunde der blossen
Hoheitsrechte über die ehemalige «Grafschaft» Willisau an die Stadt
Luzern seitens eines Grafen von Aarberg und Valangin, in welcher
Urkunde für die Bewohner von Stadt und Land ausdrücklich alle
Freiheitsrechte, wie die Volkswahl aller Behörden, vorbehalten war.
Und der behördliche Diebstahl an dieser Willisauer Grundurkunde
kam just in diesen Februartagen an die grosse Glocke.

Nun wird man begreifen, warum gerade Willisau nächst dem
Entlebuch zum «Hauptherd der Revolution 1653» geworden ist. Warum
aber gerade die Willisauer in ihre Beschwerdeschrift die politisch
klarsten und weitgehendsten Forderungen von allen zehn revolutionierten
Aemtern erhoben haben, das liegt daran, dass die Verfasser dieser
Beschwerdeschrift entrechtete Bürger waren, die um ihre Emanzipation
von der privilegierten Klasse kämpften. Denn damit gehörten sie,
eine winzige Insel, ob sie es wussten oder nicht, derjenigen europäischen
Klasse an, die in England eben ihre erste Revolution machte
und die auf dem Kontinent dazu berufen war, die Französische Revolution
zur Reife zu bringen.

Dies also, wenn auch in winzigem, kleinbürgerlichen Format, ist
die historische Bedeutung der Teilnahme der gesamten Willisauer
Bürgerschaft am Aufstand der Bauern, wie sie mit grossem revolutionärem


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 056 - arpa Themen Projekte
Schwung auf der Schötzer Landsgemeinde zur Tatsache
wurde. Ihre Führer waren dabei der Sternenwirt Hans Ulrich Amstein,
der längst intime Fühlung mit den Entlebuchern hatte; der Kronenwirt
Heinrich Peyer, einer der Sechser, das heisst der ursprünglichen,
jedoch von Luzern — wie die Geschworenen im Entlebuch —längst
entrechteten Vorsteher des Amtes; dann der Metzgermeister Hans Jakob
Stürmli ein besonders mutiger und aufrechter Kämpfer, der die luzernischen
Beamten der Stadt vor offener Landsgemeinde «Schelmen
und Diebe» nannte. Auch hatte sich der Seckelmeister Walthert
schliesslich zur offenen Gegnerschaft gegen seinen «Tyrannen», den
Landvogt Jost Pfyffer, durchgerungen. Der nämlich war auf dieser
Landsgemeinde anwesend, was seiner Zivilcourage alle Ehre macht.
Denn er wie. alle seine Beamten wurden dort, wie die luzernische Regierung
später in einem Manifest selber sagte, «gar unehrerbietig
gehalten».

Ueberhaupt ging es auf dieser Versammlung «sehr hitzig und
unförmlich» zu. Die auf ihr beschlossenen dreissig Artikel umfassten
nicht nur alle bisher von den Entlebuchern erhobenen Begehren betreffend
die Zölle und Bussen, das Ohmgeld, das Trattengeld, die Salzzölle,
die alle gänzlich abgestellt» werden sollen, und betreffend den
«freien Kauf und Lauf in Salz, Rossen, Vieh und in allen anderen
Sachen», der «Fremden und Heimischen, Reichen und Armen freigestellt
sein» soll; betreffend die Gülten, (die bei Unvermögenheit des
Schuldners nicht abgekündet werden» dürfen, während bei Gelddarlehen
.bares Geld gegeben werden soll, «nicht alte Kühe und Schulden»;
«ablösige Verschreibungen» aber sollen mit guter junger Ware
und Produkten, die auf dem Unterpfand gezogen wurden», verzinst
werden dürfen; «niemand ist gezwungen, Aufschläge, Auskäufe und
Tauschbriefe vor Beamten errichten zu lassen», «ein Auskauf mit
einer Quittung von einem ehrlichen Mann soll genügen»; und natürlich
sollen «Birsen, Fischen und Jagen» jedermann wieder völlig «freigestellt
sein».

Die Schötzer Artikel gingen vielmehr wirtschaftlich und besonders
politisch weit darüber hinaus. Nach ihnen sollte die gesamte
Aemterbesetzung und Gerichtsbarkeit wieder, wie früher, an Stadt
und Amt Willisau zurückfallen: Schultheiss, Ratsherren, Stadtschreiber,
Gross- und Kleinweibel, Amtssechser, Amtsfähnrich und Seckelmeister
— einer für die Stadt, einer fürs Land — sollten sämtlich
vom Volk in öffentlicher Wahl auf öffentlichem Platz nur aus Bürgern
der Stadt und des Amtes selbst bestellt werden. Das bedeutete
die völlige Widerherstellung der primitiven, alteidgenössischen. Landsgemeinde-Demokratie.
Und Artikel 30 forderte darum abschliessend
das 'ausdrückliche Recht für das Amt Willisau, «eine Landsgemeinde
einzuberufen, wann es für nötig gehalten werde». In einem Artikel,
dem siebzehnten, lehnen sie auch den Zunftzwang ab, der von den


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 057 - arpa Themen Projekte
Herren auf die Landschaft ausgedehnt worden war, natürlich ohne
damit zugleich die Zunftrechte zu gewähren, die den Zunftherren der
Hauptstadt verblieben. «Seit Mannsgedenken» seien «viele Brüderschaften
entstanden»; «aber der Pakt des Lehr-Lohns», welch letzteren
nämlich die Herren an sich zogen, «und der Beitritt zur Bruderschaft
soll den Handwerkern freigestellt sein». Das ist ein spezifisches
Verlangen städtischer Handwerks-Bürgerschaft, handwerklicher Demokratie.

Der politisch weitblickendste Artikel aber ist der siebente, der da
lautet: «Die Mandate der Regierung sollen zuerst den Amtsleuten» —
d. h. den volksgewählten Vorstehern der Aemter — «zur Einsicht mitgeteilt
und erst dann publiziert werden, wenn sie den Landleuten»
d. h. den Landsgemeinden — «nützlich und gut erscheinen». Das
bedeutet das Verlangen nach Mitregierung des Volkes, ja, mehr: die
Unterwerfung der Gesetzgebung unter den Willen des Volkes! Das ist
eine Vorwegnahme der «Volkssouveränität», des «contrat social»
Rousseaus! Und dieses Verlangen war in der Tat unvereinbar mit den
Souveränitätsansprüchen der priviligierten Patrizierfamilien — es
bedeutete den Sturz ihrer gesamten Aristokratie...

Aber wir müssen zweifeln, ob das den Bürgern und Bauern von
Willisau voll bewusst war. Immer noch hüllen sie ihre so weitgehenden
Forderungen in sehr «untertänige» Floskeln, in das übliche
Zwangsgewand der Zeit, das ihnen die Herren angelegt hatten. So
gerade den wundesten Punkt, den Diebstahl an ihren Freiheitsbriefen,
wenn sie im neunten Artikel sagen: «Die lieben Herrn, Väter und
Obern der Stadt Luzern sollen ihnen wieder die allen Briefe und
Siegel, die beweisen, wie die Grafschaft an sie gekommen, und welche
Freiheiten und Gerechtigkeiten diese besitze, herausgeben».

Durch Tradition gebunden ist auch der katholisierende Schluss,
den sie einer Ausfertigung der Schötzer Artikel gaben. Aber wie ergreifend
klingt doch ihr wehrbereiter Freiheitswille durch in den
Worten: «Mit gwehr, gschoss gerüst und Krüzgang gehalten, Reden
zu Gott schryen und zu seiner liebenswerthen Mutter und allen lieben
Heiligen geschworen»! Das aber bedeutet, nach einem katholischen
Geschichtsschreiber nichts anderes, als was in einer anderen Ausfertigung
als Schluss steht: «Man soll mit Harnisch und Gewehr wohl
versehen sein; ein ganzes Amt und jede Kirchgemeinde habe zu einem
besonderen Ort einen Kreuzgang einhellig beschlossen».

Diese dreissig Artikel sandten die Willisauer am Tag nach der
Landsgemeinde sofort allen benachbarten Aemtern und einzelnen
grösseren Gemeinden, so Triengen und Knutwil, Büron und Winikon.
Sie verfehlten dabei nicht, mitzuteilen, «dass man weder Gericht noch
Recht halten wolle, bis diese Artikel von der Regierung von Luzern bewilligt
seien». Denn dieser Rechtsstillstand war auch der Inhalt ihres
sechsundzwanzigsten Artikels.


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 058 - arpa Themen Projekte
Inzwischen, am gleichen Tag, an dem die Willisauer Amtsgemeinde
in Schötz tagte —und das zeigt, wie gut organisiert die ganze
Bauernbewegung war — hatten auch die vom Amt Ruswil, die von
Horw und Kriens und die von Ebikon ihre Begehren in Artikel abgefasst.
Auch die Ruswiler verlangten dabei, wie die Willisauer, in
ihrem fünften Artikel: «Die Brüderschaften und Zünfte der Handwerker
sollen aufgehoben werden», und erhoben in ihrem neunten
das gleiche hochpolitische Begehren: «Die Gemeinden entscheiden über
Annahme obrigkeitlicher Mandate». Das war die Frucht der eifrigen
Vermittlungsarbeit, die die Entlebucher Boten in den voraufgegangenen
Tagen geleistet hatten.

Am selben einundzwanzigsten Februar aber, als ihre Saat überall
im Lande in die Halme schoss, werkten die Entlebucher bereits
eifrig an der Vorbereitung einer neuen grossen Tat. Sie sassen in
ihrem äusseren Amte, im Wallfahrtsort Werthenstein, zu Rate, wie
man nun die verschiedenen Aemter zu gemeinsamem Handeln bringen
könne. Der Schulmeister Johann Jakob Müller hatte mit Hans
Emmenegger zusammen den Entwurf eines Bundesbriefes aufgesetzt,
und mit diesem schickte Emmenegger den Schulmeister, sowie den
Hinteruli und die ganze Sippe der Krummenacher unter Führung des
grossen Hans, zu den Leuten des äusseren Amtes, weil von da sternförmig
die Wege in die dem Entlebuch nächstbenachbarten Aemter
Willisau, Ruswil und Rothenburg ausstrahlten. Nur auf einen Bund
dieser vier Aemter nämlich hatten sie es zunächst abgesehen, weil
nur dies ihnen greifbar und sicher erschien. Sie einigten sich darauf,
eine grosse gemeinsame Landsgemeinde dieser vier Aemter auf den
Aschermittwoch, den Sechsundzwanzigsten, einzuberufen und dieser
Landsgemeinde den von ihnen bereinigten Bundesbrief-Entwurf zur
Beschlussfassung und zum Schwüre vorzulegen.

Alle näheren Einzelheiten wurden dann am Dreiundzwanzigsten
im Rathaus von Schüpfheim unter Hans Emmeneggers Leitung festgelegt.
Er selbst war es, der Wolhusen als Tagungsort vorschlug; eine
bessere Wahl hätten sie gar nicht treffen können. Man hatte zu dieser
Sitzung nur die allervertrautesten Führer der Bauernbewegung zugezogen
und dabei z. B. den Heissporn Lötscher übergangen, weil man
fürchtete, dass dann die Sache zu früh auskomme. Gleichzeitig hatten
sie dafür gesorgt, dass am selben Tage fünf der besten Entlebucher
mit Kaspar Steiner zusammen in Rothenburg mit den Geschworenen
dieses Amtes eine ebensolche vertraute Besprechung «wegen der
Organisierung des Aufstandes und des Besuches der Volksversammlung
in Wolhusen» abhalten konnten. Am selben Tage auch ging von
Schüpfheim ein besonderes Schreiben des Pannermeisters, des Landeshauptmanns
und des Landesfähnrichs des Entlebuchs an Hans
Häller in Däyswil, in dem sie ihm für die unermüdliche Arbeit, die


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 059 - arpa Themen Projekte
stolze Haltung nach der Landsgemeinde in Schötz und für alle «Liebe
und Treue der Willisauer» dankten.

Dafür hatten die Entlebucher einen besonderen Grund. Sofort
nach der Schötzer Landsgemeinde nämlich hatte der Rat von Luzern
eine ganz aussergewöhnliche Anstrengung gemacht, den einzigen bürgerlichen
Stützpfeiler der Bauern, die Stadt Willisau, aus dem rapid
emporwachsenden Gebäude des Aufstandes herauszubrechen. Sie
sandten unverzüglich, bereits am Zweiundzwanzigsten, eine höchst
ansehnliche Deputation nach Willisau, und zwar niemanden Geringeres
als ihren ersten Schultheiss, den «reichsten Eidgenossen», —den
«alten Raubgeier», wie er im Volke hiess — den Ritter Heinrich
Fleckenstein, und mit ihm zusammen den besonders präsentablen
Ratsherrn und Ritter Ludwig Meyer, die Exzellenz, die wir bereits an
der Tafel des französischen Botschafters bei der Tagsatzung in Baden
haben kennen gelernt und die seine Schmeichler den «deutschen Platon»
nannten.

Diese beiden edlen Ritter sollten mit Zückerchen und Peitsche
die Veste Willisau zu Fall bringen. Sie hatten Vollmacht, alles zu versprechen,
aber so, dass man gegebenenfalls alles wieder zurücknehmen
konnte. Bezüglich der Volkswahl der Beamten wollten die
Räte gern «in Bedenken nehmen, wie sich diese Sache gestalten
würde. Es scheine ihnen aber unstatthaft, einen Schultheissen neben
dem Landvögte zu erwählen»; dagegen «gestatten sie, dass die Sechser
im Beisein des Landvogts gewählt werden, sofern dies von Alters
her üblich gewesen»; allerdings «Ratsherrn, Pannerherrn und Fähnriche»,
aber neben dem Schultheiss auch den Stadtschreiber, wollten
die Luzerner Räte selber wählen, «damit die Landschaft nicht mit
Kosten beladen würde»! «Bezüglich der Abstrafung busswürdiger
Sachen... soll es keinem benommen sein, sich mit dem Landvogt
gütlich abzufinden»; man wolle auch «die Landvögte ermahnen, mit
den Leuten der Bussen halb gnädig und mit Bescheidenheit zu verfahren»!
Handel und Salzverkauf und, bedingt, auch der Viehhandel
sollen zwar freigegeben, die alten Zollansätze, «weil jetzt das Haus
Oesterreich die neuen Zölle beseitigt hat», auch diesseits wiederhergestellt
werden; «bezüglich des Ohmgeldes» aber, und erst recht «bezüglich
der Münze kann der Rat von Luzern keine Aenderung treffen».
Gar «der Erlass der Mandate steht dem Rate zu», natürlich!
Denn ohnehin werden diese «so erlassen, dass sich niemand darüber
zu beklagen hat»! «Abfällige Vorstellungen werden gerne angehört»...
Die entwendete Freiheitsurkunde der Willisauer vom Jahre 1407
aber — und das ist wohl der Gipfel des «Entgegenkommens» — will
Luzern «einem zu erwählenden Ausschuss (!) gerne verlesen (!) lassen»!
Da auch sonst «der Stadtbürgerschaft von Willisau» eine ganze Menge
«Wohltaten in Erinnerung zu bringen» sind, «welche Luzern der
Stadt Willisau erwiesen», als da sind: «beim Brande von 1472» (also


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 060 - arpa Themen Projekte
vor 181 Jahren!), «beim Baue der Ringmauer» (wann? wohl bei der
Gründung der Stadt?), «durch Ueberlassung des Zwinghabers, des
Hühnergeldes und des Umgeldes, durch Nichtbezug des Zehnten von
Allmendeinschlägen, durch Beisteuern an den Kirchenbau und durch
Ernennung eines Bürgers zum Spitalpfleger» (!) und wer weiss wie
viele ähnliche «Gnadenbeweise» noch —: so «erwarten sie aber auch,
die Untertanen werden sich für dieses Entgegenkommen dankbar bezeigen,
Treue und Gehorsam beweisen und sich mit diesen Konzessionen
begnügen»! Dabei sollten die beiden Herren Ritter den Willisauern
gegenüber nicht verfehlen, «mündlich denselben das Missfallen
über die Beschlüsse der Amtversammlung zu bezeugen und die
Unannehmbarkeit der meisten Postulate zu erklären»... Von solcher
Art und Güte also waren die Instruktionen des Luzerner Rates, nach
denen die beiden Ritter die Willisauer Bürger zum Abfall von der Sache
der Bauern verführen sollten. Wahrlich, wenn diese Herren hofften, damit
durchzukommen, dann musste die Weisheit des «deutschen Platon»
ein abgrundtiefes Loch haben: die Kenntnis der Volksseele hatten
sie jedenfalls nicht mit der Muttermilch eingesogen.

Darum muss ihre Verblüffung ehrlich gewesen sein, als sie nun
mit den Willisauern zusammenstiessen. Schon als die beiden edlen
Ritter hoch zu Ross in Willisau einritten «bemerkten sie zu ihrem
Erstaunen, dass die Stadtporten mit starken Wachtposten besetzt waren,
die bereits brennende Lunten hatten». So war es denn bereits ein
nichts Gutes verheissender Beginn der Verhandlungen, als sie diese damit
eröffnen mussten, «den Beamten des Städtchens einen Verweis
wegen dieser feindseligen, unmotivierten Haltung» zu erteilen. Als sie
den Bürgern nun gar die Instruktionen des Luzerner Rates mundgerecht
zu machen versuchten, da wurden die Klagen der Willisauer —
wie einer von Sursee dem Abte von Muri schrieb — «so ,grob und
stark', dass den beiden Gesandten von Luzern die Haare zu Berge
stiegen». Klagen und Beschwerden über den Landvogt Jost Pfyffer,
über den von Luzern eingesetzten Schultheissen Sonnenberg, über den
dito Stadtschreiber Cysat hagelten auf die beiden Ritter nieder. Und
nicht nur diese gegenwärtigen Machthaber, auch eine ganze lange
Reihe früherer Landvögte Willisaus, die noch am Leben waren und
jetzt Luzern mitregierten, bekamen Hieb auf Hieb auf ihr Kerbholz —
darunter auch Ritter Heinrich von Fleckenstein, erster Schultheiss von
Luzern und jetziger Deputierter des Rats an die anwesenden Willisauer!
War der nicht noch anno Vierundvierzig auf Fünfundvierzig
ihr Landvogt gewesen, und einer der grausamsten, habgierigsten und
bestgehassten, den sie je gehabt? Hatte der nicht den Ludwig Borner
um fünfzig Gulden gebüsst wegen des blossen Ausspruchs, «er frage
Fleckenstein nichts nach»? Und den Weibel Kneubühler um dreiundsechzig
Gulden, «weil er nit geleidet, wie er sollen»? Und den


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 061 - arpa Themen Projekte
Hans Wirtz um fünfzig Gulden, und den Brun um einundvierzig
Gulden, und den Müller von Altishofen um zweiundfünfzig Gulden,
und zahllose Andere mehr? Es ist wahr: den einen wegen angeblicher
«Vermischung von Wem', den andern wegen «Viehausfuhr», den
dritten wegen «Salzeinfuhr», — aber fand Fleckenstein nicht eben
wegen der schlechten Gesetze immer neue Vorwände um Bussengelder
in seinen Sack zu stecken? Und hat er nicht immer neue erfunden,
zu denen nicht einmal die Gesetze den Vorwand gaben?
«Wegen übermütigen Benehmens an Kirchweihen» hat er dem Martin
Ackermann sechsunddreissig, dem Mauriz Kneubühler gar hundertundzwanzig
Gulden abgenommen! Und dem Ammann Plunsch sogar
dreihundert Gulden, weil er «durch sine widrige Kundschaft eine
Party verfelt»? . . . Ja, ja, so war es kein Kunststück, zum «reichsten
Eidgenossen» zu werden...

Ueberaus bezeichnend für das kleinliche Format des «allmächtigen»
Schultheissen Fleckenstein ist die feige und kniffige Art, wie
er auf diese Sündenflut reagierte: er suchte sie auf seinen von ihm
heimlich auf den Tod gehassten Rivalen Dulliker abzuwälzen! Er
schlug die Unschuldshände heuchlerisch auseinander und fragte:
«Warum habt ihr nur diese Klagen nicht früher vorgebracht, ich
hätte euch ja helfen können!» Da sind ihm aber die Willisauer nicht
übel «übers Maul gewütscht»: Wie, was? Er, Fleckenstein, ihnen
helfen? Junge Ratsherren selbst hätten ihnen ja gesagt, «Schultheiss
Fleckenstein vermöge nichts und seine Rede gelte auch nichts im
Rate»! Worauf der «souveräne» Herr dem «gemeinsamen Feind»
nichts weiter zu entgegnen wusste als dies: «Gerade in diesen Unruhen
ist man oft zu mir ins Haus gekommen — und man klagte
mir viel über Schultheiss Dulliker»!

Nein, nein —jetzt war genug Heu herunter. Jetzt wollten sie
«diese oft vorgebrachten Beschwerden nicht länger erdulden». Und
wenn es auch ein paar Willisauer gab, die andern Tags den Herren
versicherten, sie wollten «die Abgaben entrichten», «der Obrigkeit
Gehorsam leisten» und gar «alle Klagepunkte bis auf drei fallen
lassen», nur könnten sie «ohne Vorwissen des ,gemeinen Pöffels' von
keinem Punkte weichen», sie wollten «sich aber Mühe geben, dass
der gemeine Mann so viel wie möglich wieder begütigt werde» ——
wie unsere Herrenchronisten melden —: was für Ohrenflüsterer
mögen das gewesen sein! Denn, wie doch dieselben Herrenchronisten
melden, endete die Sache so: «Als die beiden Gesandten erklärten,
sie können die drei Artikel nicht bewilligen», da entgegneten selbst
diese Ohrenflüsterer: «Dann treten wir auch nicht mehr vor den Rat
von Luzern. Denn ihr sollt wissen, dass alle Aemter, mit Ausnahme
von Wäggis, eines Willens sind; alle werden die gleichen Forderungen
stellen und keines wird mehr in die Stadt kommen, um mit dem
Rate zu akkordieren.» Nein, das sah nicht nach Unterwerfung aus,


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 062 - arpa Themen Projekte
selbst bei diesen Ohrenflüsterern nicht, die für ihren Unfallsversuch
nicht einmal die drei letzten von dreissig Artikeln zu retten vermochten
und die nur dieser Fusstritt wieder aufrichtete.

Gerade an diesem Tag aber zeigten «Rat, Bürger und Amtleute
von Willisau... dem Lande Entlebuch» an, dass sie die grosse Landsgemeinde
der Bauern am Sechsundzwanzigsten in Wolhusen beschicken
werden. Das war die erdrückende Mehrheit — sie liess die Ohrenflüsterer
schwatzen und handelte, noch bevor diese zu Ende geschwatzt
hatten. Das Schreiben der Willisauer nämlich muss schon
am Morgen abgegangen sein. Denn noch am selben Tage, am Dreiundzwanzigsten,
konnten die Entlebucher ihren Dank «für die Liebe
und Treue der Willisauer» zurückschreiben. Von Willisau nach
Schüpfheim aber sind es gute vier Stunden Weges. Und gerade an
diesem Tage hatte gute Botschaft von «ennet der Grenze» die Willisauer
Stadtbürger erreicht: «die bernischen Stettlein» — vielleicht
Langenthal und Aarburg, oder auch Zofingen und Lenzburg können
damit gemeint sein — hätten zugesagt, «ihnen mit Leib, Gut und
Blut beizustehen».

Am nächsten Tag, dem Vierundzwanzigsten, waren die Entlebucher
in fieberhafter Tätigkeit: nach dem festen Anschluss der
Willisauer waren sie ihrer Sache nun ganz sicher, und so liessen sie
ihre Mahnschreiben, das Aufgebot zum Bundesschwur in Wolhusen,
an sämtliche luzernischen Aemter ergehen. Von hohem, wahrhaft
geschichtlichem Sinn getragen, schrieben sie darin: «Dieser Bund
wird nicht allein uns, sondern auch unsern Nachkommen zu Gutem
erschiessen und dazu helfen, dass sie uns nach unserem Tode noch
loben und danken und ewig unser gedenken.» Stephan Lötscher darf
noch eigens an die Leute vom Amt Malters schreiben, mit denen er
näher bekannt ist und die gerne auf seine anfeuernde Stimme hören.

Wie durch elektrische Zündung verbreitete sich die fieberhafte
und zugleich feierlich gehobene Stimmung noch am selben Tag im
ganzen Land. Wo man noch nicht Artikel aufgesetzt hatte, da tat
man es jetzt unverzüglich. So die Leute im entfernteren Suhrertal,
die von Büron, Triengen und Knutwil, in 27 Punkten; so auch im
noch weiter entlegenen Baldeggertal die Leute von Hohenrain und
Hochdorf in letzterem Ort, und zwar in nicht weniger als 34 Artikeln.
Wie die Willisauer in Schötz, wie die Ruswiler, beide am einundzwanzigsten
Februar, so beschlossen die Hochdorfer noch am Fünfundzwanzigsten
einen hochpolitischen Artikel (es ist ihr sechsundzwanzigster):
«Die Obrigkeit soll alle Mandate zuerst an die Amtsleute
senden; finden diese dieselben gut, so sollen sie öffentlich in,
der Kirche verlesen, widrigenfalls der Obrigkeit zurückgestellt werden»!
Und sie fordern zum Schluss die «Ausfertigung einer Urkunde
durch einen unparteiischen Schreiber» über die Bewilligung ihrer
sämtlichen Begehren seitens der Luzerner Regierung; ja, noch mehr:


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 063 - arpa Themen Projekte
die «Besiegelung durch die Fünf katholischen Orte»: «damit von uns
und euern lieben Nachkommen viel Ungelegenheiten vermieden und
erspart werden». So völlig war der Glaube an das von Luzern allein
verbriefte und besiegelte Wort geschwunden...

So wurden durch das Aufgebot zum Bundesschwur selbst Aemter,
die bisher völlig stillgelegen hatten, mitten in die Bewegung hineingerissen.
Das geschah selbst mit dem Münsterer- oder Michelsamt,
dessen sich die Luzerner Herren gern für völlig versichert hielten.
Denn da herrschte ein reiches, mächtiges Kloster weit über das Land,
und sein Propst war einer der ihren, der Sohn des Ratsherrn und
Ritters Ludwig Meyer, des «deutschen Platon», den wir von der Tafel
des französischen Botschafters her kennen. Der selber steinreiche
Propst Wilhelm Meyer, aber war eine «Statthalter» von höchst merkwürdigem
Kaliber: man kann im Zweifel sein, ob er seine Mitherren
in Luzern nicht aus lauter Ironie und vielleicht auch aus perverser
Quälfreude ständig am Narrenseil herumführte! Noch am Zwanzigsten
hatte er ihnen den Rat gegeben, «sich furchtlos zu zeigen», ruhig
die Landvögte aufs Land zu schicken, durch sie «die Gemüter versüssen»
zu lassen und nur «sitlich mit den Buren» zu verfahren; denn
er war der Meinung, dass sich «die Buren in die Länge fit halten
können». Nun hatten die Herren am Dreiundzwanzigsten den Landvogt
Sonnenberg ins Michelsamt geschickt, und der hatte durch sein
«Pochen und Drohen» das ganze Amt — mit Ausnahme des Dorfes
Münster, das zu direkt in der Hand des Klosters war — mit einem
Schlag in Feuer und Flamme für den Bundesschwur in Wolhusen gesetzt!
Und nun war der merkwürdige «Berichterstatter» der Luzerner
Herren auf einmal der Meinung: «Bei der unter der Regierung herrschenden
Uneinigkeit und bei dem Eigennutz der Hohen kann der
Staat nicht bestehen»! Aber Probst Meyer war vermutlich, wie gesagt,
ein etwas skurriler und wetterwendischer Spottvogel, der trotz seines
geistlichen Amtes — wahrscheinlich aus purer Langeweile — für die
Alchemie, die Goldmacherkunst und den Stein der Weisen schwärmte
und für solche Experimente Tausende und Abertausende von Gulden
zum Fenster hinauswarf. Er liebäugelte sogar mit einer, allerdings
höchst besonderen Abart von «Kommunismus»; denn er hat einmal
seinen Chorherren eine Stiftung von 40000 Gulden angeboten, um mit
ihnen einen «Orden zum gemeinschaftlichen Leben» zu begründen,
was diese einfältigen Herren aber nicht verstanden und ablehnten.
Und schliesslich hat er später sogar seine ganze erbschleicherische
Luzerner Verwandtschaft genasführt: er hat fröhlich noch bei Lebzeiten
den grössten Teil seines Vermögens den Jesuiten vermacht,
vermutlich nur, um noch lachender Zuschauer bei dem Schauspiel zu
sein, wie Beelzebub den Teufel austreibt...

Dies nur als Histörchen, das zeigen soll, wie aus des Volkes Blut
gepresster Reichtum (denn das Geld der Meyer war ja alles Söldnergeld!)


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 064 - arpa Themen Projekte

Christian Schybi

"Oberst" der Entlebucher Bauerntruppen
(Ausgesprochenes Tendenzbildnis seitens seiner Feinde)

Nach einem zeitgenössischen Originalstich in der
Schweizerischen Landesbibliothek in Bern.



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Abbildung 4


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 065 - arpa Themen Projekte

sinnlos gehäuft im Müssiggang verweste — mitten im Sturm
des Elends eines arbeitsamen und tapferen Volkes, das die Not des gemeinen
Batzens in einem Krieg auf Tod oder Leben zwang.

Allzu einfältig gläubig noch, glaubte es sich schon aller seiner
Beschwerden sogut wie enthoben, als es nur seine Not in die Welt
schrie und als es nur zum Bund der Brüder aufgerufen wurde. Es bedurfte
nicht einmal der Mahnbriefe. Längst war ihnen das Aufgebot
der Not voraufgeeilt. Aber als der Ruf der Entlebucher erscholl, dass
sie Brüder seien in der Not, da ist das Aufgebot auf Flügeln der Begeisterung
von Mund zu Mund geflogen und in den hintersten Winkel
des Landes geeilt, ja, weit über die luzernischen Grenzen hinaus.
Nicht vier, sondern sechs Aemter brachte es in jubelnde Bewegung
und selbst «eine nicht geringe Zahl von Bauern aus den Kantonen
Bern und Solothurn» machten sich auf den Weg zum Ort des verheissenen
Bundes. «Wirklich sah man schon am 25. Februar alle
Strassen von Landsleuten wimmeln, die nach Wolhusen eilten.»

Kein Wunder, dass in der Stadt Luzern schon seit dem Vierundzwanzigsten
jede Nacht zwei «Gaumeten» die sechs Stadttors
überwachen mussten und dass im Turm und Speicher zu Barfüssern
Geschütze aufgestellt wurden. Kein Wunder auch, dass ebenfalls bereits
am Vier- und am Fünfundzwanzigsten die Räte von Bern und
Solothurn ihre Agentenschwärme ausschickten, um die «Volksstimmung
erforschen und namentlich die Wirtshausgespräche überwachen»
zu lassen.


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 066 - arpa Themen Projekte


V.
Das Richtfest des Aufruhrs

Tiefer Schnee bedeckte, noch ungewohnt spät im Jahr, das ganze
Land. So konnten die Bauern ihre gewohnten Frühjahrsarbeiten auf
dem Felde ohnehin nicht verrichten. Sie hatten daher Zeit, sich am
Aschermittwoch, dem sechsundzwanzigsten Februar, von allen Seiten,
von nah und fern, nach dem prächtig inmitten ihres Gebiets gelegenen
Wolhusen aufzumachen. In noch nie gesehenen Massen strömten
sie vom Entlebuch, von Willisau, von Ruswil und von Malters her
dem Orte des verheissenen Bundes zu; die meisten zu Fuss, darunter,
mit flatternden Fahnen, ganze «Regimenter» von Knüttelträgern mit
Musik und Gesang, angeführt von alten Landsknechten wie Schybi;
viele auch auf Wagen aller Art, von denen herab die Alphörner um die
Wette dröhnten; nicht wenige, ja ganze Kavalkaden, sogar hoch zu
Ross, darunter besonders auch die Entlebucher Delegierten.

Das grosse Ereignis und die eigentliche Ueberraschung für alle,
die nicht schon der ersten Landsgemeinde der Entlebucher vor genau
einem Monat beim Heiligen Kreuz beigewohnt hatten, war der feierliche
Aufmarsch der Geistlichkeit eines weiten Umkreises im Lande.
Mit ehrerbietigem Staunen erkannte man an deren Spitze, während
Alles verstummte und die Hüte von den Köpfen flogen, den weitherum
berühmten Kapitelsdekan und Pfarrer von Ruswil und Wolhusen,
Melchior Luthard, Stadtbürger von Luzern, von dem jedermann
wusste, dass er eben kürzlich vom Papst zum apostolischen
Protonotar ernannt worden war. Hinter ihm schritten die Entlebucher
Pfarrer, der von Hasle, Johannes Gerber, der von Dopplischwand,
Leodegar Bürgi, aber auch der Pfarrer von Romoos, Hans
Heinrich Sidler, und noch mancher andere. Dann erschienen wieder
die «drei Teilen», Käspi Unternährers Hünengestalt als «Wilhelm
Teil» in der Mitte, und hinter ihnen in langem Zuge die Ausgeschossenen
der zehn Aemter, die Pannermeister, Landeshauptleute, Landesfähnriche
und Landessiegler meist zu Pferde —, voran die vierzig
Entlebucher Geschworenen, die als die Baumeister des Bundes von
freudigen Begrüssungsrufen überschüttet wurden, allen voran der
«schöne Pannerherr» Hans Emmenegger. Seine hohe Gestalt, sein
ernstes Haupt mit der Denkerstirn, der strengen, wuchtigen Nase,


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 067 - arpa Themen Projekte
dem breiten, festgerundeten Krausbart und dem immer ernsten, väterlich
besorgten Blick, sein festliches Gewand und sein würdiges, feierliches
Gehaben liessen ihn fast wie einen König der Bauern erscheinen.
Aber auch der Stadtsechser Heinrich Peyer von Willisau ragte
als schöne, würdige Figur hervor; ebenso der «lange Steiner» Kaspar
an der Spitze der Rothenburger, dessen feingeschnittenes Gesicht mit
dem weichen Christusbart und den grossen, melancholischen Augen
so gar nichts Bäuerliches an sich hatte. Schliesslich kam die unabsehbare
Reihe der Knüttelmänner, an deren Spitze in seinem bunten
Landsknechtsgewand der Christen Schybi seine Blicke wild herumschoss,
seinen struben Schnauz und Bart wie ein Luchs sträubte und
seine längst verdorrten Waden wie in alten Zeiten ausschweifend
nach links und rechts herauszudrehen versuchte.

Bald war die weiträumige Kirche zu Wolhusen zum Brechen
voll, und ein wahres Heerlager drängte sich in weitem Umkreis um
sie. «Die Kirche war wie ein Theater ausgerüstet. Für die Redner
waren hohe Tische bereit.» In der Mitte, auf der Treppe vor dem Chor,
war die Haupttribüne. Zur Eröffnung der ganzen Feierlichkeit wurde
vom Dekan Lüthard, unter Assistenz der gesamten Geistlichkeit, ein
Gottesdienst zelebriert, während die ganze riesige Gemeinde drinnen
und draussen auf die Kniee ging. «Nach Vollendung des feierlichen
Gottesdienstes und nach Anrufung des Heiligen Geistes — Invocato
prius Dei auxilio —wurde die Landsgemeinde eröffnet.» Die Priester
nahmen im Chore Platz. Für die Entlebucher waren die Ehrenplätze
ganz vorn vor der Haupttribüne reserviert. Seitlich derselben richtete
sich der Schulmeister und Organist von Schüpfheim, Johann Jakob
Müller, der Landschreiber des Entlebuchs, als «Ratsschreiber» der
Landsgemeinde der zehn Aemter, als Kanzler des neuen Bundes, ein.

Jetzt betrat der Landespannermeister Hans Emmenegger, flankiert
von den drei Tellen, mit grossem Ernst die Tribüne, in der Hand
seine mit Hülfe des Schulmeisters feierlich in Schrift gefasste Rede.
«Ehrsame, ehrbare, fromme, liebe und getreue Freunde, Nachbarn,
Mitlandleute, Bundesgenossen und Brüder!» So begann er, unter
lautloser Spannung der ganzen Gemeinde, zuerst stockend und jedes
Wort einzeln betonend. Dann aber kam er in Fluss, und zum Staunen
Aller, die ihn kannten, enthüllte sich der schwerblütige Bauer als
ein Redner von bezwingend natürlicher Begabung:

«Wir können und wollen mit diesem unserm Vortrag nicht verhalten,
wie und was Gestalten sich zugetragen zwischen unsern Gnädigen
Herrn und Obern und uns aus Entlebuch, dass etwas Zwietracht
mehr theils wegen der neuen Aufsätzen erwachsen ist, dass wir auch
ebenmässig mit täglichen Beschwerden überladen sind und dass auch
unsere alten Gerechtigkeiten, laut Brief und Siegeln, seit vielen Jahren
her übersehen worden sind. Auch hat man diese schlecht gehalten.
Zudem haben wir uns zu Gemüths geführt, wie und was Gestalt uns
künftiger Zeiten solche Läuf, Neuerungen und Verderbniss dem


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 068 - arpa Themen Projekte
armen gemeinen Bauersmann zu verderblichem Schaden gelangen
werden, indem die Obrigkeiten das gemeine Geld oder die Handmünze
ohne Not abgerufen haben. Diese tragen hieran die Schuld, indem sie
auf die Münzproben kein besseres Aufsehen gehabt haben, indem sie 20
oder 30 Jahre lang Münzen für gut anerkannten, statt sofort abzurufen,
ehe und bevor der gemeine Mann hiedurch beschwert wurde.
Auch sonst sind die Läufe bös, so dass der gemeine Bauersmann kaum
bei Haus und Heim verbleiben, seine Gülten, Zinsen und Schulden bezahlen
und Weib und Kind mit Gott und mit Ehren erhalten kann.
Würde diesen und andern Beschwerden Niemand zuvorkommen, so
würden in kurzen Jahren die meisten unter uns von Haus und Heim
getrieben werden, indem, wie wir erfahren haben, keine Barmherzigkeit,
keine brüderliche oder bürgerliche Liebe, kein Erbarmen mit uns
Unterthanen mehr gebraucht wird. Ein Gantbrief über den andern,
eine Neuerung über die andere, eine Strafe über die andere folgt ohne
Gnade, da mancher redliche Landmann lange Zeit und seit vielen
Jahren hoffte, die Schulden zu zahlen, dies aber nicht zu thun im
Stande war, da es von Jahr zu Jahr schwieriger wurde zu haushalten
und leicht ein Unfall vom Wasser, Verlust von Rossen oder Vieh verursachte,
dass einer von Haus und Heim gestossen, sein Gut musste
fahren lassen und ohne Gnade viele von ihrem lieben Vaterland weichen
und in die Ferne ziehen mussten, so ins Elsass, Breisgau und ins
Schwabenland. Mancher, der seine Gültherrn bezahlen wollte und dem
nur wenig an Geld fehlte, wurde mit schändlichen Worten, Lump,
Hundstud und dergleichen gescholten, oft auch gethürmt und gebunden
in die Stadt ins Gefängnis geführt, dass es oft einen Stein hätte
erbarmen mögen...»

Dies alles und noch viel mehr habe die Entlebucher dahin gebracht,
der Ungebühr «mit geeigneten Mitteln zu widerstreben und
ernstlich daran zu sein, dass unsere alten Rechte laut Siegel und
Brief erfolgen», «damit der gemeine arme Bauersmann bei diesen
bösen Läufen könne bei Haus und Heim, Weib und Kind verbleiben».

«Da ihr aber, ehrende, liebste und getreueste Nachbarn, Bundsgenossen
und Brüder, die ihr hier versammelt seid» — so fuhr der
Pannermeister mit erhobener Stimme fort —

«uns entboten und kundgemacht, dass ihr auch mit gleichen Beschwerden
krank und bedrängt seyd und mit uns derselben und der
neuen Aufsätze ledig zu werden begehrt, so ist, wie wir hoffen, uns
zum Besten diese Landsgemeinde angesetzt worden, um die höchst
nothwendigen gemeinsamen Angelegenheiten zu vereinbaren. Was wir
also mit einander für gut auf- und annehmen, das wollen wir einander
helfen schirmen und erlangen mit Leib, Ehre, Gut und Blut. Und
wenn uns in künftigen Zeiten etwas angelegen ist, wie jetzt den eidlich
verbundenen Aemtern, so soll eines dem andern sein Anliegen offenbaren
und zuschreiben, eine Tagsatzung allhie zu Wolhusen, oder wo
sonst uns Aemtern gefällig sein wird, anzustellen, uns alle Zeit zu berathschlagen
und vereinbaren, damit wir alle Zeit einhellig eines Gemüthes,
eines Willens seyn und bleiben und unsern Herren und
Obern und andern Orten antworten können. Damit wir nun fürderhin
jetzt und in alle Ewigkeit bei und mit einander ,heben und legen',


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 069 - arpa Themen Projekte
leben und sterben, so wollen wir, ein Amt dem andern, mit Ehre, Gut,
Leib und Blut zusammenschwören und helfen und uns verbinden.
Amen.'

Eine «Tagsatzung», wann und wo es den Bauern gefallen wird!
Das zeigt, worauf ihr geheimster Wunsch zielte: nicht nur auf Mitregierung
im Sinne des hochpolitischen Artikels in den Willisauer,
Ruswiler und Hochdorfer Artikeln, sondern auf völlige Unabhängigkeit,
auf Selbstregierung. Nun galt es noch, die solidarische Haftung
für alle Folgen des Kampfes, wen sie auch treffen sollten, in den
Schwur einzubeziehen. Darum fuhr Hans Emmenegger fort:

«Nun aber soll eigentlich wohl zu merken nicht vergessen werden,
dass wir unsern Gnädigen Herrn und Obern festiglich und kreftiglich
einbinden wollen und sollen, dass, so diese Sache einmal wieder
zu einem Ende gelangen würde, sie keinen einzigen Menschen dies
über kurz oder lang sollen entgelten lassen. Auch allen denen, die Rath
und That dazu gegeben haben, sollen und wollen wir festiglich einbinden,
dass sie, wo der Geringste dieser Ursache wegen etwas zu entgelten
oder Strafe zu erleiden hätte, dies als eine alle und jeden berührende
Sache zu betrachten und darauf schwören, demselben zu helfen,
als wenn es ihn selber antreffen würde. Damit man also niemehr von
einander falle und einander immer behelfen sei, sollen wir mit diesem
Eidschwur verbunden sein.»

Aber auch die feierliche Anrufung Gottes, der Maria und aller
Heiligen durfte in einem solch fromm katholischen Lande nicht
fehlen, und darum gab Hans Emmenegger seiner Eröffnungsrede
diesen Abschluss:

«Damit wir diese grosse und nützliche Zusammenkunft glücklich
beginnen und vollenden, sollen und wollen wir Gott den Allerhöchsten,
Maria, die Himmelskönigin, samt allem himmlischen Heer anrufen
und demüthig bitten, dass sie uns den heiligen Geist mit seinen Gaben
senden wollen, damit wir solches Geschäft vollbringen können voraus
Gott dem Allmächtigen zu Lob und allen Heiligen, unsern Seelen zu
Wolfahrt, und unserm Leib, Gut und Blut zu Nutzen und den nächsten
Nebenmenschen zu helfen, damit wohl erschiessen könne, was
nach göttlichem Recht und billig ist. Amen.»

Dem «gemeinen armen Bauersmann», «den nächsten Nebenmenschen
zu helfen»: das enthüllte das Grundmotiv des von reiner
Rechtlichkeit getragenen reichen Bauern Emmenegger. Wenn irgend
etwas, so hat diese Rede ihn zum unbestrittenen und bis zum tragischen
Ende niemals angefochtenen Führer aller zehn Aemter gemacht.
Nicht lauter Jubel, sondern tiefe Ergriffenheit herrschte, als er seine
Rede zuende brachte. Denn jetzt ward einem jeden klar, dass es auf
Tod und Leben um sein eigenes Verbleiben auf der väterlichen Erde
ging...


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 070 - arpa Themen Projekte

Umso stürmischer wurde die allgemeine Umfrage, die Hans Emmenegger
nun eröffnete, benutzt. Jeder, auch der Hinterste, fühlte
sich gedrängt, seinen ganz besonderen Lebensanspruch anzumelden:
als wäre nur gerade jetzt noch Zeit, ihn ins Buch des Schicksals einzutragen
und in den gemeinsamen Schwur der Brüder miteinzubinden.
«Die Sprecher und Abgeordneten der übrigen neun Aemter» —
so fasste der wohlmeinendste Geschichtsschreiber des Bauernkriegs, der
Domdekan Alois Vock, schon vor mehr als hundertzwanzig Jahren
diese Umfrage zusammen — «erzählten weitläufig die Beschwerden
ihres Amtes gegen die Regierung, und vergassen dabei nicht das
Mindeste; alle Strafgelder, welche die Landvögte bezogen, jedes unsanfte
Wort, das sie ausgesprochen hatten, Gülten und Reisgelder
(Soldatensteuer), Handwerksverordnungen und Güterbereinigungen,
Fall und Ehrschatz (Todesfall- und Erbschaftssteuer), Forstordnungen
und Waisenrechnungen, Salzmonopol, Umgeld und Trattengeld,
Weidgangsverbote und Bedrückung der Gemeinden mit Strassenanlagen,
Verordnungen über Jagen, Fischen und Besorgung der Findelkinder,
dies und viel anderes, auch ganz örtliche Beschwerden
kleiner Dorfschaften, Weiler und Höfe, liefen in den verschiedenen
Reden bunt durcheinander und wurden umständlich vorgetragen.»

Nun hatte man aber nicht vor, neuerdings Artikel aufzusetzen,
die die Beschwerden und Verlangen aller zehn Aemter zusammengefasst
hätten. Vielmehr legte man hier einfach alle vorher beschlossenen
und bereits in Schrift gefassten Artikel — die der Entlebucher,
der Willisauer, der Ruswiler, der Rothenburger, der Hochdorfer und
derer von Kriens und Horw zusammen und forderte die übrigen Aemter
auf, ihre Forderungen «beförderlich schriftlich einzureichen». Dabei
wurden allerdings aus der Versammlung selbst noch eine ganze Reihe
Vorschläge gemacht und zum Beschluss erhoben. So etwa der: «Wer
keinen Pflug braucht, soll auch keine Vogtsteuer entrichten»; denn
das war ein besonders notwendiger Schutz für die ganz armen
Bauern, die kein Haupt Vieh, geschweige ein Pferd, nur Ziegen und
Hühner, bestenfalls ein Schwein oder zwei besassen, und deren waren
viele. Oder auch der merkwürdige Beschluss: «Wer studieren will,
soll 600 Gulden Vermögen besitzen.» Das mochte eine erste Regung
sein, um sich eine eigene, unabhängige, «studierte» Beamtenschaft zu
schaffen. Der wichtigste dieser Sonderbeschlüsse aber war der: «Ohne
Zustimmung aller Aemter darf keine einzelne Landvogtei eine Vereinbarung
mit dem Rate treffen.» Damit wurde jedem künftigen Versuch
der Herren, die einzelnen Landesteile voneinander zu trennen,
ein Riegel geschoben. Dieser Beschluss wurde denn auch noch in
aller Eile in den nun zu beschwörenden «Bundesbrief» aufgenommen.

Worauf es aber hier, auf dem ersten umfassenden Richtfest des
Aufruhrs, ankam, das war: den grossen, allgemeinen Gedanken der
Solidarität aller Bedrückten, wie ihn Hans Emmenegger in seiner


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 071 - arpa Themen Projekte
Eröffnungsrede jedem aus dem Herzen gesprochen hatte, eindrücklich
und nachhaltig zu manifestieren und den Antrag der Entlebucher
zum Beschluss erheben: «dass alle zehn Aemter zusammenschwören
und in allen Dingen gemeinschaftlich handeln sollen.» Diesem Antrag
aber stimmte jedes einzelne der vielen Redner in der Umfrage gleich
entschlossen und begeistert zu — wenn dies auch manchem der anwesenden
Heissporne noch lange nicht genug war! Auch die immer
noch sehr «untertänige» Sprache des nun zur Verlesung gekommenen
Bundesbriefes mochte diesen nach allem Vorgefallenen durchaus
nicht gefallen. Aber Hans Emmeneggers — und wohl auch des Schulmeisters
— Diplomatie ging offensichtlich darauf aus, für die ganze
Bewegung die denkbar breiteste Basis zu schaffen. Dafür bedurften
sie unbedingt der möglichst einmütigen Zustimmung ihrer Geistlichkeit.
Zweifellos mit besonderer Rücksicht auf diesen taktisch äusserst
wichtigen Zweck hatten sie in den vorausgegangenen eifrigen Beratungen
mit allen Hauptführern der Bewegung sowohl den Inhalt des
Bundesbriefes auf das Notwendigste beschränkt, als auch seine
Sprache dem «schuldigen Respekt und Gehorsam» den Behörden
gegenüber weitgehendst angepasst.

Im übrigen waren ja sämtliche bisher von den einzelnen Aemtern
eingereichten Artikel, die die konkreten Forderungen der Bauern
der Aemter sowohl wie der Bürger der Stadt Willisau enthielten,
schon vor der Verlesung des Bundesbriefes zum einmütigen Beschluss
erhoben worden, und noch neue dazu. Sie sollten zusammen
mit dem Bundesbrief der Luzerner Regierung als eins und zusammengehörig
überreicht werden, und dies alles zusammen sollte als
Willensäusserung der Wolhuser Landsgemeinde der zehn Aemter
gelten. Gerade durch die Allgemeinheit der Formeln des nun beschworenen
Bundesbriefes aber waren sämtliche Forderungen der bereits
beschlossenen wie der noch zu beschliessenden Artikel in den
Schwur miteingeschlossen.

Wie vorherrschend aber für Hans Emmenegger die Rücksicht
auf die Zustimmung der Geistlichkeit war, geht aus Folgendem
hervor. Als der bisherige, fertig mitgebrachte und nur durch Einzelnes
während der Verhandlung selbst ergänzte Entwurf des Bundesbriefes
soeben zuende vorgelesen war und die ganze Landsgemeinde
nun in atemloser Spannung auf das Vorsprechen der Eidesformel
wartete, um zum Schwüre zu schreiten — da, im feierlichsten
Augenblick, unterbrach Hans Emmenegger den Gang der Dinge
und wandte sich, vor der ganzen Landsgemeinde als Zeugen, folgendermassen
an die gesamte anwesende Geistlichkeit: «Weil man aber
in einer so wichtigen und heiligen Sache nicht sicher genug gehen
könne, so wolle er die Hochwürdigen Seelsorger und Pfarrer, die
hier gegenwärtig seien, anfragen, ob die soeben geäusserten Meinungen
und Ansichten nicht irrig seien, und ob man mit gutem Gewissen


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 072 - arpa Themen Projekte
einen solchen Eid schwören dürfe oder nicht?» Und zwar
bat er zuerst den Pfarrer und Kapitelsdekan Luthard und dann die
drei andern Pfarrgeistlichen, jeden einzeln darum, «dass sie ihre
Meinung hierüber frei eröffnen und mitteilen möchten». Der Pfarrherr
zu Ruswil und Wolhusen, Dekan des Kapitels zu Sursee und
apostolische Pronotar seiner Heiligkeit des Papstes, Herr Melchior
Lüthard, Stadtbürger von Luzern, antwortete: «Er könne einen Eid,
wie er, nach den geäusserten Ansichten, geschworen werden soll,
weder für unerlaubt und ungültig halten, noch finden, dass ein
solcher Eid wider Gott, oder wider die Gnädigen Herren und Obern
der Stadt Luzern, noch viel weniger wider ihre Freiheiten und Gerechtigkeiten
oder wider den Eid wäre, den man einer Obrigkeit zu
schwören schuldig sei.» So nach dein Bericht des Geschichtsschreibers
und Domdekans Alois Vock, der noch hinzufügt: «Für diese Ansicht
des Dekans erklärten sich mit voller Zustimmung auch die
Pfarrer von Hasle, Romoos und Dopplischwand.»

Damit aber hatten diese geistlichen Herren, trotz der Sanftmut
ihrer Sprache — und auch der Sprache des Bundesbriefes —, eben
doch das Aufstandsrecht des Volkes gegen seine Bedrücker heilig gesprochen!
Denn dass der Protonotar des Papstes sich der Tragweite
des ganzen Vorgehens der Bauern, dessen Zeuge er war, nicht bewusst
gewesen sei, wird man mit Fug nicht annehmen dürfen. Eher
ist anzunehmen, dass Herr Melchior Luthard von der Gesinnung des
Papstes, der ihn ernannt hatte, unterrichtet war, der als Ausnahme
unter den Päpsten dieses Jahrhunderts, wie Ranke berichtet, «keine
Misshandlungen der Unteren von den Oberen, der Schwachen von
den Mächtigen zugelassen» habe. Hans Emmeneggers und seiner
Bundesgenossen Diplomatie aber hatte es erreicht, dass ihr Vorgehen
von der Geistlichkeit von nun ab nie mehr desavouiert werden konnte.
Ja, noch mehr: sie stellten sofort den Antrag, dass dieses «Votum
der Geistlichkeit über die Gültigkeit des Bundes» der vorgelesenen
Bundesurkunde eingefügt werden solle. Was einmütig gutgeheissen
und unverzüglich ausgeführt wurde, ohne dass auch dagegen die
Geistlichkeit das geringste Bedenken erhob.

Nachdem nun Hans Emmenegger ausserdem folgende Anrede an
Alle gehalten hatte: «Falls dann jemand zugegen wäre, dem sein Gewissen
nicht erlaube, das Vorgelesene mit einem Eid anzugeloben,
der solle nicht schwören, sondern sich aus der Kirche entfernen; es
werde ihm deswegen kein Leid geschehen, noch er sich deswegen zu
entgelten haben» — da war es auch für den Schwankendsten in der
Kirche eine beschlossene Sache, den Eid zu leisten. Keiner trat weg,
alle schworen. Und zwar auf den nachfolgenden


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 073 - arpa Themen Projekte


«Bundesbrief
der X Aemter der Stadt Luzern,

zu Wollhausen aufgerichtet und beschworen
am 26. Hornung 1653:

Wir, der Landespannerherr Johann Emmenegger, Landeshauptmann
Nikolaus Glanzmann, Amtsfähndrich Nikolaus Portmann, samt
den vierzig Geschworenen insgemein, wie auch die ehrsamen biderben
Gemeinden des löblichen Landes Entlebuch thun kund und bekennen
öffentlich mit diesem Bundesbrief, was Gestalt und Ursach dieser ist
aufgerichtet worden.

Weil wir alle zwei Jahre einem Herrn Landvogt, im Namen unserer
gnädigen Herrn und Obern von Luzern, zu schwören und zu huldigen
verbunden und schuldig sind, wie dies denn auch fleissig geschah,
so ist nun aber zu wissen, dass wir aus dem ganzen Lande Entlebuch
in der Gestalt schuldig sind zu schwören, dass wir unsern gnädigen
Herrn von Luzern sollen unterthänig und gehorsam sein, ihrer
Stadt Nutzen zu fördern, und, was ihnen schädlich wäre, zu wenden,
in gleichen, was ungebührliches und strafwürdiges wäre, einem Herrn
Landvogt zu leiden schuldig sind; was alles treulich und ohne Gefährde
geschehen ist. Eben mässig soll ein Herr Landvogt schwören:
sowohl des Landes als der Stadt Schaden zu wenden, und ihren Nutzen
zu fördern, den Reichen wie den Armen zu richten, sie auch bei
ihren alten Freiheiten und Gerechtigkeiten, laut Brief und Siegel, und
bei sonst alten, guten Gewohnheiten und Bräuchen verbleiben zu lassen.
Wie sie dies gegen uns halten, ist offenbar in den Artikeln und Klagpunkten,
so wir auf das Papier gesetzt, und unsern Herren und Obern
vorgehalten haben, dass ja die Herrn Landvögte demselbigen nicht allein
nicht nachkommen, sondern wir von einem Jahre zum andern mit neuen
Aufsätzen, Beschwerden und ungebührlichen Strafen belästigt worden.
Dieser Ursachen willen wir uns oft und vielmal bei unsern gnädigen
Herrn und Obern der Stadt Luzern beklagten und beklagen wollen.
Wir konnten aber nicht nur nicht erhalten, dass man uns zu unserm
Rechte verhelfen wolle, sondern sobald man kam und sich beklagte.
wurde man mit scharfen Worten und Zwingen (Drohungen), auch oft
mit trotzigen Reden und Schandworten abgeputzt. Hat man sich damit
abweisen lassen, so ist es Nutz gewesen; wo nicht, und hat man
weiter angehalten, so ist mit Kopfabhauen oder sonst mit Strafen gedroht
worden, dass hiemit Männiglich sich nicht dawider lehnen oder
auslassen durfte, dass er sich weiter oder anderswo beklagen oder
Rath suchen wolle. Derwegen haben wir Uns geweigert, solche Beschwerden
weiter zu gedulden, uns unterstanden, mit Gottes und Mariä
Hilfe sammt der Fürbitte und Hülfe aller lieben Heiligen, auch aller
aufrechten, redlichen und biedern Leute, uns selbst zu unsern alten
Rechten, laut Brief und Siegel, wieder zu helfen, und wir vertrösten
uns, alle neuen Aufsätze und Beschwerden durch dieses Mittel abzuthun
und abzustellen. Nachdem nun vielen Mitlandleuten und Nachbarn
offenbar geworden, wie und was Gestalten der Spann zwischen
unsern gnädigen Herrn und Obern von Luzern und uns ist, und aus


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 074 - arpa Themen Projekte
was Ursachen, haben sich die Herren der Stadt und des Amts der
freien Grafschaft Willisau einhellig nicht lang besonnen, sondern zu
uns, denen aus dem Entlebuch, gesetzt und geschworen, und uns das
zugeschrieben, davon wir nichts gewusst haben, weil sie mit eben den
gleichen Beschwerden, und viel mehr, behaftet waren. Nachdem ingleichen,
ohne unser Begehren und Wissen, zu uns geschworen die
Herren der Grafschaft Rothenburg und auch die von Russwyl, und
weil wir obengenannte vier Aemter uns nicht besser besprechen mochten,
um unsere Beschwerden einander zu erklären, so haben wir einen
Ort und Tag gesetzt, nach Wolhusen zusammen zu kommen. Allda
haben wir unsere Klagen öffentlich und vor einer ganzen Gemeinde
geoffenbart, wie und was unsere Meinung sei, nämlich: gar nichts anderes,
denn allein, dass wir unsere Obrigkeit von Luzern bitten und
anhalten wollen, dass sie alle neuen Aufsätze und Beschwerden gänzlich
wieder ab uns nehmen und abthun, und uns unsere alte Freiheit,
alte Rechte und Gebräuche und gute Gewohnheiten, laut Brief
und Siegel, wieder brauchen lassen solle. Und weil uns wohl bewusst
ist, dass sie uns solches nicht leicht gestatten und geben werde, so
haben die vier Aemter gut, nützlich und recht befunden, dass sie sich,
der Ursache halb, mit einander verbinden und einen Eid zusammen
schwören sollen, dieweil, wenn früher ein Amt allein unsere Obrigkeit
gebeten und angehalten hat, solche ihre neuen Aufsätze ihm gnädiglich
abzunehmen, dasselbe, wie obgemeldet, viel und oftmal abgedreht
und abgewiesen wurde. Da nun alle zehn Aemter desto eher und beherzter
fürderhin vor ihre Obrigkeit kommen dürfen, wenn sie Ursache
haben, vor derselben zu klagen, und sie zu bitten, dass sie uns bei
unsern Freiheiten, Brief und Siegeln verbleiben lassen solle, so wollen
wir fortan in Ewigkeit zusammenhalten mit Leib und Ehre, Gut und
Blut, und, so weit unser Vermögen sein wird, ein Amt gegen das andere
leisten und thun. Es ist aber, ehe und bevor wir zusammen geschworen
haben, voraus und klar ausgenommen und vorbehalten
worden, dass dieser Eid und Bund unsern Gnädigen Herrn und Obern
zu Luzern ganz in keinen Weg etwas schaden solle. Wir wollen sie
auch fürbas und in Ewigkeit für unsere getreuen Herrn und Obern
haben und erkennen, soweit ihre Briefe und Siegel, Rechte und Gerechtigkeiten
erfordern, und wir schuldig wären, uns ihnen jederzeit
unterthänig, willig und gehorsam und fast gern einstellen. Hingegen
aber begehren wir von unsern gnädigen Herrn und Obern. dass sie
uns ingleichen bei unsern Briefen und Siegeln, Rechten und alten Gewohnheiten
verbleiben lassen, alle die neuen Aufsätze und ungebührlichen
Sachen und Beschwerden uns jetzt zu diesen Zeiten nehmen, und
fürderhin zu allen Zeiten nicht weiter damit beschweren, sondern, was
gebührlich, bescheiden und der Billigkeit gemäss ist, halten sollen. Solchem
allem zuvor zu kommen, und solches unsern Nachkommen zu erhalten,
haben wir, die vier Aemter, für gut befunden und angesehen, uns
mit diesem Eidschwur und Bündnisse zu verbinden, ewiglich einander
Treue, Liebe und Hilfe zu leisten, wie uns, als rechten, redlichen Bundesgenossen
geziemt und gebührt, ja in dem allein, was recht, billig und
gebührlich ist und sein wird. Denn kein Amt hat sich verbunden und
geschworen, zu Unbilligem, Ungerechtem und Ungebührlichem zu
helfen. Denn dass einem Amte das andere oder mehrere helfen, ist
gründlich vorbehalten worden. Wenn also einem Amte oder mehreren
weiter in künftigen Zeiten Neuerungen und ungebührliche Beschwerden
von unsern gnädigen Herrn und Obern kommen möchten, so


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 075 - arpa Themen Projekte
kann fürderhin ein Amt das andere bei diesem Eid ermahnen, dass
sie einander eine Obrigkeit unterthänig und freundlich bitten helfen,
sie solcher Beschwerden zu entlasten. Und wie nun obgedachte, gute
und billige Meinung, samt den Artikeln, einer ganzen Gemeinde und
den Ausgeschossenen aus den hienach benannten Aemtern ist öffentlich
vorgehalten worden, so haben sie sich ebenfalls und gleichmässig
mit mit den vier obgenannten Aemtern einhellig zu diesem Eidschwur
verbunden, nämlich: Kel-Amt (St. Michelsamt) Münster, ausgenommen
das Dorf Münster, das Amt Büron und Triengen, das Amt Malters,
das Amt Kriens und Horw, das Amt Ebikon, und das Amt Knutwyl,
dass also aus den vier Aemtern zehn geworden sind. Darum sollen
alle Artikel und Klagpunkte eines jeden besondern Amtes allzeit von
den übrigen neun Aemtern, von einem Artikel zum andern, durchgesehen,
corrigiert und der Billigkeit gemäss gestellt werden, und zwar
durch die von den Aemtern dazu ausgeschossenen Personen, damit,
wenn es vor die rechten Richter und die hohe Gewalt, laut eidgenössischer
Bundesordnung, kommen würde, man sich über die Aemter
nicht zu beschweren hätte, dass sie etwas unrechtes oder ungebührliches
begehrt haben, oder begehren wollen; und ebenso soll ein Amt
dem andern helfen, seine Klagen, wozu ein jedes sein billiges Recht
haben würde, zu erlangen, und kein Amt soll, ohne des andern Wissen
und Willen, den Beschluss mit der Obrigkeit völlig machen, bis alle
Aemter und ein jedes insbesondere, auch zufrieden sein können mit
dem, was ihnen billig und recht gehören würde. Auch ist klar und genugsam
vorgehalten worden, dass Jeder wohl bedenken solle, was er
schwöre; denn man wolle Niemand dazu zwingen, sondern, welcher
nicht zu schwören vermeinte, der soll aus der Kirche gehen. Dem soll
darnach kein Leid darum geschehen und er dessen nicht zu entgelten
haben. Und nach solchem, bevor man schwor, hatte der Landespannermeister
aus dem Entlebuch die Wohlehrwürdigen, geistlichen,
hoch- und wohlgelehrten Herren angefragt, was sie nun zu diesem
sagen würden? ob man schwören solle oder nicht? ob sie (die Landleute)
recht daran seien oder nicht? und er hatte sie gebeten. sie sollen
ihre Meinung auch dazu geben. Da antwortete der Wohlehrwürdige
hoch- und wohlgelehrte Herr Pfarrer zu Russwill und Wollhausen, als
Dekan des löblichen Kapitels von Sursee. auch erst neuerwählter Protonotarius
des Römischen Stuhls, ,dass ja obgemeldete Meinung nicht
könne für ungut oder ungültig gemacht werden, dieweil sie nicht
wider Gott, auch nicht wider Unsere Gnädigen Herren und Obern der
Stadt Luzern sei, noch weniger wider ihre Freiheiten und Gerechtigkeiten,
auch nicht wider den Eid, den man einer Obrigkeit zu schwören
schuldig ist'. Bis hierher Herr Melchior Luthard. Hernach wurden
auch gefragt die Wohlehrwürdigen Herren Pfarrherren, als Herr Johannes
Gerber zu Hasle im Entlebuch, Herr Hans Heinrich Sidler zu
Romoos im Entlebuch, und Herr Leodegar Bürgi, Pfarrer zu Dopplischwand,
welche ganz der obgenannten Meinung des Herrn Dekans
waren. Und darum so haben die obbenannten X Aemter die Hände
aufgehoben, und, dass sie das, wie obgemeldet, ewig steif und stets
halten wollen und sollen, einen Eid zu Gott und allen Heiligen geschworen,
welche auch dazu helfen wollen! Nun aber ist von den X
Aemtern eigentlich und klar, als der ihnen angelegenste Punkt, in den
obbemeldeten Eid zugeschlossen worden, dass, wenn die Sachen wieder
zu einem Ende gelangen würden, sie keinen einzigen Menschen
dess weder über kurz noch über lang entgelten lassen, auch diejenigen,

Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 076 - arpa Themen Projekte
welche Rath und That dazu gegeben haben, Unsern Gnädigen Herren
und Obern anhingen und vorbehalten sollen. Und eben so, was sie, die
von der Stadt, gegen uns geredt, gethan, und was von beiden Partheien
dieses Streites und Aufstands geschehen ist, soll auch vergessen, vergraben
sein, und Niemand sich dessen entgelten, sondern immer und
ewig vergessen werden, damit, wenn einmal wieder die Vereinbarung
geschehen und gemacht würde, nicht etwa durch solche Zuwiderhandlung,
um wegen dieser Sachen abzustrafen, ein neuer Rumor und Uneinigkeit
entstehen möchte; denn ein jeder insbesondere bei gethanem
Eide verbunden und schuldig wäre und sein solle, dessen nicht das
Geringste zuzulassen, sondern es nach seinem Vermögen zu rächen,
wobei aber klar verstanden sein solle, dass nichts weiter, als vom Anfange
des Aufstands und Handels bis zum Ende der Vereinbarung, eingeschlossen
sein und verbleiben solle. Wenn aber hernach einer oder
der andere fehlbar und unbehutsam erfunden würde, so wird unsern
Gnädigen Herren Obern heimgestellt werden, was sie über einen solchen
vornehmen wollen, wie es einer hohen Obrigkeit heimgestellt ist
und gebührt. Doch solchen soll ebenmässig wegen des einbeschlossenen
Handels was solche darin geredet und gethan haben möchten,
nicht dazu gerechnet werden, und man nicht vermeinen, sie desto eher
zu bestrafen, sondern alles soll, wie obgemeldet, zu beiden Partheien
lobt und begraben sein.

Gegeben zu Wollhausen den 26. Hornung 1653.»

Als die Ausgeschossenen der zehn Aemter und mit ihnen die gesamte
Landsgemeinde die Eidesformel, die ihnen Hans Emmenegger
versprach, Wort für Wort nachgesprochen und den Schwur geleistet
hatten, wich die grosse Spannung von der Versammlung, die sie wie
eine übermächtige Faust gepackt und geeinigt hatte. Da liessen sich
die revolutionären Kräfte nicht länger zurückbinden. Sie schossen
unter «wütendem Geschrei» vor und verlangten von der Landsgemeinde
sofortigen Aufbruch zur Tat. An ihrer Spitze standen die
Willisauer, zum guten Teil Stadtbürger, unter Führung Peyers und
Stürmlis, sowie die Rothenburger, unter Führung Kaspar Steiners.
Sie schrieen: «man solle jetzt die Obrigkeit bezwingen, gegen die
Stadt ziehen, Sursee und Sempach (die beide in luzernischer Militärgewalt
waren) überrumpeln, um Munition zu erhalten und Geschütze»;
auch wollten die Rothenburger, dass man ihrem Pannerherrn in
Nunnwil, der nicht mitziehen wolle, «das Panner der Grafschaft Rothenburg
wegnehme». Und bezeichnenderweise kam ebenfalls erst auf
den erregten Wogen dieser zweiten Umfrage, nach dem geleisteten
Schwur, die Tatsache zu Tage, dass ein Verräter unter den Entlebucher
Geschworenen sein müsse. Der Antrag nämlich wurde gestellt
und beschlossen: «Die hochweise Obrigkeit von Luzern soll den Verräter
nennen, der unter den vierzig Geschworenen von Entlebuch sich
befinden muss»!

Das bei weitem Wichtigste aber war das Verlangen der Willisauer,
die Hand unverzüglich auf die erreichbaren militärischen


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 077 - arpa Themen Projekte
Machtmittel zu legen. Das allerdings wäre jetzt für den Sieg der
Bauern- wie der Bürgersache das taktisch Richtige gewesen, und
zweifellos hätten sie dieses Ziel in dem gegebenen Zeitpunkt auch
erreicht. Denn noch war das schwach gerüstete Luzern gegen die
Tausende und Abertausende von Knüttelmännern ohnmächtig; aber
nur noch für wenige Tage, bis der Zuzug modern gerüsteter Truppen
von auswärts die Stadt erreichte. Dass ,die Mehrheit der Bauern gegen
die sofortige «Machtergreifung» war, die nur von den bürgerlicheren
Willisauern und dem sehr wenig bäuerlichen Kaspar Steiner und von
diesem vielleicht aus provokatorischen Gründen befürwortet wurde,
das haben die Bauern erst sehr viel später bereut: als sie zum Teil
mit selbstgemachten hölzernen Kanonen gegen die damals modernste
Artillerie des Zürcher Generals Werdmüller ins Feld rücken mussten...

Die «Majorität der Anwesenden» aber war, wie gesagt, dafür,
«man solle die Konzessionen auf dem Wege des Bittens und Begehrens
zu erreichen versuchen», den die Rede Hans Emmeneggers und
der Tenor des Bundesbriefs gewiesen habe. Damit hat Hans Emmeneggers
Diplomatie die erfolgreiche Konzession, die sie zur Gewinnung
der Geistlichkeit gemacht hatte, vielleicht doch zu teuer bezahlt.
Dies umsomehr, als die Bauern fortan die «untertänig» tuende
Taktik Hans Emmeneggers und des Wolhuser Bundesbriefs während
des ganzen Aufstandes in allen Vorträgen, öffentlichen Akten
und Bundesbriefen» hartnäckig bis zur Selbstaufgabe beibehielten.
«Immer», sagt Vock, «versicherten sie zuerst die Obrigkeit des Respekts
und Gehorsams und erklärten hierauf, was sie wollen und beschlossen
haben.» Zu Unrecht aber hat dieser wohlwollende Geschichtsschreiber
diese Taktik der Bauern mit derjenigen des Cromwell'schen
Rumpfparlamentes verglichen, das den «absoluten» Herrn
der Engländer, den «souveränen» König Karl I., vier Jahre zuvor,
anno Neunundvierzig, «unter vielen Respektsversicherungen auf's
Schaffett schickte». Das mag ja der Stil der Zeit gewesen sein. Dennoch
hatte auch der bäuerliche Cromwell nicht unterlassen, sich
längst zuvor in den Besitz der besseren Kanonen zu setzen! Sonst
wäre er aufs Schafott gewandert, und das noch ohne alle Respektsversicherungen
— genau so, wie es unsern guten Luzerner Bauern,
und auch den andern, die nun bald zu ihnen stiessen, zu leiden bestimmt
war...

Jetzt aber waren sie noch für lange Zeit im Festtaumel ihres
Richtfestes, durch das sie sich ihr «gutes Recht» bereits verschafft zu
haben glaubten. Das einzige Wehrhafte, was sie in Wolhusen beschlossen,
war: «In allen Aemtern soll fleissig Wache gehalten werden»;
und auch dies glaubten sie noch mit der Entschuldigung tarnen
zu müssen: «damit keine Ungelegenheiten von bösen Leuten, Landstreichern
und Speyvögeln (Spionen und Provokateuren) mit Feuer


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 078 - arpa Themen Projekte
oder Lärm entstehen und damit nicht allerlei Lügner und ,Dätschmäuler'
agitieren können». Sonst aber strömten sie völlig fried- und
freudetrunken wieder auseinander und trugen die «gute Botschaft
vom Wolhuser Bund» in den hintersten Winkel ihres schönen Landes.
Nur die meisten Führer blieben noch den ganzen andern Tag zu
Beratungen in Wolhusen.

Mit der singend, juchzend und musizierend heimströmenden
Menge zogen, vom selben Taumel ergriffen, die Emmentaler, Oberaargauer
und Solothurner Bauern und trugen die gute Botschaft über
die Landesgrenzen hinaus. Denn sie hatten sich in Wolhusen Abschriften
vom Bundesbrief geben lassen, um «damit für die Sache
der Bauern zu Hause, in Huttwil, im Emmen- und Simmentale zu
agitieren». Darunter war auch der Christian Blaser aus dem Emmental,
«der den ersten Prügel aus dem Emmental ins Entlebuch getragen»
hatte und der dafür später hingerichtet wurde. Darunter
war auch der Kirchmeier von Huttwil, Ulrich Brechbühler von Nyffel,
der später im Gefecht von Herzogenbuchsee für die Bauern'-
sache fiel. Da waren auch noch zwei weitere Huttwiler, der Wirt.
Melchior Käser und Andreas Nyffenegger; dann der Weibel Hans
Weyermann von Gondiswil und Jakob Müller von Rohrbach. Und
viele andere, die kein Bericht bei Namen nennt. Sie sind die ersten
Vorboten der nun auch im Bernerland langsam, aber von Grund auf
in Gang kommenden Revolution.

Kein Wunder, dass die Berner Regierung bereits am Siebenundzwanzigsten
nicht nur auf ihre eigenen Untertanen, die mit den
Luzernern sich verschworen, fahndete, sondern auch «auf zwölf gutgekleidete
Entlebucher, welche die Aufwiegelung des Berner Landvolkes
betrieben»; und dass sie durch «einflussreiche Ratsherren» in
eigener Person «den Markt von Langnau überwachen» liess, darunter
den Venner Samuel Frisching, «den man unter dem, Vorwande von
Privatgeschäften nach Langnau, wo er ein Gut besass, zum Aus.
spähen geschickt hatte». Denn schon am Tag nach der Stiftung des
Wolhuser Bundes hatte dessen nunmehriger «Ratschreiber» Johann
Jakob Müller auch eigene Boten mit anfeuernden Sendschreiben aus
dem Entlebuch ins Bernische abgeschickt, darunter sogar den Landesfähnrich,
der dabei jedoch im hohen Schnee auf den Grenzbergen
beinahe umgekommen wäre. Der Schulmeister Müller berief sich in
diesen Schreiben zur Gewinnung der Berner weniger auf die Religion,
die sie trennte, als auf das Rechtsgefühl, das sie einte. Die Luzerner
Bauern, so meinte er, hofften, man werde das Sprichwort an ihnen,
den Bernern, nicht brechen, «wie vor altem gesagt worden, dass, so
(selbst) ein Türk über Meer herkäme und Rechts begehrte, er solches
bei den Eidgenossen finden würde».

Es fragt sich nur, bei welchen Eidgenossen! Denn der Rat von
Bern «erkannte (auch seinerseits) bereits am 27. Februar, es könnte


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 079 - arpa Themen Projekte
leicht durch das Vorgehen der luzernischen Aemter im gemeinsamen
lieben Vaterlande ein böses Feuer angezündet werden»!

Da muss es sich offensichtlich um zwei «Vaterländer» gehandelt
haben...


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 080 - arpa Themen Projekte

Kaspar Steiner

"Oberst" der Rothenburger Bauerntruppen, bald Kapitulant,
bald Scharfmacher in den Verhandlungen mit den Herren
(Jesuitenzögling).

Nach einem zeitgenössischen Originalstich in der Landesbibliothek
in Bern.



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Abbildung 5


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 081 - arpa Themen Projekte


VI.
Die «Katz im Sack» —
und wie die Bauern sie «verzappeln» liessen

Schon am siebenundzwanzigsten Februar, als die meisten
Bauernführer sich noch in Wolhusen berieten, traf Kasper Steiner,
ohne von ihnen Auftrag zu haben, in Malters mit Abgeordneten der
vier alten Orte Uri, Schwyz, Unterwalden und Zug zusammen. Diese
nämlich waren, auf den Ruf der Luzerner Regierung, bereits am
Aschermittwoch nach Luzern geeilt, zur gleichen Zeit, als die Bauern
in Wolhusen zusammenströmten. Sie kamen als «eidgenössische
Ehrengesandte», das heisst als «Vermittler» zwischen den Bauern und
den Luzerner Herren. Aber immer sassen sie mit den Herren zusammen,
immer führten sie nur deren Instruktionen aus.

So zweifellos auch bei der Zusammenkunft mit Kaspar Steiner.
Noch eben, am Sechsundzwanzigsten hatten sie mit den Luzerner
Herren zusammen beschlossen, den ganzen Apparat der Eidgenossenschaft
aufzubieten, um des Aufruhrs Herr zu werden, nicht nur,
wie bisher, die katholischen Orte und die beiden Stände Zürich
und Bern. Diese hatten übrigens ihre Hülfe unverzüglich zugesagt,
und von Solothurn und Freiburg waren ebenfalls bereits «Ehrengesandte»
als «Vermittler», das heisst als Verstärkung der Herrenposition
der Luzerner Regierung, in Luzern eingetroffen. Alle diese
Herren nun hatten das äusserste Interesse daran, Zeit zu gewinnen.
Denn bis der von ihnen aufgebotene Apparat in nützliche Bewegung
kam, das heisst, bis man die Luzerner Bauern von allen Seiten «eidgenössisch»,
diplomatisch und militärisch, eingekreist haben würde,
konnten viele Wochen vergehen. Also hiess es, die Bauern inzwischen
mit allen Mitteln der Ueberredung, des Schöntuns, des scheinbaren
Entgegenkommens — nur unter eifersüchtiger Vermeidung nicht
wieder gut zu machender Preisgaben des Herrenprinzips, des Gottesgnadentums
der «Souveränität» — hinzuhalten, zu vertrösten, zu «befrieden»,
das heisst sie möglichst zu zersetzen, zu korrumpieren, sie
auf diesem «gütlichen» Wege zur Selbstentwaffnung zu bringen und
sie so am entscheidenden Handeln zu hindern. Das erste Glied in
dieser Kette war die Unterredung zwischen den «Vermittlern» und
dem Jesuitenzögling und «Diplomaten» Kaspar Steiner.


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 082 - arpa Themen Projekte

Zwar auf den ersten Versuch der «Vermittler», mit Kaspar
Steiner zu einer — dem eben beschworenen Bundesbrief schnurstracks
zuwiderlaufenden — Sonderverhandlung für sein Amt, das
Amt Rothenburg, zu kommen, gab er «eine ausweichende Antwort».
Für ihr Prinzip des Zeitgewinnens aber haben sie Kaspar Steiner
ganz offensichtlich gewonnen! Ob er es wusste und wollte oder nicht,
so hat er doch nur das Geschäft der Herren besorgt, als er noch am
selben Tage an den Landespannermeister Hans Emmenegger schrieb,
«man solle ja nicht mit einem Vergleiche mit dem Rate von Luzern
eilen, denn man müsse noch vielerlei hervorsuchen und vorher mündlich
besprechen». Während noch am Tag zuvor in Wolhusen einmütig
beschlossen worden war, «der Rat von Luzern sei anzuhalten,
sofort die Verhandlungen zu eröffnen». Damit hat Kaspar Steiner den
gutgläubigen Hans Emmenegger zum Zögern veranlasst, ihn zudem
in seinem edlen Wahn von der erlösenden Kraft alter Papiere bestärkt
und so seinen Willen von der Tat abgelenkt. Er hat ihn aber
noch dazu in falsche Sicherheit gewiegt, als er seinen Brief in dem
Satze gipfeln liess: «Wir haben allbereits die Katz im Sack, wir wollen
sie ein wenig lassen verzappeln»!

In der Tat haben in den nächsten Tagen die Bauernführer viel
kostbare Zeit damit verloren, «durch urkundliche Beweise ihre alten
Rechte und Freiheiten darzutun». Der Luzerner Rat, den Zeitgewinn
erkennend, der für ihn daraus erschiessen konnte, legte den Bauern
noch ausdrücklich diesen Köder aus, indem er noch am selben Tage, da
die «Vermittler» vor den Toren der Stadt mit Kaspar Steiner verhandelten,
mit diesen zusammen «die alten Urkunden über die Erwerbung der
Vogteien Entlebuch und Willisau verlas» und den Beschluss zu Einzelverhandlungen
mit den Aemtern (auf der Basis dieser Urkunden)
«durch die Standesweibel von Schwyz, Zug und Luzern den noch in
Wolhusen versammelten Führern der Bauern» zustellte. Und gerade
die Rothenburger —Kaspar Steiners Amtsgenossen, wenn auch sicher
nicht die revolutionärsten unter ihnen — waren es, die sogar umständlich
eine eigene Deputation ausschossen und sie zum Burgerrat
von Zug schickten, um «über die ihr Amt betreffenden Rechte, die
in Zug liegen sollen», Auskunft zu begehren. Sie erhielten dort am
1. März den Bescheid: «man wisse nicht so viel von ihren Freiheiten
und Rechten, dass man darüber nachschlagen könne»! Im übrigen
sei «die Behandlung dieser Angelegenheit... den Ehrengesandten
übertragen worden».

Auch an die Entlebucher haben die «Vermittler» der vier alten Orte
sich sofort nach der Heimkehr der Bauernführer von Wolhusen herangemacht,
um sie zu Sonderverhandlungen, das heisst zum Bruch
des eben beschworenen Bundes, zu verführen. Ein Hans Emmenegger
gab jedoch keine bloss «ausweichende Antwort», sondern schrieb
prompt zurück, dass für einen solchen Fall «die Aemter zuerst untereinander


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 083 - arpa Themen Projekte
verhandeln müssten». Dann aber kommt auch in diesem
Brief die eine Scharte zum Vorschein, in die Kaspar Steiner gehauen
hatte: «Vor allem aber», meint Hans Emmenegger, «müsse Luzern
dem Lande Entlebuch die verlangten Urkunden ausliefern». Immer
diese Verhandlungen über die «Urkunden»! Statt sie mit Heeresmacht
in Luzern selber zu holen, solange man dazu noch in der Lage war!

Am kraftvollsten lehnten wiederum die Willisauer den Einbruchsversuch
des Feindes ab. Sie schrieben auf die Zumutung von
Sonderverhandlungen: sie seien zwar bereit, Verhandlungen in Willisau
beizuwohnen — aber nur «sofern der Rat von Luzern alle zehn
Aemter nach Willisau einlade»! Als sie daraufhin die Entlebucher anfragten,
ob diese zu solchen eventuellen Verhandlungen geneigt wären,
bekamen sie die enttäuschende Antwort: «man wolle nicht eilen, sondern
8-10 Tage hinhalten und inzwischen die Stimmung in den ,Ländern'
erforschen». Das war die andere Scharte, in die Kaspar Steiner
gehauen hatte...

Dies alles, und noch manches Aehnliche, geschah bereits in den
ersten drei Tagen nach dem Richtfest des Aufruhrs. Und zwar war
es nicht zufällig, dass alle Versuche der «Vermittler», die einzelnen
Aemter, Gerichte und Gemeinden zu Sonderverhandlungen zu bewegen,
diese auf den anschliessenden Sonntag, den 2. März festzulegen
versuchten. Das war vielmehr ein mit den Luzerner Herren verabredeter
Schachzug in ihrem Sabotageplan am Wolhuserbund, einem
Plan, der mit beinahe bewundernswerter «Schlagartigkeit» einsetzte
und nun zäh und zielbewusst durchgeführt wurde.

Es scheint nämlich, dass der Schulmeister Johann Jakob Müller
sich unter dem Eindruck der energischen Politik der Willisauer in
Wolhusen dazu entschloss, dem «Urkunden»-Wahn den Rücken zu
kehren und zur Tat zu schreiten. Dafür sprechen schon seine sofortige
Rückkehr nach Schüpfheim und seine bereits tags darauf von dort
nach dem Bernerland ausgesandten Missionen, die die Berner Bauern
zu schleunigster Hülfeleistung anfeuern sollten. «Lehrer Müller wollte
an vier bis fünf Punkten rasch angreifen und am 8. März die Belagerung
von Luzern eröffnen. Um das Volk zu diesem Plane zu begeistern,
hatte der Amtsweibel von Münster die Rothenburger nach Ruswil
eingeladen; es sollte eine Prozession nach Germund stattfinden;
Entlebuch, Willisau und Ruswil sollten nach Werthenstein wallfahrten.»
Diese «Prozessionen von einem Amt ins andere» sollten ganz
offensichtlich den aggressiveren Geist der Willisauer, der auf dem
Tag zu Wolhusen unterlegen war, im ganzen Lande ausbreiten und
das Volk zum Sturm auf Luzern reif machen. Und alle diese «Prozessionen»
waren bereits auf den folgenden Sonntag, den 2. März, angesetzt.
Darum die fieberhafte Anstrengung der «Vermittler», ihre
spalterischen Sonderverhandlungen im ganzen Land just auf diesen
Tag anzusetzen.


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 084 - arpa Themen Projekte

Das nämlich war von ihnen in einer «Sitzung der geheimen
Kriegsräte» am 28. Februar, «zu welcher auch die Gesandten von Uri,
Schwyz, Ob- und Nidwalden und Zug beigezogen waren», mit den
Luzerner Herren ausdrücklich abgekartet worden. Waren sie doch auf
dieser Sitzung betreffend die Verhandlungen mit den Bauern ausser.
dem instruiert worden: 1. (dies um Zeit zu gewinnen) «Die Begehren
sollen in eine bessere Form gebracht und moderiert werden, da sonst
die Vermittlung unmöglich wäre»; 2. «Die Waffen sollen niedergelegt»
und 3. «Die Wachen aufgehoben werden». Während gerade auf
diesem Kriegsrat die Rüstung der Stadt aufs Höchstmögliche gebracht
und beschlossen wurde, ausser den bereits aufgebotenen und bereitgestellten
Truppen in Luzern selbst, sowie in den «vermittelnden»
Urkantonen, «im Geheimen» sich nach fremden «Soldtruppen» (!) umzusehen
und etwa «400 bis 600 Mann aus der Grafschaft Baden» (d. h.
aus einem von den «acht alten Orten» gemeinsam bevogteten Untertanenland!)
«oder anderwärts her, ohne Aufsehen zu erwecken, heranzuziehen».
Dies alles in Gegenwart der «unparteiischen» Vermittler!
Doch damit nicht genug: derselbe Luzernische Kriegsrat gab ihnen
noch die ausdrückliche Instruktion mit auf den Weg: «Sollten die
Verhandlungen nicht zum erwünschten Ziele führen, so sollen die
Vermittler bei Tag und Nacht so schnell wie möglich dem Kriegsrate
Bericht erstatten, damit die Stadt ,in omne eventum' (d. h. für jedes
eintretende Ereignis) gerüstet sei»! Damit ist eindeutig klargestellt,
was diese angeblich «neutralen Schiedsrichter» waren: nichts anderes
als politische Werkzeuge der einen, der Herrenpartei, ja militärische
Spione des Kriegsrats der «souveränen» Aristokratie von Luzern!

Damit ist auch klargestellt, in welch verhängnisvolle Illusion die
Bauernführer verstrickt waren, wenn sie sich von ihrer Vorliebe für
die «guten, alten Zeiten» so weit narren liessen, dass sie die alten
«Landsgemeinde-Kantone» noch jetzt für das Urbild der reinen Demokratie
hielten, für das sie blind schwärmten und das ihnen als
Ideal vorschwebte für alles, was sie in ihrer jetzigen Revolution zu
erreichen hoffen durften. Hätten sie nur die Augen aufgerissen, dann
hätten sie sehen müssen, wer da als Vertreter der urschweizerischen
«Demokratie» vor ihnen stand: das waren nicht — oder nur in ganz
nebensächlichen Figuren —wirkliche Volksvertreter, das waren genau
so grossmächtige junkerliche Herren wie die in Luzern! Und sie
waren von ihren Herren, nicht vom Volk geschickt worden. Denn
auch in den Urkantonen waren alle einträglichen Aemter längst in den
mehr oder weniger erblichen Besitz «regierungsfähiger» Aristokratengeschlechter
gelangt; die «Landsgemeinde» aber war dort längst zu
einer Farce, zu einem spanischen Schirm geworden, hinter dessen
schönem Helgeli-Theater die Herren umso unbekümmerter ihre blutbefleckten
Söldnergeschäfte mit den fremden Fürsten besorgen konnten,
als dies auf dem «demokratisch» hingestreckten Buckel eines


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 085 - arpa Themen Projekte
Volkes geschah, das man längst gelehrt hatte, seine dauernde Gekrümmtheit
stolz für «eidgenössische» Geradheit zu halten.

Nur zwei, drei der tätigsten und wichtigsten von den überaus
zahlreich erschienenen «Ehrengesandten » der vier alten Orte seien
hier bereits mit Namen genannt. Da sind vor allem der Urner Landeshauptmann
Oberst Sebastian Bilgerim Zwyer von Evibach und der
Zuger Landammann und Landschreiber Beat Jakob zur Lauben zu
erwähnen. Diese beiden «neutralischen Schidherren» und «Ehrengesandten»
haben sich als «Vermittler» derart um die Sache der Luzerner
Aristokraten verdient gemacht, dass ihnen der Rat zum Dank
dafür noch im selben Jahr mit vollendeter Courtoisie das Bürgerrecht
der Stadt Luzern, mit allen damals damit verbundenen Vorrechten
des Patriziats, für sie und ihre Nachkommen schenkte und ihnen
ausserdem Tausende von Gulden — wie übrigens auch den anderen
«Vermittlern» — als «Ehrengeschenke» nachwarf. Nur einer bekam
nichts, wurde vielmehr als «gefährlicher Demagog» und «Händelstifter»
von allen Herrenchronisten bis auf den heutigen Tag verschrieen:
der Zuger Landammann Peter Trinkler von Menzingen, der
unter dem Druck einer bauernfreundlichen Minderheit des Zuger
Rates der übrigen Herrengesandtschaft dieses Standes noch nachträglich
beigeordnet werden musste und der als einziger den Mut
aufbrachte, sich für die gerechten Forderungen der Bauern einzusetzen
und sie gegen die Hetze der Herren zu verteidigen. Aber wie
sollte Peter Trinkler gegen solche grossmächtigen Herren wie den
Zwyer aufkommen — war doch dieser nicht nur österreichischer
General und Feldmarschall, sondern der in der ganzen Schweiz bekannte
allmächtige «erste Agent des Kaisers», der die habsburgischen
Dublonen mit zu verteilen hatte!

Solche Vertreter der «demokratischen» Urkantone also kamen
nun zu den Bauern aufs Land, um von ihnen zu fordern, sich wehrlos
den Aristokraten von Luzern auszuliefern! Sie, die «Landsgemeinde»-Vertreter,
sollten, nach den Instruktionen der Luzerner Herren, den
Bauern «nachweisen, dass der Wolhuser Bund unstatthaft sei»; «dass
aus den eingesandten Beschwerden diejenigen Punkte ausgeschieden
werden müssen, welche die Hoheitsrechte verletzen» — d. h. gerade
die demokratischen Artikel der Schötzer (Willisauer), der Ruswiler
und der Hochdorfer Landsgemeinden, mit denen sie schüchtern versuchten,
ihre uralten Landsgemeinderechte wiederherzustellen! Und
wenn sich die zehn Aemter nicht fügen wollten, so sollten die «Vermittler»
ihnen mit der unverzüglichen «Intercession (d. h. mit dem
militärischen Eingreifen) der ganzen Eidgenossenschaft» drohen. Auf
diese konnten die Luzerner Herren mit Fug pochen; denn auch die
«Eidgenossenschaft» war längst kein Volks bund mehr, sondern ein
Herrenbund; ihre «Tagsatzung» nichts weiter als der «eidgenössische»
Klub der «regierungsfähigen» Aristokratengeschlechter aller dreizehn


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 086 - arpa Themen Projekte
Kantone. Und deren Zusage für «freundeidgenössische» Hilfe hatten
die Luzerner Herren ja bereits in ihren Händen.

Zwar kriegten die Herren «Ehrengesandten» das Luzerner Volk
auf den Sonntag, den 2. März, in keinem einzigen Landesteil zu einer
abtrünnigen Gemeinde zusammen. Aber der Zweck, den die bäuerliche
Kriegspartei mit den für diesen Tag angesetzten «Prozessionen
von einem Amt ins andere» verfolgte, wurde trotzdem vereitelt. Denn
als schon am Samstag der Misserfolg der «Vermittler» sich deutlich
abzeichnete, da wurde «im Namen der Regierung» (!), «um diese
Prozessionen zu verhindern», der bischöfliche Kommissar vorgeschickt
mit der für das ganze Land verbindlichen «Verordnung»: «Am
2. März soll zu Erhaltung des Friedens das allgemeine Gebet in allen
Kirchen des Kantons abgehalten werden». Damit hatte zum erstenmal
in diesem Kampfe auch die Herren partei in der Kirche sich amtlich
zum 'Worte gemeldet, die nun, im ständigen Auftrag der Regierung,
eifrig ans Werk ging, der Volkspartei in derselben Kirche das
Wasser abzugraben. Um die Aktion des bischöflichen Kommissars zu
unterstützen, findet sich unter den Instruktionen der darin sich
selber so nennenden — «weisen Obrigkeit in Luzern» an die Herren
«Ehrengesandten» auch die: «Den Aemtern sei auch vorzuhalten, dass
sie durch ihr Vorgehen ,der Wallfahrt der katholischen Religion
gleichsam die Gurgel abschneiden'...»

Zu gleicher Zeit wurden die Klöster in der Stadt und auf dem
Lande als Festungen und Munitionsdepots eingerichtet. «Im Archiv
des Franziskanerklosters (zu Luzern) wurden Kugeln und Munition
untergebracht.' Auch nach dem grossen Stiftskloster Münster (Beromünster)
wurde Munition geschafft, dafür aber vom Propst Meyer
am Dritten und Vierten der reiche Stiftsschatz und das Stiftsarchiv
«nach Luzern in Sicherheit gebracht». Die besonders volkstümlich
predigenden Kapuziner — darunter der «echte Eidgenosse», nämlich
aus Freiburg im Breisgau gebürtige, Pater Placidus, Prediger in Luzern
— wurden aufs Volk losgelassen, ins Entlebuch und ins Willisauer
Amt geschickt, «um das Volk zu beruhigen». Und wozu solch
fromme Stätten und Menschen in gefährlichen Zeiten sonst nützlich
sind... Wobei wir nicht verschweigen wollen, dass einer dieser Patres,
namens Antonin, den Mut hatte, zu berichten: er «habe im Entlebuch
die 25 Artikel verlesen gehört; ihm scheinen höchstens zwei derselben
unannehmbar»! Aber auch in den gar nicht zu Luzern gehörenden
«Freien Aemtern» «hatte die Regierung von Luzern in Verbindung
mit den Klöstern Muri und Engelberg Gegenminen gelegt. Dadurch
wurden die Geistlichen mit in die Bewegung hingerissen, besonders
die aus Engelberg stammenden Pfarrgeistlichen von Sins». meldet
unser katholischer Herrenchronist. Sie waren es aber auf der Volksseite
schon vorher, wie wir gesehen haben.
Noch vor dem 2. März setzte der Luzerner Rat «ein Schreiben


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 087 - arpa Themen Projekte
an den Gubernator von Mailand und an Oberst Sebastian Heinrich
Crivelli in Mailand» auf. «Der letztere sollte laut Vertrag mit Spanien
200 Reiter und 300 Mann zu Fuss gegen die zehn Aemter in Mailand
ausheben und nach Luzern führen.» So «patriotisch» waren diese.
Herren, die sonst inländische Söldner mit grossem klingenden Gewinn
ins Ausland exportierten, dass sie jetzt auch beträchtliche Kosten
nicht scheuten, um einmal auch ausländische Söldner — und zwar
schwer bewaffnete und gepanzerte — ins Inland zu importieren, jetzt,
wo es um die Machtstellung ihrer Klasse dem eigenen Volke gegenüber
ging! Und so heilig nahmen sie ihr dem Volk dutzendfach gegebenes
Wort, keine «gefrorenen Welschen» ins Land zu rufen. Hätten
sie dies Vorhaben ausgeführt, das ganze Land wäre wie ein Pulverfass
in die Luft geflogen. Angesichts dieser Volksstimmung aber
fanden selbst die Herren Ehrengesandten', dies sei zu riskiert, und
sie rieten ihren von Furcht verblendeten Luzerner Freunden, auf
diesen gefährlichen Import für den Augenblick zu verzichten.

Dafür schrieben diese nun Hülfsgesuch um Hülfsgesuch: an die
Landvögte der von den acht alten Orten regierten «Freien Aemter»,
an den Landvogt der Grafschaft Baden und an den im Rheintal, an
den Abt von St. Gallen, an die «Landschaft Wallis», an den «Obersten
von Mollendin, Gouverneur von Neuenburg', an den Bischof von
Basel, ja auch an die «drei Bünde» und an die «italienischen Vogteien»,
das heisst an die eidgenössischen Landvögte im Tessin. Alles
dies zwischen dem 2. und dem 6. März. Aber zum Beispiel aus den
«Freien Aemtern», die ja unmittelbar. an die luzernischen Aemter
anschlossen, kam schon am Zweiten, dann noch verstärkt am Vierten,
die Kunde nach Luzern, dass dort bereits Entlebucher und Rothenburger
am Werk seien und das Land aufwiegelten, mit dem Erfolg,
dass die Aemter Hitzkirch und Meyenberg für eine Werbung von
Hilfstruppen für Luzern gar nicht in Betracht kämen. Am Vierten
schrieb der Landvogt Jost am Rhyn auch aus Baden: «Durch geheime
Agenten haben die Bauern bereits das Landvolk aufgewiegelt; eine
offene Werbung' für Luzern müsste auf grossen Widerstand stossen...»
Gar im eigenen Michelsamt die 300 Mann, auf die der Luzerner
Rat immer noch hoffte, auszuheben, war ein Wahn, da der
Propst ja aus Furcht vor seinen eigenen Stiftsleuten bereits selber
evakuierte. Ja, selbst aus dem bisher «treuen» Amt Habsburg, aus
dem die 'Regierung bereits 100 Mann ausgehoben hatte, ging jetzt eine
Deputation an die in Willisau versammelten Ausgeschossenen der zehn
Aemter, um die Aufnahme in den Wolhuser Bund zu verlangen. Wobei
die «Habsburger» allerdings vom Stephan Lötscher wegen ihrer
bisherigen Haltung nicht übel abgeputzt und nicht eher zugelassen
wurden, als «bis sie 400 Gulden an die Kosten bezahlt haben». So
rar konnte sich der Bund nun schon machen!

Um die Wahrheit zu sagen: die Luzerner Herren zitterten vor


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 088 - arpa Themen Projekte
Angst wie Espenlaub! Eine wahre Panik griff in diesen Tagen um
sich. Anfang März evakuierte der Schultheiss Ritter von Fleckenstein
Hals über Kopf seine Güter auf dem Land und brachte u. a. «seine
beste Habe aus dem Schloss Heidegg nach Luzern in Sicherheit».
Für Viele aber war gerade die Frage, ob in Luzern noch Sicherheit
sei? Denn «in der Stadt begann man, Silbergeschirr in die Urkantone
zu flüchten, bis der Rat am 5. März dieses Flüchten verbot». Kein
Wunder aber, dass am Sechsten seine Ratlosigkeit wie die der gesamten
Bürgerschaft auf den Gipfel stieg: an diesem Tag nämlich verbreitete
sich die Kunde von der schmählichen Niederlage, die die zehn
Aemter dem Rat und seinen «Vermittlern» auf dem mit grossem
Aufwand begangenen «Versöhnungs»-Tag in Willisau beigebracht
hatten. Da verliess die stolzen Herren für einen Augenblick alles
Selbstvertrauen; ja, ihr Sündenbewusstsein presste ihnen ein wahrhaft
asketisches Gelöbnis ab: «Rat, Hundert und Bürgerschaft gelobten
eine Wallfahrt nach Einsiedeln, um durch Fürbitte Marias Gnade
und Versöhnung zu erlangen. Aller Luxus (!) wurde verboten; innerhalb
der nächsten 20 Jahre (!) sollte niemand Goldschnüre (!) auf
Kleidern anbringen». Wenn das nicht half...

Am 5. März nämlich hatten die «Vermittler» endlich eine Bauerngemeinde
in Willisau zusammengebracht. Aber es war keine separatistische,
sondern eine Gemeinde der Ausgeschossenen aller zehn
Aemter, wie sie der Wolhuser Bund vorschrieb. Luzern hatte von den
«Vermittlern» den Obersten Sebastian Bilgerim Zwyer als Hauptredner,
Landammann Beat Jakob zur Lauben als «Neutralen Ratsschreiber»
und einen andern Zuger Ammann, Georg Sidler, dahin entboten;
ausserdem aber als neue «Vermittler» die Gesandten Nikolaus
Diesbach von Freiburg und den Ammann Gugger von Solothurn.
Beide wurden auf dem Rathaus zu Willisau vom Luzerner Schultheissen
Dulliker in ihrem neuen Amt feierlich begrüsst. Hier wurden
auch ostentativ alle Hülfszusagen der Stände Bern, Glarus, Schaffhausen
und Appenzell, sowie von Stadt und Abt St. Gallen verlesen.

Die Verhandlungen mit den Deputierten der zehn Aemter hatte
der Kapuzinerpater Placidus aus Freiburg im Breisgau mit einer
Predigt «über den Gehorsam gegen die Obrigkeit» einzuleiten. Dann
hielt Landammann, Oberst, General und (österreichischer) Feldmarschall
Sebastian Bilgerim Zwyer von Evibach in Uri, «ein geborener
Landsgemeinde-Redner», wie der Herrenchronist Cysat (in der Bearbeitung
des damaligen Kaplans von Willisau, Jakob Wagenmann)
lateinisch meldet, «eine zierliche und so rührende Rede an die
Bauern, dass selbst Scythen hätten weich werden können». Aber weder
die Luzerner Bauern, noch die Willisauer Bürger waren Scythen.
«Gemurmel und Geräusch unterbrach den Redner», und plötzlich
ertönte die rauhe Stimme eines Entlebuchers und «ermahnte den
Landammann, endlich einmal aufzuhören und zu schweigen, da noch


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 089 - arpa Themen Projekte
andere Leute da seien, die auch etwas zu sagen hätten!» Der moderne
Herrenchronist Theodor von Liebenau, der dies nach den Originalquellen
erzählt, fügt zwar stolz hinzu: «Trotzdem fuhr Zwyer fort
und brachte seine Rede zu Ende.» Im nächsten Satz aber schon berichtet
er: «Unter dem Jubel des Volkes zogen die Bauern aus der
Kirche, voraus die Deputierten des Entlebuchs mit fliegender Fahne»!
Wer also von den Bauern etwas wollte, der musste ihnen nachlaufen,
und unter diesen Umständen war ja wirklich nicht viel zu erreichen.
Dabei riskierte man nur harte Anreden. So stiessen die Bauern etwa
die Drohung aus: sie würden demnächst eine «Prozession' nach
Sursee unternehmen, um diese ihnen widerspenstige Stadt samt ihren
Kanonen zum Anschluss zu zwingen, und als Gipfel des Hohns luden
sie den grossmächtigen Herrn Feldmarschall Zwyer höflich ein, sie
auf dieser «Prozession» zu begleiten...

Kurzum und leicht verständlich: «Aus den in Willisau gepflogenen
Verhandlungen gewannen die Vermittler wie die Ratsherren
sofort die Ueberzeugung, dass an eine gütliche Vereinbarung nicht
zu denken sei. Schultheiss Fleckenstein schrieb an Abt Dominik in
Muri den 7. März: ,Die Bauern sind hartnäckig und härter als Stein,
sie wollen von ihren Punkten nicht eines Nagels breit weichen oder
etwas abgehen lassen'.» Für diese Niederlage — dafür nämlich, dass
diese steckköpfigen Bauern das Spiel der Herren «Vermittler» durchschauten
und ihnen partout nicht auf den Leim kriechen wollten —
war es kein ausreichender Trost, dass die «Vermittler' noch in Willisau
ein vom Dritten datiertes Schreiben des Rats zu Bern erhielten:
«er habe den Untertanen der Vogtei Trachselwald die Korrespondenz
mit den Entlebuchern und deren Anhängern verboten und werde denjenigen
nachforschen, die... den Willisauern vier Fässchen Pulver
verkauft haben»!

Darüber wussten der Däywiler Bauer und der Fridli Bucher,
etwa auch der Mauriz Kneubühler, besser Bescheid. Ja, sie waren
auch besser als die Berner Herren darüber unterrichtet, wie nah
das Wetter im Bernerland selbst vor dem Ausbruch stand. Denn sie
waren es, die den nun immer dichter werdenden Verkehr zwischen
den Berner Bauern und Willisau ganz ebenso trefflich organisierten
wie die Entlebucher den ihren. Nicht ohne Grund fürchteten die
beiden Freiburger Gesandten schon zu dieser Zeit, «der Aufstand
möchte sich durch die Berner Bauern auch nach ihrem Kantone verpflanzen'
und mahnten deshalb ihre Herren in Freiburg «zu getreuem
Aufsehen und zur Benachrichtigung Berns». Und dies zwar
auf Grund dessen, was sie im Luzernerland selber sahen und hörten.
«Rysträger» durchzogen das Land; was sie aber verkauften, sei nicht
Reis, sondern Pulver — schrieb am Zehnten der andere Freiburger
«Ehrengesandte», der Seckelmeister Beat Jakob von Montenach, an
den Freiburger Rat, und er fügte hinzu: «ringsum höre man nichts


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 090 - arpa Themen Projekte
als Drohungen gegen die Obrigkeit». Dieser Seckelmeister scheint
auch sonst die Augen offen gehabt zu haben. Am Elften schrieb er
an den Schultheissen von Graffenried in Bern: «Il ne pas meins quo
quelque Selg. estant Ballif n'ayent employé le coustau de St. Barthelemy,
q'ast occasionen ceste revolte»; was zu deutsch etwa heisst:
«eine Hauptursache des Aufstandes bilde das Schindermesser des heiligen
Bartholomäus, dessen sich einzelne Herren Landvögte bedient
hätten».

In der Tat ist dies einer der Haupteindrücke, von denen die «Vermittler»
nun Tag für Tag bedrängt wurden. Sie hatten sich nach der
Niederlage von Willisau bescheiden müssen, die uns bekannten Klagen
der Bauern von Amt zu Amt, von Ort zu Ort zu banden der
Luzerner Herren einzusammeln nur weil die Bauern aller zehn
Aemter in Willisau erklärt hatten: «Ausschüsse senden sie absolut
nicht mehr in die Stadt». Die «Vermittler» wurden hierdurch zur Vermittlung
im wörtlichsten Sinne gezwungen und mussten für eine
Weile auf die hochfliegenden Pläne verzichten, die sie unter der Devise
«divide et impera» («trenne um zu herrschen») ins Werk zu
setzen begonnen hatten. Davon war nach Willisau keine Rede mehr.
Trotzdem erwuchsen aus diesen Unterhandlungen zwischen den Bauern
und den «Vermittlern» immer endlosere und immer erbittertere Diskussionen.
Denn gerade durch die vielen Umritte der «Ehrengesandten»,
die sich in Sondergesandtschaften aufteilten und in die verschiedenen
Landesteile ausschwärmten, um deren Klagen zu sammeln,
wurde die ganze Flut der Volksbeschwerden von grundauf neu aufgewühlt.
Diese zogen sich wie Gewitterwolken über ihren Häuptern zusammen,
wanderten mit ihnen durchs Land und sammelten sich immer
drohender über ihren Hauptstandquartieren Werthenstein und
später Ruswil.

Nun hatten die «Vermittler» allerdings von den Luzerner Herren
höchst sonderbare, mehr zum Provozieren als zum Versöhnen geeignete
Instruktionen mit auf den Weg bekommen. Sie hatten ganze Beschwerdebogen
mit numerierten Vorwürfen mit, die sie den Bauern
aus Prestigegründen bei jeder sich bietenden Gelegenheit einschärfen
sollten. An der Spitze stand natürlich die Gotteslästerlichkeit des Wolhuserbundes,
weil dieser ja den Luzerner Herren durch seine blosse
Existenz, ob er wollte oder nicht, gerade das gottgeschenkte Recht auf
Alleinregierung bestritt. «Der Rat von Luzern fand, das Aergste an
den Verhandlungen in Wolhusen bestehe darin, dass man hier Sachen
vorgebracht, über die man sich vorher niemals beim Rate beschwert
habe, dass die Bauern einen Eid zusammen gegen die Obrigkeit geschworen,
diese zur Aushändigung der Urkunden angehalten, dass sie
beschlossen, Wachen auszustellen, dass sie sich vereinbart, kein Amt
dürfe ohne Zustimmung der andern mit Luzern sich vergleichen, dass
sie beschlossen, Rache an Luzern zu nehmen, wenn dem Geringsten


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 091 - arpa Themen Projekte
etwas Leides zugefügt würde und dass schliesslich heuchlerisch beigefügt
worden, dieser Eid solle den Rechten Luzerns keinen Abbruch
tun, da man nicht einen weitläufigen Handel, sondern eine gütliche
Vereinbarung wünsche.»

Im Einzelnen sehen die Klagen der Luzerner Herren — die im
übrigen zuhanden der Vermittler alle uns bekannten «Vergehen» der
Bauern seit dem Januar rekapitulieren — oft höchst possierlich aus.
So beklagt sich ausgerechnet der Luzerner Rat, der kreuz und quer
verschwistert und verschwägert war und in dem wenige Familien mit
allen ihren männlichen Gliedern auf Lebenszeit regierten, folgendermassen
im Klagebogen gegen die Entlebucher: «Es sei oft unmöglich,
ein unparteiisches Gericht in Schüpfheim zu finden, weil die Richter
untereinander verwandt und verschwägert seien»! Und man denke: «An
Feiertagen gehen viele Geschworene und Landsassen auf die Alpen
und besuchen keinen Gottesdienst»! Viel ernsthafter dagegen war der
Vorwurf: «In dem Schreiben an den Rat haben die Entlebucher den
üblichen Stil geändert und sich einer Schreibart bedient, als wären sie
,ein Stand'.» Ja, das war der heimliche Traum der Entlebucher, aber
auch der Willisauer: ein eigener eidgenössischer Ort zu werden...

Als nun die Entlebucher seit dem' Siebenten in Werthenstein von
den «Ehrengesandten» auf Grund solcher Frage- und Klagebogen
«verhört» wurden, da haben sie diesen denn auch echt «eidgenössisch»
Bescheid gegeben. Zunächst mal marschierten sie dort «gravitätisch»
auf wie ein «eigener Stand»: hatte jeder der «Ehrengesandten» seinen
Standesweibel, so hatte jeder Entlebucher Gesandte seinen «Leibschützen»
mitgebracht: der Pannermeister Hans Emmenegger erschien
in hohen Reitstiefeln, und so wohl auch die übrigen, der Landeshauptmann
Glanzmann, der Landessiegler, die Weibel Krummenacher,
Emmenegger (ein Vetter Hansens) und Hofstetter, aber auch
Stephan Lötscher, der grosse Hans Krummenacher, Käspi Unternährer
mit seinen beiden anderen Tellen und sogar der Schulmeister
und Bundesschreiber Johann Jakob Müller. Dieser «führte das grosse
Wort». Und das Erste, was er für alle erklärte, war: «ohne Anwesenheit
der übrigen Aemter lassen sie sich in gar keine Verhandlungen
ein»! Also mussten Ausgeschossene der übrigen Aemter eiligst geholt
werden, oder sie waren schon da; denn Werthenstein wimmelte bald
von Bauern aus anderen Aemtern. Das Zweite, was Schulmeister
Müller im Namen der Entlebucher erklärte, war: «Für sich und die
übrigen Aemter verlangen sie freies Versammlungsrecht»!

Dann erst gingen Klagen und Gegenklagen aufeinander los. Auf
die Klage, die Entlebucher hätten die Mandate des Rates verletzt, die
die Aufnahme von Leuten ins Entlebucher Landrecht von dessen Bewilligung
abhängig machen, antworteten sie: «man habe nach altem
Brauch aufgenommen, wen man gern habe». Auf die Klage, sie überschätzten
ihre Gültenpfänder (auf die die Luzerner Herren Hypotheken


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 092 - arpa Themen Projekte
hatten), erwiderten sie: «was man den Herren schätze, sei immer
zu teuer und den Bauern zu wohlfeil». Auf die Klage «über die Unordnung
bezüglich Mass und Gewicht» erging prompt die Gegenklage:
die unrichtigen Masse und Gewichte seien «von den obrigkeitlichen
,Feckern' gekauft worden». «Der Rat von Luzern klagte über Eingriffe
in die Hochwildjagd, Entlebuch über Beschränkung der niederen
Jagd. Als Luzern sich beschwerte, dass die Geschworenen die
Fehlbaren nicht vorzeigen, rückte Entlebuch mit der Gegenklage heraus,
es werden immer noch eher zu viel Unschuldige als Schuldige
gestraft.» Als schliesslich die missgünstigen Luzerner Herren sich sogar
die Klage nicht verkneifen konnten: «die Sennen leben mit schönen
Bernerinnen den Sommer über auf den Alpen» (!) — da lächerte
es die Bauern nicht wenig, und sie erwiderten mit grimmigem Witz:
«das ist ja gerade des Landvogts grösster Gewinn; denn dieser lässt
keinen straflos»! Und sie fügten hinzu: «Uebrigens vertreiben die Profosen
(d. h. die Polizeibüttel) diese Bernerinnen, so weit möglich.. .
«Die Entlebucher behaupteten auch, sie hätten der Obrigkeit weit
grössere Käse als Zins für den Hochwald übermittelt, als durch Vertrag
festgestellt worden sei; sie wollten künftig diesen Fehler vermeiden»...
Als die Entlebucher schliesslich den Vorwurf hören mussten,
sie hätten zu wenig Reisgeld (Kriegssteuern) eingezogen, da kam
es zurück: nein, nein, das nicht; aber «wir haben nicht, wie andere
Aemter, das Reisgeld nach Luzern abgeliefert; diesen hat man den
achten oder vierten Teil davon genommen, während wir noch die
ganze Summe besitzen».

Begreiflich, dass dieses grausame Spiel der Bauern die eidgenössischen
«Vermittler» sehr nervös machte und «oft in grosse Verlegenheit
brachte». Es musste ihnen von Tag zu Tag klarer werden,
dass hinter diesem Spiel ein unbezähmbarer Kampfwille stak, der
denn auch immer offener hervorbrach und sich gelegentlich sogar in
sehr gewaltsamen Szenen Luft machte. Die Bauern nämlich wurden
immer ungeduldiger, je länger die Herren ihrerseits ihr Spiel trieben,
stets von Luzerner Ratsherren begleitet im Land herumritten, die
Bauern «verhörten» und nach Werthenstein zitierten. Denn nach den
Entlebuchern wurden hier am achten März auch die Leute vom Michelsamt
und die Willisauer verhört, am Neunten die Ruswiler usw.

Ausserdem hatten die Luzerner Patrizier es für rätlich befunden,
sogar die Herren von der stadtluzernischen Bürgeropposition hierherzuschicken,
in der schlauen Spekulation nämlich, diese von ihren
eigenen revolutionären Anwandlungen durch den Anblick des Bauernschrecks
zu heilen, «da die Begehren der Bauern gerade die Bürger
am meisten verletzen mussten»! So waren hier in Werthenstein auch
die Führer im sogenannten Bürgerhandel, Jakob Wegmann, Mazol,
Rüttimann und Ammann Nikolaus Gilli, gewissermassen als befohlene
Zaungäste, aufmarschiert, was die Bauern nur noch wilder machte.


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 093 - arpa Themen Projekte
Denn einige von diesen Bürgern, besonders Gilli, ergriffen sehr rasch
offen für die Patrizier Partei; während allerdings andere, wie z. B.
Rüttimann und Mazol, diese Gelegenheit nutzten, um sich heimlich
mit den Bauern zu verschwören.

Kurzum, Werthenstein wurde für die Herren «Ehrengesandten »
wie für die Luzerner Herren zu einem selbstangerichteten Hornissennest,
in dem sich gerade die stachligsten Elemente der Bauern je
länger je mehr anhäuften. Diese Kriegspartei machte seit dem achten
März reissende Fortschritte. Sie war der Meinung: «Man wolle mit
diesem Herumziehen (der Vermittler) nur die Sache verzögern und
Zeit gewinnen, bis sie, die Landleute, von allen Seiten durch fremde
Kriegstruppen... umzingelt seien und damit umso leichter massakriert
werden könnten». Sie nannten die Gesandten offen ins Gesicht
«Schelme und Verräter» und drohten ihnen, sie zu verhaften und als
Geiseln zu behalten, wenn die Gerüchte sich bestätigen sollten. Die
«Vermittler» hatten also einen höchst persönlichen und dringlichen
Grund dafür, den Luzerner Rat immer wieder um Aufschub des Imports
fremder Söldner zu ersuchen.

In einer solchen Auseinandersetzung zwischen Bauern und «Vermittlern»
ging es einst so heiss zu, dass einmal der grosse Hans Krummenacher,
der «stärkste Eidgenoss», dem grossmächtigen General
und Feldmarschall Zwyer die Pistole auf den Leib setzte und ihm den
«Garaus machen» wollte. «Schade!» rief später, im Kampfgetümmel
der Niederlage, ein Rothenburger dem Hans Krummenacher zu, «hättest
du ihn nur erschossen, dann wär' es uns Bauern nit also übel ergangen
und viel Unglück erspart worden!» Derselbe Hans Krummenacher
war es, der dem Ueberläufer Ammann Gilli von der Stadtbürger-Opposition
für seine herrenfreundliche Rede in Werthenstein «Geifer
in das Maul» strich.

Die ersten, die entschlossen zur Tat schritten, waren wiederum
die Willisauer. Schon während ihre Bauernführer, der Däywiler Bauer
Hans Häller, der Fridli Bucher und der Führer des unteren Amts,
Jakob Sinner, in Werthenstein noch mitten im Verhör der «Vermittler»
standen und dort den übrigen Bauernführern gegenüber klagten:
«man gehe zu gemach vor, die Ihren werden schwerlich mehr zu halten
sein» — schon am achten März nämlich —, mobilisierten die
Willisauer die gesamte waffenfähige Mannschaft von Stadt und Amt.
Sie stellten zwölf kriegsstarke Kompanieen auf und besetzten die
Kommandostellen durch offenes Stimmenmehr einer Landsgemeinde
auf dem Marktplatz von Willisau: als obersten Befehlshaber, mit dem
Titel «Oberst», wählten sie den Bauern Jakob Bircher aus dem
Lutherntal, der die erste Verbindung mit den Entlebuchern geschaffen
und in zäher Arbeit ausgebaut hatte; als «Oberstlieutenant» den
Bauern Balthasar Schauer aus Gunterswil; und erst den drittobersten
Posten, den eines «Oberstwachtmeisters» oder «Kapitänlieutenants»,


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 094 - arpa Themen Projekte
gaben sie einem Willisauer Stadtbürger namens Hans Georg Barth.
Aber auch die in Werthenstein abwesenden Bauernführer Hans Häller,
Jakob Sinner und Fridli Bucher wählten sie zu Hauptleuten von
Kompanieen; ebenso die Bürgerführer Heinrich Peyer, Kronenwirt,
und Jakob Stürmli, Metzgermeister. Ausserdem den sehr heissblütigen
Hans Diener von Ebikon, dessen Vater noch als Savoyarde eingewandert
und in der Stadt Willisau als Hintersässe angenommen worden
war und dessen Familienname Valet übersetzt den Namen Diener
ergab; und andere mehr.

Die Nachricht von der Rüstung der Willisauer setzte schon am
Neunten die Mehrheit der Bauern vieler Aemter, die in Werthenstein
angehäuft waren, in einen wahren Kriegstaumel — die «Vermittler»
begreiflicherweise in Schrecken. Die meisten Bauern wollten sofort
ebenfalls «den Harnisch anziehen», wenn es auch noch genug andere
gab, die «noch den Ausgang der Verhandlungen abwarten» wollten.
Am gleichen Tag kam auch die Nachricht, die Rothenburger hätten
vor der Kirche ihres Amtshauptortes eine starke Gemeinde abgehalten,
auf der eröffnet worden sei: «die Entlebucher wollen am Mittwoch
Sursee überrumpeln und alles niedermachen, wenn man ihnen
nicht freiwillig die Kanonen überliefere. Bereits haben die Entlebucher
eichene (!) Kanonen mit Zwingen gemacht, mit denen man gewaltig
schiessen könne...» Und abermals am selben Tag verbreitete
sich von Luzern her die Kunde elektrisierend übers Land: dort seien
Nachrichten eingetroffen, «dass auch die Berner Bauern revoltieren,
dass der Landvogt von Lenzburg die Audienzen abgestellt habe, dass
der Aufstand in den eidgenössischen Vogteien bevorstehe und dass
die Willisauer Sursee bedrohen und erklären, wenn nicht in zwei
Tagen alles in Ordnung sei, so greifen sie die Stadt an fünf Orten
an...» Und im untern Amt hatten die Willisauer «bereits den Pfaffnauern
befohlen, Wachen auszustellen und Späher aufzufangen», wie
sie dem Abt Edmund vom mächtigen Stift St. Urban auf Bernerboden
schrieben, zu dem die Paffnauer auf Luzernerboden stiftsgenössig
waren; und sie schrieben dies dem Abt deshalb, weil sie «mit höchstem
Bedauern vernommen» hätten, «dass er die Berner (d. h. die
Berner Regierung) ersucht habe, eine Salva Guardia ins Kloster zu
legen».

Die Erregung in den Massen steigerte sich durch all dies am
zehnten März derart, dass unter den «Aufwieglern» in Werthenstein
selbst der Pfarrgeistliche von Gaiss «sich hervortat, der sich als Führer
und Feldprediger anerbot und die Regierung verspottete». Dies
war am Tag der Verhörung der Leute vom Ruswiler Amt. Diese liessen
es nicht mehr beim Verhör bewenden. An Ort und Stelle, «vor
den Fenstern der eidgenössischen Gesandten», hielten sie abends um
sechs Uhr eine Landsgemeinde ab. «Sie beschlossen, am Morgen eine
Waffenschau abzuhalten und übermorgen auszuziehen. Dieser Beschluss


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 095 - arpa Themen Projekte
sollte am Morgen durch Kirchenruf verkündet werden.»
Zu diesem Beschluss waren sie auch durch die anwesenden Entlebucher
angefeuert worden. Der Käspi Unternährer, in dessen Haus
am Thomas-Abend die erste Verschwörung zustandegekommen war,
hielt bei dieser Gelegenheit eine Rede auf offenem Platz, in der er —
wie der Herrenchronist Cysat meldet — die Ruswiler ermahnte, «sich
bestermassen zu bewaffnen und wegfertig zu halten; sie sollen auf
den gemeinen Mann, nicht auf die Geschworenen sehen». Das zeigt,
dass die kriegerische Wendung aus der Stimmung der Massen geboren
war und sich gegen das Schwanken mancher der beamteten Führer
durchzusetzen hatte. Anfeuernd waren hier auch die Entlebucher
Hinteruli, der lange Zemp, Peterli Root und der Minder, lauter nicht
beamtete Führer.

Kein Wunder, dass bei dieser Sachlage eine neue Angst- und Panikwelle
die ganze Stadt Luzern durchschauerte und dass am zehnten
März Schultheiss, Hat und Hundert abermals zu Gott und allen Heiligen
schworen, «Leib und Gut zur Wahrung der Rechte der Stadt zu
wagen» — zu demselben Gott und zu demselben Heiligen, deren Fluch
die Bauern zu gleicher Zeit auf die Herren herabbeschworen. Nach
allen Seiten schaute sich der Rat fieberhaft nach der versprochenen
Hülfe der Urkantone, der Landvögte der Untertanenländer, der ennetbirgischen
Vogteien und besonders nach derjenigen der Bischöfe von
Basel und St. Gallen um. Aber deren Zuzug lag noch im weiten Feld.
Und die Urkantone, obwohl sie bereits heimlich einige Truppen in die
Nähe der Stadt gesandt hatten, durften ja, solange ihre «Ehrengesandten»
am Werk der «Vermittlung» waren, noch gar nicht offiziell
Truppen ausheben. Ja, bereits verlangten die Schwyzer, die Zuger und
die Nidwaldner Bauern energisch die Zusicherung, dass sie nicht gegen
ihre «Brüder», die Luzerner Bauern, ausgehoben werden dürften.
Unter dem Druck dieser Volksstimmung beschloss am Elften eine
Nidwaldner Landsgemeinde in Stans sogar ausdrücklich, «die Frage
der Hilfeleistung einzustellen, bis man wisse, wer recht oder unrecht
habe». Das sah alles für die Luzerner Herren verzweifelt aus. Dies
umsomehr, als die Ereignisse sich zu überstürzen drohten, bevor die
allgemeine eidgenössische Herrenhilfe überhaupt beschlossen werden
konnte; denn die Tagsatzung war durch den Vorort Zürich mit Einladung
vom zweiten März, die noch dazu erst am zwölften verschickt
wurde, erst auf den achzehnten einberufen — und schon bis dahin,
geschweige bis die Hülfe selbst eintraf, konnte alles bereits verloren
sein. Es war ein Wettlauf, der verzweifelt einem Sprung in den Abgrund
ähnlich zu sehen begann.

Diesen Wettlauf begriff aber auch der Jägerinstinkt der Bauern;
und zwar in diesem Stadium vielleicht so gut, wie schon wenige Tage
danach nicht mehr und später nie wieder! Gerade an diesem Tage,


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 096 - arpa Themen Projekte

Niklaus Leuenberger

Führer der Emmentaler Bauern
"Obmann' des Sumiswalder- und Huttwiler-Bundes.

Einziges authentisches Bild seines Aussehens vor der Gefangennahme,
so wie er den Bauern bekannt war.

Dieses Bild wurde daher mitsamt den Druckbogen des Werkes,
in dem es erscheinen sollte (des Herrenchronisten und Zürcher
Pfarrers Johann Conrad Wirz "Ohnpartheiische substanzliche
Beschreibung der Eydtgenössischen Unruhen im Jahr Christi
1653", die noch während der Unruhen geschrieben worden war),
auf Betreiben der Berner Regierung noch während des Druckes
im Jahr 1653 durch die Zürcher Regierung eingezogen und vernichtet.
Nur wenige Exemplars entgingen dieser Vernichtung.
Unsere Abbildung ist die getreue Wiedergabe des einzigen heute
in Bern noch aufzutreibenden Exemplars des Originalstichs, eines
Exemplars, das offensichtlich in Eile und sorglos (ohne den
Plattenrand) aus dem Wirz'schen Buch (das in Bern nicht aufzutreiben
ist) herausgeschnitten wurde. Originalstich in der
Berner Stadtbibliothek.



Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 096 - arpa Themen Projekte
Abbildung 6


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 097 - arpa Themen Projekte

am Elften, traten sie nun geschlossen und grundsätzlich mit der hochpolitischen
Forderung hervor: «Der Rat von Luzern dürfe keine Gesetze
erlassen, bevor er dieselben den einzelnen Aemtern zur Prüfung
vorgelegt habe»! Damit hatten sie die drei politisch vorgerücktesten
Artikel der Aemter Willisau, Ruswil und Hochdorf aus Einzelforderungen
ausdrücklich zum gemeinsamen Postulat aller zehn Aemter
erhoben. Aber nicht genug damit. Gleichzeitig verlangten sie, und dies
zum erstenmal: «dass ihnen der Bezug des Ohmgeldes überlassen
werde». Das bedeutet grundsätzlich, wenn auch vorerst nur inbezug
auf eine Steuer, nichts weniger als den Anspruch auf die Steuerhoheit!
Und um das Mass voll zu machen: am Tag darauf, am Zwölften, erhoben
die Entlebucher — wie ein «eigener Stand», der mit Luzern
auf Gleich und Gleich verhandelt und seinen Gegner bereits für verurteilt
hält — die Forderung auf «Schadenersatz und Vergütung der
Kosten»; das heisst: Schadenersatz für die von Luzerns ganzem volkswidrigem
Aristokratenwahn als Notwehr erzwungenen Umtriebe und
Erstattung der dieserhalb gehabten Kriegskosten.

Diese drei gemeinsamen Forderungen der Luzerner Bauern waren
stolz und kühn wie vielleicht nichts im ganzen Bauernkrieg! Denn,
wie der grosse konservative Geschichtsschreiber Leopold Ranke in
seiner Geschichte der römischen Päpste sagt: «Es hat keine Zeit gegeben,
welche der Aristokratie günstiger gewesen wäre als die Mitte
des siebzehnten Jahrhunderts». Ihr die Vorrechte, die sie sich angemasst,
wieder abfordern, hiess also die vernichtende Uebermacht
eines ganzen Zeitalters herausfordern. Und wenn sich die Entlebucher
dabei der geschichtlichen Tragweite ihres Anspruchs auch kaum voll
bewusst waren, so ist doch an der tiefen Grundsätzlichkeit ihres Begehrens
gar kein Zweifel möglich. Denn sie haben den ihnen heiligen
Grundsatz der Rechtsgleichheit in eben diesem Schreiben, mit dem sie
den «Ehrengesandten» ihren Anspruch auf Schadenersatz und Vergütung
der Kosten am zwölften März anmeldeten, ausdrücklich als Begründung
ihrer Begehren ausgesprochen. Man müsse ihre Begehren, sagen
sie darin, «nach göttlichem und natürlichem Gesetz im Grund betrachten,
welches in aller Welt das rechte Landrecht ist». Das ist
nicht nur eine der Art dieser katholischen Bauern gemässe religiöse,
sondern eine direkt naturrechtliche Begründung, wie sie erst eigentlich
ins revolutionäre achtzehnte Jahrhundert, und auch dort noch in
eine weit höhere Bildungsschicht gehört...

Dieses hohe Rechtsbewusstsein kommt nicht zuletzt in der vollendeten
Höflichkeit zum Ausdruck, mit der in diesem Schreiben «der
Landespannerherr, Landeshauptmann, Landesfähnrich, die vierzig
Geschworenen und die ganze Gemeinde Entlebuch» die «Vermittler»,
die sie ja gar nicht herbeschieden, die ihnen vielmehr der Luzerner Rat
auf den Hals geschickt hatte, aus eigener Machtvollkommenheit verabschieden,


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 098 - arpa Themen Projekte
in dem Sinn: wir brauchen euch nicht mehr, wir wissen
besser, was Recht ist! Diese «eidgenössischen Ehrengesandten» hatten
nämlich soeben die genannten Begehren der Bauern als «ungebührlich»,
weil mit den Herrschaftsinteressen der Luzerner Herren (und
mit ihren eigenen) unvereinbar, mit Empörung zurückgewiesen. «Diese
Begehren fanden alle Vermittler insolent », schreibt unser moderner
katholischer Herrenchronist, und er kann sich dabei auf den Brief
eines der «Vermittler» selber, des Freiburger Gesandten Beat Jakob
von Montenach an den Schultheissen von Graffenried in Bern vom
11. März berufen. Und gerade in dem Augenblick, als andererseits die
Empörung der Bauern darüber den Siedepunkt erreicht hatte, wo sie
in Krieg ausbrechen musste, «verdankten» die Entlebucher «zwar den
eidgenössischen Schiedsrichtern ihre Bemühungen»; sie gaben aber
zugleich ihrer Ueberzeugung Ausdruck, dass sie «durch den eidgenössischen
Bund», durch «die jeder Zeit wolerhaltene liebreiche Nachbarschaft,
Treue und Redlichkeit» über den Vorwurf erhaben seien, «irgend
etwas Ungebührliches begehrt zu haben». Mit solch ruhig überlegener
Geste entlässt ein wirklicher «eigener Stand» fremde Gesandte,
die er nicht mehr brauchen kann...

Am elften März gaben die Entlebucher noch ein weiteres Zeugnis
ihres gereiften politischen Bewusstseins: in dem Augenblick, wo alle
zehn Aemter sich zum Heereszug gegen Luzern anschickten, versuchten
sie ihre Verbindung mit der stadt bürgerlichen Opposition gegen
die Patrizierherrschaft, trotz aller Skepsis gegen die Bürger, zur
Kampfgenossenschaft auszubauen. Das war zweifellos soeben in der
geheimen Verschwörung mit den revolutionären Führern des «Bürgerhandels»,
Rüttimann und Marzell, in Werthenstein verabredet worden,
wozu der Luzerner Rat selber, durch die Zitierung dieser Bürger an
die Bauernverhandlungen in Werthenstein, in so schlauer Weise beigetragen
hatte. Jetzt also richteten die Entlebucher ein «Schreiben an die
Bürgerschaft von Luzern», worin sie ausführten, «dass ihr Unternehmen
nicht gegen die Bürger, sondern gegen die Herren gerichtet sei,
die durch ihre Tyrannei Stadt und Land bedrohten». Die klugen Bauern
aber — und erst recht Rüttimann und Marzell — wussten sehr
wohl, dass nicht reiner Idealismus die Bürger an ihre Seite bringen
würde, sondern allein ihr nacktes eigenes Interesse. Darum fügten sie
hinzu: «Wenn die Bürger sich nicht den Bauern anschliessen, so werde
man in Wolhusen einen Markt für das Entlebuch errichten und in
der Nähe der Stadt Luzern einen solchen für Uri, Schwyz und Unterwalden.»
Da die Bauern schon seit längerer Zeit den Marktgang zwischen
Land und Stadt bald lockerer, bald schärfer unterbunden hatten,
so wussten die Bürger Bescheid, dass es für sie den geschäftlichen
Ruin bedeuten würde, wenn es den Bauern gelänge, den Marktverkehr
für dauernd von der Stadt fortzulenken.


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 099 - arpa Themen Projekte

Wie klug diese Politik der Bauern war, geht schon daraus hervor,
dass auch der zeitgenössische Herrenchronist Cysat(-Wagenmann) in
seiner lateinischen Beschreibung des Bauernkriegs gerade von diesem
Moment des Kampfes folgendes berichtet: «Auch in der Stadt war
nicht alles gesund, da einige faule Glieder (sic!) dem Haupte grosse
Beschwerde machten, und, wär' es zum Treffen gekommen, so hätte
vielleicht von den innern Feinden mehr Gefahr gedroht, als von den
äussern (sic! nämlich von den Bauern!); denn der schon vor dem
Bauernaufruhr entstandene Bürgertumult glomm, übel gedämpft,
noch immer unter der Asche, um bei der Abneigung einiger Bürger
gegen die Regierung, beim ersten Anlasse zur hellen Flamme
auszubrechen.» Aber man ersieht auch daraus klar, woran es bei den
Bauern fehlte: am militärisch-strategischen Verständnis im Gebrauch
ihrer Massenkräfte...

Dafür aber hatten inzwischen die Luzerner Bauern in der Diplomatie
der Verschwörertechnik allerhand hinzugelernt. Jetzt überliessen
sie auch die Beziehungen zum «Ausland», das heisst zu den
Bauern jenseits der Kantonsgrenze, nicht mehr dem Zufall der vielen,
aber meist auf eigene Faust handelnden Einzelgänger, die jenseits
der Grenzen privat zu tun hatten. Schon während den Unterhandlungen
in Werthenstein hatten sie dafür gesorgt, dass vertraute Ausgeschossene
der Bauern aus den Kantonen Luzern, Bern, Solothurn und
Basel — zum erstenmal aus allen vier zusammen — zu einer geheimen
Besprechung ihrer gemeinsamen Beschwerden und zum Versuch der
Aufstellung eines gemeinsamen Aktionsplans zusammentraten. Dies
war, nach der damaligen Herrenauffassung des Verhältnisses zwischen
Obrigkeit und Untertanen, der reine «Hochverrat», der noch weit über
den des Wolhuser Bundes hinausging und schon an sich die Todesstrafe
verwirkte. Das wussten die Bauern aller vier Kantone —und dennoch
kamen sie zu einer solchen «illegalen» Beratung gerade an diesem
ereignisreichen elften März, und zwar in Olten, zusammen. Das war
der erste Keim zu dem späteren grossen Bauernbunde, der die Landleute
von Luzern, Bern, Solothurn und Basel verband! Und zugleich
gewannen sie in der Folge eine weitere —nächst Willisau die zweite —
Stadt, nämlich Olten selbst, für die Sache der Bauern!

Im «Inland» aber kam es zunächst noch zu allerhand verzögernden
Vorspielen, bevor es zu einem Bruch kam, welcher Krieg bedeutete
und doch kein rechter war. Eines dieser Verspiele enthüllt so recht
eine spezifische Schwäche der Bauern, bei der die Herren sie immer
und immer wieder zu nehmen verstanden. Es ist ein Bockspiel des Urkundenwahns,
das sich noch am zwölften März abspielte und das einmal
mehr lediglich dazu geeignet war, die Kraft der Bauern von ihrem
wahren Ziele abzulenken. Gewiss hatten sowohl die Willisauer wie
die Entlebucher recht, wenn sie die Auslieferung bezw. die Rückerstattung


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 100 - arpa Themen Projekte
der ihnen vor Zeiten abgenommenen bezw. entwendeten Freiheitsbriefe
verlangten. Aber für Viele, für allzu Viele, und besonders
für einige Führer unter ihnen, so vor allem immer noch für Hans
Emmenegger, steckte in diesem hartnäckigen Verlangen die zähe Hoffnung:
durch eine noch auf dem Verhandlungswege erreichte Auslieferung
der Originalurkunden zugleich den Frieden und die Freiheit zu
retten! Hier hat sie der politische Instinkt völlig verlassen; denn bei
den «Briefen und Siegeln» ging es um das «Venerabile» ihrer zutiefst
in unwiederbringlichen Zeiten wurzelnden politischen Gefühlswelt,
gegen die der politische Verstand nicht aufkam. Es war ungefähr das,
was viele, allzu viele heutige Bürger in unrettbarer Verfallenheit an
«liberale» Illusionen längst vergangener Zeiten bindet...

Die Luzerner Herren hatten die Entlebucher, genau so wie die
Willisauer, durch stete Hinauszögerung der Urkundenfrage und dann
durch die Zusage blosser «beglaubigter Abschriften» der betreffenden
Dokumente im Luzerner Archiv hinzuhalten versucht — was ihnen bis
dahin ja auch trefflich gelang. Nun aber, an demselben zwölften März,
an dem alles bereits in den Harnisch drängte, gab sich das gesteigerte
Selbstbewusstsein der Entlebucher auch darin kund, dass sie unter
Pochen und Drohen die blossen «beglaubigten Abschriften» ablehnten
und «auf der Vorlegung der Originalurkunden und der Restitution der
ihnen und dem Amte Willisau abgenommenen Urkunden beharrten».

Ausgerechnet an diesem kritischen zwölften März nun «entschlossen
sich Schultheiss und Rat von Luzern mit Zuzug von 31 Bürgern» —
dies letztere natürlich, um den Bauern die Aussichtslosigkeit ihres
Bündnisversuchs mit den Bürgern vom Tag vorher zu demonstrieren
— «zur Vermeidung des Aeussersten (!) den Pfandbrief des Entlebuchs
in Original» nicht etwa den Entlebuchern endlich auszuliefern, sondern
«dem Kapuziner Pater Dominicus in Sursee zu übergeben, der
denselben nach Werthenstein überbringen und dem dortigen Mutter-Gottesbilde
in die Arme legen sollte»! Die Luzerner Herren wussten
eben genau, dass dies der Köder war, auf den die Bauern auch in diesem
kritischen Augenblick anbeissen würden und mit dem man sie
wieder hin und her ziehen und gar am Ende wichtige Teile ihrer Führerschaft
von den hitzigeren Massen trennen könnte. Darum sollte
diese theatralische Szene so langwierig und feierlich wie nur möglich
aufgezogen, der Köder den Bauern nur vor die Nase gehängt, ja nicht
sofort in den Rachen geworfen werden. «Nach Erstellung einer beglaubigten
Abschrift» sollte der kostbare Pfandbrief, in Anwesenheit
der Bauern und natürlich unter strenger Bewachung, «neben dem Venerabile
auf den Altar gelegt, gezeigt und vorgelesen, hernach aber
wieder in Sicherheit gebracht werden»! «Lieber hätten sie (d. h. die
Räte und Hundert) an einem unparteiischen Orte, wenn möglich in
Bremgarten, diese Urkunde aufgelegt» — will sagen: noch weiter entfernt


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 101 - arpa Themen Projekte
und jenseits der Luzerner Grenze, wo die Entlebucher kein Landrecht
genossen und natürlich ohne Waffen, als simple Pilger, hätten
aufziehen müssen —noch dazu in einer Gegend, die diese gefährlichen
Gesellen in entgegengesetzter Richtung von Luzern weit abzog..

Eine ähnliche Diversion in kleinerem Masstabe war die Ueberführung
des «grossen roten Urbarbuches» des Michelsamtes aus dem Stift
Beromünster ebenfalls zur Wallfahrts-Madonna von Werthenstein. Sie
wurde vom Junkerpropst Wilhelm Meyer persönlich, «mit dem Bauherrn
des Stifts» zusammen, ebenfalls am Zwölften ausgeführt, begleitet
von einer Eskorte bewaffneter Bauern unter Anführung des
Bauernführers des Michelsamtes Hans Amrein von Holdern, welche
dadurch aus ihrem Amte in ein anderes entfernt wurden. Ausserdem
förderte Propst Meyer die Ablenkung der Bauernkräfte dadurch, dass
er just auf diesen selben Tag die einst für den zweiten März geplante
«Prozession» der Bauern nach Germund endlich gestattete, «welche
dem Anschluss an den Bauernbund die religiöse Weihe verleihen sollte»;
dies jedoch nur unter der Bedingung, «dass nicht alle Gemeinden
am gleichen Tage dort erscheinen sollten». Jetzt nämlich bedeutete
eine solche «Prozession» nicht mehr wie noch am zweiten März,
Weckung und Sammlung, sondern im Gegenteil Zersplitterung der inzwischen
geweckten und gesammelten Kräfte der Bauern. Als der
Propst Meyer in Werthenstein vor den «Schiedsrichtern» erschien, um
vor ihnen mit seinen Amtsleuten auf Grund des Urbars zu verhandeln,
erklärten sich die «Vermittler» prompt für unzuständig, indem sie
fingierten, dass sie nur zwischen der Luzerner Regierung und ihren
Untertanen zu «schlichten» hätten, das Michelsamt aber (ein luzernisches
Amt!) in Propst Meyer seinen eigenen Herrn habe. Und als darauf
der Propst sich weigerte, auf die Begehren der Bauern, besonders
der hitzigen Neudorfer, einzutreten, «wäre er von den mit Harnisch,
Gewehr und Munition aufrückenden Entlebuchern (!) bald gefangen
worden». Das war aber auch Alles.

Und doch nicht Alles! Denn am selben Tag, am zwölften März,
erliess der Pannermeister Hans Emmenegger mit den Geschworenen
vom Entlebuch die dringende Mahnung «an die Willisauer und an die
anderen verbündeten Aemter»: «mit halber (!) Macht auszuziehen und
am Fünfzehnten auf dem Emmenfelde sich einzufinden, wo die Heerschau
(!) stattfinden soll». Das aber ist vielleicht der Beginn der Niederlage
gewesen! Denn jetzt galt es, mit ganzer Macht auszuziehen,
und zwar nicht zu einer «Heerschau» am Fünfzehnten vor den Toren
der Stadt, sondern zu einer unverzüglichen Einschliessung Luzerns,
seiner Abschliessung von jedem Truppenzuzug, zwecks sofortiger Erzwingung
eines rechtsgültigen Friedens, wie ihn die Bauern wollten.

So aber wurde dieses halbe Aufgebot der Entlebucher an die zehn
Aemter für die Herren in Luzern nur das Signal zur unverzüglichen


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 102 - arpa Themen Projekte
Sammlung aller ihrer Kräfte. Zwar die militärischen Kräfte, über die
sie sofort verfügen konnten, hätten noch auf lange hinaus nicht entfernt
hingereicht, um die Bauernlawine aufzuhalten, wenn diese sich
unverzüglich in ihrer vollen Gewalt gegen Luzern in Bewegung gesetzt
hätte. Nur die Schwyzer Hülfstruppen konnten die Luzerner Herren
noch am Zwölften in ihre Mauern hereinnehmen und mit ihnen «den
Turm bei Franziskanern» besetzen; aber das werden kaum mehr als
200 Mann gewesen sein. Vom Bischof von Basel lag am selben Tag
nur die Nachricht vor, dass 500 Mann zu Fuss und 100 Reiter in seinem
Gebiet «marschbereit» ständen. Also galt es für die Luzerner
Herren, alle Kräfte auf die Anstiftung neuer «Diversionen» zu werfen;
das heisst, auf noch wirksamere Mittel als die Urkundenprozessionen
zu sinnen, um die Kräfte der Bauern hinzuhalten, zu hemmen und in
sich selber zu spalten. Dazu mussten die Herren das Heft wieder ganz
in die eigene Hand und den «Vermittlern» aus den Händen nehmen.
Noch am Zwölften konstatierten daher Schultheiss, Rat und Hundert
von Luzern, «dass die Vermittlungsversuche der sechs katholischen
Orte und der Kapuziner erfolglos geblieben seien».

Damit war zwar der «eidgenössische Auftrag» der Vermittler nicht
aufgehoben, und die Herren haben sich seiner auch weiter bedient.
Aber auf Grund dieses Beschlusses übernahmen die Luzerner Herren
nun offen die Führung, die sie bisher dem Scheine nach den «Vermittlern»
überlassen hatten; ja, sie rissen deren Befehlsgewalt über die
eigenen Truppen derselben an sich. Am Dreizehnten teilten sie ihnen
als fart accompli nach Werthenstein mit: «da die Bauern ihren ,bösen
Capricio noch mit Gewalt und Zwang' alles gegen das Recht zu erpressen
suchen und zu diesem Zwecke ihre Truppen schon aufgemahnt
haben, so sehe er (der Luzerner Rat) sich gezwungen, die
Posten in und um die Stadt zu besetzen und zu diesem Zwecke vorläufig
etwa 200 Mann in die Stadt aufzunehmen» (das werden die
Schwyzer gewesen sein, die bereits seit dem Abend vorher in der Stadt
waren) «und die übrigen Truppen der vier Orte vorläufig ausserhalb
der Stadt zu postieren», allerdings «unter Vorbehalt der Genehmigung
von Seite der Gesandten in Werthenstein». Doch schon am selben Tag
abends 6 Uhr meldete der Rat diesen weiter: «er habe sich gezwungen
gesehen, die Waldstätte zu ersuchen, je 100 Mann in die Stadt zu senden,
weil die Rothenburger am hellen Tag mit über 100 Mann die Emmenbrücke
besetzt, einen Wachtposten von 15 Mann an der Reuss und
einen bei dem ,Frieren Brunnen' gegen Littau hin ausgestellt haben».

Doch dies waren nur örtliche Defensivmassnahmen, von denen
der Luzerner Rat selber am besten wusste, dass sie zu weiter nichts
hinreichten. Worauf es in dieser Lage ankam, das waren politische
Diversionen. «Um die Ergreifung der Waffen von Seite der Bauern zu
verhindern», so teilte der Rat den «Ehrengesandten» schon im ersten


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 103 - arpa Themen Projekte
Schreiben dieses Tages mit, «habe man die Gesandten Landsmann Imfeld
(von Obwalden), Ammann Sidler (von Zug) und von Montenach
(von Freiburg) nach Rothenburg abgeordnet zu einer heimlichen Gemeindeversammlung,
um so eine Diversion vorzubereiten». Das Amt
Rothenburg liegt Luzern direkt nördlich vor den Toren. Der weitaus
einflussreichste Mann in diesem Amte aber war der den «Ehrengesandten»,
wie wir wissen, schon sehr wohl bekannte Kaspar Steiner
von Emmen. Wohl um auch die leiseste Kritik seitens der «Ehrengesandten»,
die sich etwa gegen diese Art der Verwendung «unparteiischer
Schidsherren» hätte erheben können, zum vornherein auszuschalten,
fügte der Luzerner Rat unverfroren — aber sicherlich nicht
unbegründet — hinzu: «Zu eben diesem Zwecke (!) sei auch von Zürich
die Tagsatzung (!) nach Baden einberufen worden»!

Doch dieser Rückenstärkung bedurften die «Ehrengesandten»
wohl kaum. Schon am Tag zuvor hatte einer der ihren, Herr von Montenach,
an seine Regierung, den Rat von Freiburg, geschrieben: er ersuche
diesen «um Veranstaltung einer Konferenz zwischen den Ständen
Bern, Freiburg und Solothurn, die darauf Bedacht nehmen sollte,
die Bauern zu einer Diversion zu bestimmen». Um seinen und den Berner
Herren damit Eile zu machen, gab er in diesem Briefe eine Reihe
von Huronengerüchten wieder. «Es handle sich um Plünderung des
Klosters St. Urban (unweit Roggwil bei Langenthal), des Schlosses
Altishofen (eines Herrensitzes im Amte Willisau) und anderer Herrschaftssitze,
um für die Belagerung Luzerns die Lebensmittel aufzutreiben.»
Im ganzen Bauernkrieg ist jedoch nie ein Kloster und auch
nie ein Herrensitz geplündert worden. Wahr ist einzig, dass an demselben
Tag, als dieser Brief geschrieben wurde, zugleich mit dem «halben»
Aufgebot seitens der Entlebucher der Befehl an die Stifte und
Klöster gegeben worden war, «für Verpflegung der Truppen Korn zu
liefern», das diese nämlich in grossem Umfang gehortet hatten. Ferner
teilte Herr von Montenach seinem Rate das alarmierende Gerücht mit,
die Luzerner Bauern rechneten «auf ein Hülfsheer von 6-7000 Mann
aus dem Kanton Bern». Leider — für die Bauern war es zu diesem
Zeitpunkt im Bernerland noch lange nicht so weit: eben erst liefen die
Emmentaler zu ihrer allerersten Landsgemeinde nach Langnau, die
am Tag darauf, am Dreizehnten, begann. Und schliesslich bedauerte
der Seckelmeister von Freiburg in seinem Brief an die heimischen Herren
gar sehr, «dass der Rat von Luzern zu allen Konzessionen bereit
sei, dass er, selbst zum Nachteil für andere Kantone, auf wichtige Hoheitsrechte
verzichten. . . wolle». Das nämlich war die grosse Sorge der
Herren in der ganzen Schweiz: dass die Luzerner Aristokratie sich von
den Bauern, unter dem Druck der sich überstürzenden Ereignisse, ein
allzu grosses Loch in ihre Privilegien schiessen lassen könnte. Denn
das hätte unabsehbare und vielleicht nie wiedergutzumachende Folgen


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 104 - arpa Themen Projekte
für die Alleinherrschaft aller Herren in der ganzen Schweiz haben
können...

Diese Sorge war es denn auch, die die Luzerner Herren jetzt zum
bedeutendsten politischen Diversions-Versuch antrieb. Es galt nämlich
jetzt am Zwölften und Dreizehnten, unmittelbar nach dem Bauernaufgebot,
das die «Heerschau» der Bauern zum Fünfzehnten auf das
Emmenfeld entbot, unter Hochdruck ein Dokument zu produzieren,
das zwei völlig entgegengesetzten Bedingungen entsprechen sollte.
Einerseits sollte es den Schein des Entgegenkommens so weit treiben,
dass die Mehrheit der Bauern in den Glauben versetzt werden konnte,
mit der Annahme dieser Artikel von beiden Seiten seien alle ihre
Hauptforderungen bewilligt, besiegelt und verbrieft, ein ehrenvoller
Friede erreicht und man könne deshalb die Waffen niederlegen und
beruhigt nach Hause ziehen. Denn so wie die militärischen Kräfte zu
diesem Zeitpunkt einander gegenüberstanden, etwa zehn zu eins zugunsten
der Bauern, war das — auch bei sehr viel schlechterer Bewaffnung
der Bauern — ein unbedingtes Erfordernis für die Herren.
Andererseits sollte dasselbe Dokument absolut keine Konzession an
die hochpolitischen Begehren der Bauern machen, mithin keinen
Schimmer von «Verzicht auf die Hoheitsrechte» enthalten (in dieser
Hinsicht konnte Herr von Montenach, und mit ihm alle anderen
Schweizer Herren, vollkommen beruhigt sein); ja, dieses Dokument
sollte so abgefasst sein, dass es rechtlich nicht zwingend verbindlich
blieb, sondern an dem Tag fallen gelassen werden konnte, an dem
man durch eidgenössischen Zuzug die zweifellose militärische Uebermacht
erlangt haben würde.

Zur Abfassung einer solchen Quadratur des Zirkels konnten die
Luzerner Herren keinen Besseren finden als den Urner Obersten und
österreichischen Feldmarschall Sebastian Bilgerim Zwyer von Evibach
—diesen Ruhm muss man dem «ersten Agenten des Kaisers in der
Eidgenossenschaft» neidlos lassen. Er ist der Schöpfer dessen, was
nun als «Erster gütlicher Vergleich» in die Geschichte einging. Zwyer
diktierte sein «Vermittlungsprojekt» in höchster Eile noch in Werthenstein
dem Unterschreiber J. L. Bircher in die Feder und brachte trotzdem
ein Dokument zustande, das in vollen 32 Artikeln mit grosser
Kunst vermeidet, von allen grundsätzlichen Forderungen der Bauern
auch nur ein Wort zu sagen, oder in denen die gegensätzliche Auffassung
der Herren als Vorrecht derselben wie das Selbstverständlichste
von der Welt vorausgesetzt wird. Während von all den konkreten
bäuerlichen Einzeldingen — von den Gülten, Schulden, Bussen, Salz-,
Vieh- und Pferdehandel, Massen und Gewichten, Beil- und Kaufbriefen,
Strassen und Kirchwegen, Birsen, Jagen und Fischen usw. usw. —
bis ins Detail geredet wird, und zwar so, dass immer ein Viertel-,
oder ein halbes, oder selbst ein ganzes Entgegenkommen in die Augen


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 105 - arpa Themen Projekte
zu springen scheint. Sieht man freilich genauer zu, so sind die Vorbehalte
der obrigkeitlichen Souveränität, höchst kunstvoll in bescheidene
Sprache gekleidet, überall unauffällig eingeflochten. Ueber das Ganze
ist der den Bauern so teure Hauch des «guten alten Herkommens»,
von «Brief und Siegel» und «Alten Freiheiten», bei denen Dieses und
Jenes verbleiben solle, gestreut.

Gleich der erste und umfänglichste Artikel gilt den alten Briefen,
aus denen die Entlebucher «ihre Rechte und Freiheiten glauben beweisen
zu können», von denen der Rat zwar erklärt, «dass ihm von
solchen Urkunden nichts bekannt sei», dass er dafür aber «den Pfandbrief
von 1405 und das Vorkommnis von 1514 wegen des Hochwaldes
aufgelegt» habe; unter diesen Umständen wird gnädigst «erkannt, die
Entlebucher sollen bei den 1514 wegen des Hochwaldes getroffenen
Vereinbarungen geschützt werden»; treuherzig wird hinzugefügt:
«kommen später weitere Artikelbriefe zum Vorschein, so sollen diese
von den Parteien einander mitgeteilt werden». Ei, ei, wie freundlich
gegenüber den Rebellen! Aber das ist auch Alles! Keine Rede von der so
leidenschaftlich geforderten Rückgabe der Briefe, und auch kein Wort
der Begründung ihrer Verweigerung! Der einzige Artikel, der vorbehaltlos
bewilligt wird, ist der siebente: «Der Salzhandel wird freigegeben».
Dies aber war eine Konzession, die der Luzerner Rat — wie
sogar auch schon die Berner Regierung — schon seit dem Januar urbi
et orbi hatte verkünden (nicht etwa verwirklichen!) lassen; sie hatte
also ihre Köderwirkung längst eingebüsst. Dafür gibt es drei Artikel,
die ebenso apodiktisch ablehnend sind: und gerade sie betreffen die
Kernrechte. So schon der Artikel 26: «Ohne vorherige Bewilligung der
Obrigkeit dürfen keine Fremde als Landleute aufgenommen werden».
Wie erst recht der Artikel 28, in dem der Urner «Landsgemeinde-Demokrat»
Zwyer den Entlebuchern seine Meinung sagt: «Weil
Lands gemeinden in der Weise, wie solche jetzt begehrt werden, selbst
an solchen Orten der Eidgenossenschaft, wo freie Landsgemeinden
stattfinden nicht herkömmlich (!) sind, so sollen diese aberkannt(!)
sein. Wird eine Landsgemeinde notwendig erachtet, so soll diese mit
Bewilligung und im Beisein eines Landvogtes (!) stattfinden». Damit
wurde das uralt eidgenössische freie Versammlungsrecht — unter
heuchlerischer Berufung auf ein «Herkommen», das die Aristokraten
erst geschaffen haben — rundweg verweigert und durch eine rein
«autoritäre» Besammlung ersetzt.

So musste es aber sein, und in diesem Punkt konnte auch die in
allem übrigen sonst so schlau berechnete Absicht dieses ganzen «gütlichen
Vergleichs» den Herren unmöglich einen Kompromiss gestatten;
denn nur so konnte auch die Frucht des freien Versammlungsrechtes,
der Wolhuser Bund, als ungesetzlich, als Verbrechen gebrandmarkt
werden! Ihm nämlich gilt der dritte von den apodiktisch verneinenden


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 106 - arpa Themen Projekte
Artikeln, Artikel 29, der nicht zufällig auch in der Form der weitaus
schärfste ist: «Der Bund, den die 10 Aemter zu Wolhusen geschlossen,
ist null und nichtig. Ein solches Zusammenlaufen und Vergreifen an
der Obrigkeit darf auch nicht mehr geschehen». Hier hat der Herrenzorn
die ganze Fuchsklugheit der Herren verblendet. Denn dieser Artikel
ist die Bombe geworden, die für sich allein genügte, den Bauernzorn
zur Explosion zu bringen und nicht nur das Nachwerk dieses
«gütlichen Vergleichs», sondern das ganze Netzwerk des damit erstrebten
Endzwecks auseinanderzureissen. Und wenn das auch nicht
jetzt sogleich vollständig geschah — so doch später, gewissermassen
durch Fernzündung in immer neuen und immer weiterzündenden Explosionen.
Erst der auf solche Weise verfemte und dann, unter Berufung
auf diesen Artikel, immer ausgebreiteter verfolgte Wolhuser Bund
ist der weiterzeugende Vater des Sumiswalder und des Huttwiler Bundes
geworden, welcher auf seinem Höhepunkt sich zum ersten allgemeinen
Volks und gegen den Herrenbund der Regierungen in der
schweizerischen Geschichte erhob...

Zu diesem, bei ihrer Zugehörigkeit zur Aristokratenklasse unvermeidlichen
Fehler fügten die Herren von Luzern einen trotz dieser
Zugehörigkeit durchaus vermeidlichen. Oberst Zwyer hatte dem
Schluss des Vertrags zwei sehr schlau auf die Bauernpsyche berechnete
Artikel (30 und 32) eingefügt, die dem Durchschnitt der Bauern
den Albdruck des schlechten Gewissens für ihre Teilnahme an solch
ungewohnten obrigkeitswidrigen Dingen, d. h. die Angst vor den immerhin
möglichen Folgen, vor der behördlichen Strafe, von der Seele
nehmen sollten. Zudem wurde durch den letzten Artikel so verführerisch
die Illusion der Freiheit des Entschlusses und der Gleichheit der
Partnerschaft geweckt, dass der Schlussatz von der Pflicht zu neuer
Huldigung, der all dies wieder einebnete, leicht übersehen werden
konnte. Artikel 30 lautete: «Auf Bitten der Schiedsrichter wollen die
Herren von Luzern die Entlebucher als Anstifter dieser Unruhe nicht
entgelten lassen, da dieser Auflauf nicht in böser Meinung, noch aus Ungehorsam
geschehen.» (Vergl. dagegen vier Tage später die Schimpflawine
des Manifestes der Luzerner Regierung und weiter sechs Tage
später diejenige der Tagsatzung, die beide hundertprozentig das Gegenteil
behaupten!) Artikel 32 lautete: «Wird dieser Vertrag und Spruch
nicht von beiden Teilen angenommen, so soll er keinem Teile Vorteil
oder Schaden bringen, sondern als nicht zu Papier gebracht betrachtet
werden. Wird er angenommen, so soll er den Gemeinden ganz vorgelesen
werden, damit niemand sich mit Nichtwissen entschuldigen könne.
Darauf soll dem Landvogt neuerdings gehuldigt werden.» Diese beiden
Artikel aber wurden von den Luzerner Herren sofort gänzlich
verworfen, «wegen allzu milder Auffassung des Streites und Behandlungsart
des Vertrags»!


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 107 - arpa Themen Projekte

Als nun die «Vermittler» diesen vom Luzerner Rat revidierten
Entwurf zum «ersten gütlichen Vergleich» eiligst noch am Dreizehnten
zu den 230 Ausgeschossenen der 10 Aemter in Werthenstein brachten,
da entdeckten die Bauern sofort, was Alles unter dem Deckmantel des
Entgegenkommens ihnen verweigert werden sollte. Auch das unverzügliche
Angebot der «Vermittler» zur Verbesserung der einen oder andern
von zahllosen konkreten Bagatellsachen, die ihnen von den
Bauern schon während des Lesens an den Kopf geworfen wurden,
nützte ihnen nichts. Denn nun stiessen diese auf den Artikel 29: das
strikte Verbot des Wolhuser Bundes! Und gleich ging Alles in die Luft!
Nicht nur verlangten sie wild und drohend die sofortige Streichung
dieses Artikels — jetzt fiel ihnen auch, gerade wegen der drohenden
Schärfe der Sprache desselben, das völlige Fehlen einer Zusage über
die Straflosigkeit auf. Sie verlangten stürmisch einen Artikel darüber,
nein, mehr, viel mehr: auch über den Kosten- und Schadenersatz! Als
weder die «Ehrengesandten», noch die anwesenden Luzerner Herren
auf diese Begehren eintreten wollten, da «entstand» wie Vock, nach
dem mitanwesenden Luzerner Herrenchronisten Cysat, berichtet —
«unter den Bauern Zorn, Wut und wahnsinniges Toben». Sie fühlten
sich von den «Vermittlern» verraten und verkauft; sie drohten ihnen,
dass sie sie, «wofern sie mit unredlicher Absicht umgingen», schon «zu
bewachen und zu behalten wissen werden»! Sie lehnten alle weiteren
«mündlichen Erörterungen» ab und forderten statt eines «gütlichen
Entscheides» jetzt einen klaren «rechtlichen Spruch». «Die Rothenburger
dagegen waren sehr ungestüm und verlangten Pulver.» «Es erscholl
das Geschrei: Zu den Waffen! Und in alle Aemter eilten Boten,
das Volk zum unverweilten Aufbruch gegen die Stadt anzumahnen..»

Am vierzehnten März, «als schon überall die Trommeln wirbelten,
die Fahnen wehten und das Volk sich in Kriegsscharen ordnete»,
bestiegen die «Ehrengesandten» in Werthenstein ihre Pferde und galoppierten
nach Luzern zurück.

Am selben Tag eilten Entlebucher und Emmentaler Bauern freudig
erregt über alle Pässe ins Luzerner Land, um diesem die anfeuernde
Botschaft vom erhebenden Anlauf der ersten grossen aufständischen
Landsgemeinde der Berner Bauern in Langnau zu überbringen...


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 108 - arpa Themen Projekte


VII.
Die «Katz im Sack» —
und wie die Bauern sie laufen liessen

«Noch war von keiner Seite der Krieg erklärt; aber die Truppen
beider Parteien standen sich bewaffnet gegenüber.» So fasst unser
moderner Luzerner Herrenchronist von Liebenau die Lage an diesem
entscheidenden Wendepunkt des luzernischen Verlaufs des Bauernkriegs,
in den Tagen vom vierzehnten bis zum sechzehnten März 1653,
richtig zusammen. Und er legt sofort, ebenso zutreffend, den Finger
auf den wunden Punkt bei den Bauern, wenn er unmittelbar fortfährt:
«Die Bauern aber, obwohl damals im Vorteil, wagten nicht, die Stadt
anzugreifen; sie verlegten sich vielmehr wieder auf Verhandlungen».
Dies aber war genau das, was die Luzerner Herren von damals in
ihrer traurigen militärischen Lage am heissesten vom Himmel erflehten!

Zwischen den Zeilen dieser Darstellung des modernen Herrenchronisten
ist auch deutlich zu lesen, was den damaligen Herren allein
imponiert hätte: wenn die Bauern wirklich «gewagt» hätten, «die Stadt
anzugreifen»! Schliesslich waren die Bauern bereits seit dem Zwölften
durch die Entlebucher aufgeboten, auszuziehen, wenn auch nur mit
«halber Macht» und zu einer blossen «Heerschau» auf dem Emmenfelde
am Fünfzehnten. Aber auch diese «halbe» Macht hätte noch am
Vierzehnten, noch am Fünfzehnten, noch am Sechzehnten genügt, mit
einem entschlossenen Handstreich die Stadt in die Hand der Bauern
zu bringen.

Was sie daran gehindert hat, ist wohl in erster Linie die wahrhaft
bemitleidenswerte Unfähigkeit zur militärischen Organisation ihrer
Massenkräfte. In hellen Scharen durchzogen sie kreuz und quer das
ganze Land, ohne dass auch nur das mindeste Anzeichen von irgendwelchem
Aufmarschplan ersichtlich wäre. Das einzige, was — wenn es
im Rahmen wirklicher Truppenbewegungen geschehen wäre — danach
aussehen könnte, ist die «Fruchtsperre» (Getreidesperre), die die
Bauern am Vierzehnten gegen Luzern anordneten, die Besetzung der
Brücken über die Emme und die Reuss am gleichen Tag, sowie die
Seesperre, die die Fischer von Langensand und Meggen etwas später


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 109 - arpa Themen Projekte
(zu spät!) gegen eventuelle Truppensendungen aus den Urkantonen
über den See legten. Aber nicht einmal der Aufmarschbefehl zu der
«Heerschau» wurde auch nur von der Hauptmacht befolgt. Zwar lagerten
bereits vom Vierzehnten an 3000 bewaffnete Bauern auf der
Allmend zwischen Kriens und der Stadt Luzern. Diese 3000 Mann aber
waren nur ein Bruchteil von der Gesamtmacht, die schon an diesem
Tag im ganzen Land herum auf den Beinen war, jedoch planlos bald
da, bald dort grosse, untätig herumliegende Heerhaufen bildete, hauptsächlich
im Rothenburgischen. Doch selbst die 3000 Mann, die auf
dem Krienser Boden wie Hochwasser im Sumpf zusammengelaufen
waren, hätten, gut und kühn geführt, die ganze Lage entscheiden können.
Wer aber waren ihre militärischen Führer? Sie waren bestenfalls
vom Schlage Schybis! Dieser alte Landsknecht, jetzt «Oberst» der
Entlebucher, fand nichts besseres zu tun, als einen Grossteil der Mannschaft
mit Holdrio auf den Gütsch hinauf zu führen, dort aus purem
Mutwillen den Vogelherd zu zerstören und dann auf dem Knubel ein
neues Lager aufzuschlagen... «Fromme Entlebucherinnen trugen
ihren Männern Fastenspeisen auf den Gütsch» Fröschenbeine und
Brotschnitten! .

Ueberhaupt die Verpflegung — das war der schlimmste Punkt
in der militärischen Organisation der Bauern! Dafür war auch nicht
das Mindeste vorgesorgt. Jeder Mann nahm von zuhause mit, was er
in den Kittel oder in den Hosensack stecken konnte, eine Wegzehrung
für einen oder zwei Tage. Daher kam es, dass in den meisten Lagern
schon am zweiten oder dritten Tag die Hungersnot ausbrach. Und mit
hungrigem Magen entwickelt man bekanntlich wenig Heldenmut. So
kam es, dass viele Mitläufer allein um des lieben Brots willen die
Truppen schon unterwegs verliessen oder aus den Lagern nach allen
Seiten ausschweiften, um etwas Essbares aufzutreiben.

Bei dieser trostlosen Verpflegungslage ist es geradezu als ein
Wunder der Gutmütigkeit dieser Bauern zu bezeichnen, dass — wie
selbst die Herrenchronisten erstaunt berichten —sogut wie keine Plünderungen
vorkamen. Ein einziger solcher Fall wird aus dem Amte
Rothenburg gemeldet: «In dieser Not wurden die Kornspeicher des
Klosters Rothhausen (nicht das Kloster) geplündert und Wagen mit
Wein und Korn, die für die Stadt bestimmt waren, als Beute behandelt».
Als jedoch beispielsweise die Truppen an der Emmenbrücke
am Siebzehnten natürlich auch schon mächtig Not litten, da wandten
sie sich treuherzig an den reichen Junkerpropst des Stiftes Münster,
er möge ihnen Proviant liefern, indem sie allerdings, zur grösseren
Sicherheit, der Bitte beifügten, dass «sonst 400 Mann aus dem Michelsamt
selbst solchen holen werden». Das war eine herrliche Gelegenheit
für den fröhlichen und witzigen Alchemisten, als den wir diesen Propst
kennen lernten, sich mitten in dem bedrohlichen Bauernsturm als


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 110 - arpa Themen Projekte
«neutrale» Insel, als die «souveräne» Macht, als die ihn die «Vermittler»
anerkannt hatten, aufzuspielen und zu erklären, er wolle sich
«unparteiisch halten und den Bauern ein Namhaftes an Korn und
Wein ausfertigen lassen». Es versteht sich von selbst, dass diese gemeine
Not der Bauern für die Herren ein höchst erwünschtes — und
von ihnen auch sofort bemerktes und ausgenütztes — Einfallstor bedeutete,
durch das sie das trojanische Pferd der Zersetzung und des
Verrats in ganze Truppenteile hineinzubringen vermochten.

Ueberhaupt war in diesen bedrohlich aussehenden Tagen die
politische Diversion mehr denn je das Hauptmittel der Herren, um die
Lawine der Bauern in fieberhafter Anstrengung von innen her aufzuspalten,
aufzuhalten und in ungefährliche Niederungen abzulenken.
Sofort, am Vierzehnten, machten sie sich ans Werk. Gleichzeitig mit
den sich jagenden, geradezu flehentlichen und mit reitenden Eilboten
in jede Richtung der Windrose ausgesandten Hülfsgesuchen an alle
früher bereits angeschriebenen Mächte sandten die Luzerner Herren
sämtliche «neutralen Schidherren», die «Ehrengesandten» der sechs
katholischen Orte, in Begleitung luzernischer Ratsherren und Landvögte
in alle zehn Aemter aus. Sie konnten sich dabei auf die Verhandlungssucht
eines Grossteils der Bauern verlassen und sich ausserdem
auf soundsoviele Beschlüsse von Bauernausschüssen berufen, die
(wenn auch mit ganz anderen Hoffnungen!) auf beschleunigten Abschluss
eines definitiven Abkommens mit der Regierung drängten, die,
wie sie sich selbst ausdrückten, «des Dings halber an eine Endschaft
kommen wellen». Kurz, es brachen Tage der Wollust für die «Blodermäuler»
an. Und die sind gar leicht über den Löffel zu halbieren. Ja,
bei diesen sind sogar Drohungen oft das wirksamste Mittel, um etwas
zu erreichen.

Es scheint in der Tat, dass auch die unmittelbare Initiative zu den
nun neuerdings üppig ins Kraut schiessenden Verhandlungen von den
Bauern selbst ausgegangen ist, und zwar direkt von den Ausgeschossenen
der zehn Aemter, die eben noch in Werthenstein permanent versammelt
gewesen waren; oder sagen wir besser: von einem Teil dieser
Ausgeschossenen, denen nämlich, die nicht mit ins Feld gezogen waren.
Diese müssen ihren Sitz noch am Vierzehnten nach Ruswil verlegt
haben, angeblich weil dieses um eine Fusstunde näher bei Luzern
liegt, wohin nun die Bauernlawine allerdings sowieso gravierte. Und
zwar muss mit den am Morgen desselben Tags nach Luzern galoppierten
«Ehrengesandten» bereits abgemacht gewesen sein, sie in Ruswil
wieder zu treffen. Denn am Morgen des Fünfzehnten schreiben die
Ausschüsse einigermassen enttäuscht an diese nach Luzern: «Sie haben
gehofft, die Gesandten in Ruswil zu treffen, da dies nicht möglich gewesen,
so ersuchen sie dieselben, heute nochmals nach Ruswil zu kommen,
und zwar mit vollmächtiger Gewalt. Es wäre ihnen auch lieb,


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 111 - arpa Themen Projekte
wenn etwa 2 oder 3 Bürger von Luzern mitkämen, damit man sich
desto eher in aller Freundlichkeit vertragen könnte. Wenn ein rechtlicher
Spruch, dem göttlichen und billigen Recht gemäss erfolge, so
werde man sich dazu bequemen und sich demselben, wenn immer möglich,
unterwerfen. Kämen die Gesandten nicht noch am heutigen Tag,
so müssten die 10 verbündeten Aemter annehmen, man wolle die Sache
auf die lange Bank schieben und sie mit Versprechungen von einem
Tag zum andern hinhalten».

Die erstaunlichste — und bedenklichste — Wandlung, die die
Ausgeschossenen zugleich mit ihrer Umsiedlung nach Ruswil vollzogen
haben müssen, drückt sich im Eingang dieses Schreibens aus, worin
sie den Herren «Ehrengesandten» «ihr Bedauern darüber äusserten,
dass verdächtige Reden gefallen und die Drohung ausgesprochen
worden, sie in Arrest zu halten oder ungütlich mit ihnen umzugehen.
Das könnte höchstens von einem Amte geschehen sein...»! Wir müssen
daraus fast zwingend schliessen, dass die Männer, die nach Ruswil
übergesiedelt sind, nicht mehr dieselben waren, die in Werthenstein
den Ton angaben, und dass die wirklich entschlossenen Revolutionäre
inzwischen alle ins Feld gezogen waren. Darunter vor allem die Entlebucher
gegen die sich die Denunziation im letztzitierten Satze richtet
und aus deren Amtsbereich, in dem Werthenstein liegt, das «Rumpfparlament»
vermutlich nach Ruswil geflüchtet ist! Das wird fast zur
Gewissheit erhoben, wenn man in diesem höchst seltsamen Schreiben
weiter liest, dass diese nicht minder seltsamen «Rebellen» als Begleiter
aus der Stadt für die «Ehrengesandten» neben dem Landvogt Keller
ausgerechnet den «alten Raubgeier» Schultheiss Fleckenstein, den
wohl bestgehassten Luzerner, zu sich nach Ruswil wünschten, welche
beide, wie die Bauern in ihrem Schreiben sagen, «den Rothenburgern»
(wem? etwa Kaspar Steiner?) «ihr Erscheinen zugesagt» hätten...
Gerade dieses Detail weist darauf hin, dass es sich hierbei um eine den
Herren bereits gelungene Teil-Zersetzung bei den Rothenburgern
handeln muss, von der wir auch bald mehr zu berichten haben
werden.

Jedem strategischen Laien muss es in die Augen springen, dass
eine solche Haltung immer noch führender Männer unter den Bauern
den bereits in Gang gesetzten «Kriegsoperationen» derselben nichts
weniger als förderlich sein konnte. Vielleicht ist es gar ein wirklicher,
von den «Linden» unter den Bauernführern gegen die ins Feld
gezogenen «Harten» organisierter «Dolchstoss» gewesen, den sie dann
allerdings im entscheidenden Augenblick geführt haben! Der Ausgang
dieser Ruswiler Verhandlungen und damit des ganzen bisherigen
Kampfes der Bauern auf Luzerner Boden wird uns jedenfalls in den
Reihen der Bauern — nach der bisher erlebten Einmütigkeit — derart
verblüffende Lähmungserscheinungen offenbaren, dass diese ohne


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 112 - arpa Themen Projekte

Niklaus Leuenberger

Unveröffentlichtes Originalaquarell (Pendant zu Abbildung 11)
im Kupferstichkabinett des Basler Kunstmuseums.

Zeitgenössische Konstruktion nach dem einzigen authentischen
Bildnis des bärtigen Leuenberger (siehe Abbildung 6), vermutlich
kompositionell abhängig von Abbildung 9 oder Abbildung 10.



Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 112 - arpa Themen Projekte
Abbildung 7


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 113 - arpa Themen Projekte

eine planmässige Mitwirkung führender Bauern selber, das heisst ohne
organisierte Sabotage, gar nicht denkbar sind.

Und jedenfalls ist es klar, dass sich die Luzerner Herren diese geradezu
bauern-offizielle, wenn auch unter ihrer eigenen geheimen Mitwirkung
zustande gekommene Möglichkeit zu einer entscheidenden
Haupt- und Staats-Diversion —in Erwartung besserer Dinge hinsichtlich
ihrer eigenen militärischen Rüstung — nicht zweimal anbieten liessen!
Spornstreichs ritten am Fünfzehnten die «unparteiischen Schidherrn»
nach Ruswil — nachdem sie an dem einen Tag, den sie in Luzern verbracht
hatten, «in höchster Eile» nicht nur den Vorort Zürich zuhanden
aller übrigen Orte gegen die Bauern aufgehetzt, sondern auch
einen direkten «offenen Mahnbrief» an den Landvogt der Grafschaft
Baden geschrieben hatten, ihm «befehlend, ihnen (den GH Herren und
Obern von Luzern) einen ansehnlichen Succurs von der Mannschaft»
zu senden, um «ihnen damit in ihren Nöthen beizuspringen». An der
Spitze der Gesandtschaft stand wiederum der unentbehrliche und wirklich
einzige überragende Kopf der gesamten innerschweizerischen Aristokratie
Oberst Zwyer von Evibach. Dieser hatte von den Luzerner
Herren den Auftrag, in Ruswil aus den verbliebenen Bauernführern,
die derart «entgegenkommend» nach Luzern geschrieben hatten, jetzt
noch viel mehr für die Wiederherstellung der obrigkeitlichen «Souveränität»
herauszuholen als beim «Ersten gütlichen Vergleich». Jetzt
sollte der «Rechtliche Spruch», den die Bauern in Werthenstein so
stürmisch verlangt hatten, aufgerichtet werden —aber nicht das Recht
der Bauern, sondern das «Recht» der Herren sollte dabei nun mehr
denn je der ausschliessliche Leitstern sein.

Das konnte viele Tage dauern. Darum konnten die Luzerner Herren
in ihrer derzeitigen Lage den Ausgang der Ruswiler Verhandlungen
unmöglich abwarten. Solange die Aemter von ihren revolutionärsten
Kräften entblösst waren, weil diese natürlich alle mit dem allgemeinen
Landsturm ins Feld aufgebrochen waren, sollte vielmehr jeder
einzelne Tag den Herren in Luzern einen Vorteil im Hinterland der
Bauernarmee, an deren Heimfront, einbringen. So hatten denn die
andern «Ehrengesandten», die am Vierzehnten in alle übrigen Aemter
ausgeschickt worden waren, den Auftrag, vorläufig auf Grund des
«Ersten gütlichen Vergleichs» zu verhandeln und möglichst jedes Amt
einzeln zur Annahme desselben zu bringen. Was dabei noch allzusehr
zugunsten der Bauern ausfallen mochte, würde durch das Ergebnis
des «Rechtlichen Spruchs», der ja fürs ganze Land durchzusetzen war,
und unter dem Druck der wachsenden militärischen Rüstung schon
wieder eingeebnet werden.

In Durchführung dieses Planes hatte man schon am Dreizehnten
von Werthenstein aus niemand Geringeres als den Dekan von Ruswil
und Wolhusen, den päpstlichen Protonotar Dr. Lüthard, der den Wolhuser


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 114 - arpa Themen Projekte
Bund und Schwur gewissermassen eingesegnet hatte, mit dem
«Gütlichen Entscheid» ins gefährliche Amt, ins Entlebuch, geschickt.
Den Luzerner Herren war es also inzwischen gelungen, diese religiöse
Säule des Wolhuser Bundes für die «Vermittlung», das heisst für sich
zu gewinnen. Selbst die zuhause gebliebenen Entlebucher aber liessen
sich durch seine Hochwürden und den von seinen Beamten dem Volke
eröffneten Vertrag nicht blenden. Das Volk benahm sich sogar «sehr
ungestüm und verlangte die Aufnahme mehrerer Artikel in denselben.
Dann gab man sofort den verbündeten Aemtern hievon Kenntnis und
mahnte sie um Hülfe.» Darum sandten die Luzerner Herren am Vierzehnten
die «Ehrengesandten» Altstatthalter Michael Jakob An der
Matt von Zug ins Entlebuch, und dies schon nicht mehr um kirre zu
machen, sondern um zu drohen, «wenn das Land sich dem eidgenössischen
Rechte nicht füge, so habe es die Folgen selbst zu tragen».

Ins Amt Kriens und Horw hatte man, um dieses allzunahe den
Stadttoren gelegene Amt sofort zu unterwerfen, schon am Vierzehnten
früh, noch bevor die «Ehrengesandten» von Werthenstein zurückgekehrt
waren und bevor die Heermacht der Entlebucher auf dem Krienser
Boden eingetroffen war, den dortigen Landvogt Wendel Schumacher
sowie den Willisauer Landvogt Jost Pfyffer geschickt. Als die
Leute sich rundweg «weigerten, die gütliche Vermittlung anzunehmen»,
drohte Schumacher den Kriensern mit einem Ueberfälle «mit
Hülfe fremder Truppen»; der forsche Jost Pfyffer gar verstieg sich zu
der Drohung, «wenn das Oertlein Horw sich nicht füge, so werde es
bis 12 Uhr ein Schutthaufen sein»! Dies musste der Bevölkerung umso
glaubhafter erscheinen, als die soeben durchmarschierten, vom Luzerner
Rat herangezogenen Hülfstruppen aus Nidwalden, wie die Fama
ging, «in Horw und Langensand sich Beschädigungen erlaubt» haben
sollten. Diese Drohungen der beiden Landvögte gaben also sehr begreiflicherweise
das Signal zu einer wahren Panik im ganzen Amt, sodass
Frauen und Kinder von Kriens und Horw «in die Wälder flohen»
—und es ist nur ein Zynismus mehr, wenn sich unser moderner Herrenchronist
(der uneheliche Abkömmling einer Fürstin von Donau-Eschingen)
über die «Mordnacht von Horw» in der Art lustig macht,
dass er behauptet, diese «bilde wohl den heitersten Punkt im ganzen
Bauernkrieg»; wobei dieser «streng wissenschaftliche Historiker» sich
ausschliesslich auf ein paar niedrige Verse aus einem Spottlied des damaligen
Luzerner Ratsherrn Konrad Sonnenberg stützen kann! Diese
Drohungen wurden selbst von dem zahmeren «Rumpfparlament» der
nicht ins Feld gezogenen Bauern, das sich in Ruswil niedergelassen
hatte, so ernst genommen, dass es sich in seinem sonst so «entgegenkommenden
» Schreiben vom Fünfzehnten an die «Ehrengesandten»
nicht enthalten konnte, als Schluss hinzuzufügen: «Da sie soeben vernommen,
dass die Luzerner viel ,Völker' (Kriegsleute) in die Stadt gezogen


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 115 - arpa Themen Projekte
haben, mit denen sie ihre Verbündeten von Kriens und Horw
überfallen wollen, so erklären sie, die 10 Aemter, hiemit, dass sie diesen
Verbündeten auf erfolgte Mahnung Hülfe zugesagt haben.» Noch
zu anderem aber gab diese Panik im Amte Kriens und Horw das Signal:
sie war der unmittelbare Anlass dazu, dass die bereits in Marsch
befindliche Entlebucher Mannschaft, von den erschreckten Krienser
und Horwer Boten flehentlich gerufen, schon am Vierzehnten in Eilmärschen
über die Berge auf den Krienser Boden vormarschierte, wo
auch die von Malters und Ruswil zu ihnen stiessen und so das historische
Heerlager vor den Toren Luzerns bildeten.

Die weitaus verheissungsvollste Diversion der Luzerner Herren
und ihrer «Vermittler» aber — ausser der in Ruswil begonnenen Haupt-
und Staats-Diversion — schien die im Amt Rothenburg, wie wir wissen,
bereits am Dreizehnten ins Werk gesetzte werden zu sollen. Da
waren die an jenem Tage abgeschickten «Ehrengesandten» Imfeld,
Sidler und von Montenach mit Hülfe des Schultheissen Fleckenstein
und des Abtes Dominik von Muri so erfolgreich am Werk, dass unser
moderner Luzerner Chronist in folgender, überaus bezeichnender
Weise darüber berichten kann: «Am 14. März belebte die Regierung
von Luzern neue Hoffnung auf gütliche Beilegung des Streites. In
höchst geheimer Weise teilten einige ehrliche (!) Personen dem Rate
mit, drei ehrsame (!) Männer aus dem Amte Rothenburg hätten ihnen
eröffnet, sie wollten gern zu Gunsten ihrer lieben und werten Obrigkeit
(!) ein grosses Werk vollbringen, nämlich die ganze Grafschaft
Rothenburg von dem eingeschlagenen Wege abbringen, dieselbe bestimmen,
die Waffen nicht gegen die Obrigkeit zu wenden, sondern
sich mit ihr friedlich zu vergleichen. Erfreut über diese Zusage gelobten
Schultheiss und Rat, diese drei biderben Männer nicht nur für ihre
Bemühungen, falls das Werk gelingen sollte, zu entschädigen (!), sondern
sie und ihre Erben und Nachkommen auch an Leib, Ehre und
Gut zu schützen, wenn ihnen dieser Tat wegen irgend etwas widerfahren
sollte, auch ihre Namen geheim zu halten (!) ... Ueber den Gang
der geheimen Vermittlung sind wir nicht näher unterrichtet.» Begreiflich,
unter den eben erwähnten Bedingungen, die nur mündliche «Vermittlung»
zuliessen. Immerhin fand sich wenigstens ein Schriftstück:
es ist die Anweisung des Luzerner Rates an einen der Spione, wohl
eines der Hauptwerkzeuge der Herren «Ehrengesandten», an einen
«Leutnant Severin Felix». Dieser soll «die von Rothenburg» versichern,
«dass dieselben bei ihren alten Freiheiten, wie sie ihre Altvorderen besessen,
sollen gehandhabt werden» (d. h. nur die «Altvordern» ab 1570,
in welchem Jahr den Rothenburgern, die sich damals mutig allein
gegen die sich befestigende Selbstherrschaft der Luzerner erhoben
hatten, bereits alle wesentlichen Freiheiten geraubt worden waren!).
Ferner soll «der gütliche und rechtliche Spruch von der Obrigkeit getreulich


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 116 - arpa Themen Projekte
gehalten werden», und noch wegen des einen oder anderen
Punktes seitens derselben, «alle verbesserung geschächen». «Stellen
sich die Rothenburger gehorsam ein, so soll ihnen alles verziehen und
in Ewigkeit ,nit fürzogen werden'. Sie sollen auch wohl bedenken, was
ihnen geschehen könnte, ,wilen sie die ersten an dem Anbutsch'.» «Nach
Abschluss des Vertrags soll eine pergamentene besiegelte Urkunde ausgehändigt
werden», auf deren Besitz ja alle Bauern so erpicht waren.
So geringfügig war der Köder, den die Luzerner Herren den Rothenburgern
hinlegen zu können glaubten.

Nun gibt es aber in diesem subalternen Schriftstück einen Passus
von hochpolitischem Interesse. Als Anweisung dafür, was man der
«Gegenpartei», das heisst den ehrlichen Rebellen, zur Abschreckung
entgegenhalten möge, heisst es darin: «dass die Entlebucher den Rat
von Luzern nicht mehr als Obrigkeit anerkennen, auch keinen Landvogt
mehr annehmen wollen»! Das allerdings konnte bei ehrlichen Rebellen
nur das Bestreben auslösen, es den Entlebuchern gleich zu tun,
was jedoch ein Ratsgehirn ganz unmöglich zu fassen vermocht hätte!
Darum fügten die Luzerner Herren dieser Anweisung noch eine ähnlich
gescheite weitere bei: «dass dieselben (die Entlebucher) notorische
Schulden und Hypotheken nicht mehr anerkennen wollen, ,welches
von Thürken noch keiner anderen Nation niemolen ist erhört worden'...»
Kurz, es war schlechte Greuelpropaganda, was damit bezweckt
wurde. Sie hat auch bei der revolutionären Kriegspartei der
Rothenburger niemals verfangen.

Wohl aber ist als Tatsache zu erkennen, dass den Luzerner Herren
gelang, eine Sabotagepartei aus den «Linden» zu bilden, die, wenn
sie auch nicht offen hervortreten durfte, doch allerhand den Herren
nützliche Dienste leistete. So haben solche «Rothenburger» (natürlich
werden sie von den Herrenchronisten als «die» Rothenburger bezeichnet)
beispielsweise einen in diesen Tagen von der Bauernwacht in Ebikon
abgefangenen und in Eisen gelegten Boten der Luzerner Regierung
befreit und das ihm abgenommene Schreiben, ein militärisch
höchst wichtiges dringliches Hülfsgesuch des Luzerner Rates an die
Zürcher Regierung, den «Ehrengesandten», d. h. den Luzerner Herren,
ausgeliefert. «Den Bauern wurde dagegen die Versicherung gegeben,
dass die Truppen von Zürich nicht ins Gebiet von Luzern einmarschieren
sollen.» Ebensolche «Rothenburger» waren es natürlich, mit
denen «einige streitige Punkte vereinbart» werden konnten; aber selbst
mit diesen war «über die Frage betreffend die Aemterbesetzung und
Reduktion des Umgeldes... ein Ausgleich nicht möglich». Ebensolche
«Rothenburger» waren es aber erst recht, von denen wenige Tage
später «ein Schreiben einlief, unterzeichnet von Hauptmann und gemeinen

Offizieren des Amtes Rothenburg» (ohne Namensangaben!):
«wenn die Urkunden ,in die leere Amtsthruken' gelegt seien, wollen


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 117 - arpa Themen Projekte
sie aus dem Felde ziehen und sich wie gute Kinder gegen ihren Vater
erzeigen»! Wer aber wohl als treibende Kraft hinter dieser «Verhandlungspartei»
stak, das ist vermutlich — trotz seines kriegerischen Getues
als «Oberst» der Rothenburger — der schlaue Kaspar Steiner von
Emmen. Denn von ihm kann der Pater Placidus am Siebzehnten aus
Ruswil an den Schultheiss Dulliker berichten —, mit ihm seien «direkte
Verhandlungen» eröffnet worden! Kaspar Steiner schlage vor: «bei den
Aemterbesetzungen soll das Amt je zwei, der Landvogt einen dritten
Kandidaten vorschlagen und dann das Amt die Wahl haben». Das
aber war zu diesem Zeitpunkt bereits die halbe Kapitulation... Sofort
wurde denn auch — von welcher Seite, ist klar — das Gerücht im
ganzen Land ausgestreut: Rothenburg habe sich bereits unterworfen!

Nun muss aber, um der historischen Gerechtigkeit willen, auch
von der Tätigkeit der anderen Rothenburger die Rede sein, von den
ehrlichen Rebellen. Als diese die zersetzende Wirksamkeit der «Ehrengesandtschaft»,
welcher auch der Zuger Ammann Sidler angehörte. in
ihrem Amt bemerkten, rafften sie sich sofort, schon am Vierzehnten,
zu einer Gegenaktion auf. Sie wussten dank ihrer intimen Nachbarschaft
zu den Zuger Bauern genau. dass die beiden herrenfreundlichen
Anführer der Zugerdelegation in der «Vermittlung» der Urkantone.
Sidler und Zur Lauben, nicht den Willen des Zuger Volkes ausdrückten;
ja, dass es sogar im Zuger Rat eine starke bauernfreundliche Minderheit
gab. Darum schickten sie an diesem Tag eine dringende Botschaft
nach Zug und ersuchten diesen Stand, sie bei ihrem alten Recht,
freie Amtsgemeinden abzuhalten, zu schützen. Zugleich baten sie die
Zuger eindringlich, die einseitig herrenfreundliche Zugerdelegation in
dem Sinne zu korrigieren, dass sie unverzüglich auch bauernfreundliche
Männer in die «Vermittlung» delegierten, und natürlich wussten
sie, wer dafür in Frage kam. Sie drangen damit beim Rate durch, und
dieser sandte am Sechzehnten den Altlandammann Peter Trinkler von
Menzingen, sowie den Bauherrn Johann Stöckli als ergänzende «Ehrengesandte»
nach Ruswil und Rothenburg. Im Begleitschreiben an die
Rothenburger wurden diese beiden ausdrücklich als bevollmächtigte
«Schidherrn» bezeichnet. Ausserdem schrieben «Stadt und Amt Zug»
den Rothenburgern: «in Folge des Begehrens um Trost, Rat und Hilfe
sende man diese beiden Herren». Damit war in der Tat, wie selbst der
herrenfreundliche moderne Luzerner Chronist sagt, «eine indirekte
Anerkennung des Bauernbundes ausgesprochen». Und auch darin hat
dieser Herrenchronist recht, wenn er behauptet, dass «durch diesen
Gegenzug der Kriegspartei», das heisst durch die von ihr durchgesetzte
Berufung Peter Trinklers, «der Gang der Unterhandlungen» (will sagen:
die Sabotage!) «gehindert» wurde, ja, dass «damit die Aussicht
auf eine gütliche Vereinigung vernichtet war».


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 118 - arpa Themen Projekte

Denn Peter Trinkler war wahrlich kein Lauer und kein «Linder»
—im Gegensatz zu seinem Mitgesandten, dem Bauherrn Stöckli, der
«auf geschehene Vorstellungen» sofort den Hasenstrich nahm und von
Ruswil nach Zug zurückkehrte. «Er aber blieb» — wie der Domdekan
Vock berichtet — «den Vermittlern zum Aerger und Trotz, und begann
sein demagogisches (!) Spiel. Er mischte sich» (man denke sich!) «unter
die Ausschüsse der Bauern, trank mit ihnen im Wirtshaus zur Linde
und bearbeitete sie mit grosser Tätigkeit. Er erklärte ihnen, dass er
von seiner Regierung Gewalt habe, ihre Streitigkeiten auszumachen und
ermahnte sie, sich in keine gütliche Vermittlung einzulassen, sondern
die parteiischen Gesandten abzuschaffen oder sie, zu schneller Beendigung
des Handels, in Arrest zu setzen»! «Welches die Bauern gegen die
Herren sehr ungeduldig machte», wie es in einer Beschwerdeschrift
der Herren «Vermittler» über Ammann Trinklers «Umtriebe» an die
Tagsatzung sehr glaubhaft heisst. In Rothenburg aber, wo Trinkler
am Siebzehnten gewiss nicht ohne Absicht mit den schärfsten Bauernführern
des Willisauer Amtes, mit Jakob Sinner, Fridli Bucher und
Kaspar Bircher, zusammentraf, soll er zu diesen gesagt haben: «diese
Ehrensätze kosten viel und die Sache gehe langsam, besser wäre eine
andere Komposition des Schiedsgerichtes, die Herrn und Bauern sollten
je einen Herrn und einen unparteiischen Bauern ins Schiedsgericht
erwählen».

Etliches zu der «Ungeduld» der Bauern trug auch Trinklers Amtsdiener,
der Weibel Stöcklin bei, der in der Beschwerdeschrift der
«Ehrengesandten» an die Tagsatzung eine Hauptrolle spielt und darin
ja wohl kaum mit dem so willigen Bauherrn Stöckli verwechselt worden
ist; denn diese Schrift ist auf Betreiben von genauen Kennern der
persönlichen Verhältnisse, von Trinklers Zuger Rivalen Zur Lauben
und Sidler, abgefasst worden. Darin heisst es u. a.: «Unterweibel Stöcklin,
Ammann Trinklers Diener, hat seines Herrn Instruktion den Bauern
zu Russwil öffentlich an dem Tische vorgelesen, das Siegel daran
gezeigt und geredet, ihn bedünke, dass die Gesandten, in förderlicher
Usmachung der Sache, ihre Ehre und ihren Eid schlecht betrachten
und sie werden wenig Ehre davon tragen, besonders Landammann
Zweyer und Ammann Zurlauben.» Und dafür werden in der Schrift
dieser «ehrengesandtlichen» «Dätschmäuler» drei verhörte Zeugen aufgeführt.
«Item hat Weibel Stöcklin die Bauern gestärkt, sie sollen nicht
aus dem Felde ziehen, sie haben denn sechs Siegel (der sechs katholischen
Orte) und den Leodegari (Luzerns Staatssiegel) in Mitte des Briefs
erhalten und in Händen.» (Zwei verhörte Zeugen.) «Item hat Weibe!
Stöcklin geredet: ,Luzern, das Licht, habe einen Kolben bekommen,
und die Bauern wollen denselben mit Knütteln abbrechen'.» (Ein verhörter
Zeuge.) Dieser Ausspruch ist unter den Bauern zum geflügelten
Wort geworden. Aber auch ein Ausspruch Peter Trinklers selbst, der


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 119 - arpa Themen Projekte
die Bauern dafür lobte, «dass sie der Stadt Luzern das Kränzli so lustig
abtanzen»!

Kurz und gut: diese beiden Männer scheinen, trotz ihrem amtlichen
Herr-und-Diener-Verhältnis, auf echt demokratisch freundschaftlichem
Fusse zu einander und zum Volke gestanden und beide das Herz
auf dem rechten Fleck gehabt zu haben. Sie zogen beide kräftig am
gleichen Seil, an dem der Bauernsache, und trugen volkstümlich klare
Losungen von politischer Schlagkraft in die Masse. Grund genug, dass
sie damals wie heute von allen Herrenchronisten gehasst und verlästert
worden sind. Dies umsomehr, als Peter Trinkler — wie amtliche
Verhörprotokolle aus den späteren Kriegsgerichten beweisen —
seiner politischen Ueberzeugung auch nach der Niederlage unerschütterlich
treu geblieben ist, zu einer Zeit, als es ringsum von Verrat, Angebereien
und unterwürfiger Aemtlihascherei grausig wimmelte...

Während jedoch der zähe und tapfere Zuger Altlandammann, als
der einzige von allen Herren, die Verteidigung des Rechts der Bauern
an die Hand nahm; während es Peter Trinkler gelang, dem Schultheiss
Fleckenstein, dem Abt von Muri und den übrigen «Ehrengesandten»
das Amt Rothenburg wieder aus den heuchlerisch behandschuhten
Würgerhänden zu winden und damit auch den Lauen und «Linden»
in den Bauernausschüssen den Rücken wieder zu härten: währenddessen
entfesselte der Luzerner Rat, treulich sekundiert von den «Ehrengesandten»,
im ganzen Schweizerland herum eine Greuellügenpropaganda
gegen seine eigenen «Untertanen» von einem Ausmass und
einer Wildheit, wie sie die Annalen der Schweizergeschichte bis dahin
noch nie entfernt ähnlich zu verzeichnen hatten. Die ganze schlotternde
Angst und Feigheit der Luzerner Herren vor dem scheinbar unaufhaltsam
nahenden Gericht der Bauernlawine flüchtete sich in ein
wahres Zetermordio-Hülfsgeschrei an sämtliche anderen Herren der
Schweiz. Dieses Geschrei lieferte der Tagsatzung den Wind, aus dem
diese Herrenzentrale im Kompressor ihrer Beschlüsse den Sturm erst
fabrizierte, der aus dem luzernischen schliesslich einen gemeineidgenössischen
Aufruhr machte. Denn erst der Volkszorn über diese Beschlüsse
hat in der Folge den überall ringsum, im Emmental und im
Oberland, im Oberaargau und in der Grafschaft Lenzburg, in den
Freien Aemtern, im Kanton Solothurn und im Baselland herumliegenden
Zündstoff zur gemeinsamen Flamme angefacht. Und dies gerade
in dem Augenblick, als das Feuer im Luzernischen selbst bereits endgültig
in sich zusammenzubrechen schien; gerade zeitig genug jedoch,
um es wieder in den allgemeinen Brand mit emporzureissen...

Doch eilen wir nicht zu weit voraus und versuchen wir den praktischen
Zweck des allgemeinen «Landgeschreis» zu erfassen, das der
Luzerner Rat gerade in dem Augenblick im Rücken seiner angeblichen
Vertragspartner erhob, als er den Bauern und der ganzen Welt vormachte,


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 120 - arpa Themen Projekte
mit dem «Ersten gütlichen Vergleich» einen billigen, ja, bis
zur Selbstäusserung grossmütigen Frieden angeboten zu haben. Bereits
in der Nacht vom 13. auf den 14. März nämlich hatten sich Schultheiss,
Rat und Hundert in gewaltiger Aufregung versammelt. Um zwei
Uhr früh ward ein «offenes Mahnschreiben» an Zürich als Vorort der
eidgenössischen Tagsatzung beschlossen und schon in den ersten Morgenstunden
durch rettenden Boten nach Zürich gesandt. Darin wurde
nicht etwa um sofortige Einsetzung der Tagsatzung als wirkliches eidgenössisches
Schiedsgericht ersucht, vor dem beide streitenden Parteien
auf Gleich und Gleich ihr Recht auszufechten hätten. Vielmehr
wurde die Sache der Bauern als eine von vornherein gerichtete behandelt.
Die Luzerner Herrenpartei ist als von Gott eingesetzte Obrigkeit
ganz selbstverständlich der allein berufene Richter, und das Einverständnis
der Zürcher Herren sowie der Tagsatzung wird ebenso selbstverständlich
vorausgesetzt, und sie werden nur — in Ermangelung
eigener Truppen — flehentlich um unverzügliche Exekution der Sünder
gebeten.

Und zwar geschieht das so: die Luzerner Herren geben «unsern
guten, lieben, alten Eidgenossen des löbl. Vororts höchst schmerzlich
zu vernehmen, was Gestalt dieser Zeit unsere, in der Rebellion vertiefte
Unterthanen in ihrer Bosheit (!) so weit gewachsen und geraten,
dass sie nicht allein der Pflicht, Treue, Gehorsam und Untertänigkeit
gegen Uns, als ihre natürliche und von Gott geordnete Obrigkeit, entschlossen»,
nicht allein «unsere ihnen im höchsten Grad anerbotenen»,
durch die «ansehnlichen Herren Ehrengesandten zu Werk gesetzten
und wohl versicherten Gnaden (!) spöttisch verworfen, sondern auch
die Wehr wirklich wider Uns und unsere Hoheit ergriffen, und jetzt
sogar die Herren Ehrengesandten in Arrest, ohne alle Ursache, genommen»
— welch letzteres eine Lüge ist, da, wie schon Vock nachgewiesen
hat, die «Ehrengesandten» nur mit Verhaftung bedroht worden
waren, und zwar für den Fall, dass sie wirklich hinter dem Rücken
der Bauern die Hand dazu bieten sollten, diese durch fremde Truppen
abschlachten zu lassen! Dann geht es weiter: die Herrn von Zürich
möchten doch ja um Gotteswillen die Herren von Luzern «durch
Euern, wie auch anderer löbl. Orte männlichen Beistand vor dieser
unrechten, der Natur und allen Völkerrechten (!) widerstrebenden Gewalt,
Drang und Unfall retten»! Und zwar, um «den bisher mit einander
genossenen Frieden und souveränen Stand... fürbass zu behalten
und zu erhalten» und um «die Gegenwehr gegen diese Feinde und
Zerstörer der allgemeinen Ruhe.., desto ernstlicher wenden» zu können,
«so bitten und vermahnen wir Euch, unsere G (etreuen) L (jeden)
A(lten) Eidgenossen, bei Eurer höchsten Treue, Ehre und Eiden,
Uns... sonderlich in Kraft unserer zusammenhabenden geschworenen


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 121 - arpa Themen Projekte
löbl. Bünde (das ist vor allem das Stanser Vorkommnis!), alsobald und
ganz eilend mit einer wirklichen Macht zu folgen, und Uns... in dieser
Noth nicht zu lassen, sondern tröstlich, tapfer und herzhaft beizuspringen.
Unterdessen wolle Gott uns mit seiner Allmacht stärken! —
Datum und mit unserer Stadt gewöhnlichem Sekretinsiegel verwahrt
den 14. März um 2 Uhr 1653.» Zugleich wurde um schnelle Mitteilung
dieses Mahnbriefs an alle eidgenössischen und zugewandten Orte gebeten.
So liess denn Zürich in der Tat, ohne die auf den 18. März angesetzte
Tagsatzung abzuwarten, noch am Abend des Vierzehnten
«durch reitende Boten die Waffenmacht gesammter Eidgenossenschaft
aufbieten, und nach einigen Tagen begannen überall kriegerische Zurüstungen».

Es versteht sich nunmehr nachgerade von selbst, dass die «Ehrengesandten»,
die just vom 14. auf den 15. März wieder vollzählig in Luzern
versammelt waren, den Schritt des Luzerner Rates beim Vorort
Zürich unverzüglich, bevor sie «auf den heutigen Tag (den 15.) wieder
ins Land hinausreiten» — nämlich nach Ruswil, um dort den «Rechtlichen
Spruch» mit den Bauern zu verhandeln —, auf das nachdrücklichste
unterstützten. Sie schickten «an den Vorort und die eidgenössischen
Stände» ein sehr schlecht geschriebenes, ausführliches «Memoriale»
(Denkschrift), in dem sie sich u. a. lebhaft beklagen, dass sich
die Bauern «nicht gütlich weisen lassen (!) wollten»; «dass sie bei
ihrem vermeinten Bund und Eidschwur zu bleiben und die prätendierten
Artikel dadurch zu erhalten gedenken»; dass sie «sich nicht sättigen
wollten, sondern andere Mitinteressierte und, wie sie es nennen,
ihre Bundsgenossen zu gleichem Auszug verleiteten», wie die Entlebucher,
die «gerad urplötzlich mit Wehr und Waffen und offenen Fahnen
aufgebrochen sind». Im übrigen ist dieses Schreiben der «Ehrengesandten»
in einem nicht ganz so hetzerischen Ton abgefasst wie das
des Luzerner Rats, obwohl es zwar ebenfalls von zu befürchtenden
«wirklichen Attentaten zu weiterem Unfrieden und Unruh» redet und
in der Versicherung gipfelt: das von den Urkantonen und sonst für die
Stadt Luzern aufgebotene «Volk» (Kriegsvolk) sei zu nichts anderem
da, «als gegen widerrechtliche und gewalttätige Anfechtung gegen die
Stadt zu verwahren»!

Dies alles ist jedoch nichts als ein sanftes Vorspiel zu der geradezu
ungeheuerlichen Flucht in die breiteste Oeffentlichkeit, die der Rat
mit seinem berüchtigten, am 16. März als Flugblatt publizierten «Manifest»
vollzog, ein Hetzschreiben der Regierung gegen das eigene Volk,
mit dem für die Ehre der Herren nicht viel Staat zu machen ist und
das darum der moderne Luzerner Herrenchronist, der sonst sogut wie
alles im Wortlaut wiedergibt, mit zwei Sätzen erwähnt und sonst wortlos
unter den Tisch fallen lässt. Grund genug für uns, uns dieses


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 122 - arpa Themen Projekte
Schriftstück etwas genauer anzusehen. Es wird urbi et orbi verkündet:
«Wir... (etc. pp.) tun kund und zu wissen Männiglichem, an was End
und Ort, sowohl inner unserer angehörigen Landschaft als ausserhalb
derselben, wohin dieser gegenwärtige Bericht und Manifest kommen
und gelangen wird»! Was tun die Luzerner Herren darin zu kund und
zu wissen? Sie hetzen mit einer Flut von Lügen und Verleumdungen
die ganze Eidgenossenschaft gegen die Bauern auf, um auf den Wogen
der so erzeugten «Empörung» eine umfassende Kriegsaktion möglichst
des ganzen Schweizervolkes für die Rettung der Herrenprivilegien, das
heisst für die Aufrechterhaltung und Neubefestigung der bestehenden
Sklaverei des Volkes, zu erzielen! Darum wollen diese Aristokraten
auffallenderweise einmal «insonderheit bei dem gemeinen, einfältigen
Mann» im ganzen Schweizerland Gehör finden.

Wir wollen es uns versagen, die elf Buch seiten langen Heucheleien
der Herren und die lange Liste der bäuerlichen «Verbrechen» zu
rekapitulieren. Unter den ersteren ist nur die geschichtsnotorische
Lüge bemerkenswert, dass nicht durch sie, die Luzerner Herren, die
«Ehrengesandten» der vier Urkantone sowie Freiburgs und Solothurns
aufgeboten worden seien, sondern dass diese allein «durch das gemeine
Landgeschrei und sonst berichtet wurden», «ihre ansehnlichen
Rathsbotschaften ungesäumt in diese Unsere Stadt abzufertigen»! Auch
ist die Versicherung der Luzerner Herren possierlich, sie seien bestrebt
gewesen, die «Ehrengesandten» «von der ersten Urhebe dannen bis auf
Jetzt gegenwärtigen Kurs ganz unpassioniert zu berichten»! Unter den
«Verbrechen» der Bauern aber figurieren so schwerwiegende wie: dass
sie «hin und her anfingen, sich anzuhängen, Punkte und Beschwerden
anzufüllen»; sowie die «allein zum Schein gebrauchte Untertänigkeit».
trauliche Gespräche zu pflegen»; dass sie «freien Willens und wider
altes Herkommen (!) Versammlungen gehalten»; dass «ein jeder nachtrachte,
Uns mit gemeinen und besonderen Beschwernissen die Ohren
anzufühlen»; sowie die «allein zum Schein gebrauchte Untertänigkeit».
Wir ersparen es uns auch, die Lamentationen der Herren über den
«mit aller Unform und Hinansetzung des Uns schuldigen Respekts und
Gehorsams gestifteten Wolhuser Bund wiederzugeben und notieren nur
gebührend, dass «diese weit aussehenden Punkte sammt der Form, Uns
Maass und Regel vorzuschreiben, Uns nicht unbillig zu Gemüths ging».

Das Sendschreiben der Luzerner Herren «an Alle» gipfelt selbst
in 16 Punkten von denen wir zur Veranschaulichung der Kultur dieser
Herren nur die beiden letzten wiedergeben wollen. Sie sind weit weniger
«weit aussehend» als die Punkte der Bauern, dafür aber umso aufschlussreicher
für die Psychologie der eben auf den Gipfel ihrer Macht
strebenden Schweizeraristokratie der Mitte des 17. Jahrhunderts. Die
beiden Punkte lauten in ihren Kernpartieen:


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 123 - arpa Themen Projekte


Punkt 15: « . . . . und da Wir nun aus diesem allem, und was weiteres
dabei eingelaufen, handgreiflich verspüren und erfahren müssen, dass
durch solche Gewalt und Feindthätlichkeiten unserer eigenen angehörigen
Unterthanen Wir an unserer Ehre, Hoheit, Freiheiten und Gerechtigkeiten,
wider Gott, Recht und alle Billigkeit. angetastet. betrübt
und beschädigt, und damit sogar in höchste Gefahr ferner zu erwartenden
Uebels, wie auch eine gesammte löbl. Eidgenossenschaft in
Wehr und Waffen zu bringen, gesetzt werden, — so haben Wir, aus
Noth gedrungen. . . » (eben gerüstet und die Truppen der vier «Vermittler»-Kantone
in die Stadt genommen und erklären, dass Wir) «...
hiemit vor Gott, unserm Schöpfer, und der ganzen ehrbaren Welt in
bester und kräftigster Form protestirt haben wollen, an dieser Weit.
läufigkeit, Unruh' und Empörung, auch an allem dem Unheil, Aufruhr
und Unglück, so weiters daraus entstehen und herrühren möchte,
keine Schuld noch Ursache zu tragen, sondern wir überlassen es
denjenigen zu verantworten, die diesen bösen Willen in ihren untreuen
Herzen empfangen und von demselben auf andere ausgegossen haben,
dass also letztlich dieses elende Wesen daraus entstand»!

Punkt 16: «Was aber dieser unserer Meinung. wie sie oben erläutert
ist, zuwider und entgegen bei Vielen oder Geringen, Hohen und Niedern
hin und her möchte ausgegeben, in die Ohren geblasen, oder ausgebreitet
worden sein, widersprechen Wir, dass Alles faul, falsch, erdichtet
und unwahrhaft sei, und dass Uns damit Gewalt, zu kurz und
Unrecht beschehe, und, dass unsere Erklärung die pure und lautere
Wahrheit sei, nehmen 'Wir über Uns, vor dem strengen Richterstuhl Gottes
in jener Welt zu verantworten; Der wolle die so hart verstockten Gemüther
mit den Augen seiner grundlosen Barmherzigkeit ansehen,
durch solche Gnadenstralen erleuchten, und zu wahrer Erkenntnis
ihres schuldigen Gehorsams bringen, dass also Wir auf solches wieder
zu langwierigem, friedlichem, freiem und ruhigem Wohlstande befreulich
gelangen mögen, Amen.»

Dies also ist der Schuss in den Rücken des angeblichen Verhandlungspartners,
den man währenddessen in Ruswil mit «Verhandlungen»
über den «Rechtlichen Spruch» hinhielt. Dieses «Manifest» ist so
ziemlich der schamloseste Verrat, der zwischen einer Regierung und
einem Volk überhaupt begangen werden kann; um mit den gegen die
Bauern gerichteten Worten der Luzerner Regierung zu sprechen: «dass
von einem offenen und erklärten Feinde nicht wohl Aergeres folgen
und beschehen könnte»!

Inzwischen war es den Luzerner Herren — trotz der «Einschliessung»
der Stadt durch die Bauern —gelungen, etwa tausend Mann in
die Stadt zu ziehen. Ferner war inzwischen eine feste Zusage des Landvogts
Leopold Feer im Rheintal eingegangen, «600 Mann Luzern zuzuführen»;
er «hoffe auch auf Hülfe von Seite des Grafen von Hohen-Ems
und des Gubernators in Bregenz» (also von ausländischen Feudalherren!).
Ebenso wusste man seit dem Fünfzehnten in Luzern, dass
«1000 Thurgauer kriegsbereit» gemacht seien. Der Landvogt Jost am
Rhyn allerdings musste aus der Grafschaft Baden berichten, dass zwar


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 124 - arpa Themen Projekte
«das Volk zum Zuzüge gerüstet, vielleicht aber nicht ganz zuverlässig
(!) sei. Denn es wolle zuerst wissen, ob die Bauern oder die Obrigkeit
Recht habe»! Dafür konnte andererseits der Landvogt Peter Zelger
«aus Lauis» melden, «dass Luzern über 400 gut bewaffnete Leute aus
seiner Landvogtei verfügen könne». Auch vom Urner Landvogt Bässler
in Locarno kam etwas später die Zusage aus seiner Landvogtei.
Der Rat von Bremgarten meldete am Sechzehnten, «dass 100 Mann aus
den Freien Aemtern nach Luzern marschieren». Aber auch hier war
«die Stimmung für die Stadt an den meisten Orten keineswegs günstig»,
was schon aus der geringen Zahl des Zuzugs aus diesen volkreichen
Aemtern hervorgeht. Die Bauern seien bereits «eingeschüchert» —d. h.
sie gehorchten den Parolen ihrer Klassengenossen in den luzernischen
Aemtern — und sie «wagten nicht, die Befehle der Obrigkeit auszuführen».
Gewissermassen zwischen zwei Feuern fasste eine Amtsgemeinde
in Hitzkirch am Sechzehnten «nach vollendetem Gottesdienst»
den Beschluss, «weder der Regierung von Luzern, noch den Unterthanen
derselben Hülfe zu leisten, sondern bis auf weiteren Bescheid
zu Hause zu bleiben», womit jedenfalls eher den Bauern als den Herren
gedient war. Das geht auch daraus hervor, dass Freiämter-Bauern
auch in ihrem Gebiet Boten nach Luzern, wie z. B. den des Stiftes
Münster, abfingen «und sie untersuchten bis aufs Hemd»! Dagegen
erklärte die Pfarrei Villmergen «mit einhelligem Mehr, dass sie einem
Hülfsbegehren der vier unpartheiischen katholischen Orte Folge leisten
werde».

Schon auf den Notschrei des Luzerner Rates an den der Zürcher
vom Vierzehnten hatte dieser das Hülfsgesuch der Luzerner Herren,
noch am selben Tag abends 10 Uhr, durch reitende Boten an die Räte
von Basel, Bern, Freiburg, Solothurn und St. Gallen weiterspediert, und
Basel «ersuchte am 15. März den Rat von Mülhausen, mit Rücksicht
auf die rasche Ausdehnung des Aufstandes 60 oder 80 Mann zu werben».
Sodann sandte der Zürcher Rat zwei seiner Ratsherren den
Statthalter Salomon Hirzel und den Bergherr Johann Heinrich Lochmann,
eiligst nach Luzern. Sie sollten sich erstens darüber vergewissern,
«dass der Streit nicht im Mindesten mit der Religion irgendwie
zusammenhänge», was denn auch nicht schwer war. Zweitens sollten
sie sich genau über den Stand der Verteidigung erkundigen. Ihnen
schien die Stadt «in gutem Stande, so dass eine Verteidigung wohl
möglich sei»; sie erklärten aber auch, dass «die Rebellen auch gute
Ordnung halten, ziemlich gut verfasst sind, Kriegserfahrene unter sich
haben und die meisten Pässe in ihre Gewalt gebracht haben». Dieses Urteil
ist umso interessanter, als dieselben Gesandten auf ihrem Hinweg
nach Luzern von den Bauerntruppen zu Root und Ebikon «einige Stunden
lang aufgehalten» und angeblich auch «mit Worten und Werken
beschimpft» worden waren. Sie selber allerdings berichteten dem Zürcher


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 125 - arpa Themen Projekte
Rate nur, dass sie von den Bauern «nit unzimmlich empfangen,
jedoch um Geduld und ein wenig ze warten gebetten worden» seien.
Aber militärische Sachverständige waren die beiden Zürcher Ratsherren
offensichtlich nicht.

Trotz all der Vorkehren herrschten in Luzern noch am Sechzehnten,
an demselben Tag, als der Rat in seinem «Manifest» Feuer und
Galle über die Bauern in die Welt spie, «eine deprimierte Stimmung»,
von der der moderne katholische Herrenchronist als besonders charakteristisches
Zeichen meldet, dass ihr «auch der sonst so lebhafte Kapuziner
Pater Placidus» (der «Eidgenosse» aus Freiburg im Breisgau)
«sich nicht entziehen konnte, als er am 16. März bei Franziskanern die
Anrede an die Truppen halten musste».

Offensichtlich von dem in Luzern herrschenden Defaitismus —
von dem anscheinend nur die Bauern nichts merkten — unterrichtet,
schrieb Oberst Zwyer noch am selben Tag abends um 11 Uhr aus Ruswil
einen aufmunternden Bericht an den Luzerner Rat, und zwar in
italienischer Sprache; denn jetzt geschah es Tag für Tag, dass die
Bauern Briefe der Herren abfingen, sie lasen und sie manchmal sogar
— wenn auch mit etlicher Verspätung — treuherzig an die Herren
weiterspedierten! Denn mit «welscher» Korrespondenz, ob nun italienisch
oder französisch, «wussten die Bauern und ihre Ratgeber geistlichen
und weltlichen Standes... doch nicht viel anzufangen». Und:
was der Bauer nicht weiss, macht ihm nicht heiss..

Item, in diesem italienischen Bericht des österreichischen Feldmarschalls
Zwyer an die Luzerner Herren kommt nun ein wirklicher
militärischer Sachverständiger zu Worte, der ihnen besser als die Zürcher
Ratsherren den Kriegsmut wieder zu heben vermochte. Dies umsomehr,
als der Herr «Vermittler» und Feldmarschall nun selber
kriegslustig wurde. Er berichtet, dass soeben «1200 Mann aus der
Landvogtei Willisau über Sursee nach Rothenburg marschiert seien:
aber alles sei in Konfusion und für Verpflegung der Truppen sei nicht
gesorgt, sodass diese bald Hunger leiden müssen». Sodann gibt er
diplomatisch-politische Ratschläge: «Wenn es gelinge, die Entlebucher
und Willisauer zufrieden zu stellen, dann werden die andern kleinen
Vogteien sich bald fügen. Die Stadt soll also den Schiedsrichtern Vollmacht
geben, mit diesen beiden Aemtern eine Vereinbarung zu treffen;
dann seien die Bauern auch gezwungen, eine ähnliche Vollmacht auszustellen.
Denn er sei fest überzeugt, dass die Bauern im Grunde durchaus
nicht den Krieg wollen — sonst würden sie nicht in einem fort auf
baldige Beendigung der Verhandlungen dringen. Die Obrigkeit habe
hiedurch noch Zeit zu Rüstungen gewonnen. Gelinge ihr nur ein
Streich, so sei sie Sieger. Lieber wollte er mit dem Schwerte in der
Hand den Bauern entgegen treten, als hier sich von diesen injurieren
lassen»!


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 126 - arpa Themen Projekte

Das muss man sagen: dieser «Friedensvermittler» hat sich endlich
selbst die Maske vom Gesicht gerissen und offen den Kriegsmann gezeigt.
Aber «offen» war seine Sprache nur den Herren gegenüber, die
ohnehin wussten, wen sie an ihm hatten. Die Bauern aber wollte er
mittels ihrer ihm sehr genau bekannten Schwächen, insbesondere
ihrer Friedensliebe, solange an der Nase herumführen, bis die Rüstungen
der Herren ihm hinreichend erschienen, um einen «Streich» zu führen
und «Sieger» zu sein!

Dieser Brief Zwyers versetzt uns zugleich wieder mitten in die «Verhandlungen»
der Herren mit dem «Rumpfparlament» in Ruswil. Er
gibt die denkbar wünschenswerteste Klarheit über den Geist des Volksverrats,
in dem diese Haupt- und Staatsdiversion seitens der «Ehrengesandten»
geführt wurde. Die beiden Hauptämter, Entlebuch und Willisau,
die selbst in diesem «Rumpfparlament» die Hauptburgen der
Bauernrevolution blieben, sollten durch verlockende Angebote zum
Bruch des beschworenen Bundes verführt werden. «Divide et impera»
war wieder die Losung. So bot der Rat von Luzern, «um die Aussöhnung
zu erleichtern», der Stadt Willisau «die freie Wahl des Stadtschreibers,
Schultheissen und Grossweibels» an, «wenn der Spruch sofort
angenommen werde». Die Stadt Willisau aber hielt über diese
Frage am Siebzehnten eine Gemeinde ab, die einmütig beschloss, die
Aemterbesetzung dürfe überhaupt «nicht dem rechtlichen Spruche
unterstellt» werden. Dawider erhoben sich jedoch die Hochdorfer und
forderten: «das Schiedsgericht solle alle Klagen rechtlich entscheiden».
Da dieselbe Willisauer Gemeinde auch beschlossen hatte, «dass der
Landvogt niemals in der Stadt Willisau wohnen dürfe», zog der Luzerner
Rat sein Angebot an die Willisauer Bürger unverzüglich wieder
zurück. Und mit diesem ganzen Handel war es den «Schiedsrichtern»
gelungen, einen gefährlichen Keil in eine der Hochburgen zu treiben!

Ja, es fanden sich sogar ein paar wenige Willisauer Bürger, so
Hans Georg Barth, der einzige bürgerliche «Kapitän-Lieutenant» der
Willisauer Kriegsmacht, sowie der Statthalter Ulrich Gut — und als
Mitverräter auch einer aus Ruswil —, die hinter dem Rücken ihrer
Kampfgenossen noch am Siebzehnten zum Rat nach Luzern liefen
und diesem «goldene Berge versprachen»: «wenn nämlich die Wahl
des Stadtschreibers und Grossweibels» (vom Schultheissen ist nicht
mehr die Rede) «der Bürgerschaft in Willisau überlassen werde, so sei
der ganze Handel beigelegt und das Volk (die Truppen der Willisauer,
aber auch der Ruswiler) in Horw und bei der Gislikoner Brücke werde
sofort abgeführt»! Der Rat jedoch willigte jetzt nur noch in die freie
Wahl des Stadtschreibers ein, «behielt sich aber die Bestätigung vor
und gab den drei Gesandten (!) eine Urkunde hierüber». Selbst, für
einen derart entwerteten Preis ritten diese, in Begleitung des «Stadtreiters»


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 127 - arpa Themen Projekte
als Zeugen, sofort zu den genannten Truppen hinaus, um die
Sabotage zu vollenden, die sie für einen immerhin höheren Preis versprochen
hatten. Aber siehe da: am «gemeinen Mann» aus dem Volke
scheiterte der ganze teuflische Plan! «Die dortigen Truppen erklärten,
gleich den Entlebuchern und Rothenburgern, dass sie nicht abziehen,
bis sie eine besiegelte Urkunde über die ganze Friedensverhandlung
haben»! Das Volk der Willisauer Bürger und Bauern war, wie
das der Ruswiler, der Entlebucher und der Rothenburger, um keinen
Preis meineidig und bundesbrüchig zu machen. Im Gegenteil: «die
Truppen an diesen Orten erhielten gerade jetzt wieder Verstärkungen,
und neue Truppen zogen gegen den Stutz und nach Tripschen».

Dagegen ist am gleichen Tag dem Zusammenwirken der «Ehrengesandten»
in Ruswil und einiger Landvögte, die bei den Amtsleuten
für den Fall eines Sonderfriedens die hohe Gunst der Luzerner Herren
anzupreisen hatten, ein ähnliches Manöver dem Amt Malters gegenüber
geglückt. «Denn am 17. März erklärte sich das Amt Malters»
(d. h. seine «Vertreter» im «Rumpfparlament» von Ruswil) «mit der
Gewährung der 4 Artikel befriedigt» (vier! von vielleicht sechs- oder
achtmal soviel!). Und noch am gleichen Tag «räumten die Truppen
von Malters das Feld» bei Kriens! Noch am selben Tag aber wurden
sie durch Rothenburger ersetzt, die von den Kriensern sofort herbeigerufen
worden waren...

Was das Verhalten der Entlebucher mitten in diesem Wirbel von
Verratsaktionen, mit denen das Land überschwemmt wurde, betrifft,
so ist es noch heute mit dunklen Rätseln umgeben. Das Rätselhafteste
daran ist, dass während der ganzen Ruswiler Verhandlung, ja auch
während der ganzen «Belagerung» von Luzern niemals der Name des
Pannermeisters Hans Emmenegger und niemals derjenige des Bundeskanzlers
Johann Jakob Müller genannt wird! Das wird wohl zu einem
guten Teil auf die besondere Abneigung der zeitgenössischen wie der
späteren Herrenchronisten gegen diese beiden Männer wie gegen die
Entlebucher überhaupt, zurückzuführen sein. Dafür tauchen andere
bekannte Namen in dem höchst verdächtigen Licht ihrer Gunst auf,
das vielleicht sogar absichtlich auf sie gerichtet worden sein mag, um
auch die Geschichtschreibung noch in ihrer revolutionierenden Wirkung
zu zersetzen. So wird von den Ruswiler Verhandlungen nur berichtet:
«die Entlebucher» — welche Entlebucher? — «versprachen
zwar, bei ihren Leuten für die Annahme des Vergleichs zu wirken».
(Es werden solche gewesen sein wie die heimlich nach Luzern gelaufenen
drei Willisauer.) Unser Herrenchronist, der dies berichtet, muss
jedoch sofort hinzufügen: «sie hatten aber schlechte Hoffnung, die
Leute aus dem Felde heimzubringen (!), da die Begehren wegen Vergütung
der Kosten, Appellation und Umgeld nicht acceptiert wurden».
Als ob nicht weit wichtigere Gründe die Entlebucher hätten veranlassen
können, im Felde zu bleiben!


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 128 - arpa Themen Projekte

Niklaus Leuenberger

als Gefangener im Berner "Mörderkasten"

Die Berner Regierung hat dem im "Mörderkasten"angeschmiedeten
"Hochverräter' den Bart, den Stolz und das Ehrenzeichen
des damaligen Bauern, abnehmen lassen.

Nach einem zeitgenössischen Originalstich in der Landesbibliothek
in Bern.



Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 128 - arpa Themen Projekte
Abbildung 8


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 129 - arpa Themen Projekte

Gerade von den Entlebuchern aber, die im Felde standen, werden
höchst merkwürdige Dinge berichtet. So sollen der Landeshauptmann
Nikolaus Glanzmann und der Landesfähnrich Nikolaus Portmann aus
dem Feldlager bei Kriens «an Schultheiss und Rat von Luzern' geschrieben
haben: «sie beabsichtigen nichts Feindseliges gegen die
Stadt (!), sondern erwarten hier ruhig den Spruch der Schiedsrichter
(!); wenn dagegen die Luzerner einen Ausfall machen und Angehörige
des Wolhuser Bundes schädigen würden, so könne es allerdings
,keine gute Sache gehen'». Den «Vermittlern» in Ruswil hinwiederem
sollen sie geschrieben haben: «die Truppen von Entlebuch
seien' (nur!) «deshalb nach Kriens gezogen, weil dort die Verpflegung
leichter sei, da dort Milch genügend vorhanden und die Lebensmittel
billig seien»! Selbst unser Heissporn Stephan Lötscher, jetzt «Oberstwachtmeister»
der Entlebucher, habe in einem an den Bürgeroppositionsführer
Anton Marzell gerichteten Schreiben versucht, «die Bürgerschaft
von Luzern zu beruhigen (!), indem er erklärte, die Entlebucher
seien nur nach Kriens und Horw gezogen, um diese Aemter
vor einem Ueberfälle von Seite Luzerns zu schützen; die Entlebucher
verlangen nichts als das göttliche Recht...» Da kann etwas nicht
stimmen! Das sieht, alles zusammengenommen, zu verdächtig nach
absichtlicher Verwedelung der geschichtlichen Wahrheit aus.

Eins allerdings muss uns stutzig machen: dass jedenfalls Nikolaus
Glanzmann auch später nie für seine Teilnahme am Bauernkrieg,
und an so hervorragender Stelle, gestraft, vielmehr von den siegreichen
Luzerner Herren an Stelle des gemarterten und geköpften Hans
Emmeneggers zum Landespannermeister befördert worden ist! So
könnte es also wohl sein, dass es den Luzerner Herren schon während
der «Belagerung» ihrer Stadt gelungen ist, diese Säule mit geheimen
Versprechungen aus dem Gebäude des Entlebucher Aufruhrs herauszubrechen
und damit einen Keil in dessen Herz zu treiben... Und
dann wäre es auch ohne weiteres erklärlich, dass Nikolaus Glanzmann
noch am Vorabend des ersten Zusammenbruchs der stolzen Bauernmacht
vor Luzern, am 18. März nachts, den «Ehrengesandten» der
sechs katholischen Orte aus Malters — dem bereits abgefallenen Amt
—geschrieben haben soll: sie sollten «sich durch das Stürmen und
das Geschrei des gemeinen Mannes (!), der Weiber und Kinder nicht
beirren lassen, sondern in Verbindung mit dem Dekan» (der von den
Luzerner Herren bereits früher herausgebrochenen religiösen Säule
des Wolhuser Bundes!), aber auch mit «dem Schulmeister» (? dem Johann
Jakob Müller? Dann aber nur als Gegengift!) «die noch ausstehenden
Punkte zu verbessern und dann den Spruchbrief herauszugeben».
Dieser «Spruchbrief» nämlich, das werden wir noch sehen, war
nichts anderes als die besiegelte Niederlage der Bauern...

Von Stephan Lötscher aber wissen wir zuverlässig, dass er auch
im Feldlager vor Luzern der alte Heissporn geblieben ist! Denn sein


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 130 - arpa Themen Projekte
Schreiben an Marzoll, das unser moderner Luzerner Herrenchronist
als ein Beweisstück für den Defaitismus der Bauern am Achtzehnten
zitiert, stellt sich bei näherem Zusehen im Gegenteil als ein Versuch
der Bauern heraus, ihre Verschwörung mit der Bürgeropposition, die
sie in Werthenstein begonnen und dort in geheimen Zusammenkünften
auch während der Ruswiler Verhandlungen fortgesetzt hatten, jetzt
in den Dienst eines nun erst (zu spät!) geplanten Sturms auf die Stadt
zu stellen! Die Bürger sollen den Sturm nicht als gegen sie, sondern
nur als gegen den gemeinsamen Bedrücker, gegen die Alleinherrschaft
der Aristokratie, gerichtet erkennen. Wie richtig diese Darstellung ist,
darüber verrät sich unser Herrenchronist an anderer Stelle selbst, wo
er als Antwort auf dieses Schreiben (ohne Namensnennung Lötschers!)
schreibt: «Allein die Bürger, deren Interessen ganz andere waren wie
jene der Bauern, hüteten sich wohl, gemeinsame Sache mit den Revolutionären
zu machen, so sehr ihnen auch das Patriziat der Stadt verhasst
war; sie wollten nicht nur getrennt marschieren, sondern auch
getrennt den gemeinsamen Feind schlagen» — was ihnen übrigens
später gründlich zum Verhängnis geworden ist. Stephan Lötscher war
es auch, der in der Nacht vom 18. auf den 19. März, die eine Verzweiflungsnacht
für alle echten Rebellen war, zur Ausführung des gewiss
nicht «beruhigenden» Planes riet, «durch Schwellung des hochgehenden
Kriensbaches die Stadt zu schädigen»! Und keiner auch würde so
trefflich wie er als Urheber der andern in dieser Nacht ausgestossenen
Drohung der Bauern passen, «die Stadt zu verbrennen»! Was übrigens
beides unausgeführt blieb.

So ist es auch von der Grosszahl der Entlebucher und ihrer Führer
gewiss (alle späteren Ereignisse beweisen es unwiderleglich), dass sie
genau so wie die Willisauer fest blieben mitten im Sturm des Verrats,
der von Ruswil ausging. Ein Dokument gibt es, das den echten Geist
des unerschütterlichen Widerstandes atmet, den der Verrat der Herren
in Ruswil fand. Es betrifft die Willisauer und ist ein Brief des Zuger
«Ehrengesandten», Ammanns und Landschreibers Beat Jakob Zur Lauben,
den dieser servilste Diener der Luzerner Herren gegen Ausgang
der Verhandlungen aus Ruswil schrieb. «Die Willisauer» — heisst es
da — «sind ganz ertaubet und wild mit Drohen und Bochen, sie sind
entschlossen, weder einen Stadtschreiber noch einen Grossweibel von
Luzern zu gedulden; einige sagen, sie wollen lieber den Tod ausstehen,
als heimlich oder öffentlich sich diesen Beamten fügen. Andere sagen,
sie würden eher mit Habe und Gut das Land verlassen, als diese zwei
Beamten dulden.» Das ist echter, unbrechbarer Eidgenossengeist! In
diesem Trotz steckt aber zugleich der Wille einer Klasse — es waren ja
Willisauer Bürger —, die von der Geschichte dazu berufen war, die Aristokratie
zu zerschlagen und die Welt umzuwälzen. Entwickeltere Bürger,
aber aus demselben Holz geschnitzte Leute, brachen damals in England
wirklich auf, um jenseits des Ozeans die neue Welt zu begründen...


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 131 - arpa Themen Projekte

Der achtzehnte März war der entscheidende Tag; für die Ergebnisse
der Verhandlungs-Diplomatie seit der Errichtung des Wolhuserbundes
ebenso, wie für die militärische Lage. Er war auch der Gipfel
der von der Regierung und ihren «ehrengesandtlichen» Helfershelfern,
mit Unterstützung der Kapuziner, angestifteten Wirrnis von Diversionen,
wie der tragischen Selbstverstrickung des Volkes in diese Verrätereien,
eines Volkes, das in diesem entscheidenden Augenblick seiner
Geschichte vollkommen führungslos war. Hätte in Hans Emmenegger
auch nur ein Funke eines Thomas Münzer geschlummert: in
diesen Tagen hätte er als helle, wegweisende Flamme zum Himmel
lehen müssen! Aber eben dass dies nicht geschah, dass selbst sein Name
in diesen Tagen wie aus der Geschichte gestrichen zu sein scheint;
dass, mit anderen Worten, die leidenschaftlich aufgehäufte Kraft von
zehntausend bewaffneten Bauern keinen Thomas Münzer mehr hervorzubringen
vermochte: das zeigt deutlicher als alles andere, dass die
Zeit für die Bauernklasse, auf eigene Faust Geschichte zu machen, endgültig
vorüber war. Ihre geschichtliche Tat war die Gründung der Eidgenossenschaft
gewesen. Darum blickten sie so gern darauf zurück —
und nicht vorwärts! Diese Eidgenossenschaft war ihnen inzwischen
aber von neuen Zwingherren unwiderruflich aus der Hand gewunden
worden.

Ein solcher Zwingherr war jetzt der Herr der Situation im ganzen
Bauernhandel. Es war der Urner Oberst Sebastian Bilgerim Zwyer
von Evibach, österreichischer General und Feldmarschall, erster Agent
der habsburgisch-spanischen Feudalmacht und des Heiligen Römischen
Reichs Deutscher Nation in der Schweiz, derzeit führender eidgenössischer
«Ehrengesandter» der sechs katholischen Orte beim
siebenten katholischen Ort, als solcher auch von den sechs evangelischen
Orten der Eidgenossenschaft begeistert anerkannt und von der
gesamten Herrenklasse der Schweiz für seinen geschichtlichen Auftrag
mit heissen Wünschen begleitet; für den Auftrag nämlich: mit dem
alteidgenössischen Wahn des freien Bauerntums endgültig Schluss zu
machen; der Bauernklasse den letzten Rest des Heftes, mit dem man
Geschichte macht, aus der Hand zu winden und sie für immer in die
Ohnmacht der Geschichtslosigkeit zurückzustossen. Nur so nämlich
war für die Herrenklasse das Fundament ihrer Alleinherrschaft gesichert,
nur so der Friede und die Ruhe im Genuss ihrer Vorrechte auf
unabsehbare Zeitläufte gewährleistet.

Am frühen Morgen des Achtzehnten rückte ein weiteres Kontingent
der Urner, der Landsleute Zwyers, in Luzern ein, aber nicht Bauern,
sondern 120 «Vornehme als Freiwillige». Dieser winzige Akt ist
sinnbildlich für die in der Gesamtlage eingetretene Wendung zugunsten
der Herren. Am gleichen Morgen traten in Baden die Herren sämtlicher
dreizehn Orte der Eidgenossenschaft feierlich zu einer Tagsatzung
zusammen, die auf Betreiben der Luzerner Herren und der


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 132 - arpa Themen Projekte
«Ehrengesandten» unter Führung Zwyers einzig zu dem Zweck einberufen
worden war, um den luzernischen Aufruhr abzuwürgen, weil
dieser bereits zum Keim und Auftrieb einer Bauernbewegung in der
ganzen Schweiz geworden war. Hier war die Herrenklasse aller dreizehn
Orte ganz unter sich. Kein einziger Bauer konnte vor dieser Versammlung
die Stimme erheben. Auch kein Ammann Trinkler stand
auf und sprach für die Bauern —hier wurde Peter Trinkler vielmehr
ausdrücklich als Hetzer und Schädling an der Eidgenossenschaft
öffentlich verfemt. Das war also ein «Gericht» der Feinde der Bauern.

Diese hatten allen Grund, seine Beschlüsse zu fürchten, und sie
fürchteten sie auch, seit dem 12. März, als die Einberufung dieser Tagsatzung
verkündet worden war. Darum hatten sie ja so leidenschaftlich
immer wieder auf beschleunigten Abschluss, so oder so, gedrängt.
Beides schien ihnen vorteilhafter: noch ohne den Druck der Tagsatzung
ihre Artikel unter Dach zu bringen, wie auch Krieg zu führen, bevor
die Tagsatzung das eidgenössische Aufgebot gegen sie erliess. Nun hatten
sie weder das Eine, noch das Andere erreicht. Wohl aber hatte Zwyer
sowohl das Eine, als auch das Andere erreicht, was ihm die Luzerner
Herren schon zu Beginn der «Vermittlung» der «Ehrengesandten»
als Ziel setzten: Zeitgewinn, bis der eidgenössische Apparat in Gang
kam, und bessere Kriegsrüstung... Jetzt am Achtzehnten, konnte
Zwyer den Bauernausschüssen in Ruswil mit beidem drohen: mit dem
erreichten Anschluss an die Tagsatzung und mit der bereits bedeutend
erhöhten Rüstung!

Und zwar brauchte Luzern — und brauchte Zwyer — jetzt zur
Not nicht einmal mehr das Kriegsaufgebot der Tagsatzung abzuwarten.
Nicht dass die Truppenzahl in der Stadt inzwischen zu einer besonders
bedrohlichen Macht angeschwollen wäre. Mehr als 14-1500,
allerdings gut Bewaffnete, mögen am Achtzehnten nicht in ihren Mauern
gewesen sein. Auch zeigten sich in ihren Reihen ab und zu bedenkliche
Zersetzungserscheinungen, wenn diese auch nur den bäuerlichen
Teil der Truppen anfielen: besonders die Unterwaldner aus der Nachbarschaft,
aber auch einzelne Schwyzer und Zuger Bauerntrupps
murrten mehr und mehr, als sie erkannten, im Dienste wessen sie
gegen wen gebraucht werden sollten. Nein, die grosse Rückenstärkung
kam vom mächtigsten Herrenstaat der Eidgenossenschaft, von Bern!

Schon auf den Notschrei der Luzerner Herren vom Vierzehnten
früh, den die Zürcher noch in der darauffolgenden Nacht nach Bern
spediert hatten, «traf der Rat (von Bern) sofort die nötigen Anstalten,
indem er aus den welschen Vogteien (d. h. aus dem Waadtland) Truppen
aufbot und selbst Genf um Hülfe mahnte». Der Alarm der Luzerner
Herren kam den Berner Herren sehr gelegen, denn ihre eigenen
Bauern muckten nun schon gewaltig auf, sodass die Berner Herren
unter dem guten Vorwand, Luzern beispringen zu müssen, von vornherein
auch die eigenen Bauern unter militärischen Druck setzen konnten.


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 133 - arpa Themen Projekte
Am 16. März gab der Berner Rat den bereits in Baden wehenden
Ratsherren Schultheiss Anton von Graffenried und Fenner Vincenz
Wagner von den im Welschland erfolgten Truppenaufgeboten Kenntnis,
«mit der Bitte, einen Angriffsplan zu entwerfen». Gleichzeitig wurden
auch schon 150 junge Berner in die Schlösser Thun, Wimmis und
Burgdorf gelegt. Schon am Siebzehnten «rückten in Bern 800 Mann
aus Nidau, Büren, Erlach und Aarberg ein, denen am folgenden Tage
je 100 Mann von Biel und Neuenburg folgten. Zwei Tage später .trafen
wieder 300 Neuenburger und am 21. März die Leute von Neuenstadt
und Tessenberg in Bern ein, so dass der Rat von Bern ausser seinen
Bürgern 1600 Mann zur Verfügung hatte».

Damit aber nicht genug. Der Rat von Bern hatte, auf den Hülferuf
der Luzerner hin, am Sechzehnten auch schon eine kleine Sondertagsatzung
der Gesandten von Bern, Freiburg und Solothurn veranstaltet.
«Freiburg hatte vorläufig 1000 Mann aufgeboten und gedachte,
wenn nötig, noch 2000 Mann auszuheben. Für den ersten Auszug
waren 3 Feldstücklein (Kanonen) bereit. Solothurn hatte 600 Mann
und 2 Regimentsstücklein zum Auszuge gerüstet.» Alle drei zusammen
schrieben nun bereits am Siebzehnten an den Rat von Luzern: «Man
werde auf erfolgende Mahnung sofort mit einigen Tausend Mann zu
Pferde und zu Fuss zu Hülfe kommen, die Stadt solle doch mit diesen
der Vernunft beraubten Menschen keinen Vertrag abschliessen durch
welchen die Rechte der Regierungen geschmälert würden»! Nun soll
zwar, nach unserem modernen Luzerner Herrenchronisten, dieses
Schreiben «in Luzern erst am 20. März im Rate verlesen» worden
sein —das mag sein. Aber die Schultheissen haben es sicher sofort zur
Kenntnis genommen und totsicher in gestrecktem Galopp zu Zwyer
nach Ruswil reiten lassen! Und darum konnte es nicht früher «im Rate
verlesen» werden. Zwyer hat bestimmt bereits im Lauf des Achtzehnten
von dieser formidablen Rüstung der Berner Kunde bekommen.

Denn diese Kunde war ebenfalls bereits im Lauf des Achtzehnten
wie ein Blitz in die Massen der Bauern gefahren — wie ein Blitz, der
das ganze Gebäude ihres ohnehin bereits derart zersetzten Aufruhrs
vom First bis auf den Grund spaltete! Die Nachricht: «fremde Truppen
werden ins Gebiet von Luzern einfallen!», kam den «vermittelnden»
Herren derart zurecht, dass sie nicht besser hätte wirken können,
wenn sie bestellte Arbeit des Obersten Zwyer gewesen wäre. Zwar
wird von unserem luzernischen katholischen Herrenchronisten — getreu
seinen Vorgängern, denen allen es nicht sympathisch sein konnte,
die Rettung der katholischen Luzerner Aristokratie den so viel schneidigeren
evangelischen Berner Herren zu verdanken — die «plötzliche
Ausstreuung» dieser «durchaus unwahren Gerüchte» geflissentlich den
Bauern in die Schuhe geschoben; besonders soll ein einzelner Mann,
der Landessiegler von Entlebuch, der Urheber dieser «falschen» Gerüchte
gewesen sein. Das ist natürlich umso lächerlicher, als dieselben


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 134 - arpa Themen Projekte
Herrenchronisten ausführlich von all den erwähnten, seit dem Fünfzehnten
fieberhaft betriebenen und das ganze Bernerland, ja selbst den
Kanton Freiburg in Aufruhr versetzenden Rüstungen des Rates zu
Bern Kunde geben.

Dieselben Herrenchronisten sind es auch, die uns von der begeisternden
Wirkung anderer, mit diesen Rüstungen zusammenhängender
Ereignisse auf die Luzerner Bauern — nicht als von «Gerüchten», sondern
als von geschichtlich erhärteten Tatsachen berichten. So sagt
Herr von Liebenau: «Geradezu begeisternd wirkte die Kunde, dass in
Greyerz» (schon am Fünfzehnten) «und in der Gegend von Langenthal»
(am Siebzehnten) «die Leute sich weigern, gegen die Bauern zu
ziehen, dass im Bernerischen die Regierung aus Furcht vor dem Volke
nicht wage, die Besetzungen zu vermehren und dass im Gebiete von
Basel die Bauern sich weigern, Soldatengelder zu zahlen, ja dass in
Uri und Unterwalden die Regierungen den Leuten die Versicherung
haben geben müssen, dass man sie nicht gegen die Entlebucher gebrauchen
wolle.» Die begeisternde Wirkung all dieser historisch durchaus
richtigen Tatsachen auf die Bauern — eine Wirkung die, ebenfalls
historisch richtig, bereits als in den Tagen vom 15.-18. März wirksam
dargestellt wird — soll beweisen, dass es im Interesse der Bauern gelegen
habe, die «durchaus unwahren Gerüchte» von den Berner Rüstungen
zu verbreiten. Im Interesse der Bauern lagen nur die sie ermutigenden
Nachrichten von den Meutereien ihrer Klassengenossen
in den anderen Kantonen. Wie der waadtländische Geschichtsschreiber
L. Vulliemin — der väterliche Freund des jungen C. F. Meyer und der
beste Fortsetzer der Johannes von Müller'schen Schweizergeschichte —
dartut, waren diese Meutereien nicht ganz belanglos, wenn sie auch an
der Gesamtsituation nicht viel zu ändern vermochten. So sagt er: «Freiburg
konnte keine Hülfe leisten, weil die Greyerzer (am 15.) davon
sprachen, sich einige tausend Mann stark den Empörern anzuschliessen»!
«Die Waadtländer verweigerten (zwar) ihre Hülfe nicht, zeigten
aber (am 16.) einen grossen Widerwillen gegen ihre Brüder zu kämpfen,
die sich für ihre Freiheit erhoben»! Bei einer zu Langenthal veranstalteten
Musterung (am 17.) wurden die aus Bern abgeschickten Offiziere
«ungestüm» gefragt: «Gegen wen heisst man uns marschieren?» —
Gegen die Aufrührer von Luzern. «Niemals.» Und alsobald zerstreute
sich die gesamte Mannschaft. Fast in allen Dörfern gewannen die
«Harten» über die «Linden», die der Regierung treu gebliebenen, das
Uebergewicht.

Die Nachrichten von den Rüstungen selbst konnten unter den Luzerner
Bauern nur Angst und Panik erzeugen. Sie waren aber natürlich
genau so wahr und ganz gleichzeitig wirksam wie die Nachrichten von
den Wirkungen und Begleiterscheinungen dieser Rüstungen: von den
Meutereien bei den ausgehobenen Truppen. Tatsache ist nur, dass unter
den Bauern — angesichts einer derartig drohenden militärischen


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 135 - arpa Themen Projekte
Uebermacht wie des Kriegsstaates Bern, die, unter Zuzug von Freiburg
und Solothurn, «sofort mit einigen Tausend Mann zu Pferde und
zu Fuss» ins Luzernische einzumarschieren bereit war — die Angstpanik
diese an sich richtigen Nachrichten von Mund zu Mund vergrösserte
und besonders in den unmittelbar bedrohten Grenzgebieten zu
wirklich falschen Gerüchten über Zeit und Ort des durchaus begründetermassen
befürchteten Einbruchs Anlass gab. Tatsache ist auch,
dass sich die Bauern begeistert an die Nachrichten von den Meutereien
unter den aufgebotenen Klassengenossen der andern Kantone
klammerten: das war der Strohhalm ihrer Hoffnung mitten im Sturm
ihrer Angst und Not.

Tatsächlich hat die Panik wegen des drohenden Ueberfalles der
Berner, den man sich als unmittelbar bevorstehend, ja als bereits ins
Werk gesetzt vorstellte, die gesamte Truppenmacht der Bauern in zwei
sich streitende Lager gespalten und dadurch im entscheidenden Moment
völlig paralysiert. Die einen wollten dabei bleiben, die Stadt Luzern
in der Zange zu behalten, bis die Verhandlungen in Ruswil zum
Abschluss gebracht seien; ja, erst jetzt tauchen Anzeichen dafür auf,
dass wenigstens ein Teil der «Belagerer» einen verzweifelten Sturm
auf die Stadt wagen wollte. Die Hauptmasse der Bauerntruppen aber
zog sich in Rothenburg zusammen gegen Norden, «damit die Landschaft
vor grossem Ueberfall bewahrt werde». Und es wurden nach
allen Seiten Boten ausgesandt, um gegen das vom Oberaargau her erwartete
fremde Kriegsvolk «auch noch die anderen Auszüge aufzubieten».

Man kann sich denken, welche augenblickliche Erleichterung diese
Auseinanderreissung der Bauernarmee für die Herren von Luzern bedeutete!
Dies umsomehr, als von dunkler Seite, über die die Geschichte
schweigt, ein ganz offensichtlich wenigstens teilweise erfolgreicher
Versuch gemacht wurde, durch die Parole «Die Religion ist in Gefahr!»
(weil die gefürchteten Berner ja Protestanten waren!) die Bauern von
allen ihren bisherigen sozialen und politischen Losungen, die sie gegen
Luzern ins Feld geführt hatten, abzulenken und sie auf dem Boden der
bedrohten gemeinsamen Religion mit einem Schlag und bedingungslos
wieder in die Arme, die Hürden und Fesseln ihrer «gnädigen Obern» und
christlichen Bedrücker zurückzuführen. Ohne eine solche religiöse Diversion,
die dann ebenfalls bereits am Achtzehnten, in innigstem Zusammenhang
mit der Panik vor dem drohenden Berner Ueberfall, ins Werk
gesetzt und geglückt sein muss, wäre Folgendes nämlich ganz undenkbar
gewesen: dass schon am nächsten Tag, sofort nach der Anhörung
des «Rechtlichen Spruches» auf dem Krienserfelde, das heisst: sofort
nach der ersten grossen Niederlage der Bauern, aus deren allerdings
nichts weniger mehr als repräsentativem Feldlager ein Schreiben beim
Luzerner Rat einging, dessen Inhalt erstens die Mitteilung war, dass


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 136 - arpa Themen Projekte
man sich gegen das «fremde Volk» vorsehe, «damit die Landschaft vor
grossem Ueberfall bewahrt werde», zweitens aber die untertänige Bitte:
«die Obrigkeit möge zur Errettung des wahren, allein seligmachenden
Glaubens und der Gerechtigkeit willen die Unterthanen in Gnaden befohlen
haben und sie väterlich beschirmen und bewahren»! ... Es
müsste denn eine Kriegslist der Bauern gewesen sein, um ihre Truppen
auch über die Niederlage hinaus im Felde behalten zu können!

Doch nun müssen wir endlich zusehen, wie diese Niederlage zuende
geschmiedet wurde —wie unter dem Schutz der Drohung mit
dem Ueberfall von aussen unverzüglich der Ueberfall von innen vollzogen
wurde.

Oberst Zwyer und die andern «Ehrengesandten» in Ruswil hatten
am Achtzehnten einen «struben» Tag. Das «Rumpfparlament» der Bauern
war wieder mehr als vollzählig und auch wieder sehr stachlig geworden.
Denn von allen Seiten trieb die Landespanik wegen des befürchteten
Berner Ueberfalls gerade die aktivsten Bauern nach Ruswil,
um dort zum Rechten zu sehen, Druck auszuüben und Auskunft zu verlangen.
«Bereits hatten die Vermittler den Text der einzelnen Artikel
der Spruchbriefe festgesetzt und in konfidentiellen Briefen an die
Schultheissen und Stadtschreiber mitgeteilt. Einzelne dieser Briefe
waren von den Bauern aufgefangen worden.» Diese Briefe wurden natürlich
sofort den Ausgeschossenen in Ruswil gebracht. Da sie teils
italienisch oder französisch abgefasst waren, «trug diese welsche Korrespondenz
dazu bei, dass sich noch in letzter Stunde eine eigentümliche
Opposition gegen das Schiedsgericht geltend machte, indem dessen
Präsident, Oberst Zwyer, der lange in Italien gelebt hatte, in Rede
und Schrift sich gar vieler Fremdwörter bediente. Als Zwyer vom ,Instrumentum
pacis' (vom Rechtlichen Vertrag als ,Friedensinstrument')
redete, sagten die Bauern, wie Landvogt Kaspar Pfyffer bemerkt: sie
wollen das ,Eidgenössisch haben und nicht mit verkrümmten oder latinischen
Worten, welche weder Geistliche noch Weltliche verstehen
können'.»

Das weit Schlimmere aber war, dass das, was die Bauern aus diesen
abgefangenen Briefen herauszubekommen vermochten, zum grossen
Teil gar nicht dem entsprach, was zwischen ihnen und den «Vermittlern»
besprochen und abgemacht worden war. Sofort verbreitete
sich das sehr begründete Gefühl ganz allgemein, dass sie wieder einmal
über den Löffel halbiert, das heisst von hinten und vorne betrogen
werden sollten. Denn inzwischen hatten sie ja auch das vom Rat am
Sechzehnten in alle Welt verschickte «Manifest» gelesen, das ihnen so
schmählich in den Rücken fiel, sie der ganzen Welt als treulose, verbrecherische
Rotte denunzierte und den Willen der Herren, sie mit Gewalt
niederzuwerfen, so zynisch offen verkündete. Und gerade für diesen
Tag, den Achtzehnten, hatte der zuständige Oberherr der Kirche,


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 137 - arpa Themen Projekte
der Bischof von Konstanz, das allgemeine Gebet angeordnet, und zwar
«zur Abwendung des von ,bösen Engeln' (also Teufeln) angestifteten
Krieges»! Nimmt man noch die ungeheure Erregung über die Nachrichten
von Berns erdrückender Rüstung und sofortiger Einfallsbereitschaft
hinzu, die teils ebenfalls abgefangenen Briefen entstammten,
ferner die furchtbare Verwirrung, die die Diversionen — d. h. Verrätereien
—der Herren in allen Landesteilen angestiftet hatten, so
kann man sich nur über Eines wundern: dass nicht das ganze Land
unter dem Druck dieses explosiven Gemisches wie ein überladener Vulkan
in die Luft flog! Aber der Wind, der hier gesät wurde, ist nur echt
bauernmässig langsam zu einem neuen Sturm herangereift und erst
viel später losgebrochen...

Was dagegen jetzt, am Achtzehnten, aus dieser Erregung und Verwirrung
der Bauernkräfte heraus am Verhandlungsort Ruswil — und
auch sonstwo im Lande —geschah, ist eher bescheiden, ja winzig zu
nennen. «Schon am frühen Morgen liefen verschiedene Drohbriefe ein.
Dann kamen die Delegierten der Bauern und wollten die Vermittler
nötigen, ihnen sofort den Spruch zu eröffnen. Diese beharrten auf
dem» (von den Herren allein gefassten) «Beschlusse, der Spruch soll
bei Luzern in Gegenwart beider Parteien eröffnet werden, damit alles
in Gebühr, nach Billigkeit, unparteiischer und in rechter Form vor sich
gehe.» Was für eine Fratze des Volksbetrugs diese «Gebühr, Billigkeit,
Unparteilichkeit und rechte Form» war, geht schon daraus hervor,
dass Herr Zwyer zwar jedes Wort, jeden Buchstaben des nun zu errichtenden
«Rechtlichen Spruchs» mit der einen Partei, den anwesenden
Luzerner Ratsherren, besprach und mit den Oberen in Luzern fortlaufend
in «konfidentiellen Briefen» festlegte —dass er es jedoch nicht
für nötig hielt, der andern Partei, den Delegierten der Bauern, in diese
definitiven Festlegungen auch nur Einblick zu gewähren! Er hatte
allen Grund dazu, dies gar nicht erst zu riskieren; wie wir noch sehen
werden.

Ausserdem pressierte es nun dem Herrn Obersten Zwei': er war
als einer der Gesandten des Standes Uri an die Tagsatzung delegiert, die
schon an diesem selben Tage in Baden zusammengetreten war. Noch
rechtzeitig dahin zu kommen, um an ihren Beschlüssen über die Bauernsache
mitzuwirken, lag nicht nur im Interesse des «Standes» Uri,
sondern des Herrenstandes der ganzen Schweiz, für den der Oberst
Zwyer ohnehin, und gar erst in dieser Sache, eine Hauptperson war.
Also musste die Sache hier in Ruswil jetzt um jeden Preis, auch um
den eines glatten Betrugs, «erfolgreich» unter Dach gebracht werden.
Am besten war es zu diesem Zweck, man umging gerade die wundesten
Punkte jetzt den Bauern gegenüber mit Schweigen, als ob bei den
Herren aller Widerstand gegen sie aufgehört hätte — entschied diese
Punkte jedoch stillschweigend nach den Wünschen der Herren und


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 138 - arpa Themen Projekte
setzte sie so in die endgültige Redaktion des «Rechtlichen Spruches»
ein. Durch geeignete Art des Ablesens, oder auch durch direktes Auslassen
gewisser brenzlicher Stellen, und durch zweckmässige Aufmachung
des Festlärms morgen im Kriegslager auf der Krienser Allmend
würde man es schon erreichen, dass die Mehrzahl der anwesenden Bauern
gar nicht begriff, was da vorging und dass auf diese Weise wenigstens
der Schein einer mehrheitlichen Annahme zustandekam. Das war
Alles, worauf es jetzt ankam — den Rest würde die Tagsatzung schon
besorgen. Und das war in der Tat das, was der Herr Oberst Zwyer sich
für heute und morgen noch vorsetzte, was er sich mit Recht auch zu
leisten getraute — und was er tatsächlich genau so durchgeführt hat.

Hätte er sich nämlich auf eine weitere Diskussion jener heikelsten
Punkte eingelassen — er wäre nie nach Baden gekommen... Denn dabei
ging es um die freiheitlichen Grundrechte der Bauern: die freie
Volkswahl bei den Aemterbesetzungen, das freie Versammlungsrecht —
und um die Null-und-Nichtig-Erklärung des Wolhuser Bundes! In
diesen Punkten aber war Herr Oberst Zwyer, trotz dem Einsatz von
zwei Dutzend «Ehrengesandten», in elf oder zwölf Tagen und Nächten
zähester und verschlagenster Verhandlungen gerade bei den entscheidenden
Aemtern Willisau und Entlebuch — aber auch bei der Mehrheit
der andern — bis dato nicht «um eines Nagels Breite» vorangekommen,
weder in Werthenstein, noch in Ruswil. Und hätten die Bauern
am Abend des Achtzehnten auch nur einen Blick darauf werfen
können, was Zwyer darüber nun endgültig in den «Rechtlichen
Spruch» hineinschrieb — der Vulkan wäre hier in Ruswil noch ganz
anders in die Luft gegangen als ehemals, beim Abschluss des «Gütlichen
Vergleichs», in Werthenstein! Das hat der spätere Verlauf des
zähen Kampfes klar und eindeutig erwiesen.

Schon ohne dass die Bauern darum wussten, was der Oberst
Zwyer nun in den Spruch hineinschrieb, ging es an diesem Abend turbulent
genug zu. Eben hatten Zwyer und seine Paladins ihre sieben Sachen
gepackt und wollten sich auf ihre Rösser schwingen, um nach Luzern
abzureisen und dort den Spruch ungestörter zuende zu formulieren —
da kam es zu einem heftigen Auflauf. Die Bauern umzingelten die Herren,
verlangten stürmisch, den Spruch zu sehen und zwangen sie zum
Abpacken und Dableiben, als diese die Herausgabe des Spruchs verweigerten.
«Da legte sich der Dekan von Ruswil ins Mittel und führte
dieselben in sein Haus, damit sie den Spruch vollenden können.» Der
Dekan von Ruswil ist niemand Anderes als der päpstliche Protonotar
Melchior Lüthard, die religiöse Säule des Wolhuser Bundes. Für ihn
war bei den Bauern noch Respekt genug da, um jede Gewalthandlung
ihm gegenüber zu verhindern, obwohl sie wussten, dass er sich von der
Luzerner Regierung schon seit dem «Gütlichen Entscheid» ebenfalls
als gelegentlichen «Vermittler» gebrauchen liess. Den Herren «Ehrengesandten»


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 139 - arpa Themen Projekte
jedoch wurden Titel wie «Landesverräter» ins Gesicht geschrieen
und «die Herrn Capuziner vast uff gliche wyss tractiert».

Aber auch im Pfarrhaus fand Zwyer nicht lange Ruhe. Es entstand
nämlich von anderer Seite ein neuer Auflauf, und der liess sich
bedeutend bedrohlicher an als der erste. Sein Urheber wird von unserem
modernen katholischen Herrenchronisten ohne weiteres als «ein betrunkener
Priester» bezeichnet, einfach weil einer der im Pfarrhof anwesenden
«Ehrengesandten», Nikolaus von Diessbach, später an seine
Regierung in Freiburg schrieb: «un prester charge de vin». Von dem damals
gewiss auch im Pfarrhof anwesenden Kaplan Froner von Ruswil
aber wird er lediglich als «der herrgottlose Pfaffe Schniepper» bezeichnet,
wobei die «Herrgottlosigkeit» vermutlich seine wirkliche oder vermeintliche
Parteinahme für die Bauern geisseln soll. Aber, ob nun auch
die angebliche «Betrunkenheit» politisch zu deuten oder real war: so
ziemlich sicher ist, dass der Priester Hans Schniepper, Pfarrer zu Hergiswil,
unter dem Druck der Berner-Panik, die das ganze Land wie ein
Fieber schüttelte, die Nerven verloren hatte. Möglicherweise hatte ihn
eben die Furcht vor der «Herrgottlosigkeit» der Berner beinahe um den
Verstand gebracht. Wenn er nicht gar selber einer jener schwarzen Raben
gewesen ist, die von dunkler Seite ausgesandt worden waren, um
die Religion als in Gefahr zu erklären!

Wie dem auch sei, gerade hier in Ruswil war es besonders gefährlich,
an das Pulverfass der Berner-Panik zu rühren. Galten doch die
Herren «Ehrengesandten» allgemein — und, wie wir gesehen haben,
nicht ganz mit Unrecht — als die, welche die eidgenössische Hilfe für
die Luzerner Herren, und damit auch die gefürchtete Berner Kriegsmacht,
herbeigerufen hatten. Und trafen doch Tag für Tag Briefe aus
Bern direkt an die Herren «Ehrengesandten» in Ruswil ein, von denen
die Bauern manche abgefangen hatten. Nun platzte dieser «herrgottlose
Pfaffe» mit der Huronen-Botschaft mitten in all das hinein: «fünfhundert
Welsche seien bei St. Urban (unweit Langenthal an der luzernischen
Grenze) angekommen und wollen ins Land fallen»! Und im Nu
schwoll diese Botschaft in demselben Munde zu dem Geschrei an:
«St. Urban sei von den Bernern» (bereits) «verbrannt worden und Willisau
stehe» (schon) «in Flammen»! Das einzig Richtige an der ganzen
Meldung war: «Rings herum läute man Sturm». Denn darüber haben
wir bestimmte Nachricht: dass in den Ortschaften Uffhusen, Luthern
und Hergiswil am 18. März die Sturmglocken geläutet wurden, weil
man glaubte, fremde Truppen hätten das Land bereits überfallen. Und
das werden nicht die einzigen Dorfglocken gewesen sein, die die Panik
an diesem Tag in Bewegung gesetzt hat. Ebenso wahr ist, dass nicht
allein der «herrgottlose Pfaff e Schniepper», sondern in der Tat die gesamte
Bevölkerung der unteren, an den bernischen Oberaargau grenzenden
Aemter durch die alarmierenden Gerüchte förmlich über den


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 140 - arpa Themen Projekte
Haufen gerannt worden ist. Solche Nachrichten haben wir aus Roggliswil
und dem zu St. Urban stiftsgenössigen Pfaffnau, «wo damals nur
noch vier dem Kloster St. Urban und der Regierung ergebene Männer
gezählt wurden», sowie aus Dietwil, wo gesagt wurde: «bereits marschieren
Berner von Aarwangen aus auf Reiden und Wykon».

Kurz und gut, jetzt schien für die «Ehrengesandten » in Ruswil die
letzte Stunde geschlagen zu haben! Besonders die Willisauer, deren
Stadt schon in Flammen stehen sollte, gerieten unter Führung des Adlerwirts
Anton Farnbühler ausser Rand und Band. «Ein bewaffneter Haufe
umstellte den Pfarrhof und drohte, die Vermittler wegen Verräterei
niederzumetzeln. Uli und Jori Gilli, Müller in Stechenrain, wollten
Oberst Zwyer im Bett überfallen und ausplündern. Hans Wandeler,
genannt Fürabend, hielt dem Landvogt Moor und Weibel Wüest die
Fäuste unter die Nase und schalt die Vermittler Verräter. . . Anton
Farnbühler, der Grossweibel in Willisau werden wollte, schalt den Dekan
von Ruswil einen Lügner.» Nun war selbst die Ehrfurcht vor der
religiösen Säule des Wolhuser Bundes keine Schranke mehr. Und auch
der grosse Hans Krummenacher, der «stärkste Eidgenoss», war, exakt
wie in Werthenstein, wieder da und «zielte mit einer Pistole gegen
einen Gesandten»!

Es muss aber ein rasch verrauchter Zornlärm gewesen sein. Ein
kluger und unter diesen Umständen in der Tat sehr mutiger Gegenzug
einiger «Ehrengesandten » brachte ihn zum Schweigen. Der Schwyzer
Landammann Martin Belmont von Rickenbach, einer der ganz wenigen
bei den Bauern beliebten «Ehrengesandten», und Nikolaus von Diessbach,
der von Belmont sagt: er «genoss das Vertrauen der Bauern, mit
denen er oft gesprochen hatte», anerboten sich, mit Anton Farnbühler
zusammen sofort, vom Platz weg, auf Kundschaft in die Nacht hinaus
nach Willisau zu reiten, um selber festzustellen, was an den Panik-Meldungen
des Pfarrers von Hergiswil Richtiges oder Falsches sei.
«Wir wollten aber», so berichtete zwei Tage später der Freiburger Ratsherr
an seine Regierung, «zu Pferde sitzen, um die angeblichen Fremden
und Berner zum Rückzug zu bewegen. Die Bauern glaubten, wir
hätten nicht den Mut, dies zu tun. Wir ritten aber fort, um das Volk
zu beruhigen. Um 1 Uhr nachts kamen wir in Willisau an. Sofort stellten
alle Leute Lichter unter die Fenster; dann kamen sie und fragten,
ob sie wohl des Lebens sicher seien. Als wir ihnen beruhigende Zusicherungen
gaben, gingen sie zur Ruhe. Als wir uns am Morgen erheben
wollten, fanden wir eine Schildwache vor unserer Türe, die uns zurückhielt,
bald aber des Weges ziehen liess, auf dem wir unsere Deputierten
noch in Ruswil trafen, gerade im Momente, wo sie nach Luzern
reiten wollten.» Denn jetzt, durch diesen Hereinfall auf den blinden
Lärm beschämt, liessen die Bauern die Herren «Ehrengesandten» friedlich
ziehen. Und sie ritten ihnen nur zum geringsten Teile nach, «neben


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 141 - arpa Themen Projekte
der Stadt Luzern vorbei zu der bei der sogenannten langen Säge im
Gebiet von Kriens befindlichen Allmend, neben dem Gute Kaspar
Pfyffers».

Nun also wurde am 19. März, am St. Josephstag, die jämmerliche
Komödie auf der Krienser Allmend ins Werk gesetzt, die dem Volk
einen feierlichen Friedensschluss bei offen waltender Landsgemeinde
vortäuschen sollte. Es war ein Friede zwischen Schafen und Wölfen.
Nur ein stark reduziertes und dazu weitgehend zersetzes Bauernlager
bildete das verblüffte Zufallspublikum für die Theaterszene. Selbst
unser moderner Luzerner Herrenchronist berichtet, «dass von den
Truppen der zehn Aemter nur ein geringer Teil zur Anhörung des
Spruches gegen Luzern vorgerückt war». Keinerlei Sorge war dafür
getragen worden, dass auch nur die wichtigsten Aemter durch ihre
offiziellen Landesbehörden vertreten waren. Denn folgendermassen
sah, nach unserem modernen Herrenchronisten, die Liste der anwesenden
Bauernführer aus: «Von den Bauern erschienen zu Pferd:
Oberst Christian Schybi, Oberst Kaspar Steiner, Hans Damian Barth,
Seckelmeister Walthert, Hans Jakob Peyer von Willisau, Baschi
Meyer, Statthalter Gründer von Emmen, Anderhub von Rothenburg,
Müller Stürmli, Sebastian Steiner, Hans Jakob Murpf, der Jommerli,
Wirt zu Malters; zu Fuss: Hans Häller, der Bauer zu Däywil». Davon
dürfen einzig Schybi, Kaspar Steiner, Peyer und der Däywiler Bauer
als zur führenden Schicht gehörig gelten; und diese hatte ausserdem
in Kaspar Steiner ein höchst bedenkliches Loch. . . Dagegen war von
der Herrenpartei eine repräsentativ vollständige, höchst ansehnliche,
offizielle Vertretung feierlich zur Verlesung des «Rechtlichen Spruchs»
aufgeritten: «Zur Anhörung desselben erschienen die beiden Schultheissen
Dulliker und Fleckenstein, begleitet von vier Klein-Räten (dem
eigentlichen Regierungsausschuss), sechs Gross-Räten und sechs Delegierten
der Bürgerschaft, an die sich zahlreiche Bürger anschlossen.»
Dazu sämtliche «Ehrengesandten» der sechs katholischen Orte mit
ihren Standesweibeln, unter Führung des Obersten und Feldmarschalls
Sebastian Bilgerim Zwyer. Ein Fahnenwald und ein Trompeterchor —
als Posaunen des Gerichts — bildeten den Rahmen dieser Akteure.

Und nun eröffnete der vielgeplagte Oberst Zwyer endlich in höchster
Eile und mit den nötigen Betonungen und Dämpfungen den
«Rechtlichen Spruch der eidgenössischen Schiedrichter zwischen der
Stadt Luzern und ihren X Aemtern». Denn am Abend dieses selben
Tages noch, wenn irgend möglich, wollte Zwyer das Dokument seines
«Sieges» über die Bauern den Standesherren der in Baden tagenden
Tagsatzung persönlich überbringen. Und das war für damals noch ein
sehr weiter Weg.

Die Meinung der Herren wie der Bauern bei diesem «Rechtlichen
Spruch» war die, dass durch ihn nur über die im «Ersten gütlichen
Entscheid» in Werthenstein nicht entschiedenen Fragen, also gerade


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 142 - arpa Themen Projekte
über die brenzlichsten, die damals zum Abbruch der Verhandlungen
und zum Aufbruch der Bauern ins Feld geführt hatten, Recht gesprochen
werden sollte. Zwyer muss es inzwischen aber gelungen sein, die
für die Luzerner Regierung allerunerträglichste von diesen Forderungen
der Bauern, die nach Mitregierung des Volkes durch Bewilligung
oder Verwerfung der diesem vor Erlass vorzulegenden Mandate (Gesetze),
vollständig aus der Diskussion auszuschalten. Denn davon ist
im «Rechtlichen Spruch» mit keinem Wort mehr die Rede, und auch
von Seiten der Bauern ist diese Forderung im Verlauf des späteren
Kampfes nur noch gelegentlich wieder erhoben worden. Schon das
war ein wirklicher Sieg Zwyers über die Bauern! Ein stillschweigender
zwar, aber ein grundsätzlicher, der für die Aufrechterhaltung des Anspruchs
auf Alleinherrschaft der Aristokratie grundlegend war. Gleichwohl
ist kaum anzunehmen, dass irgendwer von den hier versammelten
Bauernführern — ausser vielleicht gerade ihr problematischster,
Kaspar Steiner — sich dieses Mankos im verlesenen Spruch überhaupt
bewusst geworden ist.

Die Meinung der Luzerner Herren und der «Ehrengesandten» war
es ausserdem, dass all die vielen Einzelartikel über wirtschaftliche
und lokale Forderungen der Bauern — die darum im «Rechtlichen
Spruch» nicht figurieren — durch den «Gütlichen Vergleich» ausgeglichen
worden seien, obwohl dieser Vergleich vom Bund der
X Aemter niemals angenommen worden war. Mit diesem «Vergleich»
hatten ja die «Ehrengesandten» die Argumente zu ihren Diversionen
in den einzelnen Aemtern bestritten und bei dieser Gelegenheit
— bei den wenigen Aemtern, wo ihnen die Diversion gelang — sehr
reduzierte und wieder ganz von der «Gnade» der Regierung abhängig
gemachte Konzessionen gemacht. Schon diese so verstümmelten Konzessionen
aber schienen jetzt der Luzerner Regierung — und erst recht
ihren Standesgenossen der übrigen «souveränen » Regierungen der Eidgenossenschaft
—die Grenze des Erträglichen überschritten zu haben.
Gerade darum aber sollte wenigstens in den Hauptpunkten der noch
verbliebenen grundsätzlichen Forderungen der Bauern der Sieg der
Herren durch den «Rechtlichen Spruch» ein umso gesicherterer sein.

Diesen Sieg hat Zwyer allerdings durch die Formulierungen sowohl
des Eingangs wie des Ausgangs des Spruchbriefs, wie auch einzelner
Partieen der neun Artikel, so gut wie möglich in Watte zu
packen versucht. Es waren diejenigen Stellen, die man vor der Bauernversammlung
nur mit erhobener Stimme zu unterstreichen brauchte,
um der Zustimmung der Mehrheit gewiss zu sein. So, wenn im Eingang
ganz der Meinung der Bauern Ausdruck verliehen wird, dass sie
die «Ehrengesandten» zwar «gern darin mitteln» lassen, jedoch dabei
«offene Hand» behalten wollten. Oder wenn die «Vermittler» darin
versichern, «über der Aemter mehrteils gehabte Beschwerden und
Punkte bei Unsern G. L. A. Eidgenossen (d. h. von den Räten zu Luzern)
die gütliche Willfahr erhalten» zu haben. Wenn die meisten Beschwerdepunkte


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 143 - arpa Themen Projekte
bewilligt wurden — nun, das war ja wirklich alles,
was man erwarten konnte, oder mehr als das!

Beim ersten Artikel hörte sich besonders wohlgefällig an, wie er
endet: dass «den sämmtlichen Aemtern ihre Amtsbücher, auch was sie
sonst für Sprüche, Verträge und briefliche Rechtsame, gute Bräuche
und Herkommen haben, bestätigt und bekräftigt sein sollen». Sie
hatten sie nur eben nicht, wenigstens die wichtigsten Briefe nicht! So
hatten die Entlebucher und die Willisauer keine Grundurkunden über
ihre Freiheiten mehr, weil sie ihnen von der Regierung entwendet worden
waren. So hatten die Rothenburger kein Amtsbuch mehr, weil es
ihnen, wie sie stets steif und fest behaupteten, von der Regierung
unterschlagen worden war. Jaja, jetzt zeigte es sich, wie schlau es von
der Regierung war, dass sie sich während all der Zeit so standhaft geweigert
hatte, diese Urkunden auszuliefern! Aber bei wirksamem Vortrage
machte sich dieser Passus sehr schön; er schien alle, immer so
heiss geforderten Wünsche betreffs des alten Herkommens, samt den
«Brief und Siegel»-Wünschen zu erfüllen. Und das vermochte leicht
den Anfang desselben Artikels zuzudecken, der lautete: «Dass der
Stadt Luzern alle habenden Briefe und Siegel, Rechte und Gerechtigkeiten,
— nunmehr seit 250 Jahren, — auch Hoheiten, Freiheiten und
Herrlichkeiten, ewige Besitzung ihrer Unterthanen, zu besten Kräften
erkannt» sein sollen! Denn das konnte man leicht als blosse, in
diesen Zeitläuften nur allzu gewohnte Einleitungsfloskel nehmen.

Im zweiten Artikel wird die Ohm- und Umgeld-Frage mit geschicktern
Dreh auf eine andere Ebene geschoben: alle Beschwerden
rührten nur daher, dass die verschiedenen Aemter eine verschieden
hohe Steuer bezahlten, «in etlichen Aemtern nur 4 gute Schilling, in
andern 5 oder 8 von einem Saum oder 100 Maass»; gerecht sei aber,
«dass im ganzen Land eine Gleichheit gemacht» werde, und so benutzte
man die Gelegenheit, die Steuer für alle zu erhöhen, indem fortan in
allen Aemtern «von jedem Saum, 100 Maass gemeint, 10 Luzerner
Schilling gegeben werden sollen»! «Dieses Recht sollen die Unterthanen
nicht widersprechen...» Von Erhebung des Ohmgeldes durch die
Aemter, von diesem in den Flitterwochen des Aufruhrs erhobenen Anspruch
auf ein Zipfelchen Steuerhoheit, ist natürlich mit keinem Wort
die Rede.

Der dritte Artikel verweigert, ohne es ausdrücklich zu sagen, die
Rückerstattung der Reisgelder (Militärsteuer), die von einigen Aemtern
zur Deckung der Kriegskosten für den Feldzug in den Thurgau anno
1647 erhoben worden waren, während die am Auszug beteiligten Aemter
mit dem Reisgeld verschont wurden. Auch dies geschieht mit einem
geschickten Dreh der «Gleichberechtigung»: da die Stadt jetzt «erklärt
hat, dass, wenn es inskünftig wieder zu einem Auszuge, so Gott wenden
wolle! kommen sollte, sie anderer Aemter Unterthanen in den Auszug
nehmen und ziehen, und selbigen mit dem Reisgeld auch verschonen


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 144 - arpa Themen Projekte

Niklaus Leuenberger

Unveröffentlichtes Oelgemälde im Besitz von Frau Dr. Grand-Witz
in Basel, einer Nachkommin Leuenbergers.

Wohl die erste zeitgenössische Konstruktion nach dem Gefangenenbild
der Berner Herren.

Im Hintergrund: links ein brennendes Dorf, davor exerzierende
Kavallerie; rechte ein Galgen mit aufgenageltem Kopf.


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 144 - arpa Themen Projekte
Abbildung 9


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 145 - arpa Themen Projekte

wolle, so lassen Wir es dabei bewenden». Das kostete die Luzerner
Herren keinen Schilling, ja stipulierte noch das «Recht» auf künftige
Ausplünderung der «anderen» Aemter für Kriegszwecke — gab aber
dem Volk den Eindruck von ausgleichender Gerechtigkeit. Dabei hätten
diese Aemter ihres guten Geldes zur Abwendung der bitteren Not
in ihren Dörfern dringender bedurft als der Hoffnung auf künftige Ausplünderung
der Nachbarämter! Darum ja auch haben die Entlebucher
in Werthenstein den Luzerner Herren gegenüber so sarkastisch triumphiert,
dass sie zwar das Reisgeld zusammengelegt, aber gottseidank
nicht nach Luzern abgeliefert hätten; jetzt konnten sie den Schatz für
ihren Krieg gegen die Ausplünderung durch die Herren brauchen...
Der Rest dieses Artikels ist ein Entgegenkommen gegenüber den Entlebuchern
bezüglich ihres Appellationsrechtes in Geldprozessen; man
soll nicht mehr für jede Bagatelle vor Gericht gezogen werden können,
nur noch für Beträge von 100 Gulden und mehr, wie es in alten Briefen
von 1491 und 1517 steht.

Erst mit Artikel Vier betreten wir politisch ganz heissen Boden:
das Recht der «Beherrschung und Besetzung der Aemter der Stadt und
Landschaft Willisau». Gegen diesen Artikel haben sich in der Folgezeit
die Willisauer stets mit Händen und Füssen gewehrt, immer treu sekundiert
von den Entlebuchern und überhaupt von den meisten Aemtern.
Niemals sei in Ruswil über diesen Punkt so verhandelt, geschweige
abgeschlossen worden. Jedes Recht der Aemterbesetzung
wird den Willisauern in diesem Artikel abgesprochen! Dabei hatten
die Luzerner Herren während der Ruswiler Verhandlungen einmal die
Wahl des Stadtschreibers, einmal die des Grossweibels und beider zusammen,
einmal gar die aller drei Häupter mit Einschluss des Schultheissen
zugesagt —jedoch, wie wir sahen, nur als Lockmittel, um diese
Hochburg des Aufruhrs zu spalten. Jetzt werden Stadtschreiber und
Grossweibel überhaupt nicht mehr erwähnt; der Schultheiss soll natürlich
ebenfalls vom Luzerner Rat erwählt werden, aber — als besondere
Gnade — aus den Bürgern von Willisau. Dass er dabei darauf
rechnen konnte, unter diesen die eine oder andere Kreatur seines Willens
zu finden, haben wir ebenfalls bereits gesehen. Ueberdies soll der
Landvogt, den die Willisauer um keinen Preis in ihrer Stadt dulden
wollten, grad extra in deren Mauern «Residenz und Wohnung»
haben.

So lautet denn dieser wichtigste Artikel — ausser dem siebenten
und neunten — wörtlich: «Die Beherrschung und Besetzung der
Aemter der Stadt und Grafschaft Willisau betreffend, dieweil eine
solche ein Stück von der oberkeitlichen Jurisdiktion ist und diese hiemit
einzig der Stadt Luzern zuständig erkennt ist» (eben dies war ja
bestritten! aber was am heissesten von den Bauern bestritten, ward
von Oberst Zwyer stets am selbstverständlichsten vorausgesetzt!), «soll
derowegen einer löbl. Stadt Luzern frei stehen, ihrem jeweil verordneten


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 146 - arpa Themen Projekte
Landvogt in Willisau seine Residenz und Wohnung zu geben, und
dass Unsere G. L. A. Eidgenossen das Schultheissenamt aus den Bürgern
von Willisau besetzen wollen; jedoch wenn sie, die Stadt Willisau,
mehrere Gnade (!) erhalten könnte, lassen Wir es bewenden und Uns
gefallen»!

Dieser Artikel, mit allem, was darin und dahinter steckt, ist das
ganz spezielle Werk des Obersten Zwyer, der sich stets — der «Vermittler»!
— mit aller Kraft gegen diejenigen Mitglieder des Luzerner
Rats gestemmt hatte, die Willisau entgegenkommen wollten, um diese
Stadt gewinnen und gegen die Bauern kehren zu können. Hierin führte
Zwyer nur den geschichtlichen Auftrag der Herrenklasse der ganzen
Schweiz durch, die bei der endgültigen Aufrichtung des Gebäudes ihrer
absoluten und autoritären Alleinherrschaft nicht die geringste Ritze
offen lassen durfte, durch welche der Spalt pilz der demokratischen
Revolution ins Innere des Gebäudes hätte dringen können. In dieser
Hinsicht sah der zeit- und welterfahrene Zwyer viel klarer als die in
jeder Hinsicht subalternen Luzerner Oberen. Er erkannte, dass der Gewinn
durch die Köderung Willisaus, auch wenn sie geglückt wäre, nur
ein zeitweiliger, der Schaden durch die Bewilligung grundsätzlicher
demokratischer Rechte aber ein dauernder und für das ganze aristokratische
System gefährlicher gewesen wäre. Er erzog damit Luzern
zur obersten Stufe der vorgerücktesten absolutistischen Regierungsform,
wie sie die Stadtstaaten der protestantischen Kantone Bern, Zürich
und Basel darstellten — er, Zwyer, der Vertreter des katholischen
und angeblich erzdemokratischen Landkantons Uri!...

Der fünfte Artikel ist ein blosser Anhang zum vierten und regelt
ein Kostendetail der prunkvollen und kostspieligen Aufritte des Landvogts
ein ganz klein wenig zugunsten der Willisauer.

Dagegen ist der sechste Artikel von grundsätzlicher Bedeutung. Er
lautet kurz und bündig (in der modernen Transskription unseres katholischen
Herrenchronisten): «Da die Grafschaft Rothenburg mit Hinsicht
auf den Spruchbrief von 1570 selbst bekennt, dass sie die Aemterbesetzung
nur als Gnade begehren könne, so wird sie an die Stadt
gewiesen.» Damit werden die Rothenburger, von «alten Brief und
Siegeln» an Händen und Füssen gebunden, an die Gnade ihrer «Gnädigen
Herrn und Obern» ausgeliefert. In diese Lage hat sie die höchst
zweideutige jesuitische «Diplomatie » Kaspar Steiners hineinmanövriert!

Die Artikel Sieben und Neun — sie gehören zusammen wie Vorder-
und Rückseite einer Medaille —befassen sich endlich mit dem
brenzlichsten Punkte: dem Wolhuser Bund. Artikel Sieben soll das
Gebäude des Bundes mit schwerstem Geschütz in Grund und Boden
schiessen; Artikel Neun die dadurch Verschütteten sich schuldig bekennen
und um Gnade und Errettung flehen lassen, worauf sie, zum
guten Ausgang des Ganzen, als vollendete Sklaven straflos wieder in
Gnaden angenommen werden sollen. Dadurch sollten besonders die


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 147 - arpa Themen Projekte
Entlebucher, als die Erbauer des Bundes, ins Herz getroffen werden.
Aber es ist ohne weiteres zu glauben, dass, wie diese von nun an standhaft
bis zum Ende versicherten, bei der Abfassung dieser beiden Artikel
niemals ein Entlebucher — noch irgend ein anderer Bauer —dabei
war, ja dass die Bauern allesamt die ganze Frage des Wolhuser Bundes
«nie den Schiedsrichtern zum Entscheide anheimgestellt» haben.
Selbst die Versicherung der Bauern insgesamt kehrt von nun ab immer
wieder: «die Artikel 7 und 9 des rechtlichen Spruches seien ihnen
auch nie vorgelesen worden», oder «beim Ablesen von den Zuhörern
gar nicht gehört worden»! Gerade diese Artikel also müssen es gewesen
sein, die von Oberst Zwyer in Ruswil dem «Vermittlungs»-Werk
stillschweigend untergeschoben und beim Ablesen auf der Krienser
Allmend ganz oder teilweise unterdrückt worden sind! Wir begreifen
sowohl die Bauern wie Herrn Oberst Zwyer, wenn wir die Artikel im
Originaltext lesen (nicht so sehr in der stark gekürzten modernen Zusammenfassung
unseres katholischen Luzerner Herrenchronisten, die
sich trotzdem den Schein des Wortlautes gibt):

Artikel 7 (bei Vock 8): «Demnach die X Aemter, zu Behauptung
ihrer unterschiedlichen Beschwerden und Forderungen, zu Wollhausen
einen Bund gemacht und leibliche Eide zusammengeschworen und
mit gewaffneter Hand und offenen Fähnleins darüber vor die Stadt
gezogen sind, solche unzulässliche Sachen aber in unserer Eidgenossenschaft
nicht Herkommens haben» (wenn das «in unserer Eidgenossenschaft
nicht Herkommens» hat — ja, wie ist denn die Eidgenossenschaft
überhaupt entstanden?... Aber, wie schon früher bemerkt:
es gab längst zwei Vaterländer in dieser «Eidgenossenschaft»!, «so haben
Wir solchen Bund und den gethanen Eid mit dieser Unserer rechtlichen
Erkenntnis aufgehoben, für null und nichtig erklärt, und dabei
erkennt, dass mehrgemeldete Unterthanen nicht dergleichen Bündniss
und Eid mehr errichten, nicht mehr zusammenlaufen, noch weniger
die Waffen also ergreifen, sondern, auf vorfallende Beschwerden, ein
oder das andere Amt» (nicht verbündet!) «sich bei seiner ordentlichen
Obrigkeit unterthänig anmelden, und, welche sich (liess falls übersehen
würden, als an ihrer Obrigkeit treulos gestraft werden sollen» (das
hiess nach damaligem Recht ohne weiteres enthauptet!).

Artikel 9 (bei Vock 10): «Demnach mehrermeldete X Aemter
hochbedauern (!), dass sie vorangezogene Verbindung und Eid, zwar
nicht in böser Meinung, sondern aus Einfalt, Unbedachtsamkeit und
vorgemeldeter nothdringender Angelegenheit, gethan» (dieser Passus,
wie auch ein späterer dieses Artikels, hat dem Obersten Zwyer schwere
Vorwürfe seitens der Tagsatzungsherrn, besonders aber der Berner,
eingebracht: als «diesen der Vernunft beraubten Menschen» gegenüber
weitaus zu «milde». Wir werden ja sehen, was die Bauern dazu
sagten!), «und daher Uns angelegentlich gebeten (!), bei ihren GH Herren
und Obern von Luzern in ihrem Namen unterthänig und gehorsam


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 148 - arpa Themen Projekte
um Gnad' und Verzeihung anzuhalten (1), so haben wir, angesehen ihre
Bitte, und Uns zu besonderen Ehren und Respekt, Unsere G. L. A. Eidgenossen
(d. h. die Herren von Luzern) um Gnad' und Auslöschung
dieses bekannten Fehlers (!!) gebeten, also dass Alles, was in diesem
Aufstand mit Rath und That, mit Worten und Werken, wie das Namen
haben mag, zwischen einer Obrigkeit und Bürgerschaft eines
Theils und den Unterthanen andern Theils verlaufen ist und sich zugetragen
hat, allerdings (in allen Dingen) aufgehoben, keinem an seinen
Ehren, guten Namen, Leib und Gut schädlich oder nachtheilig,
sondern dergestalten absein und dessen fürohin nicht gedacht, sondern
gehalten werden solle, als wenn es nie geschehen wäre» (für diesen
ganzen Passus gilt ebenfalls das oben in Klammern Gesagte),
«hierum aber heiter (klar) vorbehalten, welcher inskünftig von diesen
Sachen ungute Reden, Verweis und Schmachworte, ungebührliche
Worte brauchte, dass alsdann der Obrigkeit obliegen solle, die Fehlbaren
nach Verdienen abzustrafen, —und, demnach während diesem
Handel und Auflauf etlichen Leuten das Ihrige angegriffen und geplündert
worden, dass hierum fleissig solle nachgefragt werden, und,
wenn die Thäter erfahren würden, sollen sie unmaassgeblich (rücksichtslos)
angegriffen, und zur Ersetzung des gethanen Schadens angehalten
werden». (Man ersieht aus diesem Schriftstück nebenbei, dass
der Oberst Zwyer kein besserer Stilist war als der Schulmeister Johann
Jakob Müller, der den Wolhuser Bundesbrief abfasste — durchaus
im Gegenteil!)

In dem zwischen diesen beiden Artikeln eingeschobenen Artikel
Acht wird das Begehren der Aemter Entlebuch und Willisau um Ersetzung
der Kosten natürlich rund weg abgewiesen, sodann erklärt, man
hätte wohl umgekehrt «Ursache gehabt, ihnen diese Kosten aufzulegen»;
dann aber wird die gnädige Geste gemacht:. «Wir aber haben
doch, zu guter Versöhnung und von des Besten wegen, den Kosten
allerseits aufgehoben.»

Das ganze Schriftstück endigt mit der Ankündigung, dass dieser
«Rechtliche Spruch», in allen Aemtern verlesen werden soll, «und
nach solcher Abhörung soll jedes Amt seinem Landvogt zu Handen löblicher
Stadt Luzern wieder mit einem leiblichen Eide, wie bei jedem
Amte das Herkommen ist, schwören, und sich hin! füre, wie es getreuen,
ehrliebenden Unterthanen gebührt, gegen ihre natürliche, von Gott gesetzte
Obrigkeit betragen und verhalten». Das sollte das Siegel auf die
restlose Unterwerfung der Bauernklasse unter den Willen und die
Willkür der Herrenklasse sein.

Aber es kam Alles ganz anders.

Schon über den unmittelbaren Ausgang dieser so unrepräsentativen
Zufallsversammlung der Bauern muss unser moderner katholischer
Herrenchronist höchst merkwürdige Dinge berichten: «Nachdem
Oberst Zwyer den Spruch eröffnet hatte, stoben die Bauern in wilder


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 149 - arpa Themen Projekte
Flucht auseinander»! Freude kann sie nicht derart auseinandergerissen
haben, wohl aber vielleicht die Angst und die Panik — trotz der
zugesagten «Straflosigkeit». Denn die Bauern kannten das Worthalten
ihrer Herren! «Auf die Anfrage Zwyers an die Delegierten, ob sie den
Spruch annehmen, dankten die Luzerner (!) den Gesandten für ihre
Bemühungen und gelobten, dem Spruche treu nachzukommen» —-das
versteht sich! «Von den Delegierten der Aemter anerkannten nur einige
den Spruch sofort»! Was mögen das für «Delegierte» gewesen sein? Es
war für diesmal die Spreu, die liegen blieb, während der Weizen davon
stob: es waren die paar Spione und Kapitulanten, die von den Herren
den zugesagten Lohn erwarteten! Die waren es denn auch natürlich,
die mit den Herren in die Stadt zogen, um deren Sieg mitzufeiern.
Denn, wie unser Herrenchronist weiter berichtet:

«Unter dem Donner der Geschütze und dem Klange der Glocken
wie unter Musikbegleitung kehrten die eidgenössischen Gesandten mit
den Räten von Luzern und einem Teile der Delegierten der Bauern in
die Stadt zurück, wo der Abschluss des Friedens festlich begangen
wurde. Da aber bald die Kunde einlangte, noch stehe die Hauptmacht
der Bauern an den Wagenbrücken der Emme und Reuss, welche in der
Nacht geschlagen worden waren, und denke nicht daran, das Feld zu
räumen, so wurden gleich wieder ernste Beratungen gepflogen. Aus
diesem Grunde wurde dem rechtlichen Spruche schon am 19. März
noch die weitere Bestimmung beigefügt, dass die Mannschaft der Untertanen
heute noch von ihren Standorten aufbrechen und heimziehen
soll, worauf am folgenden Tag die Stadt Luzern das fremde Volk entlassen
und damit der Ruhestand eintreten soll.» Diese wichtige Bestimmung
wurde ohne den Partner einfach «beigefügt»! Recht so —
da weiss man doch wenigstens, wie dieser Spruch auch sonst zustandekam!
Oder waren den Herren von Luzern und den «Ehrengesandten»
die «ehrlichen, ehrsamen, biderben» bezahlten Spione und Kapitulanten
als Partner gut genug?

Aber die «Hauptmacht» der Bauern, und mit ihr gewiss ihre
wirkliche Führerschaft, war ja bereits am Tag zuvor ins Rothenburgische
und noch weiter nördlich gezogen, weil sie das Opfer der unseligen
Berner-Panik geworden war und diesem gefürchtetsten Feind unverzüglich
entgegentreten wollte. Sonst hätten die Herren in Luzern
den Stephanstag ganz gewiss nicht als Freuden- und Friedenstag
feiern können! Mit dem zusammenbrechenden Gerücht aber fiel auch
die «Hauptmacht» der Bauern, ohnehin schlecht ernährt und geführt,
schliesslich von selbst auseinander. Dies umsomehr, als der Schuss in
den Rücken, der schmähliche Ueberfall von innen, den Zwyer mit seinem
«Rechtlichen Spruch» vollführte und gewann, vorläufig nur verwirrend
und lähmend auf Führer und Volk der Bauern zurückwirken
konnte...

Ein böses Zeichen für die Herren aber war, dass unter dem Druck
des Zorns und der Wut der Rothenburger über die erlebte Enttäuschung


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 150 - arpa Themen Projekte
— die Auslöschung ihres Anspruchs auf freie Aemterbesetzung
in Artikel 6 des Spruchbriefs — selbst Kasper Steiner, der bereits fast
der Vertraute der Herren geworden war, urplötzlich wieder rebellisch
wurde. Noch am Neunzehnten hielt er eine einstündige Ansprache an
das Volk, in der er «das Volk ermahnte, ihm beizustehen, dass das
Amt die Aemterbesetzung erhalte». Ihm beizustehen, der die Hauptschuld
daran trug, dass die Herren Zwyer und Konsorten glaubten,
das Amt Rothenburg so schmählich behandeln zu dürfen! Aber wie weit
Steiners «Diplomatie» mit den Herren bereits gegangen war, war dem
Volk noch nicht bekannt, und Steiner hatte sich bisher stets bemüht,
sie mit seiner «kriegerischen» Rolle als «Oberst» der Rothenburger zuzudecken.
Das gelang ihm auch wieder mit dieser Rede, in der er «in
frecher Weise behauptete» — wie unser moderner Herrenchronist
meldet —, «das Amtsbuch sei vor Jahren verloren gegangen und von
der Obrigkeit unterschlagen worden», was gewiss nicht grundlos die
Meinung sämtlicher Rothenburger seit dem grossen Aufruhr anno
1570 war. Das aber gefiel den Bauern sehr, und damit sass Kaspar
Steiner bei ihnen wieder im Sattel. Den Entlebuchern schrieb er kurz
darauf, sie möchten ihm für seine Forderung ebenfalls beistehen; er
berief sich dabei auf den verfemten Wolhuser Bund, der die Abschaffung
aller seit 100 Jahren eingeführten Neuerungen verlange, unter
welche also auch der Raub des freien Wahlrechts durch den Spruchbrief
von 1570 falle. Zum Schluss hatte er, der durch seine geheimen
Sonderverhandlungen mit den Herren den Wolhuser Eid bereits gebrochen
hatte, die Kühnheit, den Entlebuchern zu schreiben: «Man
schilt uns meineidige Lüt: ich mein, wir wollens nit sin»! Vermutlich
hat der ehrgeizige Kaspar Steiner, der nach der Nachrede der Herren
«Graf von Rothenburg werden wollte», nur die sehr begründete Befürchtung
gehegt, dass er das führende Amt in der Grafschaft Rothenburg
von den Herren, trotz der ihnen geleisteten Dienste, doch nicht
zum Lohn erhalten werde. Und als er die einmütige Empörung der
Bauern über den «Rechtlichen Spruch» erlebte, da schien ihm die
Spekulation auf den revolutionären Erwerb des führenden Postens
wieder aussichtsreicher. Trotzdem die Herren nun zwar auch jetzt
wohl wussten, wen sie an Kaspar Steiner hatten wenige Tage später
hat sich dies eindeutig erwiesen —, so war es doch für sie ein schlimmes
Zeichen für die herrschende Volksstimmung, dass Steiner es jetzt
für nötig hielt, seine Hoffnung wieder auf diese zu setzen.

In der Tat liefen schon am Abend des Neunzehnten und im Lauf
des Zwanzigsten derart alarmierende Nachrichten über den ungebrochenen
Trotz und die unversöhnliche Wut der Bauern beim Rat von
Luzern ein, dass dieser wieder einmal unter einer Panik zusammensackte.
Tatsächlich traute der Luzerner Rat seinem bereits gefeierten
Siegfrieden vom St. Josephstag so wenig, dass er am Zwanzigsten schon
wieder ein geradezu verzweifeltes Hülfsgesuch an die vier Urkantone,


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 151 - arpa Themen Projekte
sowie an den Vorort Zürich abgehen liess, «da die Sache so unglücklich
ausgeschlagen, dass wir kein übriges Mittel haben noch wissen,
als dass wir uns auf die Extremität versehen»!

Bis zum Vierundzwanzigsten scheinen sich die Herren in Luzern
allerdings wieder ein wenig beruhigt zu haben. Obschon sie gerade
jetzt mehr Ursache gehabt hätten, vor neuen, viel härter angreifenden
und viel weiter ausgreifenden Plänen zu zittern, zu denen die Bauern
sich inzwischen erstaunlich rasch wieder aufgerafft hatten, wenige
Tage nach dem Betäubungsschlag der Niederlage, die ihnen der Verrat
Zwyers beigebracht hatte. Immerhin enthält ein Brief, den der alte
Fuchs, der dreiundachtzigjährige Schultheiss Ritter Heinrich von
Fleckenstein, am Vierundzwanzigsten an seinen Vertrauten, den Abt
Dominik von Muri schrieb, neben einer halben Beruhigung auch eine
gewisse, vom Misstrauen eingegebene Witterung der kommenden Dinge.
Er schreibt: «Der Friede mit den Bauern ist zwar mager ausgefallen:
aber lieber ein magerer Friede, als ein fetter Krieg. Die Kriegsvölker
sind nach Hause gezogen. Wir müssen nun sorgen und den Bauern
nicht zu viel vertrauen; denn alle sind über den gleichen Leisten geschlagen.
Sie haben auch in den Ländern durch ihre lügnerischen Vorgaben
viele Anhänger gewonnen.)> «In den Ländern», das heisst: in
den umliegenden Kantonen!

Inzwischen aber gingen höchst merkwürdige und beunruhigende
Schreiben der Bauern —nicht beim Rate von Luzern, den ignorierten
sie jetzt vollständig, aber — bei sämtlichen «Ehrengesandten» und
ihren Regierungen, den Räten der «Länder», ein. Schon am Einundzwanzigsten
und Zweiundzwanzigsten nämlich waren die Ausgeschossenen
der vier Aemter Entlebuch, Willisau, Rothenburg und Ruswil
offen wieder in Ruswil versammelt — allen Drohungen zum Trotz,
dass sie dadurch «ir Lyb und Laben 1000 feltig verwürkt hettend».
Und sie schrieben von dort den Herren «Ehrengesandten» der sechs
katholischen Orte, «wie an diese Orte selbst», hochoffiziell ihre wirkliche
und wahre Meinung über den «Rechtlichen Spruch»: dass nämlich
dieser Akt «ein gefälschtes Machwerk» darstelle, «das keineswegs
das Ergebnis der Verhandlungen richtig reproduziere». Es seien in diesem
Spruch «empfindliche Wörter gesetzt worden, die wir nicht hinnehmen
können. So heisst es darin: wir hätten Euch inständig, unterthänig
und hoch gebeten, für uns bei der Obrigkeit um Gnade und
Verzeihung zu bitten, wir hätten selbst bekannt, dass wir mit dem
Bund zu Wolhusen einen grossen Fehler begangen hätten. Das können
wir nicht eingestehen; wir verlangen deshalb von den Gesandten klaren
Bericht, wer solches gethan habe»! «Weder bei den gütlichen noch
bei den rechtlichen Verhandlungen sei bestimmt worden, dass die 10
Aemter vom Eidschwure abstehen sollen»! «Den Artikel über Entkräftigung
des Bundes können sie also nicht annehmen. Sie verlangen


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 152 - arpa Themen Projekte
auch, dass im Spruchbriefe die Klagen der Aemter gegen die Obrigkeit
angeführt werden, damit nicht aller Unglimpf auf den Bauern läge,
da sonst der Spruch ihnen und ihren Nachkommen zu Ärgern und Unheil
gereichen würde»! Und von dem so nach ihrem Willen umzugestaltenden
Spruchbrief verlangten sie, dass ihm noch ein weiterer Artikel
eingefügt werden solle: «Dieser gütliche und rechtliche Spruch soll
ewig und unwiderruflich, steif und stät gehalten werden.»

Da endlich vernehmen wir wieder die ernste Stimme der hohen
Rechtlichkeit Hans Emmeneggers! Da auch den von einer gewissen
Feierlichkeit der Verantwortung getragenen geschichtlichen Sinn Johann
Jakob Müllers. Denn nun waren sie beide wieder die Seele der
Erneuerung des angefochtenen Bundes.

Freilich: die Niederlage hatten sie beide mit zu verantworten.
Doch das lag nur an den Grenzen ihrer Fähigkeit, Krieg zu führen.
Dafür verstanden sie sich besser auf das Bünde-Errichten. So zogen
sie aus ihrer Verantwortung tapfer den Schluss: ein viel grösserer, viel
stärkerer, die ganze Bauernklasse der Schweiz umfassender Bund muss
errichtet werden!

Das war ja von allem Anfang an, seit er für die Sache der Bauern
gewonnen war, der grosse Traum des Schulmeisters gewesen, wenn er
ihn vielleicht auch von Hans Emmenegger und vielleicht gar von
Käspi Unternährer übernommen hatte. Vielleicht hatte man bisher nur
zu wenig auf den Rat Johann Jakob Müllers gehört, der ja auch zu
raschem Zugreifen angefeuert hatte, als es noch Zeit war, und die Stadt
Luzern schon am achten März stürmen lassen wollte. Jetzt erst, nach
der traurigen Erfahrung mit den Diversanten und Kapitulanten, wurde
die Zeit reif für seine und Hans Emmeneggers weitausschauenden
Pläne.

So sandten sie ihre Sendlinge nun nicht nur in alle luzernischen
Aemter, sondern auch «in die Länder», das heisst: in alle Kantone
ringsum, aus, um dort überall «Brüder» für ihren Bund zu erwecken
und zu sammeln. Sie verbreiteten dabei zahlreiche Abschriften ihrer
«schonungslosen Kritik» des «gefälschten Machwerks» des Obersten
Zwyer; das war der richtige, konkrete Ausgangspunkt. Sie hatten damit
grossen Erfolg und brachten auf diesem Wege in wenigen Tagen
die Mehrheit der Bauern in Nidwalden und im Kanton Zug auf ihre
Seite, sodass sogar die Räte beider Kantone sich weigerten, die Tagsatzung
zu beschicken. Daran hatte um den Vierundzwanzigsten der
eifrige Sendbote Stephan Lötscher, besonders in Nidwalden, grossen
Anteil; ja, am Sechsundzwanzigsten wurde Johann Jakob Müller so'
gar als offizieller Gesandter des Landes Entlebuch an den Rat von
Unterwalden delegiert und von diesem empfangen, «um namens der
10 Aemter gegen die ehrverletzlichen Reden zu protestieren, die wider
sie (die Entlebucher) geführt worden». «Mit ähnlichen Gesuchen gingen


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 153 - arpa Themen Projekte
andere Entlebucher in die anderen eidgenössischen Orte.» So sandten
die Entlebucher —wir lassen das Wort dem modernen Luzerner
Herrenchronisten —«eigens an die verschiedenen eidgenössischen und
benachbarten Orte ihre Botschafter, um die Revolution und den Wolhuser
Bund so unschuldig wie möglich hinzustellen und die Regierung
von Luzern des Treubruches zu beschuldigen». «Die Emissäre der
Bauern benutzten damals auch die Gelegenheit, im ganzen Lande die
Vermittler der Bestechung anzuklagen, die nur durch Miet und Gaben
des Rates von Luzern dazu gekommen seien, nach Willkür zu urteilen.»
So sagt unser moderner katholischer Luzerner Herrenchronist —
ohne diese Vorwürfe zu widerlegen! Solche Sendboten, fast immer
Entlebucher, gingen auch in die Kantone Zürich, Solothurn und Basel,
vor allem aber, und das war für den künftigen Bund entscheidend, in
den Kanton Bern, ins Emmental, in den Oberaargau und in die Grafschaft
Lenzburg.

Denn nun waren auch die Berner Bauern endlich geschlossen aufgestanden
und hielten vom Dreizehnten ab in Langnau und am Vierundzwanzigsten
in Trachselwald ihre ersten, nicht bloss regional emmentalischen,
sondern fast ebenso alle Hauptteile des Landes umfassenden
Landsgemeinden ab, wie sie die Wolhuser Versammlung gewesen
war, wenn auch diese Landsgemeinden für die Berner noch
nicht das eigentliche «Richtfest des Aufruhrs» bedeuteten. Diese erregende
Nachricht war bereits am Fünfundzwanzigsten bis nach Altdorf
in Uri gedrungen, wo an diesem Tage der Oberst Zwyer ein Rechtfertigungsschreiben
auf jenen Angriff der vier Aemter verfasste, in dem
sie ihm sein «gefälschtes Machwerk» zerpflückt hatten. Um seine Reputation
zu retten, gab er nun dem bernischen Aufstand die Schuld am
Misserfolg seines «Machwerkes» bei den Luzerner Bauern! Nachdem
nämlich der grossmächtige Feldmarschall «die Frage über die Gültigkeit
des Wolhuser Bundes» diktatorisch als «ganz unwidersprechlich
zu Recht gesetzt worden» erklärt hat, um dann sogleich «in Bezug auf
die Abbitte» der Bauern revozieren zu müssen, diese sei allerdings «so
inständig nie begehrt worden», schliesst er den Brief mit dem Saltomortale:
«Wäre der bernische Aufstand nicht erfolgt, so hätten die
4 Aemter diesen Prätext nicht gebraucht»!

So zweifelhaft dies nun auch in Ansehung der Daten sein mag,
so ersehen wir doch aus dieser Verwendung der neuen Tatsache, welch
tiefen Eindruck dieselbe in der ganzen Schweiz auslöste. Denn in ihr
zeichnete sich zum erstenmal die Möglichkeit einer die ganze Eidgenossenschaft
umfassenden Bauernbewegung klar und unmissverständlich
ab.

Die Baumeister des neuen, werdenden Bauernbundes über die
«Länder»-Grenzen hinweg waren wieder in allererster Linie die Entlebucher.
Die meisten und überall am wärmsten begrüssten Sendboten


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 154 - arpa Themen Projekte
des neuen Bundes stellten immer sie. Aber neben diesen grossartig kühn
und initiativ denkenden Bauern waren es wiederum die unbeugsamen
Bürger von Willisau, die die stärkste Säule auch des neuen, umfassenderen
Bundes aufrichteten. Die Willisauer waren sofort nach der Verkündung
des «Rechtlichen Spruchs», der ihnen jedes Recht zur freien
Aemterbesetzung absprach, trotzig darüber hinweggeschritten, hatten
ihre Aemter neu mit Männern ihrer Wahl besetzt und die «obrigkeitstreuen»
Herren zum Teufel gejagt. Ja, sie erhoben am Sechsundzwanzigsten
sogar erneut die «hochverräterische» Forderung, dass die Mandate
(Gesetze) der Luzerner Regierung, bevor sie gültig werden können,
«an die Gemeinden zur Approbation durch das Volk» gehen sollen!
Sie waren es auch, die Anfang April die Entlebucher zu einer
neuen Einberufung der Ausschüsse aller zehn Aemter nach Willisau
veranlassten. Ebenso wurde Willisau zur eigentlichen Wiege des neuen
Bundes, indem die Bürger von Willisau, angefeuert von Hans Diener
aus Nebikon, bereits Anfang April den Anschluss der solothurnischen
Stadt Olten an den Bund eifrig betrieben und ihn dann, noch vor Mitte
April, zusammen mit zwei Entlebuchern, in einer feierlichen Versammlung
auf dem Rathaus zu Olten auch wirklich erreichten. Ausserdem
veranstalteten sie all die Zeit über im ganzen Land herum Schützenfeste,
um den Geist des neuen Bundes auszubreiten.

Gewiss hatte die grosse Masse der Luzerner Bauern zunächst eine
ohnmächtige Wut und Scham von der Niederlage nachhause gebracht;
Wut und Scham darüber, dass man die Katze, die man doch im Sack
gehabt, so sinnlos hatte laufen lassen müssen. Als ihnen jedoch nun
die Sendboten des Hans Emmenegger und des Schulmeisters Johann
Jakob Müller, aber auch die Schützenfeste der Willisauer, die Augen
öffneten und ihren Blick über die Grenzen in die «anderen Länder»
richteten, da hielt die Masse der Bauern wie die der Willisauer Bürger
treu zu den Erdauern des neuen Bundes. Da brach sich die ganze,
dumpfe Wut des betrogenen Volkes in wenigen Wochen Bahn zu einer
ganz neuen Hoffnung und zu einer noch viel entschlosseneren und viel
weiter ausgreifenden Tätigkeit.

Dass eine solche jetzt aber überhaupt möglich war, das beruhte —
ausser der dafür grundlegenden allgemeinen Bauernnot in der ganzen
Eidgenossenschaft — auf zwei Ereignissen, die inzwischen eingetreten
waren.

Das eine war das «Gemeine Mandat», das die Tagsatzung in Baden
am Zweiundzwanzigsten gegen die Bauern erlassen hatte, «worin sie»
— wie ein Berner Geschichtschreiber des Bauernkrieges sagt — «die
aufständischen Bauern in rücksichtslosen Worten als Unruhestifter
und schlimme Aufwiegler darstellte». Ja, wie sogar unser moderner
Luzerner Herrenchronist den Sinn dieses Mandats wiedergibt: «Hier
wurde das Gebaren der 10 luzernischen Aemter als der Eidespflicht,


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 155 - arpa Themen Projekte
Treue, Ehre und Glauben widersprechend bezeichnet, als hochtrefflicher
Fehler und Mutwillen, entsprungen aus unwahren Vorgaben etlicher
weniger verdorbener, in Nöten und Schulden steckender Personen.
Zusammenrottungen wurden mit Strafe an Leib und Leben bedroht.
Alle Schmachreden gegen Regierungen sollten angezeigt werden.» Und
mehr als das: darin wurden «die Untertanen... zur Verhaftung und
Auslieferung der Rebellen ermahnt»! «Endlich wurden die Defensionalsanstalten
festgesetzt, für den Fall, dass wieder ein Ort von seinen
Untertanen angefochten würde, abgesehen von der Frage, wer
Recht oder Unrecht habe. Hierbei wurde die Formation von drei grossen
Armeen in Hitzkirch, Lenzburg und Brugg in Aussicht genommen.»
Da müssen wir dem Berner Geschichtschreiber recht gehen, wenn er
aus diesem Mandat und aus diesen «Defensionalanstalten» die Schlussfolgerung
zieht: «Ausdrücklich stellten also hier die Kantone den
Grundsatz der brutalen Gewalt auf.»

Mehr als alles Andere hat dieses wirklich, im heutigen Wortsinn,
«gemeine» Mandat und haben die Beschlüsse des eidgenössischen Herrenklubs
in Baden der allgemeinen Not der Bauern das Signal zum allmeinen
Zusammenschluss und zum gemeinsamen Aufstand gegeben.
Denn auf Gewalt gibt es nur eine Antwort: Gewalt, — wenn man nicht
Sklave sein will. Und das wollte kein Schweizer Bauer sein. Wir müssen
also diesem eidgenössischen Zwischenspiel, dessen wahrhaft «aufrührerisches»
Werk erst allmählich in die Massen drang, zu gegebener
Zeit die nötige Aufmerksamkeit zuwenden.

Die unmittelbar in den Gang der Dinge eingreifende Tätigkeit dieser
Tagsatzung galt jedoch nicht dem Luzerner Aufstand — der fürs
erste durch Herrn Oberst Zwyer «geschlichtet» war —, sondern dem
Berner Aufstand, der mit schärfstem Druck bereits in der Wiege erstickt
werden sollte.

Ohne diesen Aufstand, der, wie wir wissen, schon lange in der Wiege
lag; ohne die ungewöhnlich zähe Arbeit der Berner Bauern, der Emmentaler
und der Oberaargauer, die ein Hand-in-Hand-Arbeiten mit
den Luzerner Bauern, besonders und von Anfang an mit den Entlebuchern
war, wäre in der Gesamtbewegung der Bauern nichts weitergegangen.
Ohne sie wäre auch die Luzerner Bewegung in sich zusammengestürzt
und erstickt; so gewiss es andererseits ist, dass die Hartnäckigkeit
der Entlebucher auch an der Wiege des Berner Aufstandes
gestanden hatte.

Dem Werden und Wachsen des Berner Bauernaufstands haben
wir uns also nun zuzuwenden, wenn wir begreifen wollen, wie der
grosse Zusammenschluss aller aktiven Kräfte der ganzen Bauernklasse
der Schweiz zustandekam — zum letzten «souveränen» Akt ihrer
Selbstbehauptung als unabhängig handelnde Klasse in der Geschichte.


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 157 - arpa Themen Projekte

Zweites Buch:



Der Sumiswalder und Huttwiler Bund

(«Volksbund» gegen «Herrenbund»)


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 159 - arpa Themen Projekte



VIII.
Wiege und Stachel des Berner Bauernzorns

Das obere Emmental, dort wo es sich von Langnau aus in zwei
Armen gegen das Entlebuch hinstreckt, ist die Wiege des Berner Aufstandes.
Der kürzere dieser beiden Arme führt am Ilfis, an dem aus
dem Luzernischen kommenden Hauptzufluss der Berner Emme, aufwärts
über Wiggen in bequemern und darum auch leicht zu überwachendem
Uebergang direkt nach Escholzmatt und weiter nach Schüpfheim.
Der längere Arm ins Entlebuch wird durch das obere Tal der
Grossen oder Berner Emme gebildet, von dem zwei nicht ganz so leicht
zu überwachende Pässe ins Entlebuchische abzweigen. Zwar das Tal
der Berner Emme selbst führt zwischen den beiden mächtigen Felsmassiven
des Hohgant und der Schrattenfluh durch ein hochalpines
Bergtor direkt auf den Rücken der Brienzer Rothornkette und von
dort geht's hinab ins Herz des Berner Oberlandes. Aber schon in
Schangnau zweigt ein guter Passübergang ab ins obere, entlebuchische
Ilfistal nach dem nahen Marbach, und da wohnte der Entlebucher
Landeshauptmann Niklaus Glanzmann, der viel Verwandtschaft im
Emmental hatte und an der Verschwörung des Thomasabends führend
dabei war; von da geht's über Wiggen direkt nach Escholzmatt, wo
der Landessiegler Binder hauste, der am Thomasabend ebenfalls führend
und auch beim Bittgang mit Hans Emmenegger nach Luzern dabei
war; auch Christen Schybi wirtete und wirkte ja in Wissemmen
bei Escholzmatt. Weiter oben im Tal der Berner Emme, genau im Tor
zwischen Hohgant und Schrattenfluh, zweigt auf dem Kemmeriboden
ein höherer Passübergang durch hochalpine Wildnis ab ins Quelltal
der Kleinen oder Luzerner Emme, und dieses führt direkt ins Herz des
Entlebuch, nach Schüpfheim, wo der Landespannermeister Hans Emmenegger
und der Schulmeister Johann Jakob Müller, der «Ratsschreiber»
des Wolhuserbundes, daheim waren und wo auch ihre heisspornigen
Paladins, Käspi der Tell, Hans Krummenacher, der «stärkste
Eidgenoss», sowie Stephan Lötscher hausten. Besonders diese letzteren
drei waren zwischen dem Entlebuch und dem Emmental fast ständig
unterwegs; für sie war es über den Kemmeriboden, wie über Marbach


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 160 - arpa Themen Projekte

Niklaus Leuenberger

Unveröffentlichter, handkolorierter Originalstich in der Berner
Stadtbibliothek.

Zeitgenössische Konstruktion nach dem Gefangenenbild der Berner
Herren, bezw. wohl direkt nach dem Grand-Witz'schen Gemälde
auf die Platte graviert (hier spiegelverkehrt, weil Plattenabzug).

Im Hintergrund: links ein Dorf, davor der Balgen, sowie exerzierende
Truppen rechts ein Zeltlager und Truppen.



Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 161 - arpa Themen Projekte
Abbildung 10


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 162 - arpa Themen Projekte

dem kleinen Nest Colombier allein in zwei Jahren ihrer dreizehn! 1632
wurde in Genf ein Pfarrer, Niklaus Antoine von Divonne, «ein sanfter,
schwermütiger Mann, wegen erwiesener absonderlicher Beschäftigung
mit der Philosophie (!) und fluchwürdigen Ansichten über die Gottheit
Christi auf Befehl der Herren und Obern von Genf... als warnendes
Beispiel verbrannt». «Ueberall reichten sich Geistlichkeit» (immer ist
hier die protestantische gemeint) «und Obere die Hand, um der Forschgier
der Geister Schranken zu setzen, wenn sie etwa ihre Fesseln abschütteln
wollten.» In Bern stand schon seit 1621 ewige Verbannung
auf der blossen Verbreitung der Lehren Descartes', des berühmtesten
Philosophen der Zeit! Sonst «wachte Zürich mehr über die Lehre,
Bern mehr über die Sitte». Bern erliess «eine Verordnung nach der andern»,
eine heuchlerischer als die andere, jede unter Androhung horrender
Leibes- und Vermögensstrafen, «wider die Trunkenheit, Müssiggang,
Aufwand und die Teufelskünste», aber nur «beim kleinen Volke»
—denn Saufen, Schwelgen und Prassen, aber auch das Spiel mit abergläubischen
(z. B. astrologischen) Zaubereien, das alles war das Privileg
der Herren. «Die Hexenprozesse», sagt der alte Domdekan Vock,
«dauerten fort, und noch immer mussten viele Schlachtopfer dieses
Wahns den Scheiterhaufen besteigen oder unter dem Schwerte fallen.»
In Zürich z. B. sind noch im Jahr 1701 acht Personen wegen angeblicher
Hexerei verbrannt worden. Zu den allerschlimmsten Henkersantreibern
während des Bauernkriegs gehörte die Geistlichkeit Basels
unter der Führung des «beliebten» Antistes Theodor Zwinger, die in einer
von Bibelsprüchen triefenden Hetzschrift an den Rat die Köpfe der
Bauernführer verlangte —und erhielt! (Denn es war ja natürlich bestellte
Arbeit!)

Unter diesen Umständen wurde die protestantische Kirche zu einem
noch fügsameren und gefährlicheren Instrument der absoluten Landesherren
als die katholische; sie diente zur Unterdrückung jeder Freiheit
des Volkes, nicht nur derjenigen in Kultur und Wissenschaft, sondern
auch und besonders der politischen. Denn jeder absolute Landesherr
in protestantischen Ländern verfügte auch absolut über die protestantische
Kirche auf seinem Territorium. Da gab es keine übergeordnete,
universale Instanz, die regulierend hätte eingreifen und an die
sich irgend jemand, ob Hirt oder Herde, hätte wenden können. Und
darum ist ganz besonders von protestantischen Juristen die Lehre
vom Gottesgnadentum der Obrigkeit, in engstem Anschluss an Luthers
reaktionäre Wendung zum Landesfürstentum, ausgebildet worden,
nach dem Grundsatz: cuius regio, eins religio —, zu deutsch: wer regiert,
der befiehlt auch, was ich zu glauben habe.

Mit dieser Erkenntnis haben wir das grundlegende Verständnis für
die Rolle gewonnen, die gerade die protestantischen Geistlichen im Dienste
der «von Gott eingesetzten gnädigen Herrn und Obern» im Bauernkrieg


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 163 - arpa Themen Projekte
gespielt haben, die Prädikanten in Bern, Basel und Zürich: sie
waren die wirklichen «Hunde des Herrn»: die fanatischsten und schamlosesten
Spitzel und Spione, die rechtsverdreherischsten Volksfeinde, ja
hetzerischsten Henkersantreiber ihrer «gnädigen Obern»! Dafür werden
wir im Lauf des bernischen und baslerischen Bauernkriegs wahrhaft
erschreckenden Beweisen menschenfressenden «Christentums» begegnen,
wesensgleich denen der Zürcher Prädikanten schon im Wädenswiler
Aufstand. Ein bemerkenswerter Unterschied zu dem bedeutend
volksverbundeneren Verhalten von immerhin beträchtlichen Teilen
der Luzerner Geistlichkeit, über die die Luzerner Obern eben nicht
allein Herrn und Meister waren. Es ist, als hätte sich diese wirklich
gewisser urchristlicher Weisheiten erinnert. Zur Rechtfertigung ihrer
Parteinahme für die Bauern soll sie z. B., wie Vulliemin anführt, den
Kirchenvater Tertullian zitiert haben, der gesagt hat: «Wie die einer
Auflage unterworfenen Felder weniger Wert haben, so verlieren auch
die Menschen an ihrem Wert, an deren Köpfen die Pflicht einer Abgabe
haftet. . haftet...»

Doch kehren wir zu unsern Berner Bauern zurück.

Es war also nach dem neuen Kalender in der ersten Januarwoche
1653, als die ersten Berner Bauernführer in Uli Gallis Haus in Eggiwil
verschwörerisch zusammentraten. Das ändert natürlich nichts daran,
dass für die Männer, die hier heimlich zusammenkamen, diese Tage
«zwischen Weihnachten und Neujahr» lagen und also ganz die gleichen
Tage stillen, frommen Festabglanzes waren wie der Thomastag
für die Entlebucher zehn Tage früher. Nur war die Frömmigkeit der
Emmentaler keine katholische, sondern eine protestantische, vielmehr
sogar eine stark sektiererisch-wiedertäuferische. Denn vor dem Druck
der verhassten «Hunde des Herrn», der Prädikanten —als welche nur
Berner Stadtbürger eingesetzt werden durften —, wichen viele Bauern
mit ihrem Frömmigkeitsbedürfnis heimlich in mancherlei Sekten
aus, gerade weil diese für rebellisch galten und von den Kirchenobern
mit dem Schwert des Staates und mit den Scheiterhaufen der Hexenprozesse
verfolgt wurden.

Umso erstaunlicher ist es, wie leicht die katholischen Entlebucher
sich mit den grossteils wiedertäuferisch gesinnten Emmentalern zusammenfanden!
Denn für die katholische Kirche war jede leiseste Berührung
mit der Täuferei nicht nur Pest und Aussatz, die man mit Feuer
und Schwert ausrotten musste, sondern Todsünde, von der es keine
Erlösung mehr gab. Nichts könnte darum besser beweisen, dass nicht
die allzu oft nur menschenmörderischen Chimären der Religionen,
sondern die realen Dinge des menschlichen Lebens es sind, die Menschen
und Völker untereinander zu Brüdern machen. Und das heisst
in allererster Linie: die Klassenzugehörigkeit.


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 164 - arpa Themen Projekte

Und «Brüder» nannten sich in der Tat die Bauern, die um die
Jahreswende Zweiundfünfzig auf Dreiundfünfzig in Uli Gallis Haus
zusammenkamen. Unter demselben «greulichen Kometen mit dem gestutzten
Bart», von dem Hans Emmenegger in seiner ersten Rede
beim Heiligen Kreuz ob Hasle vielbedeutend gesagt hat, dass er «eine
Flamme habe wie ein Schwert», dass er «in drei Stunden durchs Entlebuch
ins Trubertal hinüber wandere» und dass er auch «von den
Bernern sehr wohl gesehen worden sei». Und wie Schüpfheim bei der
ersten Verschwörer-Versammlung in Käspi Unternährers Haus, so lag
auch Eggiwil unter einer tiefen Schneedecke, als die tapferen Männer
von allen Seiten und aus allen Schächen, wer weiss wie weit her, im
Schutze der Dunkelheit in die Dorfstrasse von Eggiwil einbogen, um
in Uli Gallis Haus zu verschwinden.

Ihre Namen sind uns nur in einigen Fällen, durch den Zufall späterer
Verhöre, überliefert. Dass Entlebucher dabei waren, können wir
Hundert gegen Eins wetten. Durch die Verhöre sind uns aber, da sie
nur Bern betreffen, lediglich einige Berner, vor allein Emmentaler,
als Teilnehmer dieser in grösster Heimlichkeit veranstalteten «illegalen»
Versammlung bekannt. So der vertraute Hauptbote Uli Gallis,
Hans Blaser aus dem «Heidbühl» im Gerichtsbezirk Trub. Er war, im
Gegensatz zu dem hablichen Uli, ein armer Kleinbauer, der eine Frau,
zwei eigene Kinder und ein Stiefkind durchzubringen hatte; bei der
Konfiskation seines Hab und Gutes zeigte sich später, dass «nach
Abzug des Frauenguts und der Schulden nichts mehr vorhanden war».
Ihn hatte Uli Galli im ganzen Land herumgeschickt, um zu dieser
Versammlung aufzubieten. Natürlich kamen dafür nur wirklich Vertraute
in Frage. Vor allem solche, die Uli Galli bereits aus dem früheren
Aufstand, dem sogenannten «Thuner Handel» von 1641, in dem er
selber führend war, kannte und die sich auch seither gut bewährt
hatten.

Ein solcher war vor allem Daniel Küpfer, der Ammann von Pfaffenbach
in der Kirchhöri Langnau, ein zäher und tapferer Kämpfer.
Der war ehemals ein sehr hablicher und weit herum angesehener
Schmied in Höchstetten und im Thuner Handel ein populärer Führer
des ganzen Konolfinger Amtes. «Ausser der Schmiede, die er nur
lebensweise innehatte, besass er verschiedene Stücke Erdreich auf der
Erlen, im Mühlebach, ein Stück Reben zu Oberhofen bei Bowil und
Bergrechtsame für 2 Kühe am Rämisgummen. In den Jahren 1622 bis
1643 liess Daniel Küpfer in Höchstetten 11 Kinder taufen.» 1646 übergab
er die Schmiede seinem Sohn Daniel und zog nach Pfaffenbach,
wo er «ein Gütlein» erwarb. Er war später Hauptmann in der vor Bern
gerückten Bauernarmee Leuenbergers und gehörte, als der organisatorisch
begabteste, gescheiteste und energischste Kopf neben Uli Galli,
dem engeren Kriegsrat an. Er war darum auch einer der ersten, der von


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 165 - arpa Themen Projekte
den siegreichen Herren geköpft wurde; ja sein Leib wurde, wie später
derjenige Leuenbergers, gevierteilt, «ein Teil auf dem Hochgericht (in
Bern), die übrigen drei Viertel in Signau, Ranflüh und Huttwil aufgehängt».
Sicher also ein wichtiger Mann! Ein fast ebenso wichtiger alter
Kämpfer und bewährter Teilnehmer am Thuner Handel war Hans
Rüeggsegger, der Weibel von Röthenbach bei Diessbach. Auch er war
später Kriegsrat Leuenbergers und mit der Bauernarmee vor Bern gezogen,
und auch er wurde dafür in Bern enthauptet «und sein Haupt
an das Hochgericht genagelt». Wir werden kaum fehlgehen. wenn wir
ausser diesen beiden alten Vertrauten Ulis aus dem Thuner Handel,
beides habliche Bauern wie er selber, noch manche andere solche alten
Mitkämpfer als Teilnehmer an der ersten Verschwörung in Eggiwil
annehmen.

Dann aber waren auch viele neue Kämpfer dabei. So als einer
der «rässesten» Hans Bürki aus dem «Winkel» bei Langnau, ein jung
verheirateter Bauer mit zwei Kindern, der mit dem Vater zusammen
ein schönes Bauerngut schuldenfrei bewirtschaftete. «Feuer und
Flamme für die Sache der Bauern, bedrohte er die, welche diese nicht
bei ihren Rechten und Freiheiten lassen wollten, mit dem Tode.» Auch
er gehörte, trotz seiner Jugend, dem engeren Kriegsrat an. Er war es
auch, der den Schultheiss Dachselhofer im Feldlager vor Bern mit «rouwen
ungebürlichen » Worten bei seinem früheren Versprechen behaftete:
«Berner Batzen werdind Berner Batzen verblyben»! Und wenn er
auch dafür nicht geköpft wurde, so wurde doch an ihm eine für die
damalige Berner Geistlichkeit besonders bezeichnende Schandtat verübt.
Als man nach der Niederschlagung des Aufruhrs im ganzen Land
auf die zahllosen flüchtigen Bauernführer eine wilde Hatz veranstaltete,
spannte man natürlich auch die Geistlichkeit dafür ein, wofür
diese extra bezahlt wurde! So auch im Fall Hans Bürki. «Er
wurde» — wie der neueste Erforscher der Rechtsfolgen des Bauernkriegs,
Rösli, nachweist — «durch den Prädikanten Anthoni Kraft
(damals Pfarrer in Langnau) am 17. Oktober 1653 ins Schloss Trachselwald
gelockt, unter dem Vorgehen, der Vogt werde ihn auf sein eidliches
Versprechen der Treue und des Gehorsams wieder frei lassen.»
Hans Bürki aber wurde ganz im Gegenteil sofort in Ketten gelegt und
ins Gefängnis nach Bern geschafft! Dafür steckte später der «Bote des
Herren» Anthoni Kraft schöne Silberlinge ein. Denn Rösli gibt folgenden
Originalauszug darüber aus der «Rechnung des Landvogts Samuel
Tribolet über die Jahre 1653-1654» wieder: «Herrn Anthoni Kraft, jetz
Prädicanten zu Lützelflüe, umb dass er Hans Bürki den Ertz Rebellen
wie ihn Ihr Gn. in underschidlichen missiven titulierend zur Verhaftung
ins Schloss mit guten Worten gelocket, vermog oberkeitlicher
provision vom November 1659» (die Rechnung wurde erst anno 1660
abgelegt) «40 Kr., thund an Pf., 133 Pfund, 6 Schilling, 8 Pfennige»!


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 166 - arpa Themen Projekte

Sonst sind uns durch den Zufall der Verhöre nur ein paar unwichtigere
Männer als solche überliefert, die an Uli Gallis Verschwörung
in Eggiwil teilnahmen: so ein Peter Baumgartner aus dem «Hälig»
bei Trub; ein Hans Kreyenbühl aus der «Schmitten» in Trub, den die
Trüber Gemeinde später zu ihrem Hauptmann im Kriege wählte; ein
Michel Langenegger aus der «Ey» im Amt Trachselwald; sowie
schliesslich ein Peter Tanner aus dem «Bach» bei Trub, der später als
Ausgeschossener seiner Gemeinde an die grosse Landsgemeinde in
Sumiswald geschickt wurde.

Es muss uns auffallen, dass wir, ganz im Gegensatz zu den ersten
Verschwörern im Entlebuch, bei denen im Emmental nicht einen einzigen
Mann namhaft machen können, der im «öffentlichen Leben»
des Berner Volkes irgendeine in die Augen springende Rolle spielte,
Uli Galli mit eingeschlossen. Denn auch bei diesem können wir seine
Wichtigkeit nur aus seiner früheren Rolle als Rebell im Thuner Handel,
aus seinen Taten im grossen jetzigen Bauernkrieg, besonders eben
als Urheber der Bewegung im Emmental, sowie aus der nachmaligen
Bestrafung erschliessen. Denn auch er wurde natürlich durch die Berner
Herren vom Leben zum Tode befördert, diesmal zur Abwechslung
durch den Strang, was als besonders schimpflich galt. Denn er war
landesbekannt als «einer der extremsten Revolutionäre», schon seit
dem Thuner Handel, und seine Rolle in diesem wurde ihm im Todesurteil
ausdrücklich als Belastungsmoment angekreidet. Auch er war
Hauptmann im Bauernheer vor Bern und gehörte dem engeren
Kriegsrat Leuenbergers an. Eine besondere moralische Belastung für
ihn war, dass er bis zu seinem zehnten Jahr (!) mit einer alten Frau
zu «der töüfferischen Sekt gangen» sei; «syn Eheweib aber sye annoch
mit diser Sekt behaftet»!

Der Unterschied zwischen der Rolle der ersten Entlebucher und
derjenigen der ersten Emmentaler Verschwörer im Leben ihres Volkes
hat wichtige geschichtliche Gründe, die wir kennen müssen, wenn wir
den langen und schweren Aufmarsch der Berner Bauern, aber auch
seine schliessliche Wucht, verstehen wollen. Auch die Rolle Uli Gallis
als Führer in der ersten Bauernerhebung, im «Thuner Handel» von
1641, muss uns vertraut sein, wenn wir seine Urheberrolle in der
Berner Bewegung des grossen Bauernkriegs begreifen wollen. Denn
ausdrücklich wird von der «revolutionären Versammlung» in seinem
Haus berichtet — es ist das Einzige, was wir über deren Inhalt wissen
—: «An dieser stellte er den Antrag, von der Obrigkeit die Bestätigung
des ,Thunerbriefes' zu verlangen.»

Im Bernischen gab es längst keinen volksgewählten Landesvorstand
und keine behördlich Ausgeschossenen mehr wie noch im
Entlebuch; keinen Landespannermeister, Landeshauptmann oder Landessiegler


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 167 - arpa Themen Projekte
und keine Geschworenen. Dies war im Entlebuch der —
wenn auch wesentlich nur noch dekorative — Ueberrest einer Volksfreiheit,
die daher stammte, dass die Stadt Luzern vor zweieinhalb
Jahrhunderten nur die Schirmrechte über das Land Entlebuch gekauft
hatte. Dessen erinnerten sich die Entlebucher, wie wir sahen,
gerade jetzt wieder, als es den Luzerner Herren erst darum ging. in
Nachahmung anderer aristokratischer Staaten die totalitäre landesherrliche
Macht an sich zu reissen und darum auch den letzten Rest
der Volksfreiheiten abzuwürgen.

Im Staate Bern dagegen war man damit schon viel weiter. Schon
«seit der Erwerbung der landgräflichen Rechte» —und das war schon
seit mehr als dreihundert Jahren — «befand sich die Stadt Bern gegenüber
ihren Angehörigen auf dem Land in der Stellung eines Landesfürsten»,
dem man einen «Huldigungseid» zu schwören hatte (was
allerdings die Luzerner Herren längst nachzuäffen gelernt halten, was
jedoch in Bern rechtsgeschichtlich eine ganz andere Bedeutung hatte).
So schreibt Hans Bögli, ein neuerer Berner Geschichtsschreiber des
Bauernskriegs. Zwar waren auch im Bernischen in einzelnen Landschaften
«regionale Statutarrechte» aus der volksfreien Frühzeit erhalten
geblieben, deren Anerkennung durch die Stadt Bern sich diese
Landschaften von Zeit zu Zeit immer wieder ertrotzten. Ausser einigen
Städten, wie Thun, Laupen, Murten, Aarau, Lenzburg und anderen,
besassen besonders die Landschaften Oberhasli und Saanen noch so
weitgehende Freiheiten, dass sie von den Entlebuchern sogar darum
benieden wurden. Ferner war noch bis zum Ende des 16. Jahrhunderts
eine Art direkter Demokratie, das System der sogenannten
«Volksanfragen», am Leben geblieben: über Grundfragen des Staatslebens,
wie neue Steuern, Bündnisse und Krieg, musste das Volk befragt
werden. Dieses System blühte besonders während und nach dem
Burgunderkrieg; aber es musste schon 1513, während der Mailänder
Feldzüge, von den Bernern durch einen Aufstand wieder ertrotzt werden.
So konnte denn auch das geschichtliche Ereignis der Reformation
im Kanton Bern durch Volksanfrage eingeführt werden.

Die Kehrseite davon aber ist, dass auch so un-, ja antidemokratische
Dinge wie die Eroberung und Unterwerfung des Waadtlandes im
Jahre 1536 durch das urdemokratische Recht der Volksanfrage ausdrücklich
genehmigt wurde! Damit hat dieses sich allerdings das
Grab selber gegraben. Denn erst durch die Folgen dieser schmählichen
Eroberungstat, durch den ungeheuren neuen Bodenbesitz, den die
stadtbernischen Herren geschlechter dabei an sich rissen, sowie durch
die ungeheuerliche private Aussaugung des reichen Landes seitens weniger
Familien, wurden diese zu der übermächtigen Feudalmacht, gegen
die auf die Dauer keine Volkserhebung mehr durchdrang. Noch 1565
hatte das Volk das Bündnis mit Frankreich verworfen, das den Herren


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 168 - arpa Themen Projekte
neue Ströme Goldes einbringen sollte. 1589-90 durfte es über die
Beziehungen zwischen Bern und Savoyen wenigstens dem Scheine
nach noch mitsprechen. Schon zu Beginn des dreissigjährigen Kriegs
dagegen erlosch auch der letzte Schimmer des Anfragerechts des Bernervolkes.

Denn seit man in Frankreich die «Reichsstände» — so etwas wie
ein Parlament, wenn auch ein überaus exklusiv aristokratisches —
nicht mehr einberief, seit 1614, war das höchste Bestreben der Berner
Herren, den «selbstherrlichen Geist des französischen Königtums» bis
ins letzte Titelchen nachzuahmen. Der Stadtstaat Bern wurde zum
allesüberragenden Pionier des Absolutismus in der Schweiz. Das einzige
Organ, das fortan das Volk mit der Regierung «verband», war
der Landvogt, sein Blutsauger. War die «von Gott eingesetzte» Obrigkeit
der einzige Landes-, Gerichts- und Grundherr, so war der Landvogt
seine Rute für das Landvolk, die oberste richterliche und Polizeibehörde
in den Bezirken; aber auch sein Eintreiber für die Steuern,
sein Einnehmer und Verpächter der «öffentlichen» Einkünfte aus
dem Lande.

Die Haupteinkünfte der Berner Obrigkeit waren zahlreiche
Lehensherrlichkeiten — Reste der Leibeigenschaft —, wie Bodenzinse,
Ehrschätze (Abgaben bei Handänderungen), Abzugs- und Zuzugsgelder
etc.; ferner Zehnten von Getreide und Wein und, ganz wie in Luzern,
das Ohmgeld und das Salz- und Pulvermonopol. Nirgends aber
ist die private Bereicherung der Landvögte kraft ihrer «öffentlichen»
Funktion ein derart offizielles Privileg gewesen wie in Bern. Gerichts-
und Schreibgebühren aller Art, Konfiskationen und Bussen gehörten
zum grössten Teil zum persönlichen Einkommen der Landvögte. Klar,
dass jeder Landvogt ausschliesslich aus einer der allein «regierungsfähigen»
Familien stammen musste. Auf sechs Jahre wurde er von
den Herren «gewählt», und das hiess jedesmal: deine Chance, reich
oder noch reicher zu werden ist gekommen — da, greif zu! Enrichissez-vous,
Messieurs! Und daher entspann sich ein wilder Schacher
um diese Amtsbesetzungen: sie wurden von vornherein um hohe
Summen gekauft, und diese «Kosten» mussten erst einmal aus den
Bauern wieder herausgeschunden werden, ganz abgesehen davon, dass
dann erst das Reicherwerden beginnen konnte. «Es ist begreiflich»,
sagt unser neuerer Berner Geschichtschreiber des Bauernkriegs, «dass
sie bei ihren grossen Befugnissen häufig die Amtsgewalt missbrauchten
und Anlass zu bitteren Klagen gaben»! Mehr als begreiflich —geradezu
naturnotwendig, wenn nicht sogar sittlich gerechtfertigt! Denn
ihre obersten Oberen, die Berner Ratsherren des Kleinen Rats, der
eigentlichen Regierung, waren fast alle in ihrer Karriere auch einmal
Landvögte gewesen — wenn sie nicht von vornherein, etwa wie
manche Erlache, Diesbache, Bonstetten, Wattenwile etc., noch höher


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 169 - arpa Themen Projekte
geboren und darum Bors concours waren. Diese Herren gingen auch
als Regierung mit gutem Beispiel voran: wenn sie mit den «ordentlichen»
—d. h. einfach mit den bisher verordneten — Einkünften nicht
auskamen, dann wurden ohne weiteres neue Steuern und Monopole
ausgeschrieben! Natürlich ohne Volksanfrage. Es gab ja bis ins nachfolgende
Jahrhundert (1711) überhaupt keine Verwaltungsgerichtsbarkeit,
und darum auch nicht das geringste Beschwerderecht. Sich
beschweren hiess ohne weiteres sich strafbar machen. Wer wollte das
riskieren?

Trotz alledem war das Rechtsbewusstsein des Bernervolkes von
altersher ein ganz besonderes, ja ausserordentlich lebendiges. Es kam
dem der Entlebucher mindestens gleich. Jeder Erlass, jede Verordnung
wurde dort wie hier an diesem althergebrachten Rechtsgefühl
unverzüglich gemessen. «Neuerungen», die in diesen Zeitläuften des
immer unheimlicher wachsenden Absolutismus für die Bauernklasse
in der Tat nur immer weitere Einschränkungen der Volksfreiheiten,
Ja der nackten Existenzmöglichkeiten, bringen konnten, waren den
Berner Bauern ebenso verhasst wie den Luzerner Bauern.

Und so bedurfte es bereits im Jahre 1641 nur der Ankündigung
einer neuen Steuererhebung. «um den Ausbruch einer allgemeinen
Protestation zu veranlassen, die als Vorläufer der zwölf Jahre nachher
ausbrechenden grossen Volkserhebung angesehen werden muss».
Es war ein Kontributionsmandat des Berner Rates an alle Landvögte
zur Erhebung einer Vermögens- (also Kopf-) Steuer zum Zweck des
Unterhalts einer zum erstenmal geplanten stehenden Truppe! Mithin:
eine richtige Sklavensteuer. Diese Steuer sollte fortan jedes Jahr bis
zum 1. Mai vom Volke erlegt werden, und dabei «wies man die
Prädikanten (Pfarrer) an, jeweilen öffentlich auf den Kanzeln die
Zeit des Bezugs zu verkündigen mit einer Mahnung zur Pflicht». Das
ist ein weiteres bescheidenes Beispiel dafür. wofür den Berner Herren
die Religion und ihre Verkünder gut genug waren.

Der Widerstand der Berner Bauern war turbulent und allgemein.
Er zeigte der ganzen Schweiz. dass die Berner nicht nur in der Reaktion,
sondern auch in der Revolution vorangehen können. Denn das
war wirklich der erste Volksaufstand gegen den Absolutismus französischen
Musters in der Schweiz, fünf Jahre vor dem Wädenswiler Aufstand.
Das haben besonders die Entlebucher den Bernern nie vergessen.
Sie hatten ihnen schon damals sofort Hilfe und bewaffneten
Zuzug zugesagt.

In der Tat war der Aufstand der Berner schon damals eine
grosse Sache. Ihr Widerstand ging in erster Linie gegen die stehenden
Truppen selbst; denn das fühlte ein jeder, dass diese Söldner ein Attribut
des Absolutismus, eine Bürgerkriegstruppe zur Niederhaltung des
eigenen Volkes war, das sie dazu noch selbst bezahlen sollte. Sodann


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 170 - arpa Themen Projekte
aber rebellierte man besonders heftig dagegen. dass diese Steuer ohne
Volksbefragung eingeführt wurde und reklamierte die Wiederherstellung
dieses uralten Rechtes. Die übrigen Grunde richteten sich gegen
die Unbefristetheit der Steuer, sowie gegen die Art ihrer Erhebung,
indem dabei Selbsteinschätzung des Steuerbetrags und also des Vermögens
vorgeschrieben war; dies nämlich empfanden die Bauern als
kreditvernichtend für viele der Ihrigen, die eigentlich nichts mehr
zu versteuern hatten, oder aber, wenn sie ihren Kredit retten wollten.
sich zu hoch einschätzen mussten.

Aber auch damals waren es nicht nur die Bauern, sondern auch
die kleineren Städte, die rebellierten. Aarau und Zofingen waren die
ersten, die Widerstand leisteten; ihnen folgten Lausanne und Romainmotier;
nur Vevey nahm die Steuer an. Als zwei Lenzburger, in Fesseln
gelegt, nach Bern in Gefangenschaft abgeführt wurden, drohten
Stadt und Land Lenzburg, sie mit Gewalt zu befreien; sie mussten
entlassen werden. In Thun wurde heftig rebelliert, als dort Niklaus
Zimmermann, der Bruder des ebenfalls rebellischen Weibels von
Steffisburg, in die Verliesse des Schlosses geworfen wurde. «Zehn mit
schwerem Geld gedungener Männer» bedurfte der Schultheiss Bachmann
von Thun, und dazu noch eines Ueberfalls bei nachtschlafender
Zeit, um den Berner Herren diesen Gefallen zu erweisen. Aber
nicht die Thuner Bürger, sondern die Oberländer und Emmentaler
Bauern waren es, die zu vielen hundert Mann sich bewaffnet vors
Schloss legten und nicht wichen, bis in einem allgemeinen Trubel
Zimmermann sich befreien und über die Schlossmauern entweichen
konnte.

Am heftigsten rebellierten auch diesmal die Emmentaler und die
Oberaargauer Bauern. Nur die Prädikanten zahlten hier die Steuer.
Es fand auch damals schon eine grosse Volksversammlung in Langnau
statt, auf der beschlossen wurde, bei der Verweigerung der Bezahlung
der Steuer auszuharren. Eine ganze Reihe von Sumiswaldern wurde
wegen Widersetzlichkeit gegen den damaligen Landvogt von Trachselwald
Samuel Frisching —demselben, dem wir im jetzigen, grossen
Bauernkrieg bereits als Ratsherr und Spitzel der Berner Regierung begegnet
sind — nach Bern in Gefangenschaft abgeführt. Diese «hitzköpfigen
Sumiswalder» hatten dem Landvogt «mit Steinwürfen etliche
Fensterscheiben zertrümmert». Aber auch sie mussten unter dem
Druck des Aufmarschs der Emmentaler Bauern vor Thun bald entlassen
werden, wenn sie später auch gebüsst wurden.

Was uns nun an der damaligen Rebellion der Emmentaler ganz
besonders interessiert, das ist die bestimmte Nachricht, dass unser Uli
Galli von Eggiwil schon damals ein Hauptführer der Bauern war, der'
an der Spitze der Bewaffneten aus den Gemeinden Steffisburg, Diessbach,
Röthenbach, Kiesen, Höchststetten, Langnau, Signau, Eggiwil,


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 171 - arpa Themen Projekte
Schangnau und Trub vor Thun marschierte. Dort haben sie vor dem
Schloss gedroht, «wenn binnen zwei Stunden der Gefangene nicht frei
gegeben werde, die Stadt zu versengen und das Kind im Mutterleibe
nicht zu verschonen», angeblich! Aber unser neuerer Berner Geschichtsschreiber
des Bauernkriegs, Hans Bögli, gibt treuherzig zu,
dass diese «wütenden Drohungen» vor Thun «ebenso sehr von Innigkeit
des verletzten Rechtsgefühls, als von augenblicklichem Mangel an Selbstbeherrschung»
zeugen. Jedenfalls aber bekamen die Bauern auf diese
Weise den gewalttätig gefangen gesetzten Niklaus Zimmermann frei.

Inzwischen hatten die Berner Herren eiligst einige Truppen zusammengezogen
und die «Zusätzler» (zusätzliche Besatzungsmannschaften)
auf die Schlösser Thun, Wimmis, Burgdorf etc. befohlen.
Im Simmental und im Frutigtal allerdings meuterten die Zusätzler;
aber auch die Städte Brugg, Aarau und Zofingen weigerten sich, ihre
Zusätzler ins Schloss Zofingen zu liefern. Zu schweigen von den Emmentalern,
die keinen Mann nach Burgdorf oder Trachselwald lieferten,
denen es vielmehr sogar gelang, die ordentlichen Besatzungen
dieser Schlösser zum Meutern zu bringen, besonders nachdem in
Burgdorf ein Mann erschossen worden war. Bern hatte aber ausserdem
die verbündeten evangelischen Orte Zürich, Schaffhausen, Biel,
Neuenstadt, Neuenburg, Genf und einen Teil des Wallis zum Truppen-Zuzug
aufgeboten.

Ebenso kamen schleunigst auch damals eidgenössische «Vermittler»
herbeigeeilt, um den Berner Herren zu helfen, ihre Untertanen
wieder zum Gehorsam zurückzuführen. Und das gelang ihnen unter
dem Druck des grossen Truppenaufgebotes schliesslich doch. Immerhin
musste Bern auf die Einführung der neuen Steuer und damit der
stehenden Truppen wohl oder übel verzichten und den Bauern im
«Vermittlerbrief» eine Reihe von Zusagen machen! Denn bereits drohten
auch damals schon die Emmentaler und Oberaargauer, sich mit
den Entlebucher und Solothurner Bauern zu verbünden. Das also war
der erste geschichtliche Keim des späteren grossen Bauernbundes! Und
schon kauften die Emmentaler und Oberaargauer im Solothurnischen
grössere Mengen Pulver ein...

Vor der Ausdehnung des Aufruhrs auf allgemeinschweizerischen
Boden aber hatten die übrigen eidgenössischen Stände damals noch
einen solchen Schrecken, dass sie auf das wütende Bern drückten, bis
es die Steuer fallen liess. Auf die Frage der Bauern, in den Verhandlungen
in Thun, «ob sie denn nicht mehr freie Eidgenossen seien und
ob sie sich wie Unterthanen von Königen müssen behandeln lassen» —
hatten nicht nur die Berner Ratsherren, sondern natürlich auch ihre
Klassengenossen, die Herren «Ehrengesandten», keine bessere Antwort
als den sehr kräftigen Hinweis auf «die landesherrlichen Recht«
der Stadt»!


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 172 - arpa Themen Projekte

Darum mussten denn auch 150 ausgeschossene Bauern, meistens
Emmentaler, nach vollzogener Verhandlung in Thun in der dortigen
Kirche vor den Berner Herren und den eidgenössischen Vermittlern
kniefällig Abbitte leisten! Das taten sie, wie man sich leicht denken
kann, nur zähneknirschend. Zehn von ihnen, die Hauptführer, mussten
sogar nach Bern und dort am Pfingstsonntag 1641 den Fussfall
vor Rät' und Bürgern wiederholen. «Den Aufständischen wurden —
darauf hin —die Kosten und Strafen erlassen, gegen einen neuen Huldigungseid.»
Der Führer und Sprecher der zum Fussfall in Bern gezwungenen
zehn Bauern führer aber war — unser Uli Galli! Welchen Racheschwur
er damals insgeheim, wie auch zahllose andere Bauern,
leistete, können wir uns leicht denken. Dagegen «die Ehrengesandten
der evangelischen Stände wurden von der Stadt belohnt, jeder mit
10 Dublonen, der Schreiber mit sechs Dublonen und jeder der elf Reiter
mit einer Dublone! Unter diesen «Ehrengesandten» waren schon
dazumal Salomon Hirzel, damals Bürgermeister von Zürich, und Johann
Rudolf Wettstein, damals Oberstzunftmeister von Basel. Sie
werden uns auch im jetzigen grossen Bauernkrieg bedeutsam begegnen.

«So war die gefährliche Entzweiung der Obrigkeit mit ihrem
Volke für einstweilen beigelegt.» «Die Beschwerden des Volkes waren
aber trotz der gütlichen Beilegung des Zwistes nicht gehoben; sie blieben
und vermehrten sich noch bedeutend infolge der ungünstigen
Zeitverhältnisse.» Wir wollen dem bernischen Geschichtschreiber des
Bauernkriegs, der dies sagt, Hans Bögli, auch weiter folgen in seinem
ausnahmsweise anständigen Versuch, der Sache der Bauern gerecht
zu werden; dazu nämlich befähigte ihn seine bäuerliche Abkunft,
trotz seiner hochbürgerlichen Bildung. Er führt weiter aus: «Im Verlaufe
derselben zeigt sich, ganz dem Zeitalter des erstarkenden Despotismus
gemäss, mehr als früher bei ähnlichen Anlässen das Bestreben
der Regierung, nötigenfalls den Willen der Untertanen mit Gewalt,
mit fremden Truppen zu unterdrücken; Das liess für lange Zeit
einen Stachel in den Herzen der Landleute zurück.» Dieser Geschichtschreiber
versucht allerdings irrtümlicherweise auch, eine demokratischere
Auslegung des Stanser Verkommnisses zu retten, auf Grund dessen
die Herren sich gegenseitig Truppenhilfe leisteten, indem er
schreibt: «Es wäre eine verkehrte Auffassung, zu glauben, jenes Vorkommnis
habe den Ständen die Verpflichtung zu gegenseitiger
Hilfe gegen Aufhebungen auferlegt, ohne einen Unterschied zwischen
Recht und Unrecht zu machen.» Zwölf Jahre nach dem
Thuner Handel war aber gerade dies die Auffassung der Tagsatzung,
wie wir an deren Mandat vom 22. März 1653 bereits erkannt haben.

Was das Verhalten des Volkes im Thuner Handel betrifft, stellt
sich Bögli in sympathischer Weise in Gegensatz zu einem älteren, Anton
von Tillier, der vor hundert Jahren eine «Geschichte des eidgenössischen


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 173 - arpa Themen Projekte
Freistaates Bern» geschrieben hat. Man muss immer genau
zusehen, wer uns unsere Geschichte schreibt. Tillier war der Angehörige
eines der «regierungsfähigen» Berner Geschlechter, vielmehr einer
jener welschen Kapitulantenfamilien, die ihre Karriere in der Hochburg
der Unterdrückung ihres eigenen welschen Volkes machten; so
war ein Tillier bereits während des grossen Bauernkriegs 1653 Welschseckelmeister
des Rates zu Bern. Bögli schreibt gegen Tillier:
«Wer daher, wie Tillier, glaubt, es seien bloss Selbstsucht und Hang
zur Verdächtigung Schuld daran gewesen, dass man den wohlwollenden
Sinn der Oberen nicht anerkannt habe, der irrt gewaltig. Dieser
Vorwurf ist eigentlich selbst eine arge Verdächtigung eines ganzen
Volkes»! Denn wir haben ja gesehen, «dass die Weigerung zu bezahlen,
in grossen Bezirken ohne Ausnahme eine allgemeine war». Darum
erstaunt es uns auch nicht, dass Bögli. als weisser Rabe unter den
bürgerlichen Geschichtschreibern, zum Schluss mit Sympathie das
Verhalten der Bauern in diesem Thuner Handel in die Worte zusammenfasst:
«Widerstand gegen Verletzung des Herkommens, Protestation
wider Gewalttätigkeiten und selbstherrliches Gebaren der städtischen
Obrigkeit, eine dunkle Erinnerung an frühere freiere Zeiten,
den Gedanken der Zusammengehörigkeit, selbst mit der katholischen
Bevölkerung von Luzern und Solothurn.»

Das verhilft uns denn auch zu der Erkenntnis, dass in diesem
Wetterleuchten des Aufstands der Berner Bauern vom Jahre 1641
alle wesentlichen Elemente der Spannung zwischen Volk und Regierung
bereits vorhanden waren, die sich dann im grossen Gewitter des
Bauernkriegs von 1653 entladen haben. Oder, wie Bögli schreibt: «Das
Feuer glomm unter der Asche fort, um schon nach zwölf Jahren in
hellen Flammen wieder auszubrechen.»

Jetzt wissen wir auch, wer der Uli Galli war, in dessen Haus in
Eggiwil der Berner Aufruhr um die Jahreswende 1652-53 aus der
Wiege gehoben wurde. Und wir erkennen, dass es nicht von ungefähr
war, dass es gerade da geschah. Die Entlebucher brauchten bei ihrer
am Thomasabend sofort beschlossenen Werbung um die Bundesgenossenschaft
der Berner Bauern nur bei dem unvergessenen Thuner
Handel anzuknüpfen. Und auch dafür hatten sie ein treues Gedächtnis,
dass in Uli Gallis Person das ganze Wissen und die ungebrochene
Ueberlieferung des ersten überhaupt stattgehabten Bauernaufstandes
gegen den Absolutismus der «gnädigen Herrn und Obern» verkörpert
war. Darum auch beginnt der Aufruhr im Bernischen ganz folgerichtig
und stilgerecht mit der Verlesung des in wesentlichen Punkten von
den Berner Herren nie eingehaltenen «Thunerbriefes» in Uli Gallis
Haus. Das war die gegebene geschichtliche Anknüpfung... Das war
der richtige Stachel zum gerechten bernischen Bauernzorn!


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 174 - arpa Themen Projekte


IX.
Der Berner Marsch:

«Alli Manne stande-n-y,
die vo dr Aemme, die vo dr Aare...»

Uli Galli von Eggiwil also war es, der den Stachel des Thunerhandels,
welcher dem Berner Bauer noch unverheilt im Fleische sass,
tiefer und tiefer hineintrieb, bis er zu dem Ansporn wurde, der das
grosse Rad des Aufruhrs auf der Sonnenuntergangsseite des Napf in
Schwung brachte.

Jetzt aber war das eine andere Sache als im Thunerhandel: keine
blosse Aufwallung des Volkszorns, die ebenso rasch wieder in sich
zusammensank, durfte es werden, vielmehr eine dauerhafte Sache, die
dem Uebel an die Wurzel stiess und diese womöglich für immer aushob.
Ein Bund der Bauern sollte es werden, der, wie der der Entlebucher
im Luzernbiet, so auch hier im Bernbiet, an der Wiedergeburt
der ursprünglichen Eidgenossenschaft der Bauern gegen die Uebermächtigung
seitens der Herren werken sollte. Dazu bedurfte es nicht
eines Putsches, sondern einer festen und zuverlässigen Organisation,
die die gesamte Bauernsame wie ein eisernes Rückgrat durchwuchs.
Und dieses musste aus der täglichen Not der Bauern geschmiedet
werden, die auch hier eine allgemeine, allen Schichten der Bauernsame
gemeinsame war.

Denn seit dem Thunerhandel waren die Beschwerden auch bei
den Berner Bauern —fast haargenau die gleichen wie bei den Luzerner
Bauern —, ins Ungemessene gewachsen. Ja, Zündstoff lag vielleicht
im Emmental noch mehr herum als im Entlebuch. Wenn dennoch
der Aufmarsch der Berner Bauern im ersten Vierteljahr des
Jahres Dreiundfünfzig, gemessen an dem der zehn luzernischen Aemter,
als sehr schleppend und fast gemächlich erscheint, so hat das seinen
Grund, wie wir sahen, wesentlich in dem viel weiter fortgeschrittenen
Absolutismus des bernischen Regierungssystems. Den Emmentalern
fehlten die Volksorgane, durch die sie sich in einer imponierenden,
dem ganzen Volk vernehmlichen Weise hätten aussprechen
können, wie die Entlebucher. Jedes Organ des politischen Volkswillens
musste erst wieder aus dem Nichts aufgebaut werden, und das


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 175 - arpa Themen Projekte
konnte nur mit sehr heimlichem Einsatz erprobter individueller Kräfte,
das heisst durch mühsame illegale Kleinarbeit geschehen. Das ist
denn auch der Hauptgrund, warum aus dieser ersten Epoche des Berner
Bauernkriegs, welcher zweifellos eine fieberhafte innere Tätigkeit
entsprach, so viel weniger in die Geschichte gedrungen ist, als aus der
entsprechenden Epoche des Luzerner Aufruhrs.

Der allgemeinste auslösende Faktor war auch im Berner Land der
plötzliche Abruf der Handmünzen, vor allein die Abwertung des Berner
Batzens auf die Hälfte seines bisherigen Wertes im Dezember des
Jahres Zweiundfünfzig. Auch hier nämlich wurde diese Inflation von
den Berner Herren so gelenkt, dass sie selbst zwar Zeit hatten, ihren
Besitz an Handmünzen ans Landvolk abzustossen, während diesem
nur drei Tage Zeit gelassen wurde, seine Batzen zum alten Werte einzulösen.
Das bedeutete bei den damaligen Verkehrsverhältnissen und
bei der grossen Ausdehnung und mannigfaltigen Gebirgsgliederung
des Kantons eine glatte Depossedierung und Ausplünderung weitester
Volkskreise. Und dies auch hier im Augenblick einer furchtbar einschneidenden
Wirtschaftskrise, die durch die auf einen Bruchteil von
früher gesunkenen Boden- und Produktenpreise das Landvolk mit
voller Wucht traf und den allgemeinen Geldmangel auch bei den reicheren
Bauern zu einer wirklichen Geldnot steigerte. Gerade die Art
der Durchführung der Münzmandate, seit dem Januar noch dazu geschützt
durch die Tagsatzung, zerstörte daher mit einem Schlage auch
den letzten Rest des Volksvertrauens in die Regierung sowohl wie in
die Tagsatzung.
So hören wir denn vom bernischen Herrenchronisten Tillier: «Bereits
Anfangs Jänners hatte sich in der Landschaft Saanen ein so bedenklicher
Widerstand gegen die Münzverordnung gezeigt, dass der Rat
sich» — unter dem Datum des 7. Januars alten Stils mithin des 17. nach
dem neuen Kalender —«genötigt sah, ein eindringliches Ermahnungsschreiben
an dieselbe zu erlassen.» Ja, bereits hatte sich «ein Ausschuss
von Simmentalern» ganz auf eigene Faust «heimlich nach Solothurn
begeben, um von der dortigen Regierung die Beibehaltung des bisherigen
Münzwertes» (der auch im Bernischen sehr verbreiteten Solothurner
Batzen) «zu erhalten». Also über den Kopf der eigenen Regierung
hinweg, der man mit Recht nicht das geringste Entgegenkommen zutraute
—eine Eigenmächtigkeit, die den Berner Aristokraten die Haare
zu Berge trieb und in ihren Augen purer Landesverrat war...

Doch wir wollen uns bei den einzelnen Etappen in der Wirkung
und Entwicklung der Münzkalamität nicht weiter aufhalten. Sie wird,
trotz ihrer zweifellos auslösenden Wirkung, wie im Luzernischen so
auch im Bernischen sehr bald überschattet durch die nun sturzflutartig
hervorbrechenden Klagen über die andere, viel weiter zurückreichende
Landplage: die Landvogtplage. Sie war ja das typische Attribut


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 176 - arpa Themen Projekte

Niklaus Leuenberger

Unveröffentlichtes Originalaquarell (Pendant zu Abbildung 7) im
Kupferstichkabinett des Basler Kunstmuseums.

Zeitgenössische Konstruktion nach dem Gefangenenbild der Berner
Herren (siehe Abbildung 8) vermutlich durch Vermittlung des
Oelgemäldes im Besitz von Frau Dr. Grand-Witz (siehe Abbildung
9) oder des handkolorierten Stichs der Berner Stadtbibliothek
(siehe Abbildung 10). Vermutlich vom gleichen Künstler
wie Abbildung 7.



Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 176 - arpa Themen Projekte
Abbildung 11


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 177 - arpa Themen Projekte

der im «Freistaat» Bern seit nun zwei Menschenaltern voll ins Kraut
geschossenen absolutistischen Regierungsform des aristokratischen
Gottesgnadentums.

Um es auch in diesem Punkte kurz zu machen, zitieren wir am
besten eine gut zusammenfassende Darstellung des neueren Geschichtschreibers
des bernischen Bauernkriegs Hans Bögli. Er schreibt: «Die
Hauptklagepunkte der Bauern betrafen das Gebaren der Landvögte.
Schon früher hatte die Obrigkeit sich gezwungen gesehen, solche Beamte
zu strafen. Diese Herren erlaubten sich oft ungemein grosse
Ausschreitungen, harte Leibesstrafen und besonders willkürliche Bussen.
Man klagte sogar über Fallstricke, welche reichen Bauern gelegt
wurden, damit die Amtleute sie um hohe Summen bestrafen und sich
damit bereichern könnten. Dazu kam die Schwierigkeit, sich gegen die
Landvögte Recht zu verschaffen. Am meisten angeschuldigt wurde
der barsche Samuel Frisching, Landvogt zu Trachselwald von 1637-1643.
Dieser war übrigens, wie leider mancher andere Eidgenosse in
der damaligen Zeit, ein Verräter am Vaterlande. Er bezog als bestochener
Spion Frankreichs grosse Summen aus Paris. Von einem so habgierigen
und gewissenlosen Manne liess sich allerdings wenig Gutes
für seine Untergebenen erwarten.» Weder seine landesbekannten Bauernschindereien
als Landvogt, noch sein einträglicher Landesverrat
hatten ihn aber verhindert, inzwischen zum «Venner», das heisst zum
Pannerherrn des Staates Bern aufzusteigen —durchaus im Gegenteil!

«Auch sein zweiter Nachfolger» —fährt Bögli fort — «Samuel Tribolet
(1649-1655) trat hinsichtlich der Verwaltung in seine Fussstapfen,
sodass die Emmentaler aus der Landvogtei Trachselwald in
dieser Beziehung am meisten zu klagen hatten.» «An dem Beispiele des
Samuel Tribolet, das nicht als das einzige dieser Art dastand, erkennen
wir, wie tief gewurzelt damals die Korruption in der Verwaltung des
Landes war.» Er trieb es so bunt, dass es selbst den Berner Obern zu
viel wurde. «Er erhielt wiederholt die Mahnung, einzelne unrechtmässig
bezogene Gelder wieder zu erstatten.» Aber obwohl dies bereits im
Januar Dreiundfünfzig landesnotorisch war, wurde er während des ganzen
Bauernkriegs nicht im Amte eingestellt. Erst zu Beginn des folgenden
Jahrs beschloss der Berner Rat, «dass dieser Landvogt in Anbetracht
der vielen unrechtmässig erhobenen Bussen, der Aussaugung der Untertanen
und der Nichtverrechnung vieler Bussen für den Staat seines
Amtes und Ehrensitzes unter den Zweihundert (des Berner Grossen
Rates) verlustig und des Landes verwiesen sein solle... Allein die Exekution
des Urteils war eine überaus lässige.» Und so finden wir diesen,
der fortgesetzten Unterschlagung dem Staat gegenüber überwiesenen
Leuteschinder, dank der Fürsprache seines mächtigen Schwiegervaters,
des Schultheissen Anton von Graffenried, schon anderthalb Jahre
später wieder im Grossen Rat zu Bern und weitere sieben Jahre später


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als vom selben Staate fröhlich wiedereingesetzten Landvogt zu
Baden und nachmals zu Avenches wieder! Denn wie Bögli richtig bemerkt:
«An eine radikale Beseitigung dieses Uebelstandes liess sich
seit der Niederwerfung des Aufstandes nicht mehr denken.)> Ueber
Tribolet haben die Bauern schon bei seinen Lebzeiten Spottlieder gedichtet.
Eines über seine Verwaltung der Grafschaft Baden hebt an:

«Tribolet, du toller Gast,
Aller Bauern Ueberlast!
Ohne Ruhm und Lob du bist,
Tribolet, du böser Christ!»

Das Raffen und Wüten dieses Landvogts hat sich dem Volke derart
abschreckend eingeprägt, dass sein Andenken noch heute in dem
allgemein gebräuchlichen bernischen Verbum «tribulieren» für «plagen»
weiterlebt, ja als dasjenige einer wahren Gottesgeissel nach dem
Muster eines Attila lebendig ist. Denn noch im Jahre 1931 schrieb Joseph
Rösli in seiner Dissertation darüber: «Wenn das Gewitter am
Himmel dräut, Blitze zucken, Donner krachen und Hagelschlossen die
Früchte des Landes zermalmen, gibt es Emmentaler, die schwören,
den Landvogt Tribolet zu sehen, dessen Seele keine Ruhe findet, auf
schwarzem Rosse durch die Wolken reitend»

Ein kleines Detail aus dieser bitteren Tribolet-Komödie möge uns
erneut an die schändliche Rolle der Berner Geistlichkeit erinnern. Als
das Untier Tribolet endlich gestellt und vor dem Berner Rat unter
nicht weniger als 73 Klagepunkten angeklagt war, da waren es sämtliche
neun Prädikanten seiner Landvogtei, welche in speichelleckerischen
Bittschriften an den Rat das Lob dieses Helden sangen, die Klagen gegen
ihn nur dem «Hasse böser Buben» zuschrieben und mit frommem Augenaufschlag
seine Freisprechung verlangten! Ja, diese «Gottesboten»
gehen so weit, sich dafür nicht nur auf die »Gebote des Christentums»,
sondern auch auf die «Verdienste» Tribolets bei der Niederschlagung
des Aufruhrs zu berufen und die Obrigkeit inständig zu bitten, «sich
die vortrefflichen Gaben Tribolets noch ferner nutzbar zu machen»!
Sie wussten warum: hatte ihnen doch dieser hohe Herr —wie in dem
bereits nachgewiesenen Fall Anthoni Kraft, des Prädikanten von Langnau
— so manchen schönen Nebenverdienst für ihre Spitzel-, ja Lockspitzelarbeit
an den Bauern zugehalten...

Die Pfaffen waren hierzulande der verlängerte Schatten des Landvogts,
der bis in die hintersten Schächen und Krachen reichte, wo nur
ein Kirchlein stand. Sie berichteten ihm in fortlaufenden Korrespondenzen
über jede «verdächtige» Bewegung des Landvolks. Darum galt
es für unsere tapferen Bauernverschwörer, sich ganz besonders vor
diesen Raben in Acht zu nehmen. Und sie taten es auch. Nur so ist es
beispielsweise zu erklären, dass der Pfarrer Nüsperli von Schangnau,


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dem Nachbardorf von Eggiwil, noch Ende Januar des Jahres Dreiundfünfzig
nichts zu ahnen schien von der eifrigen Verschwörertätigkeit
in seiner allernächsten Umgebung. Er schrieb nämlich am Einunddreissigsten
dem Landvogt Tribolet zwar wohl einen langen und genauen
Bericht über die revolutionären Vorgänge im Entlebuch, in dem
er ihm die schreckenerregende Knüttelwallfahrt zum Heiligen Kreuz
denunzierte; aber über die Emmentaler gibt er ihm die beruhigende
«Versicherung, die Untertanen klagen zwar auch über das Münzmandat
bitter, haben aber ihren Abscheu über das Gebaren der Entlebucher
offen bekannt und erwarten, die Schuldigen werden der Strafe
nicht entgehen»! So gut wussten die Bauern sich vor ihrem Seelenhirten
zu tarnen...

Um zu zeigen, wie nicht nur punkto Münzkalamität —und natürlich
auch in der Landvogtplage —, sondern auch in allen anderen wirtschaftlichen
Fragen eine bis zur Identität gleiche ökonomische Lage im
Bernischen wie im Luzernischen herrschte, tun wir am besten, auch über
diese Fragen eine kurz zusammenfassende Stelle unseres bernischen
Geschichtschreibers des Bauernkriegs hierher zu setzen. Bögli schreibt:
«Allgemeine Klagen wurden laut über die Beschränkung des Handels
(des Freikaufs), das Salz- und Pulvermonopol, über die Administration,
die Kosten der Schuldenboten, die Taxen und Taggelder der Landvögte,
Landschreiber, Richter und Fürsprecher, über das sogenannte
Trattengeld (von traité), eine Abgabe auf jedes Pferd und jedes Stück
Vieh, das über die Grenze ausgeführt wurde. Letztere Abgabe fiel
natürlich den Bauern zur Last und erregte deshalb grossen Unwillen.
Man nannte das Trattengeld auch spottweise Ratten- oder Krottengeld»;
dazu kommt auch im Bernbiet «die Beschränkung von Handel
und Gewerbe» auf dem Land durch die Zunftprivilegien der Stadtbürger,
sowie ganz dasselbe Ohm- oder Umgeld wie im Luzernbiet. Und
dies alles auch im Bernischen auf dem düsteren Hintergrund einer allgemeinen
Verschuldung und Entwertung der Bauerngüter und Bauernprodukte
seit dem westfälischen Frieden. Nur ein Beispiel für den katastrophalen
Preissturz: «das Getreide, welches vorher zu 40 Batzen
per Viertel verkauft worden war, galt jetzt nur noch 11 Batzen»! Und
auch hier im Bernischen wurde wie im Luzernischen —wie auch in
Zürich und Basel — von der Obrigkeit die Schuld an all diesen Dingen
in heuchlerischen «Sittenmandaten» der «Wohllebigkeit» und «Verschwendungssucht»
der Bauern zugeschoben; nur hier noch gehässiger
als im Luzernischen, weil man dort mit dem Herrentum noch nicht
ganz zu der Blüte der Berner gelangt war und weil diese letzteren eben
hundertprozentig über ihre «sittenstrengen » Prädikanten verfügten...

Diese allesbeherrschenden Realitäten des menschlichen Lebens,
die unter allen politischen und religiösen Grenzen hindurchgingen, stifteten
die von allem Anfang an überaus innige Gemeinschaft und «brüderliche»


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 180 - arpa Themen Projekte
Kampfgenossenschaft zwischen den katholischen Luzerner
Bauern und den protestantischen Berner Bauern. Sie drückte sich besonders
auch in der fortgesetzten persönlichen Anwesenheit und Teilnahme
der Einen an den Zusammenkünften der Andern aus.

Der bernischen Teilnehmer an der grossen Landsgemeinde in Wolhusen
am 26. Februar haben wir bereits gedacht, und wir wissen, wie
eifrig und begeistert sie Abschriften des Wolhuser Bundesbriefes über
die Berge in die Heimat brachten. Diesem Ereignis waren aber zweifellos
schon ungezählte Botengänge hin und her über die Grenze vorhergegangen.
Wir wissen auch bereits, wie eifrig die Berner Herren ihre
Bauern auf all diesen Wegen zu überwachen und in den Wirtshäusern
zu bespitzeln trachteten; wie sie die Jahrmarkte im Emmental nach
den gefürchteten «Entlebucher Boten» absuchten; z. B. zu Ende Februar
den Jahrmarkt zu Langnau «unter dem Vorwand von Privatgeschäften»,
ausgerechnet durch den Ratsherrn und Venner Samuel Frisching,
worüber selbst der gute alte Domdekan Vock in seiner Geschichte
des Bauernkriegs den Seufzer ausstösst: «warum gerade
dieser Abgeordnete geschickt ward, ist unbegreiflich»! Wir wissen
auch, dass der moderne luzernische Herrenchronist Theodor von Liebenau
das «übermütige Auftreten der Entlebucher» auf der Schüpfheimer
Landsgemeinde vom 16. Februar, an der sie den Luzerner Ratsherren
das «neue Tellenlied» als Nachtständchen sangen, «ohne Zweifel»
auf die Nachricht schiebt, «das ganze Emmen- und Simmental und
selbst das Berner Oberland bis nach Thun hinauf sei bereit, sich den
Entlebuchern anzuschliessen». Wir wissen auch, dass eine der Extraforderungen,
die der Schulmeister Johann Jakob Müller den Luzerner
Herren noch kurz nach der Abfuhr derselben auf derselben Landsgemeinde
überreichte, zugunsten der Berner Bauern gemacht war, da sie
lautete: «die Verleihung von Alpen an Berner soll taxenfrei gestattet
werden». Und wir wissen ferner, dass der Rat von Luzern schon am
19. Februar den Ratsherrn und Landvogt Ludwig Meyer an den Rat
zu Bern abordnete, um zu bewirken, «dass den Entlebuchern weder
Waffen, Munition, noch Lebensmittel zugeführt werden dürfen» — wozu
die Berner Bauern also notorisch bereit gewesen sind und was sie
auch tatsächlich taten. Haben doch auch schon am 24. oder 25. Februar,
auf das grosse und gefährliche Vorhaben des Wolhuser Bundesschwures
vom 26. hin, die «bernischen Stettlin» dem Willisauer «Stettlin» zugesagt,
«sie wollen ihnen mit Leib, Gut und Blut beistehen», und haben
ihnen zur Bekräftigung dessen «ein paar Fässchen Pulver geschickt».
Und schrieb nicht umgekehrt der eifrige Schulmeister und neuerwählte
«Ratsschreiber» Müller schon am Tag nach vollzogenem
Schwüre den Emmentalern dieselbe Hilfe zu, noch weit über diese hinaus
alle Leidensgenossen umfassend: «Da auch anderwärts neue Zölle,
Auflagen, Steuern etc, aufgebracht worden seien, anerbieten sie allen


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 181 - arpa Themen Projekte
denjenigen zur Beseitigung derselben behilflich zu sein, die ihnen beistehen
und ihre Beschwerden abschaffen helfen.» Und so waren zu
Beginn des Märzen die Fäden hinüber und herüber schon so weit gespannt,
dass die Freiburger «Ehrengesandten» in Luzern bereits am
Sechsten fürchteten, «der Aufstand möchte sich durch die Berner Bauern
auch nach ihrem Kanton verpflanzen»!

Erst am Märzanfang beginnt unsere genauere Kunde über den
inneren Aufmarsch der Berner Bauern, obwohl dieser schon lange gedauert
haben muss, wenn er bereits derartig weitgespannte Befürchtungen
zu erregen vermochte. Schon der Ratsherr-Spitzel Samuel Frisching
hatte in Langnau bemerkt und sofort nach Bern gemeldet, «dass
die Emmentaler Artikel aufsetzen». Am 3. März kam auf das Schloss
in Trachselwald die Kunde «von verdächtigen Leuten, von Knütteln,
die zu Langnau gefunden wurden, und vom Salzankauf im Entlebuch...»
Am 6. März —als die Luzerner Bauern sich eben, nach dem
turbulenten Tag zu Willisau, auf die Verhandlungen mit den «Ehrengesandten»
in Werthenstein rüsteten —fand die erste grössere Volksversammlung
der Berner Bauern in Huttwil statt: «ohne wüssen und willen
der oberkeit gemeindet», haben hier «bei hundert Emmentaler bauern
die erste zusammenkunfft gehalten». Und dies zwar gerade in denselben
Stunden, als am gleichen Ort der Ratsspitzel Samuel Frisching
«die Vorgesetzten mehrerer Gemeinden» um sich versammelt hatte, über
die er nach Bern berichtete, dass sie «ihn aller Treue gegen die Oberkeit
versicherten». Im selben Bericht nämlich muss er mit sauersüsser
Miene die «unerfreuliche Nachricht» melden, «dass, während er zu
Hutwyl sich befand, die missvergnügten Bauern eine heimliche Zusammenkunft
eben daselbst hielten, und sich über die Eingabe ihrer
Klagepunkte an die Regierung besprachen». Oder, wie der Landvogt
Bernhard Mey zu Wangen unterm 8. März genauer nach Bern meldet:
«dass vorgestern zu Huttwyl wegen des Trattengeldes und des freien
Kaufs bei 100 Emmentaler Bauern zusammengetreten seien und gedroht
haben, den Landsturm ergehen zu lassen, wenn diejenigen Leute,
welche zu Wolhusen gewesen, arretiert werden sollten»! In diesen Worten
wird wohl ein Zipfelchen über dem wahren Auftrag gelüftet, mit
dem die Berner Herren ihren Spürhund Frisching in diese Lande geschickt
hatten. Stammte doch die Mehrzahl der uns bekannten Berner
Teilnehmer an der Wolhuser Landsgemeinde aus Huttwil und seiner
näheren oder weiteren Umgebung, wie Gondiswil, Rohrbach, Wangen,
Aarwangen und Trachselwald.

Derselbe Landvogt Mey zu Wangen weiss aber im gleichen Brief
an die Berner Herren auch schon zu melden, dass am gleichen Tag,
da er schrieb, am Achten, auch in Langnau eine Zusammenkunft stattfinde,
«um Zeit und Ort einer grösseren Landsgemeinde festzusetzen».
Zu gleicher Zeit fanden ebensolche Beratungen in Schangnau und in


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 182 - arpa Themen Projekte
Sumiswald statt. Das Ergebnis war: am 13. März soll in Langnau diese
«grössere Landsgemeinde» aller Emmentaler, unter Zuziehung von
Ausschüssen aus dem Oberaargau und dem Oberland, zusammentreten.
«Im Oberaargau hielten die Rohrbacher besonders des Trattengeldes
und des Freikaufs wegen, fest an dem Entschluss, in Langnau sich
vertreten zu lassen; ebenso überredeten sie die Ursenbacher dazu.»
«Im Oberland wurden durch emmentalische Botschafter nun auch
Brienz und Hasli, das bisher der Obrigkeit als treu bezeichnet worden
war, zur Teilnahme eingeladen.»

Noch am Tage der Eröffnung dieser «grösseren Landsgemeinde»
wurde weit im Land herum zu ihr aufgeboten, ein Zeichen dafür, dass
es nicht nur auf eine grössere, sondern auch auf eine längere Landsgemeinde
abgesehen war, auf eine fortlaufende «Bauerntagsatzung».
So meldet am Dreizehnten der Landvogt von Fraubrunnen nach Bern,
«dass die Leute von Koppigen, Limpach, Utzenstorf etc. von einem
gewissen Stauffer aus dem Eggiwil» (das war sicherlich ein Bote des
Uli Galli!) «eingeladen wurden, auf morgen (den Vierzehnten) einen
Deputierten nach Langnau zu schicken». Und am Vierzehnten meldet
der Landvogt Niklaus Willading zu Aarwangen, «dass gestern Nachmittags
um vier Uhr Balthasar Jäggi von Busswil von den Melchnauern
und Gondiswilern nach Langnau abgeordnet worden sei». Dieser
Jäggi ist später, nach der Niederwerfung des Aufstands. unter Hinterlassung
einer Frau und fünf Kindern geflüchtet und nie wieder heimgekehrt;
statt seiner Enthauptung wurde sein Name durch Ratsbeschluss
«auf Blechtafeln an den Galgen verrufen und sein Vermögen
konfisziert»; sicherlich also kein unwichtiger Mann in der Bauernbewegung.
Ueberaus bezeichnend für die freudige Erregung, die das
Landvolk überall ergriff, wo für die Langnauer Landsgemeinde aufgeboten
wurde, ist der Bericht, den Landvogt Willading in demselben
Brief vom Vierzehnten über die ihm besonders widersetzliche Gemeinde
Melchnau im Amt Aarwangen gibt: «Melchnauw will es bis in
Tobt mitt den Emmenthaleren halten; es gehet erger weder niemahlen;
man hebt die Masque auff und sagt, dass es nun recht wider die Obrigkeiten
gemeint wäre, das jauchzen und fröwen hatt also überhand
genommen, das nicht zu beschreiben were»! Kurzum: «Langnau war
überhaupt in jenen Tagen der Ort, wohin die Ausgeschossenen aus
den verschiedenen Teilen des Kantons sich begaben, um mit den Emmentalern
gemeinsame Schritte zu beraten.»

Sehr bezeichnend für die Zusammensetzung dieser Bauerntagsatzung
sowohl wie für die Motive ihrer Besucher ist, was der Berner Hat
seiner Gesandtschaft an der Herrentagsatzung in Baden am 18. März
darüber schreibt: es hätten dort vor allem Leute «aus den Aemtern,
die etliche Jahre zuvor im Thuner Unwesen interessiert» gewesen seien,
ihre «Klageartikel» zusammengetragen. Diese Bauerntagsatzung war


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 183 - arpa Themen Projekte
also gewiss in erster Linie Uli Gallis Werk, des Führers in jenem «Unwesen»;
zu ihr hatte sich seine Verlesung des «Thunerbriefes» zu Beginn
der Verschwörung in seinem Haus in Eggiwil schliesslich ausgewachsen.

Die Landsgemeinde zu Langnau am 13. März und in den folgenden
Tagen ist in der Tat zum ersten grossen geschichtlichen Ereignis
im Berner Bauernkrieg geworden. Sie hat auch im voraus schon, allein
durch die Kunde von ihrer Einberufung, ihren Schatten auf den Verlauf
der Ereignisse im Luzernischen geworfen. Denn auf diese Kunde
hin, die die Luzerner Bauern in Jubel versetzte und sie bei den Verhandlungen
mit den eidgenössischen «Ehrengesandten» in Werthenstein
zum äussersten Widerstand anspornte, war es geschehen, dass
einer der dort «vermittelnden» Freiburger «Ehrengesandten», der
Seckelmeister von Montenach, seine Regierung schon am 12. März um
die Veranstaltung einer Konferenz zwischen den Ständen Bern, Freiburg
und Solothurn ersuchte, «die darauf Bedacht nehmen sollte, die
Bauern zu einer Diversion zu bestimmen», da diese in ihrem Jubel vorwegnehmend
schon damals, wie von Montenach schrieb, «auf ein
Hülfsheer von 6-7000 Mann aus dem Kanton Bern rechneten». Und
diese «Diversion» ist denn auch prompt gestartet worden, wie wir gesehen
haben: besser konnte man die Erwartung der Luzerner Bauern
auf den Zuzug der Berner Bauern nicht konterkarieren, als durch
die unverzüglich und umfassend ins Werk gesetzte Rüstung der Berner
Herren! Deren Drohung genügte ja, um unter den Luzerner Bauern
die Berner Einmarsch-Panik zu entfesseln, die ihre Armee von Luzern
abzog und im entscheidenden Augenblick auseinanderriss.

Die Langnauer Landsgemeinde hatte aber durch ihren Verlauf
vor allem auch eine grundlegende innerbernische Bedeutung: sie war
das erste Signal zum offenen Kampf für die Herren wie für die Bauern.
Für die Herren in diesem Stadium vielleicht noch mehr als für die
Bauern, deren Massen erst infolge dieser offenen Landsgemeinde über
die bisher geheimen Absichten ihrer Führer aufgeklärt und für ihre
Ziele mobilisiert werden konnten. Denn die Berner Herren hatten aus
den Luzerner Vorgängen gelernt: sie verachteten die «schwächliche»
und «schwankende» Haltung ihrer Ratsherren-Genossen in Luzern
und wollten diesen eine Lektion erteilen, wie man mit solchem Bauernpack
abfährt, statt mit ihm zu parlamentieren.

Zwar hatte der Rat, auf die Berichte der Landvögte hin, schon am
11. März den Beschluss gefasst, eine ganz erstaunlich ansehnliche
«förmliche Gesandtschaft» nach Langnau abzuordnen. Vom Kleinen
Rat, der eigentlichen Regierung, erschienen daher schon zur Eröffnung
der Landsgemeinde am Dreizehnten der Schultheiss Dachselhofer in
Person —der Führer der sogenannten «Friedenspartei» im Rate, die
nur auf ganz kurze Zeit die Oberhand gewonnen hatte —, der Ratsherr


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 184 - arpa Themen Projekte
Karl von Bonstetten und der unvermeidliche Venner und «Bauherr»
Samuel Frisching, der frühere Landvogt und jetzige Landesverräter im
Dienste Frankreichs. Vom Grossen Rat waren ihnen beigeordnet: der
frühere Landvogt von Signau Marquard Zehender, der «Hofmeister»
Imhof und der Alt-Landvogt und Oberst Morlot. Sie hatten den Auftrag,
die Bauern gleich zu Beginn «zur Gebühr anzehalten», ja, wenn
möglich, soweit zum Gehorsam zurückzuführen, dass man sie zum Zuzug
für die Luzerner Herren aufbieten konnte.

Diese Zumutung, nebst der blossen Anwesenheit des verhassten Frisching
genügte jedoch, um die Bauern erst recht rebellisch zu machen.
Erstens «einigte man sich dahin, der Regierung keine Hülfe zu einem
Feldzug gegen das Entlebuch zu leisten» — das heisst: man meuterte
offen! Man drohte sogar, «eher für die Entlebucher als gegen sie ausziehen
zu wollen»! Zweitens versprach man zwar, was man ohnehin
vorhatte, «die Wünsche schriftlich an den Rat einzureichen»; aber,
wie der Rat zu Bern an den zu Zürich darüber schrieb: «habind aber
bynebends ussdruckenlich verluthen lassen, dass sie bis zum Usstrag der
Sach Verwaltung, Gricht und Rechtens (der Regierung) nit weiter gestatten
wellind»! Diese selbstherrliche Unterbrechung des behördlichen
Gerichts- und Geschäftsgangs seitens einer an und für sich illegalen
Bauernversammlung war ein revolutionärer Akt reinsten Wassers.

Ausserdem aber haben die Emmentaler den Berner Herren auf
der Langnauer Landsgemeinde auf die genau gleiche drastische Weise
wie die Entlebucher mit den «Gyslifressern» anschaulich gemacht,
welchen «Respekt» die Obrigkeit im Lande noch genoss. Denn Schuldboten
gab es auch im Bernerland. Der Lockspitzel-Prädikant Anthoni
Kraft, der als Pfarrer zu Langnau Augenzeuge war, trug folgenden ergötzlichen
Bericht darüber in den Langnauer Eherodel ein: «Dann de
Bauern ganz rasend gewesen, also dass sie in Beysein bemeidter Herren
die Betten gezäumet, denen sie mit Gwalt ein Wyd ins Maul gelegt,
und sie also hiemit gewalttetiger Wys gezwungen, von ihrem Gwärb
fürthin abzustahn. Desgleichen habend sy auch alle diejenigen mit einer
Wyden, oder mit Beträuwung, die Ohren abzuhauen oder ze schlitzen,
gezwungen, sich uff ihrer Seiten wider die Oberkeit ze halten, und es
in ihrem bösen Vorhaben mit ihnen ze haben.» Auch in Steffisburg
kam es übrigens bereits zu solchen «Exzessen, indem man sich an zwei
Schuldenboten vergriff». Was aber die Berner Herren in Langnau vielleicht
noch mehr mit «grosser Hitz und Entrüstung wider die Bauern»
erfüllte, als der Anblick ihrer «gewidleten» Handlanger, das war die
überaus zahlreiche Anwesenheit auch von Luzerner Bauern bei dieser
ersten offen rebellischen Berner Landsgemeinde. Denn der alte bernische
Herrenchronist Tillier berichtet ausdrücklich: «Die Versammlung
war sehr zahlreich, sowohl von Bauern aus dem Kanton Bern, als
von Luzernern (besucht). Berner und Luzerner verbanden sich unter


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 185 - arpa Themen Projekte
einander zu gegenseitiger Hülfsleistung im Falle der Noth...» Das demonstrierte
den Berner Herren höchst augenfällig das Scheitern aller
ihrer bisher unternommenen Versuche, diejenigen, die gleiche Not
einte, durch Polizeimassnahmen zu trennen. Unter diesen Umständen
ist es nur zu verständlich, dass die Herren —wie unser edler Anthoni
Kraft in den Eherodel schrieb — «Nut ausgerichtet, sondern mit Verachtung
widerumb heimreissen müssen».

Bereits am Vierzehnten früh kehrte die Ratsabordnung völlig unverrichteter
Dinge nach Bern zurück, «wo sie Nachmittags dem Rate
ihren unerfreulichen Bericht abstatteten». Nun siegte natürlich die
Kriegspartei im Rat auf der ganzen Linie, und spätestens von da an
war der Berner Rat zur gewaltsamen Niederwerfung des Aufstandes
entschlossen. Er meldete am Fünfzehnten an den Rat des Vororts
Zürich: «leider frisst das Uebel der Ansteckung immer weiter umb sich,
dass etliche unsserer (an Luzern) angrentzenden Unterthanen des Böszen
Gifftes in sich aufnemmen und tust es sich bis in unsser beidersyts
G. L. E. der Stadt Fryburg und Solothurn Landt erstrecken».

Dies war aber bereits eine bloss nachträgliche Rechtfertigung dem
Vorort gegenüber, um die von der Kriegspartei schon weit herum in
Gang gesetzten Mobilisierungsrnassnahrnen zu begründen. Der alte
Berner Herrenchronist Tillier meidet z. B.: «Die beiden Obersten der
waadtländischen Regimenter aber, Wilhelm von Diesbach und der
Altlandvogt Morlot, mussten sich sofort auf ihre Sammelplätze begeben
und den Aufbruch ihrer Truppen in Gang bringen, wozu auch die
waadtländischen Amtleute (Landvögte) die notwendigen Weisungen
erhielten.» Das geschah bereits am Fünfzehnten, also gleichzeitig
mit dem Schreiben an den Vorort. Von dessen Obrigkeit nämlich besorgte
man mit Recht einen hemmenden Einspruch, weil der Rat zu
Zürich nicht ohne Grund fürchtete, durch allzu forsches militärisches
Auftreten könnten seine eigenen Untertanen zum Aufruhr angereizt
werden. So meldet der Zürcher Geschichtschreiber des Anteils dieses
Standes am Bauernkrieg, Gustav Jakob Peter: «Die Emmentaler und
die übrigen zum Abfall von der Regierung entschlossenen Bauern
hofften schon zur Zeit der Landsgemeinde von Langnau nicht nur auf
den Anschluss der gesamten bernischen Bauernschaft, sondern auch
dass die Zürcher Bauern gemeinsame Sache mit ihnen machten, namentlich
die Wädenswiler und Knonauer.» Nicht zufällig Leute gerade
aus diesen Aemtern: denn 1646 waren vier Wädenswiler und drei
Knonauer hingerichtet worden.

Was der Zürcher Rat für seine Untertanen befürchtete, das trat
für die Berner Untertanen als Folge der Truppen aufgebote prompt ein.
Peter schreibt: «Dass gerade in diesen Tagen die im Welschland aufgebotenen
Truppen, zwei Regimenter Waadtländer, vorläufig in die
Gegend von Payerne vormarschierten und vom 17. März an Verbündete


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 186 - arpa Themen Projekte
von Neuenburg, Biel, Neuenstadt, die bernischen Mitbürger aus dem
Münstertal und Truppen aus Erlach, Nidau, Büren und Aarberg in
Bern einrückten, trug wesentlich dazu bei, die Erregung der Berner
Bauern in gefährlichem Mass zu steigern.» Nach demselben Autor verfügte
der Berner Rat in der Stadt selbst bereits am 17. März, «abgesehen
von der bewaffneten Bürgerschaft, über ungefähr 1300 Mann
in der Stadt», «usser denen auch im Anzug gewessenen beiden weltschen
Regimenteren und den 300 Man von Genff»! Grund genug, um
nicht nur die Erregung der Berner Bauern, sondern auch die Berner
Einmarsch-Panik der Luzerner Bauern, wie wir sie bereits kennen gelernt
haben, als sehr begründet zu erkennen. Selbst der alte Herrenchronist
Tillier muss bekennen: «Uebrigens brachten diese kriegerischen
Aufgebote die bisher bloss im Stillen herumschleichende Gährung
an's Licht, und beförderten den Ausbruch.»

«Wie hoch das Misstrauen der Berner Bauernschaft gegen ihre Regierung»,
schreibt Peter weiter, «namentlich auch wegen der Heranziehung
der Truppen aus den westlichen Kantonsteilen bereits gestiegen
war, geht aus dem Schreiben der Emmentaler Bauern an die Grafschaft
Lenzburg hervor.» Es ist dies ein erstes «souveränes» Aktenstück
der Berner Bauern, das noch am 19. März von der (mithin immer
noch, wenn auch wohl mit wechselndem oder reduziertem Bestand,
tagenden!) «Bauerntagsatzung» zu Langnau erlassen worden ist. Darin
heisst es: «wir wüssend nit, wie die Gnedigen Herren ess mit unss
meinend; wüssend aber, dass vii volkh (Kriegsvolk) in der Stadt; habind
unss gester gmahnt, müessend ins Entlebuch ussziehen, Luzern
ze entschütten, welches wir nit haben wellen thuen. Wir begerend zu
wüssen, ob ir in solchem Handel der grechtigkeit nach mit unsz ze
sein hegen.» Und die Berner Bauern schliessen mit den hochgemuten
Worten: «Wir sind der Hoffnung, es werde unser Vorhaben dem ganzen
Lande erbaulich sein. Damit seid Gott befohlen!»

Tatsächlich haben die Lenzburger Bauern ihre Solidarität mit den
Berner Bauern schon zwei Tage nach Erhalt dieses Schreibens in
höchst dramatischer Weise bekundet. Zu den Nachrichten von den
starken Berner Rüstungen kamen inzwischen nämlich auch solche
von den noch viel umfassenderen eidgenössischen, die die nahe in Baden
tagende Tagsatzung beschloss. Zudem war den Lenzburgern bereits
am 11. März vom Berner Rat einer der draufgängerischsten Berner
Junker, der Oberstleutnant May von Rued, als Kommandant aufs
Schloss gesetzt worden, der sofort die Faust gegen die Bauern zeigte
und Drohungen gegen sie ausstiess. Er setzte die Schlösser Lenzburg
und Wildegg auch sofort in kriegsmässigen Zustand und warb am
17. März 120 Mann eigens dazu an. «Die Regierung hätte im Sinne,
hiess es, die Ungehorsamen mit fremdem Kriegsvolk zu überziehen
und blutig zu strafen», berichtet Hans Nabholz, der Geschichtschreiber


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 187 - arpa Themen Projekte
des Lenzburger Anteils am Bauernkrieg. «Dergleichen Alarmnachrichten»
—die, wie wir sahen, ihrer Substanz nach wahrhaftig sehr
begründet waren! «führten nun auch in der Grafschaft Lenzburg
zum Ausbruch des offenen Aufruhrs. Am 21. März verbreitete sich
plötzlich das Gerücht, welsche Truppen ziehen von Bern gegen Zofingen.
In verschiedenen Dörfern wurde sofort Sturm geläutet, Boten zu
Pferd und zu Fuss erschienen in der Grafschaft Lenzburg und forderten
die Bauern auf, bewaffnet nach Zofingen zu ziehen, um die heranziehenden
Truppen am weiteren Vordringen zu hindern. Wirklich war
in kurzer Zeit die ganze Grafschaft in Waffen...»

Zu einer solchen Kette von kriegerischen Ereignissen und Paniken
also hat letzten Endes schon die blosse Kunde vom Zusammentreten
der Langnauer Landsgemeinde, geschweige die Abfuhr, die
diese den Berner Herren erteilte, geführt. Wobei wir die zahlreichen
örtlich weit ausgedehnten Dienstverweigerungen und Meutereien, die
unmittelbar an diejenige der Emmentaler zu Langnau anschlossen,
übergangen haben, da wir die beiden wichtigsten, die zu Langenthal
und im Greyerzerland, bereits im ersten Buch herausgestellt haben; denn
dort musste die begeisternde Wirkung, die die Nachrichten über diese
Meutereien im Luzerner Bauernheer ausgelöst haben, uns darauf führen.
Wir erkennen diese Meutereien jetzt klar als Früchte der mutigen Haltung
der Langnauer Lands gemeinde, deren Losungen wie von einem
Lauffeuer durchs ganze Land und über seine Grenzen hinaus getragen
wurden... Diese Landsgemeinde ist mithin für die geschichtliche
Entfaltung des Bauernkriegs insgemein von sehr viel grösserer Bedeutung,
als sie ihr von allen neueren Chronisten des Bauernkriegs,
gerade auch vom Berner Bögli, zugeschrieben wird.

Dafür finden wir bei diesem den einzigen genaueren Nachweis
für die Beschlüsse der Langnauer Landsgemeinde auf ökonomischem
und gewissermassen innerpolitischem Gebiet, mithin über diejenigen
Fragen, die die ureigentlichen Interessen der Bauern ausmachten.
«Zwanzig Klagepunkte» zwar sollen die Berner Bauern nach Tillier
in Langnau aufgesetzt haben; aber er fasst sie in einen Satz zusammen.
Dafür finden wir bei Bögli immerhin zehn Artikel gesondert aufgeführt.
Es ist wiederum bezeichnend für die Rolle der Berner Geistlichkeit,
dass wir diese zehn Punkte dem Spitzelbericht eines Prädikanten,
des Christoffel Müller — oder Christoforus Molitor, wie er sich
hochtrabend nannte — zu Höchstetten, an den Berner Rat verdanken.
Wo nur mögen die wirklich aufgesetzten und eingereichten Artikel der
Bauern selbst hingekommen sein?

Die uns durch den Spitzelbericht erhaltenen zehn Bauernforderungen
lauten nach Bögli folgendermassen: «1. Dass man die Bauern
bei ihren alten Freiheiten und Gerechtigkeiten schützen und dieselben
handhaben solle. 2. Freier Kauf in Allem. 3. Dass sie mit dem Salpetergraben


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 188 - arpa Themen Projekte
grossen Schaden leiden und dass man auch auf dem Lande
dürfe Pulver kaufen. 4. Dass die Bernbatzen wieder ihren alten Werth
haben oder der Schaden ihnen in den Reisgeldern ersetzt werde, da
man ihnen bei Erlegung des Reisgeldes versprochen, Batzen werden
Batzen bleiben, so lange Bern bestehe (!). 5. Was man an Zinsen nicht
baar entrichten könne, dafür soll man Getreide zur Bezahlung bieten
dürfen. 6. Dass in jedem Gericht nicht mehr als ein Bot sei, der Bürgschaft
stelle. 7. Dass die Lehengüter nach dem Absterben des Lehenmannes
unter die Erben vertheilt werden dürfen mit Stellung eines
Währschaftsträgers, damit desto minder Geld auf die Güter entlehnt
werde. 8. Dass bei Ausleihung des Geldes in Bar geliehen werde. 9. Dass
die Amtleute, derweil sie noch auf ihren Aemtern seien, die Bussen
einziehen. 10. Dass ihnen erlaubt werde, im Fall der Noth Landsgemeinden
zu halten.»

Wir wollen uns bei den wirtschaftlichen Punkten nicht weiter
aufhalten; sie beweisen aber auf der ganzen Linie den vollkommenen
Parallelismus der Forderungen bei den Berner und Luzerner Bauern.
Der politisch wichtigste Artikel ist der letzte: das Verlangen nach freien
Landsgemeinden. Denn das war sogar mehr als die Rückforderung des
alten «Volksanfrage»-Rechtes — das war der erste Schritt zur Autonomie!
Denn freie Landsgemeinden konnten ohne weiteres die ganze
«absolute» Gesetzgebung der Obrigkeit in Frage stellen. Von dieser
Forderung zu derjenigen der Entlebucher, Willisauer, Rothenburger
und Hochdorfer, dass die Gesetze der Obrigkeit nur Gültigkeit erlangen
sollen durch Vorlegung an die Landsgemeinden und nach erfolgter
Zustimmung seitens dieser, ist es nur ein Schritt.

Während die Langnauer Landsgemeinde noch tagte, und zweifellos
durch deren ins ganze Bernerland ausgesandte Sendlinge veranlasst,
traten am Siebzehnten im benachbarten Konolfingen zum erstenmal
auch die Ausgeschossenen der vier Land gerichte Konolfingen, Seftingen,
Sternenberg und Zollikofen zusammen. Auch sie erteilten einer
Berner Ratsdeputation, die, wie zur Provokation der Bauern, wiederum
den verhassten Frisching mitbrachte, die verdiente Abfuhr. Es war am
selben Tag, als zu Bern die Kriegräte der Berner, Freiburger und Solothurner
Herren zusammensassen und das unverschämte Hetzschreiben
an den Luzerner Rat erliessen, «die Stadt solle doch mit diesen der
Vernunft beraubten Menschen keinen Vertrag abschliessen, durch welchen
die Rechte der Regierungen geschmälert würden»! Eine Gesinnung,
die es vollkommen ausschliesst, dass die gleichzeitig nach Konolfingen
delegierte Ratsdeputation auch nur die geringsten ernstzunehmenden
Friedensabsichten hegen konnte. Am Neunzehnten wurde vom
Berner Rat dann auch der brutalste aller Berner Junker, der schon
durch seine «Taten» im dreissigjährigen Krieg im Dienst der Schweden
berüchtigte Generalmajor Sigmund von Erlach, zum Oberbefehlshaber


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 189 - arpa Themen Projekte
aller von Bern aufgebotenen Truppen, der Ratsherr Georg Thormann
zum Proviantmeister ernannt.

«Obwohl nunmehr», sagt Bögli, «der luzernische Aufstand sich
vorläufig gelegt hatte, wurden dennoch die» (angeblich zum Zuzug für
die Luzerner Herren aufgebotenen) «Truppen unter den Waffen gelassen.
Denn die Unzufriedenheit des Landes steigerte sich.» «Am 18.
März berichteten die Hauptleute zu Aarwangen, dass die Langenthaler
sich der Aushebung widersetzt hätten, die Weibel von Herzogenbuchsee
und Madiswil übel traktiert worden seien und Briefe von den Bauern
aufgefangen würden.» Auch der Weibe! von Ursenbach wurde
«misshandelt». Im Amt Aarwangen wurde die Aufregung immer grösser.
«Die Roggwiler und Langenthaler waren im Begriff, allgemein die
Waffen zu ergreifen, und die Aarwanger drohten, die Brücke abzureissen.
Der Landvogt Niklaus Willading zu Aarwangen schrieb am
21. März nach Bern, dass das Schloss von Aufrührerischen belagert sei,
die das Reisgeld verlangten. Nach dessen Bericht waren es vor allem
wieder Melchnauer.» «Sy sind Sinnes», schreibt Willading, «disen Abend
den Sturm ergehen zelassen, Gott wolle uns beistehen... Es hilfft da
weder remonstrieren noch anders, sy sind so tholl als das unvernünftige
Viehs.» Und eine Einzelheit dieses Schreibens enthüllt auch hier
die innige Verbindung der Berner mit der Luzerner Bewegung: «Es ist
bey unseren Belägereren ein Lutzerner angelanget, wellicher allhier im
Wirtshauss ihnen öffentlich zu den Melchnaweren geredt, dass namlich,
wann sy sich nur erleütteren werden oder einen Sturmstreich
thättend; ihnen straks 5000 Mann (d. h. Luzerner Bauern) in Bereitschafft
sollten stehen undt in Ewer Gn. Gebiet anziehen.» Das war am
gleichen Tag, an dem die ganze Grafschaft Lenzburg zu den Waffen
griff. Auch in Aarburg und! im ganzen unteren Aargau, sowie im Amt
Bipp war Alles in hellem Aufruhr. Auch das Amt Steffisburg kam in
Bewegung und hielt eine Landsgemeinde ab, die Beschwerdeartikel
aufsetzte.

«So war», sagt Kasser, der Geschichtschreiber des Amts Aarwangen,
«überall der Bann gebrochen, welcher die Untertanen sonst davon
abhielt, sich dem Repräsentanten der Regierung offen zu widersetzen.»


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 190 - arpa Themen Projekte


X.
«Je mehr man taget, je mehr es nachtet...»

Eidgenössisches Zwischenspiel:

Erstes Stück

Noch fehlte dem Zusammenspiel der katholischen Luzerner Bauern
einerseits und der protestantischen Berner Bauern andererseits die
eidgenössische Plattform, auf der die entfesselten revolutionären Kräfte
zu einem Ganzen zusammenwachsen und zur Landesgeschichte werden
konnten. In den fünf Sitzungstagen der Tagsatzung der XIII alten Orte
vom achtzehnten bis und mit zweiundzwanzigsten März 1653 ist es der
Herrenklasse der Schweiz mit vereinten Kräften gelungen, diese Plattform
für eine gemeineidgenössische Volkserhebung zu schaffen.

Zwar hat sich in unmittelbarer Auswirkung der Beschlüsse dieser
Tagsatzung —und dies innert wenigen Tagen —die Bauernklasse von
nur zwei weiteren Kantonen zum bewaffneten Aufruhr erhoben und ist
offen an die Seite der Luzerner und der Berner Bauern getreten: die
katholischen Solothurner Bauern und die protestantischen Basler Bauern.
Es unterliegt jedoch keinem Zweifel, dass die gesamte übrige
Bauernsame der Schweiz durch die mittelbaren Folgen dieser Tagsatzung
erst überhaupt zum —naturgemäss langsamen —Aufwachen
aus einem Jahrhundert der Entrechtung, Entmachtung und Einschläferung
gebracht wurde und dass sie nach Verlauf von zwei Monaten
im Begriffe war, sich wieder zum Bewusstsein ihrer geschichtlichen
Aufgabe als Gründerklasse der Eidgenossenschaft zu erheben: als der
Blitz der militärischen Niederlage nicht nur die Bauern der vier
Pionierkantone niederwarf, sondern die Bauernklasse der ganzen
Schweiz für immer aus dem Rang einer geschichtemachenden Klasse
hinauswarf.

So werden wir uns in der Folge darauf beschränken müssen, denjenigen
unmittelbaren Auswirkungen des eidgenössischen Zwischennachzuspüren,
die noch zu geschichtlichen Taten der schweizerischen
Bauernklasse als solcher zu führen vermochten. Dazu aber ist
es unerlässlich, das Zwischenspiel selbst vorzuführen, wenn auch
keineswegs in seinem äusseren Verlauf, vielmehr nur in seiner Substanz:


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 191 - arpa Themen Projekte
in dem für den Bauernkrieg geschichtlich wichtigen Niederschlag
seiner Beschlüsse.

Was den Verlauf dieser Herren-Tagsatzung —auf der sich keine
einzige Stimme für die Bauern erhob — betrifft, so ist nur die Tatsache
bemerkenswert, dass eigentlich zwei Tagsatzungen ständig neben-
und durcheinander liefen: die offizielle, auf der beide Konfessionen mit
demselben, wenn auch nicht gleich hoch entwickelten, Herreninteresse
gleichberechtigt zusammenwirkten, und eine inoffizielle, auf der, unter
beständig wachsendem Druck des mächtig rüstenden Herrenstaates
Bern, die evangelischen Stände Bern, Zürich und Basel eine geschichtliche
Vormachtstellung der gesamtschweizerischen Aristokratie, natürlich
unter ihrer Führung, herauszubilden suchten. Was die Katholiken
besonders der Landsgemeinde-Kantone, mit Ausnahme der wenigen
schon vollaristokratisch entwickelten Potentaten à la Zwyer, naturgemäss
mit scheelen Augen ansahen; sodass hierin eine, wenn auch
einstweilen durch die gemeinsamen Herreninteressen überdeckte, Wurzel
des drei Jahre später ausbrechenden Religionskriegs erblickt werden
muss.

Schon vor Beginn der Tagsatzung hatten sich die Gesandten der
evangelischen Stände Rendez-vous in Baden gegeben und ein gemeinsames
Vorgehen in die Wege geleitet. Aber auch von Rat zu Rat direkt
verhandelten besonders Bern und Zürich höchst intensiv während der
Tagung. Am 19. März schrieb der Berner Rat an den von Zürich: die bernischen
Untertanen hätten «bei unss aus Anlass der bereits feindtlich
wider ihre Oberkeit der Stadt Luzern aufgestandnen unguten Rotten
auch angefangen, an den Pässen Verbaue anzelegen und etliche veste
Häuser zu bedrohen und ganz gefehrlich hin und her zu tendieren und
sich den Lucernischen gantz gleich zu stellen». Er lasse daher jetzt
noch mehr Truppen in all den früher genannten Orten aufbieten. «Da
wir», so schliesst der Mahnbrief Berns an Zürich, «nächst Gott unsern
Religionsgenossen (!) zu Zürich am meisten vertrauen, so ersuchen und
ermahnen und bitten wir euch, dass ihr, kraft der Bünde, eure Hilfe
alsbald zu wirklichem Anzug und zu kreftiger Zusammenstossung' mit
der uns von Gott bescherten Macht auf- und anmahnen wollet»!

Am 20. März, «um Mitternacht», antwortete der Zürcher Rat: er
habe zwar «etliche Kompagnien zusammengezogen, die sich auf fernere
Anmahnung von den Ehrengesandten der sämtlichen evangelischen (!)
Orte, so sich in Baden befindend und denen man die fernere Deliberation
einfelltig überlassen zu stündlichem Auffbruch» bereit hielten.
Jedoch ersuche der Zürcher Rat die Berner Regierung, «über die gwalt
die Geduld sanfmütig zu halten, und dem gwalt die Güte vorzeziehen»!
Der Zürcher Rat hatte eben die aufreizende Wirkung der Rüstungen
der Berner Herren auf deren Untertanen bereits bemerkt und hatte,
gerade um als Vorort der Eidgenossenschaft sich den Herreninteressen
auf eidgenössischem Boden umso ungeschwächter widmen zu können,


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 192 - arpa Themen Projekte

Sebastian Bilgerim Zwyer

Urner Oberst und Landammann,
kaiserlicher Feldmarschall-Lieutenant und erster Agent des
Kaisers in der Eidgenossenschaft,

General der innerschweizerischen Truppen in der von der
Tagsatzung gegen die Bauern aufgebotenen eidgenössischen
Herren-Armee,

"Vermittler' zwischen den Luzerner Herren und den Luzerner
Bauern in Werthenstein und Ruswil.

Nach einem zeitgenössischen Originalstich von Johann Schwyzer
in der Graphischen Sammlung der Zentralbibliothek in Zürich.



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Abbildung 12


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 193 - arpa Themen Projekte

fortwährend das allergrösste Interesse daran, bei seinen eigenen Untertanen
nicht durch forschen Auszug dieselbe Wirkung hervorzurufen.
In der Angst vor den Folgen eines brutalen Losschlagens der Berner
Herren befahl darum der Zürcher Rat den in Baden auf der Tagsatzung
weilenden Zürcher Gesandten, mit den andern evangelischen (!)
Orten zusammen eine «eilfertige gemeinsame Absendung nach Bern»
ins Werk zu setzen. Diese Gesandtschaft solle — sagt dieselbe Regierung,
die sieben Jahre früher sieben «Rädelsführer» aus dem Wädenswiler
Aufstand grausam hatte hinrichten lassen — «auf jeden Fall dafür
eintreten, dass die (Berner) Regierung die Rädelsführer nicht am
Leben strafe, sondern, wenn möglich, eine allgemeine Amnestie erteile».
Man kann sich leicht denken, wie die Berner Herren mit den Zähnen
knirschten, als ihnen die Zürcher «Religionsgenossen» bei der Ausübung
des von diesen auf ihrem Gebiet selbst beanspruchten Herrenrechtes
in den Arm fielen... Dies umso mehr, als die andern evangelischen
Gesandten in Baden dem Zürcher Rat «einhellig» zustimmten.

Trotz alledem aber versprachen die in Baden anwesenden Zürcher
Gesandten, der Bürgermeister Johann Heinrich Waser und der Seckelmeister
und Reichsvogt Johann Konrad Werdmüller, den dort anwesenden
Berner Gesandten, dem Schultheiss und Führer der bernischen
Kriegspartei Anton von Graffenried und dem Venner Vincenz Wagner
—in einigem Widerspruch zu der Instruktion des Zürcher Rates —,
«für die Entsendung eines starken Korps ,mit genugsamen und besten
Offizieren' zum Schutze Berns einzutreten». Denn sowohl Waser wie
Werdmüller waren ausgesprochene aristokratische Scharfmacher; nur
dass besonders Waser sich dabei gern die «Friedensstifter»-Rolle als
Tarnung verband. «Da aber die Befürchtung laut wurde, es möchte auch
unter den Zürcher Bauern gären», wie G. J. Peter berichtet, und zwar
angeblich nur «wegen des Salzes und da die Entlebucher ir Gifft schon
weit herum spargiert», einigte man sich auf einen Vorschlag an die
Räte der evangelischen (!) Orte, sie möchten «gewordene Völker zusammenbringen»,
und zwar durch «gemeinsame Werbung von 5000
Mann, die man stündlich auf mahnen könnte», für den Fall, dass «auf
die einheimischen Landleute wenig Verlass wäre, damit die Bewegung
in der ,Extremität' mit Waffengewalt unterdrückt werden könnte»! Das
wirft ein krasses Licht auf die fromme Entrüstung der Herren über
die angeblich «lügnerischen» oder «verleumderischen» Behauptungen
der Bauern, man wolle sie mit «fremden Truppen» überziehen...
«Sicher ist», sagt Peter, «dass einzelne Regierungen fremde Söldner
teils anwerben wollten, teils wirklich anwarben; Luzern allerdings
wandte sich um Unterstützung an den Statthalter von Mailand.» Denn
Luzern traute als erzkatholischer Stand diesem Kriegstreiben der evangelischen
Stände unter sich, obwohl es ursprünglich zu seinen Gunsten
in Szene gesetzt worden war, in keiner Weise.

Dennoch ist der Geist der Herren-Tagsatzung in Baden überhaupt,
nicht nur der der evangelischen Sondertagsatzung, ein Geist der rücksichtlosen


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 194 - arpa Themen Projekte
Klassenherrschaft der absolutistischen Herrenschicht in
allen Kantonen, ob katholisch oder evangelisch, ob Landsgemeindekanton
oder Stadtkanton; ein Geist, der der Aufrechterhaltung und Erweiterung
der Klassenprivilegien einer winzigen aristokratischen Minderheit
das Recht und das elementarste Lebensinteresse der erdrückenden
Mehrheit des eigenen Volkes bedenkenlos bis zum Landesverrat
opferte. Derselbe Geist ist es, der die kriegerischen Badener Beschlüsse
und das verleumderische Badener Mandat gegen die Bauern hervorbrachte,
die nun Ströme Oels ins Feuer gossen.

Zuerst wurde das «Defensional» beraten und beschlossen. «Man
setzte vor allem aus fest», sagt Peter, «dass, falls wieder ein Ort bedrängt
werde, die übrigen Hilfe leisten sollten, ohne zu untersuchen,
wer Recht oder Unrecht habe.» Oder, wie man sich damals im Original
ausdrückte: «ohne Difficultierung und Auf-die-Bahn-Bringung, wer
Recht oder Unrecht habe». Drei grosse Herren-Armeen, richtige Bürgerkriegs-Heere,
wurden durch dieses «Defensional» aufgestellt, und
zwar jetzt durchaus in erster Linie zum Zweck der Niederschlagung
des Berner Bauernaufstandes, aber zugleich als Präventivmassnahme
gegen eine mögliche allgemein-schweizerische Volkserhebung. Die erste
Armee, unter einem Zürcher Oberkommandanten — vorgesehen und
später ernannt wurde der Seckelmeister Johann Konrad Werdmüller
—mit der «Gegend von Lenzburg Alsa Rendez-vous-Platz», sollte etwa
6000 Mann umfassen: 1500 Mann zu Fuss und 200 Reiter, sowie Artillerie,
von Zürich; 400 von Glarus; 700 von beiden Appenzell; 200 aus
der Stadt St. Gallen; 2000 Bündner, «1000 in Pündtens eigenen kosten
und 1000 geworben in kosten Berns»; «Schaffhausen sollte sich mit
350 Mann nach Brugg legen; die Stadt Basel mit dem Zuzug von Mülhausen,
im ganzen 500 Mann zu Fuss und 50 Reiter, nach Olten werfen»;
diese Kontingente hatten also die wichtigsten Uebergänge an der
untern Aare zu besetzen. Die zweite Armee, unter einem Berner Oberkommandanten,
bestand aus sämtlichen Streitkräften Bern Freiburgs
und Solothurns, sowie ihrer Verbündeten in der Westschweiz; kurz, es
war die bereits mobilisierte und in Bern konzentrierte Armee unter dem
Oberbefehl des Generals Sigmund von Erlach; sie umfasste, mit allen
uns bereits bekannten, sowie mit den jetzt eben neu aufgebotenen
Truppenteilen, mindestens 5000, vielleicht aber ebenfalls an die 6000
Mann. Die dritte Armee, die «Baden an der Limmat und die beiden
Reuss-Städtchen Mellin gen und Bremgarten zu besetzen» hatte, war die
kleinste; sie umfasste keine 1000 Mann: je 100 Mann aus den IV alten
Orten, 200 aus den «ennetbirgischen Vogteien», dann den Zuzug des
Abtes von St. Gallen, «eine genügende Anzahl», und ihr Oberbefehl war
Uri, das heisst natürlich dem General Zwyer von Evibach, vorbehalten.

Der Zürcher Bürgermeister Johann Heinrich Waser —und mit
ihm sämtliche «Abgeordneten der protestantischen Orte» .— zeigten
sich, wie Peter schreibt, in einem Bericht vom 22. März früh «äusserst
erfreut» über den «guten Willen», den «die katholischen Orte unter


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 195 - arpa Themen Projekte
dem Einfluss des echt vaterländisch denkenden Zwyer von Evibach
für das Zustandekommen eines gemeinsamen Feldzugs an den Tag
legten»! Wasers Sekretär in Baden, der Zürcher Ratssubstitut Andreas
Schmid, schrieb am 21. an den Zürcher Rat: «Gleich wie nun Gott aus
Bösem Gutes erwählen kann, also scheint es, dass auch bei diesem bösen
Anlass die wegen der Religion zwiespältigen eidgenössischen Parteien
vielleicht in gute Freundschaft und Vertraulichkeit geraten möchten.
Gott gebe es mit Gnaden»! Wie er den Herren «mit Gnaden» die militärische
Uebermacht gab...

Wir glauben, den Grund dieser Freude des ganz besonders klassenstolzen
Zürcher Bürgermeisters klar zu erkennen: das «Vaterland»
seiner Klasse, die Einheit der durch alle XIII Orte der Eidgenossenschaft
ohne Ansehen ihrer Religion durchgehenden Aristokratenschicht,
schien zum erstenmal geschichtlich dauerhafte Gestalt annehmen zu
wollen. Das und nichts anderes war auch das «echt vaterländische
Denken» des Generals, österreichischen Feldmarschalls und ersten
Agenten des Kaisers in der Schweiz, des katholischen Landsgemeinde«
«Demokraten» Sebastian Bilgerim Zwyer von Evibach, das diesen auch
zum «innigen Freund» des —ebenfalls in Baden anwesenden —Basler
Bürgermeisters, des herrschsüchtigen und mindestens im selben Grade
wie Waser glaubensstolz protestantischen Emporkömmlings Johann
Rudolf Wettstein machte. Dass der «gemeinsame Feldzug», über dessen
Zustandekommen sich alle diese Herren so ungemein freuten, gegen
das Vaterland des Schweizer Bauern, gegen den letzten Ueberrest seines
ureigentlichen Werkes, gegen die echte, alte, ur-demokratische Eidgenossenschaft
ging —das war allen diesen Herren Nebensache! Ja, mehr
noch: die endgültige Niederwerfung dieser Eidgenossenschaft war
ihr wahres geschichtliches Ziel, und musste es sein, wenn sie das Vaterland
ihrer Klasse wollten!

Freilich, auch schon damals in Baden hatte die scheinbare Verwirklichung
des Traumes der Herren Waser, Wettstein und Zwyer
einen argen Schönheitsfehler: die katholischen Orte Schwyz, Unterwalden
und Freiburg nahmen den geschichtlichen Akt, in dem dieser
Traum verkörpert war, das «Defensionale», nicht an, wenn sie es auch
andererseits nicht ablehnten; ihre Gesandten erklärten, «in das Defensionalwerk
nicht einwilligen» zu können, weil sie von ihren Oberen
«keinen Befehl» dazu erhalten hätten; sie nahmen den Beschluss nur
ad referendum. Vom katholischen Zug war überhaupt kein Vertreter
auf die Tagsatzung delegiert worden. Sowohl das Verhalten Zugs wie
dasjenige der vorerwähnten drei Stände wurde schon damals wie auch
heute noch durch das Misstrauen und die Eifersucht dieser katholischen
Stände auf die — eben infolge der kriegerischen Anstalten —
wachsende Uebermacht der evangelischen Orte motiviert. Das hat, wie
wir bereits erkannten, bestimmt mitgewirkt; denn das entsprach der
zurückgebliebeneren Stufe der Herren dieser Stände in der Entwicklung
zum Absolutismus, und auf dieser Stufe fiel das aus den Reformationskämpfen


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 196 - arpa Themen Projekte
ererbte konfessionelle Argument (hinter dem sich
aber von jeher sehr reale politische und wirtschaftliche Interessen versteckten)
noch stärker ins Gewicht.

Jedoch ist wohl zweifellos bei drei von diesen vier katholischen
Ständen, und zwar bei den Bauernkantonen Schwyz, Unterwalden und
Zug, das wahre Motiv ihrer Zurückhaltung gegenüber den Unterdrückungsplänen
des Defensionale der Rest der urschweizerischen
Bauerndemokratie, der in ihnen selbst noch inkorporiert war, und infolgedessen
('in gewisses Mass von Sympathie für die aufständischen
Bauern, die eben für die Wiederherstellung dieser schweizerischen Urdemokratie
sich erhoben hatten! Und zwar handelte es sich in den Urkantonen
—mit Ausnahme von Uri, wo der grossmächtige Herr Zwyer
mit seinem Anhang vollkommen dominierte — um ein solches Mass
von Sympathie, dass es hinreichte, um auch in massgebenden Kreisen
der Standesführung noch zum Ausdruck zu kommen. Dies ist völlig gewiss
im Fall Zug, wo wir den Beweis in Peter Trinklers Verhalten und
in der Abkanzelung desselben durch die Tagsatzung besitzen. Aber auch
Schwyzer und Unterwaldner Truppen hatten bereits beim Zuzug für
die Luzerner Herren, wie wir sahen, zum Teil gemurrt und sogar gemeutert,
und das verschlimmerte sich bei dem späteren Generalauszug
gegen die Bauern in einem für die Herren ganz bedenklichen Masse.
Den Freiburger Herren aber mag die turbulente Meuterei der Greyerzer
Bauern, von denen sie keinen einzigen gegen die Entlebucher auszuheben
vermochten, nahegelegt haben, sich im Rampenlicht der Oeffentlichkeit
tot zu stellen um hinter den Kulissen die Sache ihrer Berner Standesgenossen
und damit ihre eigene, umso ungestörter fördern zu können.

Und nun ist überhaupt zu sagen, dass der Traum der Herren
Zwyer, Waser und Wettstein, das Defensionale zum Grundstein der
neuen absoluten Herren-Herrschaft in allen Kantonen ohne Ansehung
der Religion zu machen, der Traum einer blossen Elite des Absolutismus
hierzulande war, einer Elite, die nur aus diesen drei Herren, sowie
den scharfmacherischsten Berner Junkern bestand, die allerdings
geistig tief unter jenen Drei standen und ihrerseits eifersüchtig auf sie
waren. Wenn dieses Projekt, das auch heute noch von stramm «demokratischen»
Geschichtsschreibern als «erhaben eidgenössisch» gerühmt
und besonders Waser als «genial» gutgeschrieben wird, im Defensionale
der Badener Tagsatzung trotzdem für einen kurzen geschichtlichen
Augenblick den Schein von Fleisch und Blut annahm, so war
dies nur der ausserordentlichen, allen dort anwesenden eidgenössischen
Herren gemeinsamen Panik vor dem drohenden allgemeinen Volksaufstand
zu verdanken. Kaum waren die Bauern niedergeschlagen, gerieten
sich sogar die Zürcher und Berner Herren, trotz ihrer so oft beschworenen
«eid- und religionsgenössischen Wolmeinung», der blossen
Kosten halber gar jämmerlich in die Haare. Und drei Jahre später ging
an dem fanatischen und blutigen Villmerger «Religionskrieg» der Waser-Wettstein-Zwyer'sche
Plan einer einheitlichen, totalitären und absolutistischen


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 197 - arpa Themen Projekte
Herren-Eidgenossenschaft für immer in Stücke. Es ging
also aus alledem weder eine erneuerte Bauern-Eidgenossenschaft —die
ist von den Herren schon in der Wiege abgewürgt worden —, noch
eine vereinheitlichte Herren-Eidgenossenschaft hervor, vielmehr lediglich
ein jämmerliches Konglomerat von lauter Duodez-Fürstentümern,
in denen die Oligarchen der «regierungsfähigen Familien» abwechselnd
die Fürstenrolle spielten. Man kann eben aus lauter miteinander rivalisierenden
Absolutismen ebensowenig ein Staatsgebäude errichten, wie
man aus lauter Kugeln ein Haus bauen kann.

Was aber im zweiten «Hauptwerk» dieser Tagsatzung, im «Gemeinen
Mandat» oder «Proklamation der Tagsatzung zu Baden an das
Eidgenössische Volk» vom 22. Dezember hundertprozentig siegte, das
nicht nur die allgemeine Panik vor dem drohenden Volksaufstand, das
war vielmehr das wirkliche Herrschaftsinteresse sämtlicher Herrenregierungen
aller Kantone ohne Ansehen der Religion, d. h. also auch derjenigen
von Zug, Schwyz und Unterwalden, geschweige von Freiburg.
Dieses Mandat war ein spezieller Sieg der Berner Herren. Denn der
Schrecken vor dem gerade während der Tagsatzung aus dem vermeintlich
soeben «gestillten» Luzerner Aufstand wie eine wachsende Lawine
hervorbrechenden Berner Aufruhr war es ganz speziell, was über alle
konfessionellen Hindernisse hinweg schon dem am 21. März beschlossenen
«Defensionale» den für die damalige Zeit so erstaunlichen Umfang
gab. Dieser selbe Schrecken war es erst recht, was dem am 22.
März endgültig redigierten «Gemeinen Mandat» gegen die Bauern die
Zustimmung sämtlicher Herrenregierungen aller Kantone —auch der
Herren des abwesenden Zug —sicherte. Dieselbe Panik war es auch,
was diesem in der Geschichte der Eidgenossenschaft wohl einzigartigen
Ukas — dem allerdings die Schimpflawine des Luzerner Manifestes
vom 16. März zu Pate gestanden haben kann —für immer das Brandmal
einer wahrhaft hysterischen Klassenwut aufdrückte!

Dieses «Gemeine Mandat», das nach Ablauf der nächsten acht Tage
gedruckt in der ganzen Schweiz verbreitet wurde, schwärzt eingangs
zunächst den gottvergessenen Undank der Bauern dafür an. dass die
Eidgenossenschaft vor den Greueln des dreissigjährigen Kriegs bewahrt
worden sei, dass trotz «Krieg, Hunger, Brand, Mord, Raub, Weib- und
Kinderschänden und anderen, fast unzählbaren Martern und Plagen»,
unter denen andere Länder litten, «der grundgütige Gott unter so vielen
Königreichen, Landen und Herrschaften allein unseres geliebten
Vaterlandes verschont und dasselbige die ganze Zeit über, mit grosser
Verwunderung bald aller Welt, von dergleichen Uebeln gnädiglich bewahrt
hat». Statt, was das Volk betrifft, dafür nun «inniglich Lob und
Dank zu sagen und sich desto mehr eines gottseligen, christlichen und
friedliebenden Lebens zu befleissen» — z. B. à la Frisching und Tribolet!
—, «so haben doch unsere GH Herren und Oberen, dem gänzlich
entgegen, nicht ohne besondere Bestürzung ihres Gemüths, vernehmen
müssen, dass ein guter Teil ihrer Unterthanen dieses alles aus


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 198 - arpa Themen Projekte
den Augen gesetzt und sich, wider göttliche und weltliche Rechte, mit
Hintansetzung ihrer schuldigen Eidespflicht, Treue, Ehre und Glaubens,
wider ihre natürliche hohe Oberkeit auf gelehnt und empört, ja
sogar die Waffen wider sie ergriffen und allerhand hochsträfliche Fehler
und Muthwillen, wie öffentlich am Tag, unverantwortlich verübt und
begangen, ja sich noch dabei soweit erkühnt, auch anderer Oberkeiten
Unterthanen an sich zu ziehen und solche unter allerhand falschem
Schein und Vorwand auch zu dem Abfall von ihrer, von Gott vorgesetzten
Oberkeit zu bewegen» und durch «Aufwiegler und ihres gleichen
böse Buben es so weit durch getrieben, dass sie zu ihrem bösen
Vorhaben ziemlichen Beifall gefunden...»; «welches dann Unsere
allerseits GH Herren und Obern» bewogen hat, «auf allerhand Mittel
und Wege, auch erspriessliche Verfassungen und gute Ordnungen zu
denken, durch welche dergleichen theils boshafte, theils unbesonnene
und verirrte Leute wiederum auf den rechten Weg und zur Erkenntniss
ihrer schweren Sünden, Abfalls und Fehlers gebracht» werden sollen.

So kindisch «religiös»-moralistisch malte sich in diesen, was ihren
Vorteil betrifft, sonst höchst realistischen Herrengehirnen der ganze
ungeheure Knäuel von ökonomisch-politischen Problemen, die den damaligen
Bauer zum Aufstand trieben, dass nach diesem «Gemeinen Manifest»
«der vorgegangene Aufstand» lediglich «unter dem nichtigen
Prätext und Vorwand geschah, als wenn (!) ihnen und den ihrigen solche
Beschwerden, Neuerungen und Aufsätze unter oberkeitlichem
Namen zugefügt und aufgeladen wurden, dass sie ihres freien Herkommens
und darüber habender Briefe und Siegel gänzlich entsetzt und in
eine solche Dienstbarkeit nach und nach gebracht werden, die ihnen
und ihren Nachkommen ferneres zu erdulden ganz unleidlich falle,
welches alles doch nur aus einem recht bösen Vorsatz und Willen etlicher,
weniger, verdorbener, auch in Nöthen und Schulden steckender
Personen, die andere mit ihrem Gift unter vorberührtem Schein auch
an gesteckt haben... hergeflossen» sei!

Wenn noch etwas gefehlt hatte, um die Bauern von der unausweichlichen
Notwendigkeit zu überzeugen, mit diesen Herren einen
Kampf auf Leben und Tod auszufechten, um auch nur ihre Menschenwürde
vor deren Hochmut zu retten, der sie im Namen einer falschen
Eidgenossenschaft förmlich mit Verachtung bespie, dann waren es die
hochfahrenden Beleidigungen dieses Manifests der Tagsatzung!

In der Tat mobilisierten diese Beschimpfungen, sowie die darin
ausserdem ausgesprochenen Drohungen jeden auch nur anständig
denkenden Menschen, auch den bisher bedenklichsten und besonnensten
Bauern. Gegen jede Art von «Zusammenrottung» (also auch gegen
den Besuch von freien Landsgemeinden!), gegen «Empörung und Aufruhr»
wird «Leibes und Lebens Strafe» angedroht! Ferner ist jedermann
verpflichtet, der Spitzel der Obrigkeit zu sein: wenn «sie etwas
vermerken, hören oder vernehmen würden, dass dem oberkeitlichen
Stande Schimpf oder Nachteil geredet, gehandelt oder angezettelt


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 199 - arpa Themen Projekte
würde, solches alsobald der Oberkeit oder dero Beamten bei geschworenem
Eide, zu leiden und anzuzeigen»! Wobei den Angebern von
«Oberkeits wegen hiemit zugesagt und versprochen» wird, «sie vor
aller Ungelegenheit, so ihnen dessnahen (dieserhalb) entstehen möchte,
gänzlich zu bewahren und schadlos zu halten...» Eine der abgefeimtesten
Despotie würdige Erziehung zum Spitzbubentum! Schliesslich ist
jedermann auch dazu verpflichtet, den Polizei büttel der Obrigkeit zu
spielen: wenn nämlich bei einer solchen «Rebellion» wie der jetzigen,
«so Gott gnädig abwenden wolle», die betreffenden Untertanen «von
allen übrigen Orten der Eidgenossenschaft gänzlich verrufen, alles Handels
und Wandels entsetzt» werden, so soll «Männiglich hiemit ernstlich
verwarnt» sein, «denen kein Gehör zu geben noch einigen Vorschub zu
thun, weniger sie zu behausen und zu beherbergen, sondern vielmehr,
da deren einer betreten würde, solchen anzuhalten und der Oberkeit
selbigen Orts namhaft zu machen...»! Die Erziehung zum fügsamen
Sklaven wird vollendet durch folgenden Schluss dieses wahrhaft «gemeinen»
Mandats: «Gleichwie nur die Gehorsamen sich des Beistands
und Segens Gottes wie auch des väterlichen Schutzes ihrer lieben Oberkeit
zu getrosten, also würden im Gegenteil die Ungehorsamen und Widerspenstigen
anderes nichts als den Zorn und Fluch Gottes, auch der
Oberkeit schwere Straf und Ungnade zu erwarten haben; darnach sich
Männiglich zu richten und vor Schaden zu bewahren wissen wird. —
Actum et Decretum Baden, den 12. (22.) März, nach der Geburt Christi,
unseres lieben Herrn und Heilands (!), gezählt 1653 Jahre.»

Da haben wir denn, zynisch offen ausgesprochen, den ganzen politischen
Zweck aller «Religion» der Herren! Sie ist nie etwas anderes
gewesen als, je nachdem, ein Betäubungsmittel oder eine Zuchtrute für
die Sklaven... Jetzt war sie für die Bauern wieder zur Zuchtrute geworden.

Die Gründe, warum die Bauern sich weder durch das erschreckende
«Defensionalwerk», noch durch die ungeheuerliche Strafpredigt
des «Gemeinen Mandats» der Herrentagsatzung einschüchtern
liessen, müssen wahrhaft elementare gewesen sein; Gründe, die die
Grundlage ihrer gesamten physischen und geistigen Existenz angingen.
Sehr verständnisvoll schreibt der alte konservative Basler Geschichtschreiber
des Bauernkriegs, Andreas Heusler: «Noch niemals war es
so bestimmt wie im badischen Mandat vom 12. (22.) März ausgesprochen
worden, dass die Einmischung des Bundes in kantonale Schwierigkeiten
unbedingt zu Gunsten der Obrigkeiten stattfinden solle, und
was war wohl natürlicher, als dass dieser drohenden Stellung der
Obrigkeiten gegenüber auch in den Unterthanen das über die konfessionelle
Scheidewand sich erhebende Bewusstsein eidgenössischer
Zusammengehörigkeit stärker hervortrat, dass auch sie sich zu Schutz
und Trutz verbanden?» Tatsache ist, dass es nun erst recht losging;
dass sowohl das «Denfensional», wie das «Mandat» zum förmlichen
Signal wurden für einen allgemeinen Zusammenschluss und zu einem


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 200 - arpa Themen Projekte
gemeinsamen Aufstand aller rebellisch gesinnten Bauern ohne Ansehung
der Religion oder der Kantonsgrenzen.

Wir haben bereits gesehen, wie dieser wahrhaft «aufrührerische»
Same, den die Tagsatzung in ihrem blinden Rasen über die ganze
Schweiz warf, im Luzernischen in den tiefst aufgepflügten Boden fiel;
tief aufgepflügt durch Zorn und Scham über die Niederlage, die Herr
Zwyer den Bauern als eidgenössischer «Ehrengesandter» in solch niederträchtiger
Weise zugefügt hatte. Wir haben bereits miterlebt, wie
überwältigend rasch dort dieser Same ins Kraut schoss: wie Hans Emmenegger
und Johann Jakob Müller nach dem hinterlistigen Schlag
des «Rechtlichen Spruchs» wie unter den Peitschenhieben des Tagsatzungsverrufs
aus der Niederlage sofort den tapferen Schluss zogen:
ein viel grösserer, viel stärkerer, die ganze Bauernklasse der Schweiz
umfassender Bund muss errichtet werden. Und wir sahen die Boten
des neuen, werdenden Bundes, die Entlebucher und die Willisauer,
unverzüglich durchs ganze Land und über alle Landesgrenzen in die
andern «Länder» eilen, um die Botschaft vom neuen Bund ins Emmental,
in den Oberaargau, ins Lenzburgische, nach Olten ins Solothurnische
und ins Baselland zu tragen. Ja, wir sahen, dass Johann Jakob
Müller am 26. März sogar vom Rat von Unterwalden, der doch dem
Badener Mandat auf der Tagsatzung zugestimmt hatte, als offizieller
Gesandter des Landes Entlebuch empfangen wurde, «um namens der
10 Aemter gegen die ehrverletzlichen Reden zu protestieren, die gegen
sie (im «Rechtlichen Spruch» wie im «Badener Mandat») geführt
wurden»!

Jetzt fiel der «aufrührerische» Same der Herrentagsatzung auch in
das durch die Langnauer Bauerntagsatzung erst eben frisch aufgebrochene
Erdreich des Berner Aufruhrs —und dies zwar ganz gleichzeitig
mit der grossen Botschaft der Entlebucher vom neu zu stiftenden, allesumfassenden
Bund! Kein Wunder, dass der Keim dieses Bundes auf
dem frisch gepflügten und noch unverbrauchten Boden besonders tief
Wurzel fasste und dass der eidgenössische Freiheitsbaum, der nun für
kurze Zeit im Leben des Schweizervolkes aufgerichtet wurde, einen
bernischen Namen bekam.

Ueber das Werk der Tagsatzung aber, die in Herrenstiefeln derart
blind über die edelsten Wachstumskräfte des eigenen Volkes hinwegstampfte,
kann füglich als Motto gesetzt werden, was schon zwei Menschenalter
vor dieser Zeit der solothurnische Staatsschreiber Hans
Jakob vom Staal seufzend ins Tagebuch schrieb:

«Je mehr man taget, je mehr es nachtet,
Das hab' ich oft mit Schmerzen betrachtet.»



Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 201 - arpa Themen Projekte


XI.
Die Erniedrigten und Beleidigten

1.
Die Berner Bauern finden den Leuenberger — aber müssen mit ihm
durchs Joch!

Es war, wie wir sahen, schon am 21.-22. März, fiel also gerade mit
den Beschlüssen des «Defensionals» und des «Gemeinen Mandats» der
Tagsatzung zusammen, dass eine geheime Sitzung von Ausschüssen
der zehn luzernischen Aemter den Zwyer'schen Spruchbrief als «gefälschtes
Machwerk» verwarf, ja für den darin soeben zum todeswürdigen
Hochverrat erklärten Wolhuserbund «geradezu staatsrechtliche
Gültigkeit unter Garantie der vermittelnden Orte» verlangte, wie der
Zürcher Historiker Peter sich ausdrückt. Die Zehn Aemter stützten sich
dabei auf die Tatsache, dass die Ungültigerklärung des Wolhuserbundes
«zu Kriens gar nicht eröffnet worden sei», was u. a. der Weibel von
Escholzmatt, Leodegar Theiler, bezeugte, der alle «verkündigten
Punkte» an Ort und Stelle auf ein Schreibtäfelchen notiert hatte.

Der venezianische Gesandte in Zürich berichtete über dasselbe
Ereignis an seine Regierung: die Luzerner Bauern erhoben «schon zwei
Tage nachher» (nach dem Zwyer'schen Theatercoup auf dem Krienserfelde)
den Anspruch, «dass der Vertrag nicht einer Unterwerfung
unter die Obrigkeit, sondern lediglich einem Bündnis zwischen beiden
Teilen gleichkommen solle». Das war die richtige Deutung des Unabhängigkeitsstrebens
der Entlebucher seitens des Auslands.

Es war ebenfalls noch in den Zwanziger Tagen des März, als die
Willisauer kühn über dieses «gefälschte Machwerk» hinwegschritten,
«indem sie Schultheiss, Stadtschreiber, Gross- und Kleinweibel und
Läufer entsetzten und an deren Stelle neue Beamten wählten», sowie
«einige Ratsherren, die der Obrigkeit treu bleiben wollten», aus dem
Rate ausstiessen.

Kurzum: aus diesen und manchen andern, ähnlichen Symptomen
spricht die klar hervortretende «Tendenz der Luzerner Bauern, sich
wenn möglich vom städtischen Regiment loszumachen». Schon dies
zwang sie folgerichtig dazu, die Stützpunkte bei den gleichgesinnten
Bauern anderer Kantone nun eiligst zu einem neuen, umfassenden


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 202 - arpa Themen Projekte
Bund auszubauen, der mächtig genug war, um den Kampf um die Abschüttelung
der aristokratischen Herrenherrschaft überhaupt aussichtsreich
zu machen.

So weit waren die Berner Bauern noch nicht, als sie am 24. März
im Wirtshaus zu Trachselwald, direkt zu Füssen des hoch über der
weiten Landschaft thronenden Schlosses des Landvogts Tribolet, zum
erstenmal von allen wichtigsten Gemeinden des Landes offen gewählte
Ausschüsse zur Beratung des weiteren Vorgehens vereinigten. Immerhin
bedeutet schon die Tatsache des so rasch nach der Langnauer
Landsgemeinde erzielten Zustandekommens dieses ersten Berner Bauernparlamentes
einen mächtigen Schritt vorwärts in der Organisation
der ganzen Bewegung.

Zweifellos war diese Versammlung die Frucht der Arbeit, die auf
der Langnauer Landsgemeinde vom 14. März bis zum 19. März geleistet
worden war, mithin wesentlich das Werk Uli Gallis, obwohl er
selbst in Trachselwald nicht in Erscheinung tritt. Dieser ganz gewiss
ausserordentliche Mann hat seinen Ehrgeiz überhaupt nie im persönlichen
Hervortreten, das er neidlos anderen überliess, vielmehr in der
zähen Bemühung erblickt, die schwerflüssige Masse der Berner Bauern
von Grund auf in Bewegung zu bringen und mit einem festen organisatorischen
Willen zu durchsetzen. Er war die geheime Seele der ganzen
Berner Bauernbewegung, ein Wille, dessen echt revolutionäre Zähigkeit
bis zuletzt hinter allen ihren Vorstössen steckt, sich jedoch
gegen die besonders schwer lastenden Kräfte der Beharrung nie völlig
durchzusetzen vermochte.

Die Versammlung in Trachselwald aber war keine Versammlung
von Revolutionären. Die zahlreichen Ausschüsse aus allen Landesteilen,
nicht nur aus dem Emmental, waren zwar von den Flügeln der
Empörung zusammengetragen, weil nach den horrenden Rüstungen
der Berner Herren und der Tagsatzung alles, was Bauer war, begriff,
dass man nun zusammentreten und beratschlagen müsse, was zu tun
sei. Aber gerade weil es seit Menschengedenken zum erstenmal selbständig
gewählte Ausschüsse waren, konnte in ihnen keine klare Willensbildung
zum Ausdruck gelangen. Es war der noch ganz führungslose
Durchschnitt der Berner Bauern. Auch sie waren übrigens sehr
fromm, genau wie die Entlebucher, nur auf ihre nüchternere protestantische,
bezw. sektiererische Art: sie «eröffneten und schlossen ihre
Beratungen mit einem Gebete zu Gott», berichtet Vock nach dem Tagebuch
des Zürcher Bürgermeisters Waser, der daran sein Wohlgefallen
gehabt haben muss.

Der kühnste Beschluss dieser Versammlung erschöpft sich in einem
«Gesuch an die Regierung, worin sie die Bezeichnung eines Ortes auf
dem Lande, statt der Hauptstadt, zur Besprechung mit Abgeordneten
des Rats verlangte, gleichviel ob Burgdorf, Thun, Worb oder Höchstetten».
Unter den Unterzeichnern dieses in der Form noch überaus


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 203 - arpa Themen Projekte
manierlichen «Gesuchs» finden wir Ausgeschossene aus den Gemeinden
und Gerichten Trachselwald, Sumiswald, Ranflüh, Trub, Schangnau,
Steffisburg, Dürrenroth, Affoltern, Lützelflüh, Langenthal und
aus den Aemtern Aarburg und Aarwangen, z. B. Madiswil; womit aber
der Kreis der Teilnehmer bei weitem nicht erschöpft ist. Aber schon
diese Unterschriften zeigen, dass die Versammlung «nicht nur eine
emmenthalische, sondern eine allgemein bernische war».

Dass die vier grossen Landgerichts Konolfingen, Seftiger, Sternenberg
und Zollikofen nicht vertreten waren, ist einzig auf den Umstand
zurückzuführen, dass diese ihre Ausschüsse eben auf den folgenden
Tag, den 25., zu einem Parallelparlament nach Konolfingen aufgeboten
hatten. Immerhin vermissen wir in Trachselwald noch so wichtige Landesteile
wie das Oberland und das Simmental, die von Anfang an starken
Anteil an der Bewegung nahmen, aber erst später sich offiziell beteiligten.
Jedoch fallen gerade in die Tage um die Trachselwalder Versammlung
bedeutende Unruhen im Oberland, in Interlaken, Aeschi
und Frutigen, sodass die revolutionären Kräfte dort zu dieser Zeit
ohnehin beschäftigt waren. Ferner fehlen in Trachselwald auch die
rechtlich besser gestellten Landschaften Hasli und Saanen, obschon sie
die ersten waren, die sich, wenigstens der Münzkalamität und des Salzhandels
wegen, bewegt hatten; sie verschwinden aber von da ab überhaupt
aus der Bauernbewegung. Schliesslich fehlt in Trachselwald
auch das Seeland, das erst später einen wenigstens teilweisen und in
einzelnen Beteiligten sogar leidenschaftlichen Anteil nimmt.

Geschichtlichen Rang aber erhielt die Trachselwalder Bauerntagsatzung
durch einen Umstand, der erst für uns Rückblickende kapitale
Bedeutung gewinnt: durch die Teilnahme und das erste öffentliche Auftreten
Niklaus Leuenbergers, des späteren allmächtigen Obmanns des
grossen Bauernbundes und —im Guten wie im Schlimmen —entscheidenden
Führers im ganzen Bauernkrieg. Und zwar geschah dies in
einer Szene, die ihn sofort in dramatischer Weise in Gegensatz zur
obersten Staatsautorität brachte und die ihm seitens dieser noch im
Todesurteil ausdrücklich als erstes und grundlegendes Vergehen angekreidet
wurde.

Platzte da mitten in die allem Anschein nach sehr friedlichen Verhandlungen
über die «Beschwerdepunkte, um deren Abhilfe sie die
Regierung ersuchen wollten», zu aller Erstaunen niemand Geringeres
als Samuel Tribolet, der Landvogt von Trachselwald, in Person! Er hatte
sich offenbar eine Ueberrumpelung echt junkerlichen Stils ausgedacht
und sich von deren Gelingen einen mächtigen Stein im Brett bei den
Herren in Bern versprochen. Das Gewitter gegen ihn, das sich dort
schon lange vorbereitete, wäre vielleicht versprengt und er selber gar
auf den heissbegehrten Schultheissenthron erhoben worden!

Denn es handelte sich um nichts Geringeres als darum, die ganze
werdende Berner Revolution, um deretwillen schon die gesamte bewaffnete
Macht Berns und zum guten Teil bereits auch die der Tagsatzung


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 204 - arpa Themen Projekte
auf die Beine gebracht worden war, schon im Kindesalter zu
köpfen! Hier, unter den Ausgeschossenen so vieler Gemeinden und Gerichte,
mussten ja so ziemlich sämtliche Rädelsführer sitzen, die ihm
und den Herren in Bern das Regieren bisher auf so ungreifbar heimliche
Weise sauer gemacht hatten und die zugleich auch diejenigen
sein mussten, aus deren ständig auf Umwegen nach Bern getragenen
Klagen das Gewitter dort sich immer drohender gegen ihn persönlich
zusammenzog. Sollte er den Herren als Blitzableiter für den Zorn der
Bauern dienen? Wer das dachte, der kannte Samuel schlecht. Umgekehrt:
er wollte den vollen Zorn der Herren, den diese seiner Meinung
nach immer noch nicht prompt genug an den Bauern auszulassen wagten,
mit eigener Hand auf deren Köpfe schleudern. Und so trat er mit
dem Mut des Verzweifelten, der alles zu riskieren oder alles zu gewinnen
wagt, mitten unter sie —und forderte die Köpfe der Rädelsführer!
Tatsächlich wird berichtet: er «las ihnen ein oberkeitliches Schreiben
vor, worin die Bauern zur Auslieferung der Rädelsführer und Unruhestifter
aufgefordert» wurden. Und was das nach bernischem Recht bedeutete,
wusste ein jeder. Um diesen Preis versprach er ihnen, «dass
wenn sie alsdann gegründete Beschwerden in gebührender Ehrerbietung
zur Kenntnis der Regierung bringen, diese die Klagen streng untersuchen
und alle billigen Wünsche befriedigen werde» .

Samuel Tribolet musste dabei seine Hoffnung naturgemäss auf die
Mehrheit setzen und er tat das bei dieser Versammlung tatsächlich
nicht ohne Grund: denn selbst wenn sämtliche bisherigen Rädelsführer
hier mit zu Rate sassen, die Mehrheit konnten sie in diesem Stadium
der Dinge und bei dem Zustandekommen der Versammlung —durch
Wahl der gewöhnlichen Gemeinden, nicht durch revolutionäre Komitees
— gar noch nicht sein. Und tatsächlich liess sich die grosse
Mehrheit durch das forsche Auftreten des gefürchteten Samuel zunächst
tüchtig einschüchtern; denn es wird berichtet: «Die Landesausgeschossenen
schienen bereits sich sämtlich (gerade «sämtliche» werden
es nicht gewesen sein!) dahin zu neigen, dass man dem Ansuchen
der Regierung entsprechen solle.»

In diesem Augenblick, als eben abgestimmt werden sollte, erhob
sich ein kräftiger, schön gewachsener Bauer von achtunddreissig Jahren,
mit breitem, eckigem Bart und in wallendem Haupthaar, mit langer,
gerader und festgefügter Nase unter einer hohen, denkerisch
durchfurchten Stirn und mit zwar nicht übergrossen. aber seltsam
bohrenden, fast melancholisch grübelnden Augen. Was sollte das? Der
war ja Tribolet sehr gut bekannt: das war doch der Klaus Leuenberger,
der sehr wohlhabende Bauer vom Schönholz in der Kilchhöri Rüderswil?
Hatte der nicht mehr als einmal mit ihm, Tribolet, zusammen
als Geschworener im Gericht zu Ranflüh gesessen, und ebenso bereits
vor zehn Jahren mit dem andern Samuel, dem Frisching? War das
nicht der hochangesehene, gerechte Waisenvogt, dessen Rechnungen,
immer bis zum letzten Batzen stimmten? (Was Tribolet von den seinen


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 205 - arpa Themen Projekte
wahrlich nicht einmal zu träumen wagte!) War das nicht der treue
Vogt so mancher Witwen und Waisen, der unbestechliche Verwalter
ihres Vermögens und ihr unparteiischer Fürsprecher vor Gericht? Er
hatte dabei selbst eine ausgedehnte Familie, für die er, als ältestes von
11 Geschwistern (von denen allerdings vier im Kindesalter starben),
aufopfernd sorgte, nachdem sein Vater Hans Leuenberger und die Mutter
Elsbeth, geborene Moser, ebenfalls von Schönholz, bereits 1638 gestorben
waren. Für seinen jüngsten, 17 jährigen Bruder z. 13. verwaltete
er noch jetzt ein Vermögen von 2500 Pfund, d. h. etwa 15,000 Goldfranken;
für seine jüngste Schwester Verena ungefähr ebensoviel. Ungefähr
dasselbe wird auch er geerbt haben. Er selbst war verheiratet
und hatte Kinder (wieviele wissen wir nicht) und war «im vollen, freien
Besitz» eines schönen Bauernhofes in Schönholz. All das war Samuel
Tribolet von so manchem Zusammensein mit Leuenberger bei einer
Gerichtssitzung oder ähnlichen amtlichen Gelegenheiten genau bekannt.

Kurz und gut, dieser Niklaus Leuenberger, von dem «man» politisch
noch überhaupt nichts wusste, als dass er die «Treue selbst» war,
sprach. Sprach zum Staunen Tribolets. Sprach klug, besonnen, gesetzt
—aber dem Landvogt entgegen! Und zwar, wie Vock berichtet, folgendermassen:
«Das Ansuchen der Regierung sei von grosser Wichtigkeit,
und, demselben ohne reife Beratung zu entsprechen, bedenklich; morgen,
den 15. (25.) März werde eine zweite Gemeinde der Landleute zu
Konolfingen gehalten werden; es sei billig und nötig, dass man die Beschlüsse
dieser Versammlung abwarts und dann erst auf das Anerbieten
der Regierung Bescheid gebe; widrigenfalls würden die äussern Gemeinden
sich mit Recht beklagen und sie der Voreiligkeit beschuldigen
können.» Der so beinahe staatsmännisch berechnend —und zugleich
derart imponierend solidarisch mit den nicht Anwesenden, die davon
betroffen worden wären — zur Verhinderung der drohenden, verhängnisvollen
Beschlussfassung seitens einer grösstenteils ahnungslosen Versammlung
sprach, wusste warum: er war schon jetzt selber einer der
«Rädelsführer», was noch zu beweisen sein wird; wenn das auch niemand
von den Anwesenden als die Minderheit derer, die selber solche
«Rädelsführer» waren, wissen mochte, am wenigsten der Landvogt.

Und so ist klar, dass diese Minderheit jetzt, da sie das Losungswort
Leuenbergers vernahm, aufatmete, sich regte und sich ihrer Haut
zu erwehren begann. Und diese Rettungstat hat sie Niklaus Leuenberger
nie mehr vergessen! Besonders sprangen ihm zwei ganz Vertraute zuhilfe,
die erst während seiner Rede, verspätet, als Ausgeschossene von
Langnau den Saal betreten hatten: Christian Grimm von Gibel, der
Seckelmeister von Langnau, und Christian Eichenberger aus der Ramsern.
«Dadurch», so fährt Vock in seinem Bericht fort, «wurde die vorher
geäusserte gute Stimmung der Versammlung plötzlich geändert.»
Oder, wie es in Leuenbergers Todesurteil, zweifellos nach Angaben
Tribolets steht: «Und es wurde diese gute angefangene Sache um so
viel mehr verhindert»! Tribolets, dieses notorisch jähzornigen und gewalttätigen


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 206 - arpa Themen Projekte
Menschen, Wut muss gross gewesen sein, als er, dank Leuenbergers
Eingreifen, seine Felle derart geschwind bachab schwimmen
sah. Damit aber hat Niklaus Leuenberger in der Tat der ganzen bernischen
Revolution das Leben gerettet!

Auf seinen Vorschlag wurde dann von der Versammlung Lienhart
Glanzmann, der Wirt zu Ranflüh, an die am Tag darauf tagende
Landsgemeinde der vier Landgerichts in Konolfingen abgeordnet. Leuenberger
selbst zeigte keinen Ehrgeiz, sich wählen zu lassen, wurde
aber durch die einhellige Willensäusserung der Gemeinde dazu gedrängt,
sich Glanzmann als Mitgesandter anzuschliessen. Leuenbergers
Vorschlag zeugt von seinem klaren Bewusstsein, worum es ging. Denn
sein intimer Freund Lienhart Glanzmann, Vater von sieben Söhnen
und vier Töchtern, war sein vertrautester Mitverschworener unter den
«Rädelsführern», von Anfang an einer der eifrigsten «Rebellen», und
er wurde später einer seiner besten Kriegsräte, wurde, wie Leuenberger
selber, in Bern geköpft und sein Haupt an den Galgen genagelt...

Das also ist Leuenbergers erstes öffentliches Hervortreten —nicht
aber sein erstes Auftreten in einer Bauernversammlung überhaupt, wie
das fast ausnahmslos in allen Darstellungen behauptet wird. Meistens
wird er dann übrigens noch — und zwar gerade von Sympathisierenden
— als ahnungslos in die Bewegung hineintorkelnder oder geradezu
Hineingezwungener dargestellt, um ihn von der «Schuld» reinzuwaschen,
ein «Revolutionär» gewesen zu sein. Wir meinen aber, dass
es keine Ehre ist, von dem «reingewaschen» zu werden, wofür man
gekämpft hat und den Märtyrertod gestorben ist. Darum kann es Leuenberger
nur zur grösseren Ehre gereichen, dass wir heute nachweisen
können: Leuenberger ist schon vor seinem ersten öffentlichen Hervortreten
auf der Versammlung in Trachselwald ein bewusster geheimer
Kämpfer für die Sache der Bauern gewesen! Er war wirklich einer der
«Rädelsführer», die hätten ausgeliefert werden müssen, wenn der Ueberrumpelungsversuch
Tribolets gelungen, sein Antrag, bezw. sein behördlicher
Befehl, in der Trachselwalder Versammlung durchgedrungen
wäre. Dafür liefert uns den Beweis eines der überaus seltenen Originalschreiben
von Leuenberger selber, das im Berner Staatsarchiv liegt und
das Bögli im «Schweizer Bauer» (19. Januar 1900) in Facsimile veröffentlicht
hat, ohne mit einem Wort diese wichtige Schlussfolgerung
daraus zu ziehen.

Dieses Schreiben ist in einer zwar ungelenken, aber höchst charaktervollen
deutschen Frakturschrift mit starken, beherrschten Senkrechten
geschrieben (einer Schrift, die merkwürdig wesensverwandt mit
derjenigen Ferdinand Hodlers ist, die dieser in seinen deutsch geschriebenen
Briefen verwendete, wie ein Vergleich mit solchen, in meinem
Besitz befindlichen, erweist!). Seine sprachliche Form ist in Orthographie
und Grammatik noch ungelenker als die Schrift, rein emmentalisch
dialektisch, und daher nicht leicht zu verstehen. Dafür ist der Inhalt
umso senkrechter: er enthüllt uns den «lammsfrommen» Leuenberger


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 207 - arpa Themen Projekte
als entschlossen handelnden und aktiv führenden Teilnehmer an einer
geheimen, illegalen, konspirativen Bauernsitzung zur Erstellung eines
über das ganze Land sich erstreckenden militärischen Wachsystems
gegen die Rüstungen und Truppenbewegungen der Herren, und zwar
in einer Sitzung in Zollbrück, bereits am 19. März! Das war am Tag der
diplomatischen Niederlage der Luzerner Bauern und am Tag der Wahl
Sigmund von Erlachs zum Oberbefehlshaber der gegen die Bauern
ausgehobenen bernischen Streitmacht.

Das Schreiben ist datiert: «Dattum Dan 9. mertzen (bernischen
Kalenders) des 1653 jars von der zoln brug us geheim rat in il», und
ist ein Befehl an seinen «lieben nachher Ulr(i)ch Kipfer wach meister
zu wallt hus»: «Ir welett on ornig du der wachen (Ihr wollet eine Ordnung
tun der Wachen) die wil mir verständig sein (dieweil wir verständigt
sind) äs sigi fröndes folck im land (es sei fremdes Kriegsvolk
im Land) die bald ein geros schaden dun oder uf lucärn zu zion (das
bald einen grossen Schaden anrichten, oder gen Luzern zu ziehen
werde). So welett im ge heim wach uf stelen wo ir wisen das zum tunlichst
(So wollet Ihr insgeheim Wachen aufstellen, die ihr anweisen
mögt, wo es am tunlichsten ist) und wen folck wurdi an kernen da
die uf gehalt wurden und uns ein Zeren gäbe wurden (und wenn Kriegsvölker
ankommen würden, dass diese aufgehalten würden und uns ein
Zeichen gegeben würde). Und welett bost löüffer omen die bis gau
ruders wil louf und gen ranfli loufi (Und wollet schnellstens —? —Läufer
abordnen, die bis nach Rüderswil und nach Ranflüh laufen). De
glichen Weien wir ouch dun (Dasselbe wollen wir auch tun) dan äs ist
vo sig nouw und da dan bis gau harn (? denn es ist —vorgesehen ? ein
Wachsystem? von Signau und von da dann bis gegen Bern). Aber
als in ge heim (Aber alles insgeheim!) und wib und kinden nut ofen
baren (und Weib und Kind nicht offenbaren!) und un ver druetten lütt
(und unvertrauten Leuten auch nicht!). Und nitzen (?) von ortt zu ortt
in geheim schicken . . schicken...» («nitzen» unverständlich, vielleicht dialektisch
«nidsi =abwärts, hier also: in die unteren Landesteile; oder es ist ein
Name gemeint; letztes Wort nach «schicken» unentzifferbar). Folgt
die oben wiedergegebene Datierung, der noch hinzugefügt ist: «und
welett under drin stelen wes ir gesinett sigen und das schüben urnen
schicken» (und wollet unten drauf stellen bezw. setzen, was Ihr zu tun
gesinnt seid, und das Schreiben zurückschicken!).

Kurzum, dieses Schreiben ist ein Muster illegaler Korrespondenz;
wobei sich Leuenberger dessen so bewusst ist, dass er das Geheimhalten
seinem Korrespondenten wiederholt einschärft und sogar das Schreiben
selbst wieder zurückverlangt. Sein Inhalt beweist uns, dass Leuenbergers
Intervention auf der Bauerntagsatzung von Trachselwald am
24. März kein blosser «besonnener und den gemeinsamen Interessen
der Bauern angemessener Rat, vorläufig nichts zu beschliessen», war,
wie Bögli meint, sondern ein bewusster Akt des Revolutionärs, der
durch den Ueberrumpelungsantrag Tribolets, die «Rädelsführer» auszuliefern,


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 208 - arpa Themen Projekte

Johann Heinrich Waser

Bürgermeister von Zürich,

"Vermittler" zwischen den Berner Herren und den Berner Bauern
in Bern, sowie in den Waffenstillstandsverhandlungen im Feldlager
bei Wohlenschwil.

Nach einem zeitgenössischen Originalstich von Conrad Meyer in
der Graphischen Sammlung der Zentralbibliothek in Zürich.



Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 208 - arpa Themen Projekte
Abbildung 13


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 209 - arpa Themen Projekte

um dadurch materielle Vorteile zu erlangen, sich selbst und
sein ganzes, zusammen mit seinen Mitverschwörern bereits in Gang
gebrachtes Werk in Gefahr gebracht sah. Dadurch, dass Leuenberger
der Konterrevolution diese gefährliche Waffe im entscheidenden Augenblick
aus der Hand schlug, hat er sich fortan das unerschütterliche Vertrauen
aller wirklichen Führer der Berner Bauernbewegung erworben.
Das war es, was ihn zum Führer qualifizierte und was seine Mitkämpfer
bewog, ihn schliesslich, allem seinem Sträuben zum Trotz, bis an
die Spitze des neuen, umfassenden Bauernbundes zu schieben.

Nun wollen wir zu der wiederholt erwähnten Konolfinger Landsgemeinde
der vier Landgerichts vom 25. März, an der auch Niklaus
Leuenberger mit Lienhart Glanzmann zusammen teilnahm, noch nachtragen,
dass dort auch der künftige Bundesschreiber oder «Kanzler»
des neuen Bundes gefunden wurde. Und zwar war es, wie ausdrücklich
berichtet wird, Uli Galli, der ihn dafür gewann und in Vorschlag
brachte. Wir meinen Hans Konrad Brenner —berndeutsch «Brönner»
genannt und geschrieben —, der als gebürtiger Deutscher aus Britzingen
in der Herrschaft Badenweiler stammte, jedoch schon seit vierzig
Jahren in Münsingen als Notar niedergelassen war. Er zeichnete sich
vor allen andern Führern des Bauernkriegs —auch vor dem luzernischen
Bundesschreiber Johann Jakob Müller, der dafür ein besserer
Geschichtskenner der Landesgeschichte war — durch bedeutendere
Rechtskenntnis aus, und das war gerade das, was den Bauern insgemein
so schmerzlich abging. Brönner, wie wir ihn mit den Berner Bauern
nennen wollen, hat später, in den peinlichen Verhören vor seiner
Hinrichtung, behauptet, er sei auf dieser Konolfinger Versammlung
«durch Drohungen gezwungen, Schreiber der Bauern geworden». Wenn
dies nicht bloss eine nur allzu begreifliche Notlüge war, um dem Martertode
zu entrinnen, so würde diese Aussage für einen ausgesprochen
revolutionären Verlauf der Konolfinger Landsgemeinde zeugen. Dass
sie jedenfalls stürmisch verlief, bezeugt seine andere, gleichzeitig gemachte
Aussage —die nichts mit einer persönlichen Entlastung Brönners
zu tun hat und deshalb wohl stimmen mag —: «Damals habe man
sich wegen der Artikel nicht einigen können und deshalb eine neue
Versammlung nach Signau berufen.»

Doch nun haben wir den Ansatz zum Aufruhr auch im Bernischen
bis in jede Einzelheit gewonnen und wollen uns nun einer höchst
merkwürdigen Folge des eidgenössischen Zwischenspiels in Baden zuwenden.
Zusammenfassend ist bezüglich Berns zu sagen, dass auch den
Berner Bauern die Erniedrigung durch eine diplomatische Niederlage
nicht erspart blieb, wenn sie auch nicht so dramatisch ausfiel wie die
der Luzerner Bauern. Genau so wie die Luzerner aber haben auch die
Berner ihre Niederlage einer eidgenössischen «Vermittlung» zu verdanken.
Und diesmal waren es natürlich die Herren «Ehrengesandten» der
protestantischen Orte, und zwar die von Zürich, Basel, Glarus, Schaffhausen,


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 210 - arpa Themen Projekte
der Stadt St. Gallen und von Appenzell-Ausserrhoden, welche
den protestantischen Berner Herren zu Hilfe sprangen. An ihrer Spitze
standen die beiden Zürcher, der allmächtige Bürgermeister Johann
Heinrich Waser und der Ratsherr und Statthalter Salomon Hirzel, der
in diesem Amt schon einige Uebung hatte: war er es doch, der damalige
Zürcher Bürgermeister, gewesen, der wie wir sahen, bereits im «Thuner
Handel» anno 1641 mit dem Basler Bürgermeister Wettstein zusammen
an der Spitze der «Ehrengesandtschaft» stand, die die Oberländer
und Emmentaler Bauern unter Führung Uli Gallis vor den Berner Herren
auf die Kniee zwang. Jetzt aber, im «Berner Handel», war der Bürgermeister
Waser dabei durchaus die Hauptperson, ganz ebenso alle
andern überragend, wie im Luzerner Handel der Urner Landammann
Zwyer es war.

Diese «Ehrengesandtschaft» war von der gleichen Tagsatzung
nach Bern abgeordnet worden, die das «Defensional» und das «Gemeine
Mandat» beschloss; sie konnte also unmöglich eine andere Gesinnung
nach Bern tragen als sie diese beiden Werke beseelt. Immerhin
war der strafende Eifer der führenden Herren, der beiden Zürcher,
inzwischen durch eine kurze, nur zweitägige Heimkehr Wasers nach
Zürich gedämpft worden. Denn: «Der Versuch einer friedlichen Vermittlung
zwischen der Berner Regierung und ihren Untertanen», sagt
Peter, «schien dem Zürcher Rat umso notwendiger, als man sich hüten
musste, in dieser für die Obrigkeiten gefährlichen Situation das Zürcher
Volk, dem man nicht vollkommen traute, irgendwie vor den Kopf
zu stossen.» Das ist das Dauermotiv für Zürich, besonders als Vorort,
geblieben, Bern möglichst am Losschlagen zu hindern. Trotzdem beschloss
der Zürcher Rat bereits am Sonntag, den 23. März, «nach dem
Morgengottesdienst», «dass die durch den badischen Abschied dem
Vorort auferlegten Truppen Mittwoch, den 26. März, nach Lenzburg
marschieren sollten und dass Glarus, Basel, Schaffhausen und Appenzell
und die Stadt St. Gallen sofort hievon zu verständigen und aufzufordern
seien, ,Ire völcker, die auch unter dissem Corpus dienen, und
dazu gehören', bei Lenzburg zu den zürcherischen Truppen stossen zu
lassen».

Zum Oberkommandanten (Generalissimus) des ganzen «Corpus»
wurde jetzt der Badener Mitgesandte Wasers, der neben diesem allmächtige
Zürcher Standesseckelmeister Johann Konrad Werdmüller,
gewählt. Diesem, als dem Organisator der zürcherischen Wehrmacht,
stand fast der ganze männliche Teil des weitverzweigten Geschlechts
der Werdmüller als erstklassige Militärs zur Verfügung, die alle, wie
er selber, im dreissigjährigen Krieg bei verschiedenen Kriegsfürsten in
zum Teil sehr hoher Stellung gedient hatten und die er nun auch gegen
die Bauern einsetzen konnte. Die Werdmüller waren wohl überhaupt
die damals modernsten Militärfachleute in der Eidgenossenschaft —
und als solche waren sie zu geschichtlichen Ueberwindern der schweizerischen
Bauernerhebung geradezu prädestiniert.


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 211 - arpa Themen Projekte

Gleichzeitig aber, um die eigenen Bauern, besonders die Knonauer
und die Wädenswiler, über das Kriegstreiben zu beruhigen, erliess der
Zürcher Rat einen von Waser selbst, zur Rückendeckung für seine Berner
Mission, angeregten, überaus bieder und «friedlich » lautenden «Bericht
an die Landschaft», den er in den nächsten Tagen nicht nur in
allen Truppenteilen durch die Hauptleute, sondern auch in allen Hauptgemeinden
des Landes durch eigene Boten verlesen liess, wobei er alle
Ausgeschossenen in den Gasthäusern auf Kosten des Rates freihalten
liess. In diesem Bericht steht die Versicherung, dass die ausgehobenen
Truppen «wider jemand den gwalt ze brüchen, nit sollint angeführt
werden, ess seyge dan sach, dass alle güetliche gebühr und billiche
mittel, so dem gwalt vorgahn..., mutwillig und verächtlicher wyss
ussgeschlagen wurden». Das war Bauernfängerei grossen Stils, wie sie
im Bauernkrieg kein anderer Stand der Eidgenossenschaft zuwege
brachte und die tatsächlich umsomehr verfing, als man gleichzeitig
die völlige Freigabe des Salzhandels versprach. Man frage nur nicht,
wie diese Dinge später, nach der Niederwerfung der Bauern, gehandhabt
wurden!

Waser und Hirzel, den man jenem anstelle des zum Oberkommandierenden
gewählten Werdmüller als Mitgesandten gab, konnten mithin
am 25. völlig beruhigt nach Bern abreisen. Noch am Abend dieses
Tages trafen sie in Aarau mit den «Ehrengesandten » von Schaffhausen,
Basel und Glarus zusammen während der von St. Gallen schon
nach Bern gereist war, der von Appenzell A.-Rh. später nachreiste.
Aber, merkwürdig —noch am selben Abend entliess der Zürcher Rat
Knall auf Fall sämtliche Truppen des aufgebotenen «Corpus», von
denen die Stadt und das Fraumünsteramt förmlich wimmelten! Was
mag da vorgefallen sein? Wir vernehmen nur Folgendes, das uns nicht
hinreichend erscheint, um diesen vom Herrenstandpunkt aus erstaunlichen
Akt zu motivieren: Vom Berner Rat sei schon am 24., mithin als
Waser noch in Zürich war, Bericht eingelaufen, Bern sei bereit, die
«fründgüetliche Pacification» zu versuchen; im gleichen Schreiben ersucht
derselbe Rat dennoch um die «zugesagte tapffere Hilffleistung»!
Ferner sei am selben Tag ein Schreiben der auf der Heimreise befindlichen
bernischen Tagsatzungsgesandten eingetroffen: «wir erachtend,
dass disses Gschefft könne, wie zu Lutzern, mit Güete bygelegt werden».
Am 25. aber kam «die Meldung einiger in den Aargau ausgeschickten
Späher, dass die bernischen Untertanen in der Grafschaft
Lenzburg entschlossen seien, den zürcherischen Truppen den Pass in
Mellingen zu versperren»!

Sollte das wirklich genügt haben, um die so umfassend eingeleiteten
militärischen Pläne, wenigstens für den Augenblick, völlig preiszugeben?
Der Zürcher Rat selbst behauptete es, und zwar in einem
Kreisschreiben an sämtliche evangelischen Stände, das noch am 25.
März an diese abging: «Da die Bauern im untern Aargau jetzt noch
unbewaffnet, aber durch die Entsendung von Truppen in Harnisch gebracht


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 212 - arpa Themen Projekte
werden möchten, und da die Regierung von Bern gegen ihre
Untertanen gütliche oder rechtliche Mittel anwenden wolle, setze er
seine ,gantze Hoffnung auf das Werck der Gesandtschafft', und lasse
daher vorläufig die schon eingerückten Truppen nicht ins Feld rücken;
die übrigen Orte möchten es auch unterlassen.» Und schon am andern
Tag erhielt der Zürcher Rat von Waser aus Aarau, wie zur Rechtfertigung
seines sonderbaren — für diese «absoluten» Herren wahrhaft
sonderbaren — Kleinmutes, den Bericht: «unsere eidgenössischen Völker
sind nirgends angenehm, auch nicht in Aarau und Brugg»! In
Brugg zogen die Schaffhauser Truppen eben an diesem Tage ein —
um am darauffolgenden, am 27., auf Grund der Zurückmahnung des
Vorortes, wieder nachhause zu ziehen.

Basel aber liess am 26., trotz der Abmahnung des Vororts, die es
gerade erhalten hatte, seine Truppen ausrücken, und zwar quer durchs
Baselbiet und über den Jura bis nach Aarau, wo sie am 28. eintrafen —
und das hat Folgen gehabt, die entscheidend in den Gang des ganzen
Bauernkriegs eingriffen, indem sie die gesamte Bauernschaft des Basellands,
samt der Stadt Liestal, ja auch die des Solothurnerlands, samt
der Stadt Olten, definitiv dem grossen Bauernbunde zu führten!

Doch ehe wir zur Erzählung der Geschichte dieser beiden Bauernschaften
bis zu ihrem Eintritt in die grosse Gesamtbewegung ausholen,
um damit das Viergespann des Bauernkriegs voll zu machen, müssen
wir endlich die «Ehrengesandtschaft» nach Bern begleiten und die Erniedrigung
der Berner Bauern schildern, die bei ihnen ganz ebenso wie
bei den Luzerner Bauern, die Revolution erst eigentlich auf ihren Gipfel
gebracht hat. Erst der Wiederaufschwung der Berner Bauern holt
dann die Basler und Solothurner Bauern wieder ein, die während der
«Pazifierung» der Berner grad ebenso in die scheinbare Lücke in der
Gesamtbewegung einspringen, wie es die Berner Bauern in Langnau
und Trachselwald während der «Pazifierung» der Luzerner getan
haben.

Am 26. übernachtete Waser mit den übrigen «Ehrengesandten»
in Langenthal. ((Gemäss ihrer Instruktion» erkundigten sie sich hier
«und am folgenden Tage in Wynigen und in Burgdorf nach der Stimmung
und den Begehren der Bauern, die auch im Oberaargau hauptsächlich
darüber aufgeregt waren, dass die Regierung fremde Truppen
habe ins Land kommen lassen. Bereits fingen die Bauern an, sich
zusammenzurotten... Doch liess sich das Volk» — so meint der Zürcher
Historiker Peter mit seinem Heros Waser — «durch die Vertröstung
auf einen durchaus friedlichen Ausgleich leicht beruhigen; die
meisten Gemeinden hatten ihre Ausschüsse zur Einreichung der Beschwerden
an den Rat bereits nach Bern gesandt, und die Emmentaler,
die Miene gemacht hatten, nicht mit ihren Herren unterhandeln zu
wollen, da man sie Aufrührer geheissen, entschlossen sich, nach einer
Unterredung mit Bürgermeister Waser, vor dem Berner Rat und den
Interponenten (Vermittlern) zu erscheinen.» Kurzum: Herrn Waser


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 213 - arpa Themen Projekte
scheint es nach diesem Bericht schon auf der Reise nach Bern gelungen
zu sein, seine grosse «Diversion» zugunsten der Berner Herren zu starten.
Die Bauern waren auf das Glatteis der Diplomatie gelockt —und von
da war es nicht mehr weit bis zum Fussfall vor den Herren!

Am Abend des 27. waren die Herren «Ehrengesandten» endlich in
Bern und machten dem grossmächtigen Herrn Schultheissen Anton von
Graffenried, dem Chef der Kriegspartei, die erste ihrer vielen und
durch das höfische Zeremoniell, das in Bern herrschte, überaus komplizierten
und anstrengenden Aufwartungen. Am 28. setzten sie diese
in einem wahren Karneval von Kostümierungen und Empfangsriten
fort, in denen sich selbst ein chinesischer Obermandarin wohl kaum
zurechtgefunden hätte. Mit Samthandschuhen fasste Waser die manchmal
sehr «schützigen» Berner Herren an und versicherte ihnen eins
über das andere Mal in wohlgedrechselten Reden —besonders in der
zu seinem Empfang veranstalteten Ratssitzung —, dass er und seine
Mitgesandten nur eine «die obrigkeitlichen Rechte und die Souveränität
des Standes in keinerlei Weise gefährdende Interposition» beabsichtigten.
Worauf der Rat, zur Wahrung seiner «Souveränität», sie nur
«für den fahl» zu bleiben bat, dass «der Rat von Bern die sach nit selbs
erörtern könne».

Diese anstrengenden Komplimente hinderten die «Ehrengesandten»
jedoch nicht, bereits am 28., «Morgens in aller Frühe», auch «die
Emmenthalischen Anwesenden in einem Landtuszschusz in groser Zal»
(es waren ihrer 29) zu empfangen, um sich die «Copia Irer underthenigen
Bittschrift an ihre Gnedigen Herren und Oberen» überreichen zu
lassen. Sie «ermahnten dieselben» —wie Vock nach Wasers eigenem
Tagebuch berichtet — «auf ihre Bitte um Fürsprache, zur Abbitte gegen
die Regierung und zu vertrauensvoller Ueberlassung der Beschwerden
an die oberkeitliche Gnade und Abhilfe». Schon die erste Sorge der
Herren «Ehrengesandten» also war die Demütigung der Bauerngesandtschaft.

Unter deren Mitgliedern aber befand sich niemand Geringeres als
Niklaus Leuenberger; auch Christen Eichenberger war dabei, auch
Christen Grimm, auch der Hans Bürki, der schon bei der ersten Verschwörung
in Uli Gallis Haus in Eggiwil dabei gewesen war und später
vom Prädikanten Anthoni Kraft so schmählich verraten wurde. Nur
Uli Galli —nein, der war nicht dabei: der wusste es vom Thuner Handel
her besser! Auch Daniel Küpfer nicht, der alte «Schmied von Grosshöchstetten»,
aus demselben Grunde. Und ebensowenig Hans Rüeggsegger,
der Weibel von Röthenbach und alte Thuner Kämpfer. Sie gehörten
eben zu den ältesten und erfahrensten Revolutionären, denen
der blinde Fehler, auf die Gnade der Herren zu bauen, nicht mehr
widerfahren konnte. Aber auch Leuenbergers Freund Lienhart Glanzmann
war nicht mit in Bern; er wird durch seine Entlebucher Verwandschaft
über solche «Gespräche» mit den Herren gründlicher unterrichtet
gewesen sein. Und es ist ihm offenbar nicht gelungen, Leuenberger


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 214 - arpa Themen Projekte
von seinem eingefleischten Hang zu gütlichen Verhandlungen abzubringen,
d. h. von seiner Unfähigkeit, mitten im Kampfe, in dem es auf
rechtzeitiges Zugreifen und schlagkräftiges Handeln ankam, sich von
Bedenklichkeiten, Rücksichten und vor allem von edlen Illusionen über
obrigkeitlichen Anstand zu befreien.

So hatte denn Waser mit dieser Deputation von fast lauter Neulingen
und wohlmeinenden Illusionisten offenbar ein ziemlich leichtes
Spiel. Schwieriger war eine andere Opposition zu überwinden: die in
den Reihen des Berner Rates selbst, der sich im Ganzen nur zähneknirschend
— trotz allen Komplimenten —in die Tatsache der eidgenössischen
Intervention zu schicken vermochte. «Die Vermittler», so
schreibt Vock, «fanden bei den meisten Ratsgliedern und Stadtbürgern
grosse Hitze und Entrüstung wider die Bauern, und sie vernahmen,
dass die Vermittlung nicht wäre angenommen worden, wenn nicht der
Schultheiss Dachselhofer den Antrag» (hinter dem der andere Schultheiss
von Graffenried stak!), «die Emmenthaler mit Waffengewalt zu
überfallen, so kräftig bekämpft... hätte.»

Da kam ein grosser Theatercoup Herrn Waser als eindrucksames
Schreckmittel zuhilfe: als ein Beispiel dafür, wie man mit dem Feuer
spielte, wenn man auch nur die geringsten Truppen aufmarschieren liess!
Der Einmarsch der winzigen Basler Truppe von 500 Mann in Aarau am
Abend des 28. hatte vermocht, nicht nur Aaraus ganze Bürgerschaft, sondern
und vor allem die gesamte Bauernschaft des unteren und des
oberen Aargaus, des Amtes Aarburg, samt Stadt, der Grafschaft Lenzburg
und der Gegend von Langenthal, sowie der anstossenden Gebiete
von Solothurn und Basel, in hellsten, bewaffneten Aufruhr zu bringen.
Die Schreckenskunde davon drang in der Nacht vom Samstag auf Sonntag
den 29.-30. nach Bern. Noch vor Morgengrauen wurde der Rat zu
einer Sitzung zusammengerufen, die Herren «Ehrengesandten» dazu
aus den Betten geholt. Sofort erliessen diese letzteren, als eidgenössische
Autorität, auf Bitten des Rats ein Beruhigungsschreiben an die betroffenen
Aemter und sandten selbst die Hälfte ihrer Gesandtschaft, geführt
von Salomon Hirzel und begleitet von Wasers Sekretär, dem Ratssubstitut
Schmid, sowie von zwei Berner Ratsherren, «das Land hinab
bis nach Aarburg und Aarau..., um persönlich die Bauern eines Besseren
zu belehren». Nur Waser selbst und je ein «Ehrengesandter» von
Basel, St. Gallen und Appenzell blieben zur Fortführung der Verhandlungen
mit den Emmentalern in Bern. Dass diese selbst aber, inbegriffen
Leuenberger, trotz solch aufregender Kunde, die ihre ureigenste
Sache anging, ruhig in Bern sitzen blieben —das ist das Erstaunlichste
an der ganzen Sache!

Da dies überhaupt möglich war und da andererseits nun auch die
kriegerischsten Herren im Rat angesichts der Tausende und Abertausende
bewaffneter Bauern einigermassen stillehielten, hatte Waser nun
wirklich leichtes Spiel nach beiden Seiten, um einen Kompromiss
durchzudrücken. So bot er den Herren eine vorgängige «kniefällige Abbitte»


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 215 - arpa Themen Projekte
des Emmentaler Ausschusses in corpore und dessen nachfolgende
«neue Huldigung» an; den Bauern aber, mit den nötigen Drohungen,
eine Auswahl wirtschaftlicher Erleichterungen aus sehr zahlreichen,
die sie begehrt hatten, aber einzig als Gnade und Lohn für Abbitte
und neue Huldigung.

Der Rat knurrte zwar und fasste, zur Wahrung seines Prestiges,
am 3. April trotz alledem folgende impertinenten Beschlüsse: «1. Die
Emmentaler haben das Laster des Meineids (!) begangen, und sie verdienen,
dafür gestraft zu werden. — 2. Sie haben, als Urheber der gegenwärtigen
Unruhen, die Kosten zu bezahlen (!). — 3. Sie haben die
Gnade der Verwandlung des Heuzehntens in einen ewigen Geldzins»
(d. h. einer Leibeigenschaftsabgabe in eine bürgerliche Steuer; eine
schon weit zurückliegende Geschichte, die extra zur Erniedrigung der
Bauern hervorgeholt wurde!) «verwirkt. —4. Sie sollen die Rädelsführer
ausliefern (!).»

Man denke sich Leuenberger angesichts dieser frechen Forderungen,
deren letzte, die Auslieferung der «Rädelsführer», er noch vor zehn
Tagen dem Tribolet in Trachselwald aus der Hand gewunden hatte!
Trotzdem ist die Reaktion der Bauern darauf eine geradezu bejammernswerte.
Zwar suchten sie sich dieser Pression dadurch zu entwinden,
dass sie erklärten, sie müssten Bedenkzeit haben, um die Sache
zuhause mit ihren «Mithaften» zu beraten. Nun zitterte aber Waser
um den Ruhm seines ganzen Schiedswerkes, wenn er die Bauern nicht
jetzt und hier zur Abbitte zu bringen vermochte; denn die Antwort der
Bauern im Lande draussen konnte er sich leicht denken. Für ihn waren
die vier Forderungen des Rates ja nur ein Schreckschuss, um die Abbitte
und neue Huldigung auf der Stelle zu erzwingen. Der Schuss
durfte nur jetzt um keinen Preis daneben gehen! So versprach er den
Bauern, sich bei den Gnädigen Herren und Obern mit der ganzen
Wucht seiner Autorität ins Zeug zu legen, damit sie Gnade statt Recht
walten lassen und auf die vier Punkte zurückkommen würden — wenn
sie, die Bauern, sich jetzt nur zur Abbitte verstehen würden.

Hier wenn irgendwo verrät sich die viel längere und vollständigere
Untertanenschaft der Berner Bauern im Vergleich mit den Entlebuchern
oder auch den Willisauern. Statt wie diese in ähnlichen Lagen
nun aufzuflammen und heimzustreben, um das ganze Volk gegen die
Erpressungen der Herren aufzurufen, zeigen sich die Emmentaler in
diesem Handel so stur und schwerblütig und wie vor den Kopf geschlagen,
dass sie wahrhaftig um ihre Ehre handeln! Sie erklären, «sie
werden sich zu dieser Abbitte verstehen, wenn die Vermittler Fürsprache
bei der Regierung tun wollen; sie verlangen dafür zwar die
Aufhebung der drei ersten Punkte; gerade vom vierten aber verlangen
sie nur «dass er gemässigt (!) werde; es falle ihnen zu hart, dass sie
selbst die Anführer ausliefern sollen; hingegen wollen sie sich der oberkeitlichen
Bestrafung derselben nicht entgegensetzen»! Sie erklären
sich alsdann bereit, «auf's neue zu huldigen; nur bitten sie die Oberkeit,


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 216 - arpa Themen Projekte
wieder Vertrauen zu ihnen zu fassen (!) und die einberufenen
Truppen zu entlassen». Was davon allerdings durch die redaktionelle
Fixigkeit des Herrn Waser —fast alle Kenntnis von diesen Verhandlungen
beruht auf dessen Tagebuch — den Bauern untergeschoben,
was ausserdem von der späteren Geschichte, die eine Herrengeschichte
war, dem hinzugefügt worden ist, das lässt sich heute nicht mehr ausmachen.

Tatsache, sehr betrübliche Tatsache aber ist, dass die Bauern am
Tag darauf, am 4. April, Abbitte und neue Huldigung geleistet haben,
nachdem der Rat die drei ersten Punkte vom 3. April —als sie ihren
Zweck, die Erpressung von Abbitte und Huldigung, erfüllt hatten —
aufgehoben und den vierten in der erwähnten, von den Bauern selbst
verschuldeten Weise «gemildert» hatte. Die Bauern wären auch den
vierten Punkt für den vereinbarten Preis der Abbitte und Huldigung
ganz losgeworden, wenn sie mehr Rückgrat gezeigt hätten. Der Akt
der grossen Demütigung aber ging, nach Vock, folgendermassen vor
sich: «Nachdem Bürgermeister Waser den Landesdeputierten diesen
Beschluss des Grossen Rats eröffnet hatte, wurden dieselben in den
Ratsaal geführt, wo sie vor versammelten Rät' und Burgern und den
Eidgenössischen Vermittlern auf ihre Knie fielen, um Verzeihung baten,
ihren Dank für die neue Gnadenbezeugung aussprachen und einer nach
dem andern im Namen ihrer Gemeinden durch Handgelübde, welches
Bürgermeister Waser abnahm, ihrer Regierung auf's neue Treue und
Gehorsam feierlich versprachen. Bürgermeister Waser erinnerte sie
noch einmal an die begangenen Fehler (!) und an die Pflichten, zu
deren treuer Erfüllung die neue Gnade der Obrigkeit sie bewegen solle,
und er entliess sie mit der Anzeige, dass die bewilligten Artikel ihnen
schriftlich werden nachgeschickt und zugestellt werden.»

Diese «bewilligten Artikel», die sogen. «Konzessionen vom 4. April»,
ihrer siebenundzwanzig, machen sich, in Geschichtswerken gedruckt,
ganz hübsch zugunsten der Berner Herren aus; denn sie scheinen ein
unerwartetes Entgegenkommen dieser machtstolzen Junker und beinahe
so etwas wie soziales Verständnis für die gedrückte Lage der
Bauern zu beweisen. (Obwohl auch die wirklichen Konzessionen, die
diese Artikel enthalten, bei genauerem Zusehen nur Halbheiten oder
Zweideutigkeiten darstellen: so ist z. B. bezüglich des Salzhandels
festzustellen, dass trotz der Konzession, «dass der Fryc Kouff des
Saltzes für ihren Hussbruch allein zugelassen, aber nit uff fürkouff»,
das Salzmonopol fest in der Hand der Regierung blieb.) Nur schade:
diese Artikel sind den Bauern niemals «zugeschickt und zugestellt»
worden, wie Waser es ihnen versprochen hatte! Noch weniger ist
auch nur versucht worden, sie jemals in die Praxis umzusetzen!
Sie sind dem grossen Emmentaler Ausschuss nur vorgelesen, d. h. nur
als süssduftende Leimrute unter die Nase gestreckt worden, auf die sie
hereinfliegen sollten — und hereingeflogen sind.

Dieselbe Verwendung fanden diese Artikel dann noch gegenüber


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 217 - arpa Themen Projekte
Ausschüssen der Aemter und Städte Aarburg, Aarwangen, Wangen,
Bipp, Lenzburg und Burgdorf, die die Berner Herren, nach dem unverhofft
geglückten Spiel mit den Emmentalern, durch die «Ehrengesandten»
auf den 9. April ebenfalls eiligst nach Bern hatten bestellen
lassen.

In diesen Gegenden war ja ohnehin inzwischen die andere Hälfte
der «Ehrengesandtschaft» unter Salomon Hirzel bis zum 4., als sie
nach Bern zurückkehrte, so eifrig am «Versöhnungswerk» tätig gewesen,
dass es nicht mehr schwer fiel, mit dem Versprechen weitgehender
Konzessionen geeignete Ausschüsse nach Bern auf dasselbe Glatteis zu
locken, wie die Emmentaler. Dennoch gab es mit diesen Ausschüssen
in Bern noch beträchtliche Schwierigkeiten. «Aller Vorstellung ungeachtet»,
sagt Vock, «wollten diesmal nur Wenige der Landdeputierten
aus den genannten Aemtern sich zu einem solchen Fussfälle verstehen....
Diesem Ansinnen aber widersetzten sich die Deputierten von
Aarburg und aus der Grafschaft Lenzburg beharrlich.» Die «Ehrengesandten»
mussten ihnen zünftig drohen, dass sie «dadurch die bereits
erhaltenen Gnaden verwirken und grössere Strafen zu erwarten haben
werden». Diese Ausschüsse hatten eben inzwischen bereits bemerkt,
dass die 27 Artikel keine Spur einer Amnestie (eines Generalpardons
für die Teilnahme am Aufruhr) enthielten und taten ihren Fussfall
erst, nachdem ihnen dieser Pardon, sowie noch eine Anzahl weiterer,
ihre lokalen Beschwerden betreffenden Konzessionen, von den Berner
Herren feierlich «zugesagt» worden waren mit genau demselben Endeffekt
wie bei den sogenannten «Konzessionen»!

Ausserdem war dem Exemplar der 27 Artikel, das Herr Waser
diesen Ausschüssen, wie schon den Emmentalern, verlesen hatte, am
Schluss eine Klausel hinzugefügt, die den Wert dieser Konzessionen
restlos wieder aufhob. Sie lautete: «Alles dieses, so lang es Uns gefällt
und Wir es auch thunlich und nützlich erachten werden, mit dem Vorbehalt,
den einen und andern Artikel zu mindern, zu mehren, ganz
oder zum Theil abzuthun, nach Unserem Belieben»! Zwar möchte Bögli
diese Klausel gern wegdisputieren, weil das Exemplar der «Konzessionen»,
das im bernischen Staatsarchiv liegt, sie nicht enthält. Aber
dieses Exemplar braucht ja nicht notwendig dasselbe zu sein, das
Waser den Ausschüssen vorlegte und das er auch auf seiner anschliessenden
Beruhigungsreise durchs Emmental in einer Reihe von Gemeinden
vorlas. Gerade diese Klausel hat den Bauern —leider nur allzu nachträglich
—einen empörenden Eindruck gemacht, sie ist landesbekannt
geworden und hat bei der Wiedererhebung der Berner Bauern notorisch
genau dieselbe «aufrührerische» Rolle gespielt wie die Vertragsfälschung
Zwyers in derjenigen der Luzerner Bauern. Eine derartige
historische Wirkung ist nicht aus nichts entstanden, auch wenn es ein
Berner Staatsschreiber für klüger hielt, dem Staatsarchiv das Dokument
ohne diese Klausel einzuverleiben!

Ausser diesem Schlag ins Gesicht, den der Berner Rat dem Rechtsempfinden


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 218 - arpa Themen Projekte
des Berner Volkes erteilte und ausser der Bedrohung mit
der Exekution der «Rädelsführer», die nun im Belieben der Regierung
stand und daher für sich allein schon genügte, um eine Gewitterwolke
über dem Lande zuzammenzuballen, war im Artikel 22 der sogenannten
«Konzessionen» allen Berner Untertanen das einzige politische
Grundrecht, das sie seit der Langnauer Landsgmeinde forderten,
ausdrücklich abgesprochen worden: «Die Abhaltung von Landsgemeinden
kann nicht gestattet werden, da diese schon von Alters her verboten
waren»! Da hatten die guten Berner Bauern die Quittung für ihre
unablässige Berufung auf die «guten alten Zeiten'! Statt vorwärtsblickend
sich das Recht, solange sie dazu noch im Stande waren, mit
Gewalt zu holen, das ihnen die Herren von «Alters her» mit Gewalt
geraubt hatten! Weil aber, um mit Bögli zu reden, «bei Anerkennung
der bestehenden städtischen Gewaltherrschaft dem Volke keine Garantieen
für seine Rechte, ja selbst für die feierlichen Zugeständnisse der
Regierung, geboten sein konnten, so war kein Ende des Konfliktes abzusehen».
Zwar «die wirkliche Abstellung der Beschwerden, wie sie
nun auf dem Papier ausgesprochen war, hätte bedeutend erträglichere
Zustände herbeigeführt. Doch dazu sollte es nicht kommen. Die Korruption
in der Staatsverwaltung war zu gross, der gute Eifer der Regierung
zu gering, und das Zutrauen des Volkes fehlte in Folge bitterer
Erfahrungen ganz. Die heimkehrenden eidgenössischen Vermittler hatten
daher unterwegs Gründe genug, sich zu überzeugen, dass durch
ihr Versöhnungswerk die drohende Gefahr eines verderblichen Krieges
nicht beseitigt war.»

Bevor wir einige dieser Gründe anschaulich machen, wollen wir
doch auch den Abschied der Herren «Ehrengesandten» von ihren Berner
Gastgebern nicht ganz mit Stillschweigen übergehen, und zwar deshalb,
weil er ein für die damaligen Herrensitten höchst kennzeichnendes
Detail aufweist. «Am 12. April», so erzählt der Zürcher Historiker
Hans Nabholz diese Episode, «erschien vor den eidgenössischen Gesandten
eine Abordnung der Berner Regierung, und in ihrem Namen
verdankte der Schultheiss Graffenried» —der Chef der Kriegspartei,
der denjenigen der Friedenspartei, Schultheiss Dachselhofer, wenige
Tage darauf endgültig aus der Staatsführung verdrängte — «in einer
,zierlichen, langen Oration' die geleisteten Dienste. Wie das Gold im
Feuer, so habe sich die Freundschaft Zürichs und seiner Miteidgenossen
gegen Bern... bewährt. Um aber nicht nur mit schönen Worten,
sondern auch mit der Tat 'dieser Dankbarkeit Ausdruck zu verleihen,
wurden beim Abschied jedem Gesandten 24 spanische Dublonen trotz
Sträubens in die Hand gedrückt und auch die Hotelrechnung der Herren
zu Bern und auf der Heimreise von Bern beglichen.'

Das «Versöhnungswerk» hat sich also für jeden einzelnen «Ehrengesandten»
über die rein «idealistische» Ehre hinaus auch materiell
nicht übel bezahlt gemacht: 24 spanische Dublonen waren gleich 96
Kronen, gleich 180 Gulden, gleich 336 Pfund, gleich 2400 Batzen! Das


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 219 - arpa Themen Projekte
sind, nach dem Kaufwert etwa ums Jahr 1900 berechnet, weit über
2000 gute Goldfranken. Aber diesen «Ehrenlohn», den die Herren zu
ihren ausserdem bezogenen, fetten Amtslöhnen als Trinkgeld hinzuverdienten,
muss man, um ihn ganz zu würdigen, mit einem gewöhnlichen
Taglohn derselben Zeit für Schwerarbeiter vergleichen: dieser
betrug beispielsweise für einen Zimmermeister oder einen Steinhauermeister
im Emmental ganze 6 Batzen! Diese qualifizierten Arbeiter
(Meister, nicht Handlanger) hätten 'also, die Sonntage nicht gerechnet,
volle 400 Tage Schwerarbeit leisten müssen, um sich die 24 Dublonen
eines einzelnen «Ehrengesandten» nicht als zusätzliches Trinkgeld,
sondern als beruflichen Arbeitslohn zu verdienen! Aber dieses Verhältnis
ist vielleicht auch heute nichts so ganz Unerhörtes, insbesondere
wenn man bei unseren heutigen «Ratsherren» den zusätzlichen «Ehrenlohn»
der vielen Verwaltungsratsposten in Anschlag bringt. Und die
damaligen Berner Junker werden schliesslich selbst am besten gewusst
haben, was ihnen die «Schwerarbeit» der eidgenössischen «Ehrengesandten
wert war... Die Berner Geistlichkeit jedenfalls wusste es
auch: beim Abschied: dankte sie den Herren «Ehrengesandten» «mit
bewegten Worten und drückte ihre Freude aus, ,dass die lieben Engel
sie herbeigeführt hätten'»!

Auf der Heimreise, die sie am 12. antrat, teilte sich die «Ehrengesandtschaft»
abermals in zwei Hälften: die eine, unter Führung des
Statthalters Salomon Hirzel, ging' auf eine Pacificierungsreise» wieder
über Burgdorf, Wynigen, Herzogenbuchsee in die eben von Hirzel bearbeiteten
Gebiete: Wir verweilen nur noch kurz bei der andern Hälfte,
weil es der grossmächtige Bürgermeister Waser selbst war, der sie
führte, und zwar direkt in die Höhle des Löwen, oder wenigstens des
«Löuwenbergers»: ins innerste Emmental.

Des schlauen Wasers ganze Weisheit bei diesem Unternehmen
war der Grundsatz «divide et impera», wie es der Grundsatz Zwyers
gegenüber' den Luzerner Bauern gewesen war, wie es das Prinzip der
damaligen «eidgenössischen» Politik der Herren gegenüber dem Schweizervolk
überhaupt war. Zum Ueberfluss wird uns dies inbezug auf
Wasers Tätigkeit im Emmental noch ausdrücklich durch einen Bericht
Tribolets aus Trachselwald an den Berner Rat beurkundet.

Wasers Pazifizierung aber ging folgendermassen vor sich: «Sonntag,
den 13. April, am Osterfests» — so erzählt G. J. Peter nach dem
eigenen Tagebuch Wasers und seinen Briefen und Berichten —
«teilte er zu Langnau der versammelten Kirchgemeinde die Vereinbarungen
der bernischen Bauernausschüsse mit ihrer Obrigkeit nach
einem Konzept... mit», «auf solche form, wie dieselben bey den
G. Herren und Oberen. . . ausgefallen», «forderte sie schliesslich zum
Gehorsam und zu treuer Ergebenheit gegen die Obrigkeit auf und ermahnte
sie ernstlich, doch ja keine neuen Beziehungen mit den Entlebuchern,
die sich gegen ihre Obrigkeit so halsstarrig erzeigten, anzuknüpfen...
Aber der kleinere Teil der Versammelten gab die bestimmte


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 220 - arpa Themen Projekte
Versicherung der Ergebenheit ab; die meisten hingegen beriefen sich
darauf, dass sie ohne die Einwilligung ihrer ,Bundesgenossen' kein
bindendes Versprechen abgeben könnten...»

Da haben wir es endlich, was wir von den Berner Bauern schon
in Bern gern gehört hätten, als sie vor ihren eigenen Herren standen:
wir haben «Bundesgenossen», wir werden an ihrer Seite kämpfen, wir
lassen uns nicht mehr beschimpfen und erniedrigen! Aber das «Gemeine
Mandat» sowohl wie die Kunde von den Zumutungen der Berner Herren
brauchten Zeit, um sich bis in den Kern der Bauernschaft durchzufressen;
oder, um ein besonders hier im Emmental angemessenes,
«sehr nationales Bild» zu gebrauchen, das die damalige Solothurner
Regierung schuf: «Die Rebellion ist wie eine durchfressende Made in
einem Käse, sie frisst um sich»! Und das geht bekanntlich, wie schon
der alte Heusler bemerkte, nicht mit «elektrischer Schnelligkeit». Besonders
nicht bei den Berner Bauern, von denen ein schon damals
hundertjähriges Lied echt bernisch singt:

«Der Bär hatt die natur und art,
Das er fit gabet uff die fart,
Man thue in denn vor stupfen,
Darumm so rupf in nit zu vii,
In trüwen ich dirs raten wil,
Er thuot nit bald erklüpffen.»



Aber nun zeigte sich, dass man den Berner Bären schon «zu vii gerupft»
hatte. Wasers Redseligkeit setzte er ein zwar noch gedämpftes,
aber ein gefährliches, weil nun aus ganz neuer Tiefe kommendes
Brummen entgegen. Was auch Waser in Sumiswald, Trachselwald und
Affoltern, nach seiner eigenen Schreibseligkeit, für «beruhigendes Versprechen»
von Ohrenträgern gehört haben will, so hat doch der luzernische
Herrenchronist zweifellos recht, wenn er davon sagt: «Allein
dieses Versprechen war kaum mehr als ein Täuschungsmittel.» Ueberall
flüsterte man bereits wieder von neuen geheimen Versammlungen,
die entweder schon stattgefunden hatten, oder eben während der «Pacificierung»
Wasers stattfanden, oder demnächst stattfinden sollten,
unbekümmert um das in den «Konzessionen» erlassene strikte Verbot
von Landsgmeinden, das ihnen Waser überall vorlas, und trotz der
«Leibes und Lebens Strafe», die das Badener Mandat nun für jede Art
von «Zusammenrottierung» androhte. Ja, die Bauern sagten es Waser
im Emmental —und auch Salomon Hirzel in Burgdorf, Wynigen und
Herzogenbuchsee, besonders aber in Langenthal —offen auf den Kopf
zu, dass sie ihren Herren kein Tittelchen ihrer Zusicherungen glaubten,
dass sie erst «,Brief und Siegel' über die obrigkeitlichen Bewilligungen
in Händen haben wollten», ehe sie auch nur das Geringste zusicherten.
Das Schlimmste aber für Herrn Waser war: zu gleicher Zeit, da
ihm die Bauern angeblich versicherten, «dass sie der Entlibuecheren
müessig gau wellint», wohnten den neuen Versammlungen der Bauern

Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 221 - arpa Themen Projekte
«auch Sendlinge der luzernischen Bauern bei, um die bernischen Untertanen
zu neuem Abfall von der Regierung aufzustacheln»! Ja, in
Aarburg vernahm Waser gar, «dass bereits zwei Entlebucher Bauern,
sowie zwei aus dem Amte Willisau, worunter der Weibe! von Wykon,
daselbst gewesen waren und berichtet hatten, auf ihre Aufforderung
hin hätten die Oltener bereits geschworen, zum Wolhuser Bund zu
stehen», und die Aarburger hätten ihnen wenigstens zugesagt, «wenn
man möchte understahn wollen, die lutzernischen Underthanen mit
gwalt zu überziehen», so würden sie denselben sofort Nachricht geben
und selbst mit Waffengewalt «den durchzug so viii wie müglich hindern».
«Man wollte also», sagt Peter, «einem allfälligen bewaffneten
Eingreifen der Obrigkeiten direkt entgegenwirken.»

Ja, so weit war man nun wieder. Und das war auch schon nach
Bern gedrungen. Denn als die beiden Hälften der «Ehrengesandtschaft»
sich am 14. April in Aarau noch einmal vereinigten, erhielten sie
von den erschreckten Berner Herren den Bericht, «dass der unguete
Wolhusische underthanenbundt und dessen unguete frucht viel volkh
infiziert», und diese stolzen Herren riefen Waser schon wieder um eine
Tagsatzung an! Der Bär, auf dem sie ritten, und den sie soeben wieder
aufgezäumt zu haben glaubten, zeigte seine Krallen; wie es in dem
alten Bernerlied weiter heisst:

«Drum reitz in nit so fast uffs gspor,
Er gibt dier ein dopen an ein or,
Du wirst wohl daran dencken...»

Aber der «unguete» Bund, der nun auf einmal im ganzen Bernerland
so «viel volkh infizierte», war nicht mehr nur der «Wolhusische»,
wie die Berner Herren meinten. Das war der neue Bund, den die Entlebucher
gerade während der tiefsten Erniedrigung der Berner Bauern
so bewundernswert hartnäckig propagierten. Und er fasste hier, auf
Bernerboden, umso tiefer Wurzel, je bohrender nun auch hier Zorn
und Scham am Herzen der Erniedrigten und Beleidigten frass.

2.
Die Solothurner schwenken ein, finden keinen Führer — und müssen
auch so durchs Joch!

Gerade als die Luzerner Bauern durch Zwyer und seine «Ehrengesandtschaft»
um ihren ersten Sieg betrogen worden waren — ohne
aber in die Kniee zu gehen —, waren die Berner Bauern in die gemeinsame
Bauernfront aktiv eingeschwenkt. Gerade als die Berner
Bauern durch Waser und seine «Ehrengesandtschaft» nach Bern gelockt


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 222 - arpa Themen Projekte
wurden und sich zu ihrem Kniefall anschickten, schwenkten die
Solothurner und vor allein die Basler Bauern in die Kampffront ein. Aber
auch diese beiden Bauernschaften mussten, nach einem ersten Aufflammen
des Rebellengeistes, zunächst einmal, jede für sich, durch
ein kantonales Joch der Erniedrigung, ehe sich genügender Zorn sammeln
konnte, um dem Streben zur gemeinsamen, überkantonalen Bauernfront
den nötigen Schwung zu verleihen.

Von allem Anfang an ist die Solothurner Bewegung mehr ein Reflex
der Solidarität mit den Bauern der benachbarten Luzerner und Berner
Aemter gewesen als eine urwüchsig selbständige Bewegung. Nicht dass
den Solothurner Bauern der allgemeine Stoff zur Rebellion gefehlt
hätte — sie litten vielmehr an genau denselben wirtschaftlichen und
sozialen Nöten wie ihre Klassengenossen jenseits der Grenze. Aber sie
hatten keine solch offensichtlich provokatorische Regierung wie die
Berner und Luzerner. Ein leiser Hauch von Menschlichkeit, der letzte
Rest eines noch patriarchalischeren Verhältnisses zum Volk, milderte
das Solothurner Junkerregime.

Nichtsdestoweniger war es ein Junkerregime, und zwar ein
schlaues und ein demagogisch bedeutend geschickteres als das der beiden
andern Kantone. Schon am 25. Februar —mithin einen Tag vor
der Beschwörung des Wolhuser Bundes —gab die Solothurner Regierung,
vom Luzerner Rat gewarnt, «ihren Vögten den schriftlichen Auftrag,
ingeheim beim Trunk und bei anderen schicklichen Anlässen zu
erkundigen und zu erfahren, ,was für Reden ihre Angehörigen von
diesem Wesen brauchen'». Dass sie dem Luzerner Rat durch Entsendung
zweier ihrer Räte, des Venners Jakob von Staat und des Gemeinmanns
Urs Gugger, als «Ehrengesandte» nach Werthenstein und Ruswil
zu Willen war, verstand sich von selbst. Zwar gab sie diesen den
«bestimmten Befehl, dass sie nur zu gütlicher Beilegung des Streites
Hand bieten sollen»; aber weder den «gütlichen» noch den «rechtlichen»
Betrug Zwyers haben diese beiden Biedermänner verhindert.
Die gleiche Bewandtnis hatte es mit dem Befehl an die beiden solothurnischen
Abgesandten an die Badener Tagsatzung, von denen, der eine
wieder Urs Gugger war: sie sollen «mit ihrem weisen Verstand jederweilen
uff die Güte schreien, damit, die Waffen zu gebrauchen, hinterhalten
werde». Das hat auch diese beiden nicht daran gehindert, für
das hetzerische und verleumderische «Gemeine Mandat» und für das
provokatorische Rüstungswerk des «Defensionals» zu stimmen.

Nicht viel anders verhält es sich mit der vom guten, alten Dekan
Vock vielgerühmten Frömmigkeit der damaligen Solothurner Regierung.
Denn wenn diese auch durch Ratsbeschluss vom 14. März «das
vierzigstündige Gebet» anordnete, «Gott um Abwendung der Strafe anzurufen»,
so riecht dies doch sehr nach einer Frömmigkeit pro domo,
zur Erhaltung der privilegierten Junkerherrschaft, nicht anders als die
Bussgebete der Herren zu Luzern. Der damalige solothurnische Staatsschreiber
Franz Hafner ist denn auch in seiner endlosen und geschwätzigen


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 223 - arpa Themen Projekte
Herrenchronik «Solothurnischer Schawplatz etc» einer
der überzeugtesten Advokaten des Gottesgnadentums der damaligen
Regenten, wenn er dabei auch von «Güte» und «Frömmigkeit» übertrieft.
Dieser Staatsschreiber ist der typische Kleinbürger im Herrenstand,
trunken emporblickend zu allein «Höheren»; darum ist er auch
der wirksamste Verbreiter der abergläubischen Mär von der «grossen
Finsternis der Sonne im martialischen Widder» und dem «gräulichen
Kometen mit dem gestutzen Bart» als «Ursächer» des Bauernkriegs
gewesen. Durch dieses Abschieben auf den Himmel nämlich war die
Schuld am Bauernkrieg am unauffälligsten und am wirkungsvollsten
von den Herren abgewälzt. Man sollte es kaum glauben, aber es ist
historische Tatsache, dass dieser «wackere Staatsschreiber» unter den
«Gebildeten» der ganzen Schweiz damals als besondere «Leuchte der
Bildung» galt, ein Mann, der von den beiden genannten Himmelserscheinungen
mit «wissenschaftlichem» Ernste schrieb: «Die Wirkung
beider erstbedeutender Zeichen hat sich unlang hernach mit der Bauten
Aufstand in der Eydtgenossenschaft herfür getan»!

Immerhin ist es anerkennenswert konsequent seitens einer von
dieser Ueberzeugung geleiteten Regierung, dass sie alsdann auch die
Bauern für weniger schuldig hielt und diese nach Möglichkeit danach
behandelte. Diese um eine Nuance sanftere Tonart des Solothurner Regiments
im Verkehr mit seinem Volk hat genügt, um die Solothurner
Regierung bei den draufgängerischeren Junkern von Zürich, Basel und
namentlich von Bern sogar in den Verdacht zu bringen, im geheimen
Einverständnis mit den Bauern zu stehen, sodass sich Urs Gugger vor
der Tagsatzung gegen diesen Verdacht ausdrücklich verwahren musste.
Aber es war ein wirklich gänzlich unbegründeter Verdacht.

Das zeigte sich schon in der Art, wie sich die Solothurner Herren
schützend vor Zwyer und seine «Ehrengesandtschaft» stellten. Zwei
Luzerner Bauern wurden in Olten nur deshalb ins Gefängnis geworfen,
weil sie leugneten, «dass den Eidgenössischen Ehrengesandten zu Russwil
irgend eine Schmach begegnet sei». Sie wurden zwar bald wieder
entlassen, aber —auf Ratsbeschluss vom 21. März — «mit der Anzeige,
dass wenn man ihnen deswegen den Kopf zwischen die Beine gelegt
hätte, ihnen der verdiente Lohn gegeben worden wäre»!

Die Solothurner Regierung war auch keineswegs faul im Unterdrücken
von Volksbewegungen und von allein Anfang an lieh sie ihre
Truppen zu diesem Zweck bereitwillig auch den Landvögten der angrenzenden
bernischen Aemter aus. Unter dem Vorwand des Schutzes
gegen bernische und luzernische Aufwiegler liess sie am 23. März plötzlich
die eigene Stadt Olten besetzen, und zwar durch die Truppen des
eigens dazu aufgestellten Kriegskommandanten Hauptmann Daniel Gibeli.
Das erregte einen heftigen Aufruhr der Oltener Bürger, die gar
nicht vor den Luzerner und Berner Bauern geschützt sein wollten, da
sie ja vielmehr mit diesen bereits heimlich verhandelten, um ihre eigene
Freiheit gegen die Solothurner Junker zu verteidigen. Als nun noch


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 224 - arpa Themen Projekte

Johann Rudolf Wettstein

Bürgermeister von Basel,

"Vermittler" im Thuner Handel (1641), eidgenössischer "Friedensgesandter"
auf dem westphälischen Friedenskongress (1846-48),
absolutistischer Scharfmacher im Bauernkrieg.

Nach einem späteren Originalstich von J. J. Hald in der Graphischen
Sammlung der Zentralbibliothek in Zürich (nach einem
Gemälde von F. Schellenberg).



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Abbildung 14


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zwei Herrendiener aus dem bernischen Aarburg herüberkamen —Hans
Jakob Suter, der Falkenwirt zu Aarburg, sowie der Hauptmann Jakob
Anton Weyermann, Bürger von Bern —, um von Gibeli Hilfstruppen
zur Unterdrückung der aufrührerischen Bürgerschaft von Aarburg auszuleihen,
da eilten die Oltener Bürger unter Führung des Mondwirtes
Hans Jakob von Arx und des aus dem Entlebuch stammenden Oltener
Hammerschmieds Balthasar Marbacher zu den Waffen, fingen und
banden die beiden Berner Herrendiener und lieferten sie gefesselt den
Aarburgern aus. Dies geschah derart spontan und mit solcher Uebermacht,
dass Gibeli und seine Truppen dem Geschehen völlig machtlos
gegenüberstanden und unverrichteter Dinge abziehen mussten. Dies
auch deshalb, weil die Truppen Gibelis Solothurner Bürger waren, die
zum Teil mit den Oltener Bürgern sympathisierten und deshalb den
Befehlen des Kommandanten passiven Widerstand leisteten.

Dieses Verhalten der Stadtbürger-Truppen von Solothurn —welches
Verhalten beweist, dass es in dieser Stadt eine progressive Bürgerklasse
gab, die sich mit der Herrenklasse nicht identifizierte —wiederholte
sich innert weniger Tage noch zweimal und steigerte sich bis zur
offenen Meuterei. Vock berichtet: «Als am 28. März eine Abteilung derselben
von 50 Mann, Stadtbürgern von Solothurn, auf Verlangen der
Bernischen Behörden, unter Hauptmann Wilhelm Grimm nach Aarburg
zu Hilfe ziehen sollte, versagten die Truppen den Gehorsam, lösten
sich auf und eilten nach Hause. Das Nämliche taten 50 Soldaten aus
der Stadt Solothurn, welche unter Hauptmann Urs von Arx als Hilfstruppen
ins Schloss Aarwangen geschickt wurden. Dort eingetroffen,
haben sie sich gegen ihren Hauptmann und den Landvogt Willading
in Worten und in Taten so benommen, dass dieser froh war, sie wieder
entlassen zu können.» Dass eine Regierung, die nur über solche Truppen
verfügte, auch gegen ihre Neigung schliesslich lernte, Samthandschuhe
anzulegen, um mit dem Volke zu verhandeln, ist mehr als begreiflich
und braucht nicht von einem besonderen «Edelmut» abgeleitet
zu werden, wie der Solothurner Stiftsdekan Vock unentwegt bemüht ist.

Zu derselben Zeit, als die beiden eben angeführten kleinen Meutereien
sich ereigneten, war das gesamte Solothurner Volk —gleichzeitig
mit dem der benachbarten Gebiete des ganzen Ober- und Unteraargaus
und der Basler Landschaft —in höchste Aufregung versetzt worden
durch die Angst vor dem Einmarsch fremder Truppen. Und zwar war
es jener fatale Marsch der Basler Herrentruppen über den Jura nach
Aarau, der am 28. März zur Besetzung dieser Stadt führte, was die gesamte
Bevölkerung des Mittellandes, die solothurnische inbegriffen,
in stürmische Bewegung und zum Teil sogar zur bewaffneten Empörung
brachte. Daran beteiligte sich nicht nur ein wahres Meer
von Bauern, sondern, von diesem getragen und mit fortgerissen, auch
die ganze Stadtbevölkerung der zahlreichen kleineren Städte dieser
Gegend, ohne Rücksicht auf die Kantonsgrenzen. So eilten beispielsweise
die bernischen Aarburger Bürger am 29. den solothurnischen


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 226 - arpa Themen Projekte
Oltener Bürgern, die Protestanten den Katholiken, bewaffnet zuhülfe
und vereinigten sich mit ihnen auf den Strassen und Plätzen Oltens
in Szenen von wahrhaft frenetischer Verbrüderung. Dabei ist bemerkenswert,
dass, wie im Luzernischen, die katholische Geistlichkeit zum
Teil leidenschaftlich für die Sache der Bauern und des Volkes überhaupt
Partei ergriff. So beispielsweise der Stadtpfarrer von Olten,
Balthasar Junker, ein Solothurner Stadtbürger, gegen den deshalb die
Solothurner Herren, die wirklichen Junker, später beim Bischof von
Basel (der in Pruntrut residierte) einen Prozess zwecks Absetzung des
mutigen Pfarres anhängig machten. Die Absetzung scheint ihnen aber
nicht geglückt zu sein; denn später, nach 1653, taucht Balthasar Junker
sogar als Stadtpfarrer der Stadt Solothurn selbst wieder auf.

Ueberall also im Kanton Solothurn, bei den städtischen Kleinbürgern
wie bei den Landleuten, «entstand ein Wetteifer» — wie Vock
sagt — «die grosse vaterländische Sache, wie sie meinten, nach Kräften
zu fördern. Der Untervogt von Dulliken, Kaspar Meyer, liess auf Boten
und Briefe der Regierung lauern und behielt dieselben zurück... Der
Untervogt von Däniken versammelte die Gemeinde und befahl, dass
wer mit Bauern es halte, mit dem Finger in einen auf den Tisch gestellten
Teller tupfen solle; wer sich dessen weigerte, dem wurde gedroht,
dass man ihn mit Weib und Kindern aus dem Lande vertreiben,
oder ihm Ohren und Nase abhauen werde... Michael Schwendimann
Kronenwirt in Schönenwerd, verlegte sich nicht minder tätig als der
Untervogt von Dulliken auf das Einfangen oberkeitlicher Boten und
Briefe; wer ihm verdächtig schien oder nicht gehorchen wollte, den
liess er in einen Stall einsperren. Aehnliches ging in andern Gemeinden
vor...» Und es ist in der Tat richtig, was Vock von solchen Vorkommnissen
im Solothurnischen sagt: «in dergleichen kleinen, ungeachtet
ihrer lächerlichen Form ernsten und bedeutsamen Zügen offenbarte
sich die Gesinnung und Gemütsart des Volkes...»

Am 31. März fand in Olten eine bedeutende Versammlung von Ausgeschossenen
rebellischer Gemeinden aus fast allen Solothurner Vogteien
statt —aber auch Ausschüsse aus der Basler Landschaft waren
dabei, wie z. B. Joggi Buser, der Sonnenwirt von Bukten, mit fünf andern
Basler Bauern —, und zwar zu dem Zweck, um eine grosse Landsgemeinde
derselben für die nächstfolgenden Tage nach Oberbuchsiten
einzuberufen, die denn auch bereits am 3. April zustandekam. Zu demselben
Zweck, wie es scheint, hielten auch die drei Jura-Vogteien Dorneck,
Gilgenberg und Thierstein am 1. April in Hochwald eine Landsgemeinde
ab.

Schon am Ersten aber verbreitete sich, gewiss als Folge des Auftretens
einiger revolutionärer Kräfte auf der Oltener Versammlung, das
Gerücht, «dass die Bauern... das Schloss in der Klus überrumpeln
werden, um sich Pulver und Waffen zu verschaffen». Das jagte die
Regierung so in Schrecken, dass sie dem Kommandanten in der Klus
sofort —schon am 1. April —den Befehl gab, «den Bauern etwas Pulver,


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 227 - arpa Themen Projekte
sobald sie es verlangen, gutwillig aus dem Magazin zu verabfolgen,
damit dieselben den bösen Argwohn und das Misstrauen gegen die
Obrigkeit einmal ablegen». Da hat die Angst die Herren demagogisch
sehr klug gemacht. Angst wie Klugheit waren in ihrer militärischen
Schwäche begründet. Hintenherum allerdings haben sie «einen der
Hauptanstifter», welcher «mit den Rebellen zu Reiden (d. h. mit den
aufständischen Luzerner Bauern!) Briefe wechselte», Balthasar Marbacher,
den Hammerschmied von Olten, aber geborenen Entlebucher,
vorsorglich verhaftet «und durch die Klus, über die Schmidenmatte
und auf anderen sicheren Abwegen» nach Solothurn abgeführt. Von
einem Versuch der Rebellen, diesen ihren Führer wieder frei zu bekommen,
oder auch nur von einer Beschwerde über diese Gewalttat,
hören wir nichts, auch nicht auf der nun folgenden Landsgemeinde
zu Oberbuchsiten.

Inzwischen nämlich scheint das doppelzüngige Eingreifen des
Oltener Stadtschreibers, der an der Oltener Versammlung teilgenommen
hatte, den Charakter dieser Landsgemeinde im voraus korrumpiert
und sabotiert zu haben — oder aber die Oltener Versammlung
hat sich von ihm wirklich übertölpeln lassen. Er avisierte nicht
nur schleunigst die Solothurner Regierung von dem Vorhaben, sondern
lud diese, angeblich «im Namen der daselbst (in Olten) versammelten
Landesausgeschossenen», sogar ein, eine Ratsdeputation zu «einer Konferenz
und freundlichen Besprechung» nach Oberbuchsiten zu schicken,
«zu gegenseitiger Ausgleichung der streitigen Artikel». Diese Ratsdeputation,
bestehend aus dem «Gemeinmann» Urs Gugger und dem Ratsherrn
Zur Matten, erhielt von der Regierung am 2. April die Vollmacht,
der «Landsgemeinde» — die nun zu einer «Konferenz» mit der Regierung
gemacht war — «den freien Salzkauf und die unverzögerte Aufhebung
des Trattengeldes » zuzusichern, sowie dazu die Instruktion:
«Ehester Tage soll es geschehen, damit die Unterthanen abnehmen
können, dass auch Ihro Gnaden (die Regierung) Dero Stand und Amt
keineswegs mit Tyrannei zu stabilisieren gesinnt seien.» Das war wiederum
demagogisch sehr schlau und erreichte seinen Zweck vollkommen.

Kurzum: die «Landsgemeinde» zu Oberbuchsiten vom 3. April
wurde zu einer reinen Kapitulanten-Angelegenheit. «Die Landleute waren
mit den Anerbietungen der Regierung vollkommen zufrieden und
sie baten die Ratsabgeordneten um die Erlaubnis, persönlich die neue
Versicherung ihres Gehorsams und ihrer Treue gegen die Regierung
in einer Audienz vor Rat ablegen zu dürfen, wofür ihnen auch die beiden
Ratsdeputierten ihre Verwendung bei der Regierung verhiessen.»
Diese Demütigung fand genau am Tag des Kniefalls der Emmentaler
Bauern vor den Berner Herren, am 4. April, in Solothurn statt. Nach
einem Schreiben des Rats, das dieser noch am selben Tag triumphierend
an sämtliche Landvögte schicken konnte, baten die vor den


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 228 - arpa Themen Projekte
Schranken des versammelten Rates erschienenen «Untervögte und Unteramtleute
der verschiedenen Vogteien» «vorerst die Regierung um Verzeihung
für alles, wodurch das Volk in der grossen Verwirrung die der
Obrigkeit schuldige Pflicht verletzt haben möchte; sie erklärten dabei,
dass die heimliche Sendung der Truppen, des Nachts und auf Abwegen,
nach Aarburg das Landvolk zum Unwillen aufgereizt und im
Misstrauen bestärkt habe, dass die Boten und Briefe der Regierung,
zwar meistens ohne Geheiss und bloss von einzelnen Personen, aber
deswegen aufgefangen und zurückbehalten wurden, weil das Gerücht
umlief, dass fremde Truppen heranrücken und alle Dörfer in Brand
gesteckt werden sollen. Schliesslich versicherten sie die Regierung
neuerdings ihrer treuen Anhänglichkeit und des unverbrüderlichen Gehorsams
für die Zukunft.»

Einen Führer von Format haben weder die Solothurner Bauern
noch die Oltener Bürger hervorgebracht, nicht nur in diesem Anfangsstadium
nicht, sondern überhaupt keinen. Der Schälismüller Adam Zeltner,
Untervogt zu Niederbuchsiten, der gewöhnlich nur deshalb als
solcher angeführt wird, weil schliesslich auch er dem Henkerbeil des
eidgenössischen Blutgerichts in Zofingen verfiel, ist von Anfang an ein
Kapitulant gewesen, und er ist es, trotz späteren Schwankungen, immer
geblieben. Diesen —wie Vock sagt — «ehrlichen, seiner Regierung getreuen
und vom Strome der allgemeinen Verwirrung nur auf Augenblicke
hingerissenen Untervogt» hat die Solothurner Regierung bereits
durch hochoffizielles Schreiben vom 22. März an Zeltners Landvogt
Petermann Sury zu Bechburg folgendermassen belobigt: «In geheimer
Relation... haben Wir mit höchstem Wohlgefallen vernommen, was
Gestalten sich Adam Zeltner, Untervogt auf Schälismühle, dergestalten
verhalten, dass er nicht allein den Brief, so ein Bote von den rebellischen
und aufrührerischen Luzernischen Unterthanen ihm einhändigen wollte,
nicht annehmen wollen, sondern demselben seinen rechten Namen gegeben
und mit stark zugesprochenen Worten hinweg und fortgemahnt,
und er, Untervogt, die Aufrichtigkeit, wie es einem Unteramtmann
recht und wohl ansteht, gegen seine Obrigkeit zu erzeigen, gethan und
verrichtet hat. Desshalb haben Wir Ursache genommen, solches aus
unseren Gedanken nicht auszuschlagen und ihn und die Seinigen inskünftig
im Besten zu bedenken...» «Dieses ihr Versprechen», fügt
Vock hinzu, «erfüllte die Regierung treulich, als Adam Zeltner zu Zofingen
in Todesnot schwebte, und dass sie ihn, aller Fürbitten ungeachtet,
nicht retten konnte, bedauerte sie mit lebhaften Schmerzen...»
Wozu nur bemerkt werden muss, dass doch eben sie es war, die den
ihr als völlig unschuldig, ja als treuer Herrendiener bekannten Adam
Zeltner einzig «um des lieben Friedens mit den Miteidgenossen willen»
dem sturen Blutdurst des Zwyer-Werdmüller-von Erlach'schen Rachegerichts
ans Messer geliefert hat —ob nun mit oder ohne fromme Hafnersche
Herzbeschwerden!...


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 229 - arpa Themen Projekte

Wenn man alles treugläubig für bare Münze nehmen wollte, was
die Solothurner Regierung selbst —und mit ihr alle Herrenchronisten
jener und unserer Zeit —über die Verbrüderung zwischen ihr und den
Solothurner Bauern und Bürgern zu Beginn des Aprils zu salbadern für
gut fand, so wäre für Solothurn der Bauernkrieg hier zuende gewesen.
Aber in Tat und Wahrheit sind an alledem die wirklichen Revolutionäre,
die es auch im Solothurnischen gab, überhaupt nicht beteiligt gewesen.
Diese waren vielmehr gerade in diesen Tagen. der geglückten
Diversion der Herren in Olten und Oberbuchsiten und der schafsfrommen
Kapitulation der Bauern vor dem Rat in Solothurn auf ganz anderen
Wegen zu finden: sie organisierten eben mit den Willisauern
und den Entlebuchern zusammen die definitive Aufnahme der Stadt
Olten in den grossen Bauernbund, und sie liefen bei Tag und bei Nacht
über den Jura in die Basler Landschaft, bauten auf den Pässen und
den Bergrücken des Juras das System der Hochwachten und des Signaldienstes
auf und schufen so die feste revolutionäre Verbindung zwischen
der inneren und der äusseren Schweiz.

3.
Die Basler Landschäftler brennen ihren Führern durch und
galoppieren durchs Joch in die Rebellion!

Am 3. April, am gleichen Tag, als die in Oberbuchsiten zu einer
allgemeinen solothurnischen Landsgemeinde versammelten Bauern
sich so widerstandslos über den Löffel halbieren liessen, bekam der
Rat der Dreizehn — die sogenannten «Herren XIII» —, d. h. die Regierung
von Basel, einen alarmierenden Bericht aus der Basler Landschaft,
der mit einem Schlage aufdeckte, wie weit dort die Sache
der Bauern bereits gediehen war und wie innig sie mit der Bauernbewegung
südlich des Jura zusammenhing. «Alle Dörfer seien mit Bauerngesandten
aus Bern und Solothurn überloffen, und man drohe mit
Häuseranzünden», so hiess es in diesem Bericht eines Herrendieners an
die Herren XIII, der uns enthüllt, wo wir die wirklichen Revolutionäre
der gerade in diesen ersten Apriltagen so tief gedemütigten Berner und
Solothurner Bauern während dieser Zeit zu suchen haben. Sie hatten
die Illusion, sich mit den eigenen Herren innerhalb der Kantonsgrenzen
«verständigen» zu können, bereits im voraus aufgegeben und hatten
sich darum umso eifriger zu wandernden Verkündern und fieberhaften
Baumeistern des zu errichtenden Bundes gemacht, der über alle Kantonsgrenzen
hinausgreifen sollte.

Dass aber die Berner und Solothurner revolutionären Bauern und
Bürger —denn es taten sich dabei besonders auch Oltener Bürger hervor


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 230 - arpa Themen Projekte
—gerade jetzt, zu Beginn des Monats April, einen solchen Eifer
entfalteten, um die Basler Bauern und Bürger (nämlich die Stadtbürger
von Liestal) zum Aufstand gegen die Basler Herren und zum Anschluss
an den allgemeinen Bauernbund anzufeuern: das hatte einen
ganz besonderen konkreten und überkantonalen Grund. Dieser Grund
bestand in der Tatsache, dass gerade die Basler Regierung es war, die
in der Ausführung der bauernfeindlichen Tagsatzungsbeschlüsse, des
«Defensionals», mit dem grotesken Ausmarsch ihrer Truppen nach
Aarau in den Tagen vom 26.-29. März, den Vogel abschoss. Die erste
Aktion der Basler Regierung im Bauernkrieg war sofort eine überlokale,
eine eidgenössische. Das erklärt die provokatorische Wirkung derselben
auf die Bauernschaft der andern Kantone und deren expansive
Rückwirkung auf die Bauernschaft des Basellandes.

Doch sehen wir uns im Baselbiet zunächst ein wenig um. Hier war
bis zur Badener Tagsatzung alles ruhig geblieben. Zwar machten die Berner
Herren die Basler Herren bereits durch ein Schreiben vom 27. Februar,
also vom Tag nach der Beschwörung des Wolhuserbundes, mobil.
Auch ihnen schrieben sie, wie den Zürcher Herren: «es könnte leicht
im gemeinsamen lieben Vaterlande ein böses Feuer angezündet werden,
daher Basel ein getreues Aufsehen auf den ihm nächst angränzenden
Stand Bern haben, auch ihm melden möchte, in was Anzahl Volkes
(Kriegsvolkes) es sich von ihm versichert halten könnte». Aber die
Basler Herren wichen in ihrer Antwort vom 1. März vorsichtig jeder
Festlegung einer bestimmten Zuzugsverpflichtung aus, «weil man
nicht wisse, wo das Wetter sich hinziehen werde». Man hatte also
noch keinen konkreten Begriff von der Gefahr; sie brannte ihnen
nicht auf dem eigenen Leibe. Zwar beschloss man die vorsorgliche
Ergänzung der «auf der Landschaft zum ersten Auszuge ausgelegten
Musketiere»; und, was für die Rolle der protestantischen Geistlichkeit
in Basel im selben Sinne charakteristisch ist wie in Bern: man
beschloss, «mit Herrn Antistite (d. h. mit dem Oberhaupt der Basler
Kirche) zu reden, den Herren Decanis (d. h. den Oberprädikanten) auf
der Landschaft zu schreiben, die Unterthanen zum Gehorsam zu ermahnen».
Und am 15. wurde, gleichzeitig mit der Delegierung der Gesandten
für die Badener Tagsatzung, vorsorglich beschlossen, «folgenden
Tags die Bürgerschaft auf allen Zünften aufzufordern, sich mit
Wehr gefasst zu halten; den Obervögten wurde befohlen, Achtung zu
geben auf verdächtige Personen, welche anheizen, wie auch auf die,
so sich movieren wollten». Aber alle diese Anordnungen beruhten auf
keinerlei irgend feststellbarer Bewegung unter den Basler Bauern; es
waren blosse Reflexe der Solidarität mit dem Herrenregiment in den
anderen Kantonen. Und die Basler Herren fühlten sich ihren eigenen
Untertanen gegenüber noch während der Tagsatzung im März so
sicher, dass ihre dortigen Gesandten, der grossmächtige Bürgermeister
Johann Rudolf Wettstein und der Zeugherr Johann Heinrich Falkner,
in ihren Berichten an die «Herren XIII» in Basel von den Unruhen im


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 231 - arpa Themen Projekte
«Oberland» (d. h. jenseits des Jura) wie von Ereignissen bei fernen,
fremden Völkern reden, ungefähr so wie der «Andere Bürger» im
Osterspaziergang des «Faust»

«... von Krieg und Kriegsgeschrei,
Wenn hinten weit, in der Türkei,
Die Völker aufeinanderschlagen.»

\Vorauf ihm der «Dritte Bürger» antwortet:

«Herr Nachbar, ja! so lass ich's auch geschehn:
Sie mögen sich die Köpfe spalten,
Mag alles durcheinandergehn;
Doch nur zu Hause bleib's beim Alten.»


Das hinderte allerdings keineswegs, dass die beiden Basler Tagsatzungsgesandten
schon aus Prinzip in dasselbe Horn der Ehrabschneidung
und der Gewaltanwendung gegenüber den Bauern stiessen
wie Waser, Werdmüller, Zwyer, von Graffenried und alle übrigen Bauernfresser
des Badener Herrenbundes. Besonders Wettstein war dies
schon seiner Vergangenheit schuldig, als ehemaliger «Ehrengesandter»
im «Thuner Handel» von 1641, wo er, der damalige Basler Oberstzunftmeister,
mit Salomon Hirzel zusammen führend dazu beitrug, die
Oberländer und Emmentaler Bauern vor den Berner Junkern auf die
Kniee zu werfen. Aber überhaupt strahlte dieser Herr Wettstein im
Glorienschein europäischen Ruhmes als der Repräsentant des neuen,
absolutistischen Herrenregimes der Eidgenossenschaft: er hatte den
Westfälischen Frieden anno 1648 für die Schweiz unterschrieben und
hatte von dort die «Souveränität» der «Eidgenossenschaft», d. h. des
damaligen Badener Herrenbundes, heimgebracht. Denn diese «Souveränität»
deuteten die regierenden Herren hierzulande —nach dem
Muster des französischen Königtums —sofort einmütig als die absolute
Unabhängigkeit ihrer Regierung noch innen, dem eigenen Volk gegenüber,
als Heiligsprechung ihrer Privilegien durch das Gottesgnadentum,
und als «rechtliche» Grundlage dafür, nicht nur jedes Mitspracherecht
des Volkes auszuschalten (das war längst geschehen), sondern auch
jedes Verlangen danach als «Hochverrat» und «Rebellion» zu brandmarken
und als solche mit dem Tode zu bestrafen!...

Man kann sich leicht denken, welch ein kostbarer Zuzug dieser
Herr Wettstein für die Herrensache im Bauernkrieg bedeutete. Wettstein
war in diesem Jahr ein Neunundfünfziger und stand auf dem
Gipfel seiner Macht und seines Ruhmes. Das hatte sich der jüngste
Sohn von fünfen des aus Russikon im Zürcher Oberland nach Basel
zugewanderten Spitalmeisters Jakob Wettstein ehemals gewiss nicht
träumen lassen, dass er sich einmal derart in Ruhm, Glanz, Macht und
Reichtum werde baden können. Aber er hatte das Glück — oder die
kluge Berechnung —, schon mit 17 Jahren eine geborene Falkner als
Frau zu erwischen, die, wenn sie auch um viele Jahre älter war als er,


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 232 - arpa Themen Projekte
doch den immensen Vorteil hatte, einer regierungsfähigen Basler Familie
anzugehören. Ein Schwager von derselben Qualität, ein Emanuel
Socin, war es denn auch, der ihn als «Locotenent» nach Bergamo und
Venedig anwarb. Schon hoffte er, seine Karriere als Kaufmann ganz in
der Fremde zu machen und wollte sich von seiner Frau scheiden lassen
und sie samt Kindern für immer verlassen. Da beschwor ihn seine 73jährige
Mutter brieflich zur Heimkehr. In Basel war und blieb er dann der
Mann der Anna Marie Falkner und hatte anno 1635 neun Kinder von
ihr. Zuerst, anno 1617, machte er in der Vorstadt St. Elisabethen eine
«Schreibstube» auf, d. h. eine Advokatur. Aber die Rebleutenzunft
machte ihn, dank der hohen Verwandtschaften seiner Frau, bald zum
Ratsherrn. Als solcher stürzte er sich besonders in das Münz- und
Finanzwesen der Stadt und hatte darin grosse Erfolge; er wird z. B.
als Münzsachverständiger auf eine eidgenössische Münzkonferenz in
Zürich geschickt. 1624 wird er Landvogt im Amte Farnsburg, und das
war das reichste und ergiebigste aller Basler Aemter, das «kommlichste»,
um rasch reich zu werden: es zählte 28 Gemeinden, während
Waldenburg nur 17, Homburg 7, Münchenstein 6 zählte, Ramstein gar
eine einzige Gemeinde, nämlich Bretzwil (das dafür den geistigen Führer
der ganzen Basler Bauernbewegung,. Isaak Bowe, hervorbrachte).
1626 wird Wettstein Obervogt in Riehen bei Basel, und als solcher bezieht
er den vornehmen Falkensteiner Hof in Basel. Jetzt ist Wettstein,
der typische Repräsentant des Basler Handelskapitals, als Emporkömmling
endgültig in die Hochburg der Privilegierten eingedrungen.
1635 wird er Oberstzunftmeister, eine Handel und Gewerbe fast monarchisch
beherrschende Stellung, um 1645 endlich den Gipfel der lokalen
Macht, den Bürgermeisterstuhl, zu erklimmen.

Aber «auch die Wertschätzung der Eidgenossen wurde», wie ein
Biograph bemerkt, «immer grösser, als es ihm 1641 gelang, die Berner
Bauern, die es in Thun zum offenen Aufruhr hatten kommen lassen,
zum fussfälligen Widerruf in der Kirche und zum Gehorsam gegenüber
der Stadt zu bringen». Wir wissen, welche «Eidgenossen» damit allein
gemeint sein können! Diese sandten Wettstein denn auch 1646 als
«Friedensgesandten» nach Westfalen, wo er zwei Jahre hindurch
Ausserordentliches leistete und nebenbei das Leben und den Luxus der
«grossen Welt» Europas studieren und kopieren lernen konnte. Vierzigmal
ist Wettstein Gesandter auf eidgenössischen evangelischen Konferenzen
gewesen denn er war ein höchst kirchlich religiöser
Mann —, einhundertzwölfmal Gesandter auf Tagsatzungen!

Zu der Zeit, wo wir ihm nun begegnen, ist Wettstein auf das
innigste mit dem um fünf Jahre älteren Urner Oberst und kaiserlichen
Generalfeldmarschall Sebastian Bilgerim Zwyer von Evibach befreundet,
der katholischen Hauptstütze des gemeinsamen eidgenössischen
Herrenregiments, wie Wettstein dessen hauptsächlichste protestantische
Stütze neben dem Zürcher Bürgermeister Johann Rudolf Waser
war. Zwyer war, nach seinem geradezu fürstlichen Abenteuerleben im


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 233 - arpa Themen Projekte
Dienste des Kaisers und der Erzherzogin Claudia, im selben Jahr 1645
Statthalter von Uri geworden, in dem Wettstein zum Bürgermeister
von Basel erhoben worden war. Und von da an war er unbestritten der
erste Agent des Kaisers in der Schweiz, der grosse Dublonenverteiler
für alle Pensionenempfänger der kaiserlich-habsburgisch-spanischen
Partei in der «Eidgenossenschaft».

Die zwei aktiven Pole der gesamten ökonomischen Existenz der
damaligen Herrenklasse der Schweiz hatten sich in Zwyer und Wettstein
—unbeschadet ihrer verschiedenen Konfession —gefunden: das
geschichtlich ältere und darum seinem Ursprung nach katholisch-feudale
Söldnerkapitel (das inzwischen allerdings längst «überkonfessionell»
geworden war!) und das geschichtlich neuere und darum vorwiegend
protestantisch-absolutistische Handelskapital. Zwischen diesen
beiden Mächtepolen der Zeit musste die letzte, wenn auch noch
so stark aufflammende Selbständigkeitsbewegung des eigentlichen
Schweizervolkes, ob Bauer oder Bürger, unweigerlich zermalmt werden.
Denn unser Volk war damals längst zum blossen ökonomischen
Objekt dieser beiden Mächte geworden, ohne deren «Gnade» es zu
existieren aufhören musste...

Doch kehren wir zu der Basler Geschichte zurück. Es ist eine
winzige und jetzt vorläufig noch eher possierliche als gefährliche Geschichte.
Sie wird ihre Krallen aber später schon zeigen.

Lief da im Baselland während der Tagsatzung im März geschäftig
ein alter, gesträubter Landsknecht umher und warb gegen Wartegeld
eifrig Soldaten für die Herren in Basel. Hans Jakob Zörnlin hiess er,
und wie ihm das Geschick des Zufalls einen diminutiven Namen gab.
so war er nur eine winzige Taschenausgabe des Söldnertyps à la Zwyer.
Hier aber im Dienste des Handelskapitals, d. h. Wettsteins und seiner
Konsorten. Zwar war er Oberst, Meister der Schlüsselzunft, ja sogar
Basler Ratsmitglied — aber nur weil man ihn so besser brauchen
konnte. Auch er war in fremden Diensten gewesen: schon 1616 Hauptmann
im venetianischen Dienst (also nun schon ein graues Haupt).
1623 Stadthauptmann von St. Gallen. 1630 aber Kommandant seiner
Heimatstadt Basel. Er wurde später sogar einmal, bei Errichtung des
eidgenössischen «Defensionals» von 1647, Kommandant der eidgenössischen
Artillerie. Inzwischen war er allerdings Landvogt vom Homburg
und Waldenburg gewesen —und das war hier genau so wie in Bern
und in Luzern das Mittel, durch Bauernschinderei rasch reich zu
werden.

Denn die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse im Baselland
waren nur lokal verschieden von den andern Bauerngegenden der
Schweiz. Generell herrschte dort genau dieselbe Aussaugung der Bauern
bis aufs Blut wie nur irgendwo in dieser Herren-«Eidgenossenschaft».
Zwar lag dies nach der Meinung des konservativen Basler Herrenchronisten
aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts. Andreas Heuslers,
des Geschichtschreibers des Basler Anteils am Bauernkrieg. «in


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 234 - arpa Themen Projekte
der Weise der Zeit», oder in der «Zeitrichtung»; aber er fährt immerhin
fort: «namentlich gehört dahin die Anweisung der Oberbeamten
auf einen Teil der von ihnen ausgesprochenen Bussen» (was wahrlich
sehr milde ausgedrückt ist!), «was umso leichter zu schweren Missbräuchen
führte, als die Kontrolle über die Beamten eine höchst mangelhafte
war». Heusler gibt dann ein anerkennenswert gewissenhaftes,
rein formal finanzgeschichtlich (ohne jede soziale Note) bis in alle
Einzelheiten ausgeführtes Bild von den Bereicherungsmöglichkeiten
der damaligen Basler Vögte und sagt zusammenfassend: «Die Rechnungen
der Obervögte beschlagen lange nicht die gesamte Einnahme aus
ihren Bezirken.» Und dies zwar hauptsächlich deshalb, «weil manche
Leistung den Beamten direkt zukam und daher sowenig als die Dienste,
wozu die Leute verpflichtet waren, in den Rechnungen erscheint».
<Mit diesen Geldrechnungen verbunden sind dann die Fruchtrechnungen,
namentlich von Zehntgefällen, welche jedoch keineswegs als Hoheitssache
betrachtet wurden, sondern als Gegenstand des Privateigentums...»
«Die in diesen Rechnungen vorkommenden Einnahmen» (gemeint
sind die, welche die Vögte nur zum Teil für die Obrigkeit verrechneten,
zum andern Teil aber als «Privateigentum» einfach einstecken
durften! So ausser den endlosen Bussen z. B. nicht weniger als
48 Sorten verschiedener, noch aus dem Mittelalter stammender Leibeigenschafts-Abgaben,
die noch bis zum Zusammenbruch von 1798 zur
Plünderung des Volkes und zur Anhäufung der Herrenvermögen dienten!)
—diese Einnahmen also «waren jedoch nur der geringere Teil
dessen, was die Obrigkeit aus der Landschaft bezog. In denselben erscheinen
weder das Weinumgeld, noch das Metzgerumgeld, noch der
Salzertrag, noch die Soldatengelder...» Diese letztgenannten Steuern gehörten
alle von rechtswegen ungeschmälert der Regierung. Wie sich
aber auch bei diesen Abgaben die Landvögte einzuschalten wussten,
um den Ausbeutungsgewinn am Volke für sich selbst abzuzapfen, dafür
möge uns ein einziges Beispiel, das Salz, den Beweis liefern.

Der Salzverkauf war auch in Basel, wie in Bern und Luzern, Regierungsmonopol.
Wie dort konnten auch in Basel die Herren den Salzpreis
beliebig festsetzen, und sie schraubten ihn umso höher hinauf,
je grösser die Löcher in der Staatskasse waren. Ausserdem verkauften
sie das Salz den Bauern teurer als den Stadtbürgern. Die Salzfrage
spielte aber im Baselland unter den realen Ursachen zum Bauernkrieg
eine weit grössere Rolle als in Bern oder Luzern. Und dies zwar aus
folgenden Gründen. Wo es Monopole gibt, da blühen der Schmuggel
und der Schleichhandel, die natürlich den Gewinn am Monopol herabsetzen.
Gegen den Salzschmuggel und den Schleichhandel in Salz nun
hatten die Basler Herren gerade im Jahr vor dem Krieg, anno 1652,
eine Generaloffensive eröffnet, die ihrerseits zu einer ergiebigen Geldquelle
wurde: es wurden unerhört strenge «Salzbussen» verordnet,
Geldstrafen für jede Umgehung des «obrigkeitlichen Salzkastens», d. h.
für Salzkäufe bei Schmugglern und Schleichhändlern. Diese Bussen


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 235 - arpa Themen Projekte
hatten die Vögte auszusprechen und einzutreiben. Die Hälfte aller
Bussbeträge gehörte ihnen «legal», d. h. wurde ihnen von der Regierung
überlassen. Das wurde für alle Landvögte der Ansporn zu einem
wahren Beutezug und schien auch für die Regierung die beste Garantie,
aus den Salzbussen ein gutes Geschäft herauszuholen. Aber die Habgier
der Landvögte war noch weit grösser, als die Regierung sie eingeschätzt
hatte. Sie verrechneten zwar derselben eine gewisse Anzahl
Bussen, von denen sie die Hälfte «legal» einstecken durften; die weitaus
grössere Zahl der Bussen aber unterschlugen sie der Regierung
gänzlich und steckten deren vollen Betrag ein! Die so erschwindelten
Beträge erreichten je nach den verschiedenen Fällen das zehn- bis
fünfzigfache und noch weit mehr der der Regierung verrechneten Beträge.
Heusler gibt Zahlen darüber. So verrechnete der Vogt von Homburg
im Jahr 1652 nur 88 Pfund für Salzbussen, von denen er also
44 Pfund einstecken durfte. Bei den Beschwerden der Bauern vor einer
Ratsdeputation während des Bauernkriegs kam der Schwindel heraus:
die Bauern rechneten, dem Landvogt ins Gesicht, vor, dass dessen Salzbussen
sich pro 1652 «auf vieltausend Pfund» beliefen! Der Vogt von
Farnsburg verrechnete 1020, der von Waldenburg 596 Pfund; wieviel
sie erschwindelten, ist nicht bekannt geworden. Der Vogt von Ramstein
verrechnete überhaupt keine Salzbussen; dabei aber wiesen die
Bauern von Bretzwil in einer schriftlichen Supplikation an die Regierung
nach, dass dieser Vogt allein «in 14 Tagen von 30 Haushaltungen
über 300 Pfund Salzbussen eingetrieben» habe! Welches Gift diese
und hundert ähnliche Praktiken im Basler Volk verbreitet haben, geht
daraus hervor, dass selbst Beamte dadurch in die Revolution getrieben
wurden: so wurden beispielsweise Galli Jenny, der Meyer von Langenbruck,
und Jakob Senn, Untervogt von Sissach, im Herbst 1652 um je
25 Pfund Salzbusse gebüsst — «beide gehören im folgenden Jahre zu
den Führern des Aufstands». Gally Jenny gehört dann zu den sieben
hingerichteten Führern des Basler Bauernkriegs...

Das genügt uns, um wenigstens zu ahnen, was so ein Vogt wie
Zörnlin, oder gar ein Wettstein in seinen Landvogtjahren verdiente —
und bei was für einem elend bedrückten und ausgesogenen Volk dieser
Zörnlin nun Schergen für die Herren warb. Die bittere Armut musste
viele Hände förmlich nach dem Hand- oder Wartegeld zucken machen,
das ihnen da angeboten wurde, obwohl es nur ein Pfund war.

Dabei war die Basellandschäftler Bauernschaft die bestbewaffnete
der ganzen Schweiz, ja vielleicht ganz Europas! Das geht aus den weiteren
Ausführungen Heuslers hervor und ist wohl zum Hauptteil auf
die dauernde direkte Kriegsgefahr an der unmittelbaren Grenze Deutschlands
während des ganzen Dreissigjährigen Kriegs zurückzuführen.
Viele Grenzverletzungen, Ueberfälle und Durchzüge fremder Soldateska
fanden in der Tat statt. Dies zwang die Obrigkeit zur Bewaffnung —
und zu einer ständig besseren Bewaffnung —der einfachen Stadtbürger
sowohl wie der Landleute. Das war ein sehr zweischneidiges


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 236 - arpa Themen Projekte
Schwert. Denn «häufig mussten im Dreissigjährigen Kriege die Ermahnungen
gegen Teilnahme an demselben, aber auch gegen schändliches
Beutemachen, Berauben und Aussaugen des benachbarten Landmanns,
wodurch der Stadt grosser Unwille zugezogen wurde, für Bürger
und Untertanen wiederholt werden»! Die Uebungen auf den Schiessplätzen
wurden trotzdem von der Regierung begünstigt, Munition und
Schützengaben verabreicht, Offiziere zum Exerzieren der Mannschaft
auf die Landschaft abgeordnet. Schon seit 1619, ein Jahr nach Ausbruch
des Dreissigjährigen Krieges, wurden jährliche Musterungen abgehalten.
«Die waffenfähige Mannschaft bestand aus zwei Abteilungen,
600 Mann (der sogenannte Ausschuss) sollten in steter Bereitschaft
sein, um auf erste Aufforderung, so Tags wie Nachts, sich zu stellen,
die übrigen sollten sich auf den Notfall gefasst machen.» Die Zahl 600
für die ständig auf Pikett gestellte Mannschaft scheint gering; aber das
Bild ändert sich sofort, wenn man mit Heusler annimmt, «jene 600,
die sich auf den ersten Ruf zu stellen hatten, wären sämtlich mit Musketen
bewaffnet gewesen». So lieferte beispielsweise das Städtchen
Liestal für sich allein 98 Mann mit Musketen, 58 in Rüstungen mit
Spiessen und 80 weitere für den Notfall. Und als der Bauernaufstand
niedergeschlagen war und der schwere Schlag der dauernden Entwaffnung
das Basler Landvolk traf, da kamen beispielsweise aus der einzigen
Gemeinde Ormalingen 50 Musketen und 4 andere Feuerrohre ans
Licht, das eine Amt Waldenburg «lieferte auf erste Anforderung 400
Gewehre, darunter 350 Geschosse, und versprach die übrigen, die zum
Teil in Wäldern versteckt seien, nachzuliefern»! Die einzige Gemeinde
Bretzwil, die «bei 30 Bauern und Tanner» (Taglöhner) zählte, «lieferte
34 Gewehre ab, also etwas mehr als Haushaltungen im Dorfe waren».

«Bemerkenswert ist dabei wohl», sagt darum Heusler mit Recht,
«dass zu einer Zeit, wo der Gebrauch des Feuergewehrs noch keineswegs
der ausschliessliche war, das Landvolk des Kantons Basel. . . gewiss
wie kein anderes Volk mit Feuerwaffen versehen war»; gewiss
wie auch nicht die übrige Schweiz, was ein Vergleich mit der Bewaffnung
der Entlebucher oder der Emmentaler beweist, die eine noch viel
mittelalterlichere geblieben war. Dennoch mag auch das Schweizervolk
als Ganzes bezüglich der Volksbewaffnung durchschnittlich weit besser
gestellt gewesen sein als alle umliegenden Völker — bis das Schweizervolk
durch die allgemeine Zwangsentwaffnung nach dem Bauernkrieg
endlich auf den jammervollen Stand der Wehrlosigkeit etwa des
deutschen Volkes zurückgeworfen wurde und so im Ganzen bis 1798
aller Mittel beraubt blieb, sich je wieder das Recht holen zu können,
das ihm die Herren geraubt hatten.

Heusler zieht Vergleiche mit andern Völkern. «Wie es» — zum
Beispiel — «mit der Wehrhaftigkeit des deutschen Landvolkes im
dreissigjährigen Kriege aussah, erhellt wohl zur Genüge aus den schauerlichen
Misshandlungen, die es sich von mansfeldischen, wallensteinischen
und schwedischen Freibeutern gefallen lassen musste.» Ein anderes


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 237 - arpa Themen Projekte
Beispiel: wie stand es mit der Wehrhaftigkeit des in vielen
andern Dingen doch so vorgerückten englischen Volkes? Heusler
zitiert den grossen englischen Historiker Macaulay, der noch über
eine Zeit von mehr als 30 Jahren nach dem Schweizer Bauernkrieg,
über Ereignisse des Jahres 1685, erzählt, dass «der Herzog von
Monmouth das von allen Seiten ihm zuströmende Landvolk wegen
Mangels an Waffen zurückschicken musste, und dass er selbst nach
Einnahme mehrerer Städte und mit Verwendung aller Sensen, die sich
aufbringen liessen, nicht imstande war, über 6000 Mann zu bewaffnen».

Das also war das ganz Besondere bei den Basler Bauern: ihr aussergewöhnlich
hoher Waffenstand und ihre, als Volksmiliz betrachtet,
ungewöhnliche Schulung und Organisiertheit. Das wussten auch die
Bauern der inneren Schweiz, die von Solothurn, Bern und Luzern.
Gerade solcher Bewaffnung hätten sie so bitter bedurft! Aber vorläufig
waren noch die Basler Herren am Zuge: sie schickten, begleitet vom
Hauptmann Andreas Burckhardt, den Obersten Zörnlin auf die Landschaft,
der die Aufgabe vom Dreissigjährigen Krieg her gewohnt war,
und wollten die Waffenkraft ihres Volkes vorsorglich und unmerklich
aufziehn, um sie den anderen Herrenregierungen der Schweiz gegen
ihre inneren Feinde zur Verfügung stellen. Eben damit aber zogen sie
sich unversehens den inneren Feind auf den eigenen Hals —den sie in
ihrem blinden Eifer für ihre Klassengenossen in Solothurn, Bern, Luzern
und auch in Zürich beinahe übersehen hätten! Und das ging folgendermassen
zu.

Vorerst, und das war für den forschen Zörnlin schon eine ziemlich
«gottlose» Sache, ging es mit den Werbungen auf der Landschaft trotz
des «guten» Wartegeldes nur sehr harzend vom Fleck. Ganze 108 Mann,
davon 87 aus dem Amte Liestal, brachte er vom 17. bis zum 21. März
auf die Beine. Sodann musste Zörnlin bereits am 19. den Herren XIII
ganz «Gottloses» berichten: «die Bauersame habe sich grösstenteils erklärt,
keine Soldatengelder, weder die alten, noch künftig verfallende
mehr zu bezahlen»! Das war also die erste feststellbare Rebellion im
Baselbiet: ein Steuerstreik, und er betraf die in der gegebenen Lage
politisch empfindlichste Steuerhoheit, die Militärsteuer. Darauf beschloss
der Rat, «die Herren Deputierten (Zörnlin und Burckhardt) sollen mit
den Werbungen bis auf 250 Mann fortfahren und wegen der Soldatengelder
nichts rügen, sondern schweigen bis auf eine kommlichere Zeit,
inzwischen aber in der Stille erkundigen, wer die Rädlinsführer
seien . . .» Auch sollte heimlich Munition auf die Schlösser geschafft
werden.

Wo und wie ist diese erste Rebellion entstanden? Der zweifellose
Herd liegt im Amte Waldenburg, das dem Solothurnischen am nächsten
anliegt, und zwar in Oberdorf, am Oberen Hauenstein. «Noch bevor
Oberst Zörnlin zur Vornahme seiner Werbungen dahin kam, sassen
hier in der Wirtschaft von J. Schweizer sechs Bursche aus diesem
Orte: Balzer Waldner, genannt Xander Balz, Balzer Siegrist, Friedrich


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 238 - arpa Themen Projekte
und Chr. Krattiger, Hch. Senn und Hans Erni, genannt Heyd Erni, zusammen,
gingen dann als Boten nach Buckten, Zunzgen und Liestal
und verlangten, man solle die Gemeinden anfragen, ob man noch
Soldatengeld zahlen wolle.»

«Noch bevor» —das könnte bedeuten, dass die Bewegung spontan
und unabhängig von den Werbungen Zörnlins entstanden sei. Wahrscheinlicher
ist jedoch, dass sie unmittelbar als Rückstoss auf diese
Werbungen erfolgt ist und darum auch ausgerechnet die Nichtbezahlung
des Soldatengeldes als erste Forderung aufs Tapet brachte. Denn
Zörnlins Werbungen waren bereits seit drei Tagen in vollem Gange
und setzten schon das ganze Land in Aufregung, als am «19. Nachts
bei dem unteren Tor in Liestal» die erste solche Anfrage erfolgte, die
allerdings von dem regierungstreuen «Torwächter Hans Hoch zurückgewiesen
wurde». «Um die gleiche Zeit kamen auch zwei derselben»
(d. h. der «sechs Bursche» aus Oberdorf, nämlich Heyd Erni und ein
weiterer, nicht genannter) «zu Conrad Schuler in Liestal mit ähnlichem
Ansinnen, auch war bereits von einer bewaffneten Landsgemeinde
auf den 24. März in Liestal, ,oder um mehrerer Sicherheit willen
auf dem Wildenstein, weil dort eine Freiheit ist', die Rede.» Das
wird ausdrücklich berichtet als geschehen «im Monat März (17.-21.),
als Zörnlin zur Werbung von Wartgeldern in Liestal war'.

Nachdem die beiden Oberdorfer Sendlinge mit Seiler Konrad
Schuler zuerst «von einer bewaffneten Landsgemeinde auf dem alten
Markt» gesprochen hatten — wovon ihnen dieser wohl abgeraten hat,
weil die Situation in Liestal selber dafür noch nicht reif war —, wollten
die beiden von ihm zu einem der beiden Schultheissen geführt werden,
um von diesem «die Abordnung zweier Liestaler zu einer Zusammenkunft
in Sissach» zu begehren. Aber Schuler musste ihnen darauf
erwidern, «die beiden Schultheissen seien gegenwärtig mit Oberst Zörnlin
im Schlüssel und so betrunken, dass man nicht mit ihnen reden
könne»! Es handelte sich offensichtlich darum, die Liestaler Delegierten
für eine noch in derselben Nacht stattfindende Beratung in Sissach
zu bekommen. Diese Versammlung muss bereits abgemacht und für
die Sache der Bauern sehr wichtig gewesen sein, sodass diese nicht
abwarten konnten, bis die Schultheissen wieder nüchtern waren. «Schuler
ging daher allein und ohne Vorwissen der Schultheissen nach Sissach»,
wo allerdings die Sache nicht so revolutionär verlief, wie es die
Heissporne von Oberdorf offenbar vorhatten, indem nämlich dank der
Intervention eines Kapitulanten, des «treuen» Untervogtes ,Jakob Wir:
von Buus, «von einer bewaffneten Landsgemeinde abgestanden und
(nur) eine Supplikation um Nachlass des Soldatengeldes und um Milderung
des Salzpreises zu entwerfen beschlossen wurde».

Das besonders Interessante an dieser Geschichte ist die durch sie
verbürgte Tatsache, dass die Basler Bauern von allem Anbeginn an
grossen Wert darauf legten, die Stadt Liestal für ihre Sache zu gewinnen.
Ebenso wichtig ist die andere Tatsache, dass sich ebenfalls


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 239 - arpa Themen Projekte
gleich von Anfang an ein angesehener Bürger wie der Seiler Konrad
Schuler fand, der den Mut hatte, die Sache der von der Regierung bereits
weitgehend ihrer ursprünglichen Freiheiten beraubten und systematisch
ausgebeuteten Stadtbürger auf eigene Faust mit derjenigen der
Bauern zu vereinen. Das war der unscheinbare Anfang einer rapiden
Entwicklung, die dieses Städtchen mit der Gewalt einer Feuersbrunst
mitten in die Bewegung, ja an deren Spitze riss. Denn Zündstoff lag in
Liestal, wie wir noch erfahren werden, genug herum. Darum war diese
winzige nächtliche Geschichte mit Schuler gegeignet, dem regierungstreuen
der beiden Schultheissen, dem ehrgeizigen Herrendiener Hans
Christoph Imhoff, die Hölle heiss zu machen, als ihm bereits am Tag
darauf, kaum dass er den Rausch ausgeschlafen hatte, die ganze Sache
(wahrscheinlich durch den «treuen» Untervogt von Buus) hinterbracht
wurde, die er naturgemäss sofort an die Herren XIII nach Basel weiterberichtete.
So kam es, dass die XIII am 25. März ihren grossmächtigen
Bürgermeister Wettstein in Person, an der Spitze einer Ratsabordnung,
nach dem gefährdeten Städtchen schickten, um zu retten, was zu retten
war.

Nun aber war inzwischen mitten in die schon durch Zörnlins Werbungen
aufgewühlte Erregung der ganzen Landschaft die Nachricht
von den ungeheuerlichen Rüstungsbeschlüssen der Tagsatzung, die sich
nur gegen die Bauern richten konnten, hereingeplatzt. So musste Wettstein
in Liestal, ausser der lokalen Obrigkeitsbelehrung, «den versammelten
Untervögten, Amtspflegern und Geschworenen den ergangenen
Tagsatzungsbeschluss» durch echt Wettsteinsche diplomatische Vernebelungskunst
«erklären». Dabei hatte er die Stirn, zu behaupten,
dass dieser Beschluss «nicht zum Angreifen (!), sondern nur zum
Schirm der ruhigen (!) Landleute und zur Versöhnung (!) gefasst sei;
die Gn. Herren wollten sie als Kinder lieben (!) und ihnen, soweit die
Mittel reichen, alles Gute erzeigen»! «Diese Erklärung», fügt der Basler
Herrenchronist Heusler hinzu, «scheint beschwichtigt zu haben, die
Beamten versicherten ihre Treue und sprachen nur den Wunsch
aus...» etc etc.

Am gleichen Tag erliess der Rat zu Bern ein dringendes Ersuchen
an alle Mitstände, ihre Aufgebote gemäss Tagsatzungsbeschluss unverzüglich
marschieren zu lassen. Das war die Folge der Tags zuvor in
Trachselwald erlebten Niederlage. Mithin hatte bereits das erste Auftreten
Niklaus Leuenbergers unverzüglich eine beträchtliche geschichtliche
Wirkung, und zwar, durch seltsame Verflechtung der Dinge, die
unmittelbarste in Basel.

Als Wettstein am Abend des 25. März von Liestal heimkehrte,
fand er das Mahnschreiben des Berner Rates «zur eilfertigen Absendung
der verabredeten Anzahl Volkes» und zugleich zur «Anwerbung
von 200 Mann» auf Kosten Berns vor. Es war eine richtige Provokation
der bernischen Kriegspartei, die in diesen Tagen obenauf war und
die durch diese kriegerische Massregel der ihr verhassten Waser'schen


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 240 - arpa Themen Projekte

Johann Konrad Werdmüller

Seckelmeister der Zürcher Regierung,
Generalissimus der von der Tagsatzung gegen die Bauern aufgebotenen
eidgenössischen Herren-Armee.

Nach einem Originalstich von Conrad Meyer in der Landesbibliothek
in Bern.



Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 240 - arpa Themen Projekte
Abbildung 15


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 241 - arpa Themen Projekte
«Vermittlung» zuvorkommen wollte. Waser war an diesem Tage, auf
der Reise nach Bern, in Aarau angelangt. Gleichzeitig aber fand Wettstein
auch die Abmahnung des Vororts Zürich vor, mit dem Auszug
noch zurückzuhalten, um «die im Werk begriffene gütliche Handlung
nicht zu stören»; Zürich selbst unterlasse den Auszug seiner bereits
eingerückten Truppen nach Lenzburg ebenfalls. Wettstein hatte also
zu wählen: er wählte —der angebliche «geborene Friedensstifter» —die
Provokation. Und er hatte es damit eilig: schon am 26. setzte er die
Basler Truppen in Marsch, 400 Mann aus Basel und 100 aus Mülhausen,
zum Teil angeworbene Söldner, zum Teil Ausgehobene, zum
Teil Freiwillige. Der Kommandant war natürlich Oberst Zörnlin, sein
Adjutant der Hauptmann Andreas Burckhardt. Der Bestimmungsort
war, gemäss dem Badener «Defensional», Aarau; dort sollte die Truppe
bis auf weiteres als ständige Besatzung dienen.

Oberst Zörnlin setzte sich also forsch in Marsch. Er hatte Befehl,
«die Mannschaft zum Teil bis Gelterkinden, zum Teil bis Sissach marschieren
zu lassen, sich selbst aber nach Aarau zu begeben», um dort
mit dem Rat über die Bedingungen des Einmarsches zu verhandeln.
«Bei seiner Ankunft in Liestal aber» — so berichtet Heusler — erhob
sich dort grosse Unruhe, denn schon eine Stunde zuvor war mit einem
Doppelhaken auf der Mauer ein Losungszeichen gegeben worden, infolge
dessen sich alle Bürger ab dem Felde in die Stadt begaben.» Die Rebellen
waren also bereits organisiert! «Eine unzählbare Menge von Manns-
und Weibspersonen fand sich ein, welche teils ihre Männer, teils ihre
Söhne oder Dienstknechte, sowohl von gewordenen als ausgelegten (ausgehobenen)
Landleuten, wieder heim haben wollten; ein Heini Heid von
Oberdorf verlangte seinen ausgelegten Knecht zurück, unter Drohung, er
werde sonst dem Hauptmann den Kopf zerspalten»! Zörnlin musste die
Loslassung des Knechtes versprechen und im übrigen den Liestalern gestatten,
zuhause zu übernachten. Von Gelterkinden aus berichtete er
in der Nacht dem Rat: «aus Allem entnehme er, dass es je länger je
ärger werden möchte, wo man den gottlosen Leuten nicht wenigstens
mit Hoffnung begegnete. Und da ausser den gewordenen keine anderen
Landleute willens seien, fortzuziehen, so meine er, man solle fremde
Völker zu werben continuiren und die Schlösser mit ehrlichen Leuten und
Munition versehen, aber dergleichen nichts nach Liestal zuschicken.»

Der 27. verging mit der Reise Zörnlins nach Aarau, wo ihm der
Rat widerwillig, ebensosehr aus Angst vor den Bauern wie vor den
eigenen Bürgern, «nur auf eine Nacht Quartiere in den Wirtshäusern»
bewilligte. Der Rat erklärte Zörnlin ausdrücklich: «es wäre nicht ohne,
dass ihre Bürgerschaft vermeint, nicht allein kein Volk einzunehmen,
sondern auch niemand keinen Pass zu geben»; und nur der strenge Befehl
der gnädigen Herren zu Bern hätte die Bürgerversammlung vom
Tag zuvor «dahin bewegt, dass sie allerdingen darein gewilligt». Trotzdem
brach Zörnlin mit der Truppe am 28. über die Schafmatt nach
Aarau auf, und als er, mit Hauptmann Burckhardt vorausreitend, dort


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 242 - arpa Themen Projekte
eintraf, wurde er «von den Herren Schultheissen, mit grossem Unwillen
der Bürgerschaft, freundlich empfangen».

«Noch weit grössere Erbitterung hatte» —nach Hans Nabholz —
«die Kunde von dem Herannahen fremder Truppen auf der Landschaft
erzeugt. Zu Huttwil war am 26. März eine Lands gemeinde abgehalten
und dabei beschlossen worden, die Oberaargauer sollten den Marsch
der erwarteten Baslertruppen aufhalten, während die Leute der Grafschaft
Lenzburg den Zürchertruppen den Pass zu versperren hätten.»
Dies Alles lässt auf eine bemerkenswert gute Organisation der Gegenwirkung
seitens der Bauern schliessen. In der Tat: sie spielte gegen die
Basler Truppen von Anfang an ganz ausgezeichnet. Kaum verschwanden
Zörnlin und Burckhardt reitend im Tor der Stadt, so waren sie
bereits von ihrer Truppe abgeschnitten, die sie im Felde vor Erlinsbach
zurückgelassen hatten. Da nämlich hörten die beiden Reiter in ihrem
Rücken Sturm läuten; es waren die Glocken von Erlinsbach. «Hauptmann
Burckhardt» —berichtet Heusler — «ritt hin, schon waren 200
Mann beisammen, um den Pass zu versperren, doch gelang es mit
Hülfe des Landvogts von Gösgen (des benachbarten Solothurner Amtes),
ungehindert Durchpass zu erhalten.» «Bei Erlinsbach den Pass
mit grosser Mühe erlangt», berichtete Zörnlin seinen Basler Herren.
Für die Truppen war dieser Einmarsch das reinste Spiessrutenlaufen.

Doch das war nur das Vorspiel des nun leidenschaftlich einsetzenden
bäuerlichen Gegenwirkens. «Sobald die Nachricht hievon sich in
der Umgegend verbreitete, rotteten sich die Bauern zusammen» berichtet
Vock. «In der Nacht vom 28. auf den 29. März ertönte das Sturmgeläut
in allen Dörfern» der Grafschaft Lenzburg; «auf den Höhen brannten
die Wachfeuer —das Signalsystem der Bauern! Und alles Volk
lief bewaffnet Aarau zu. «Am 29. früh sah man die Bauern in dichtgedrängten
Scharen vor Aarau, auf dem Thorfeld und in der Geiss, versammelt
und gelagert.» Nach Nabholz sind es «mehrere tausend» gewesen.
«Durch eine Gesandtschaft von Untervögten liessen sie die Stadt
auffordern, die fremden Truppen zu beseitigen, sonst werde man sie
mit Gewalt vertreiben. Als die ersten Gesandten nichts ausrichteten, erschienen
andere, die unter schweren Drohungen den Abmarsch der
Basler forderten.» Schon von diesem Stadium berichtet Vock: «Die
Soldaten von Basel und Mühlhausen bekamen Angst oder waren selbst
vom Geiste der Empörung angesteckt; denn die meisten derselben erklärten,
sie wollen nicht gegen die Landleute kämpfen, sondern lieber
die Waffen niederlegen. Die Verwirrung in der Stadt wurde mit jeder
Stunde grösser.» Folgen wir wieder dem Berichte Nabholzens: «Zörnlin
mit seinen Offizieren, der von Lenzburg herbeigeeilte Festungskommandant
May von Rued, Statthalter Dietzi, der als Ehrengesandter
der Appenzeller auf dem Wege zum Schiedgerichte nach Bern eben in
Aarau eingetroffen war, sowie der Rat von Aarau suchten die wütende
Volksmenge zu beschwichtigen. Zörnlin hatte angesichts der schwierigen
Lage Boten nach Basel abgefertigt, um neue Instruktionen einzuholen.


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 243 - arpa Themen Projekte
Allein dieselben waren auf dem Wege dorthin von den Bauern
gefangen genommen worden. May von Rued machte den Vorschlag,
die Basler sollen aufs Schloss Lenzburg ziehen; allein Zörnlin berief
sich auf seine Instruktionen, die ihn in Aarau Halt machen liessen.
Aber auch die Bauern hätten sich einem Weitermarsch der Truppen
mit Gewalt widersetzt.» Vock erzählt dazu: «Die Bauern vor der Stadt,
wahrscheinlich durch geheimen Bericht gewarnt, rüsteten sich schon
auf dem Thorfelde, den Weg nach Lenzburg zu versperren.»

Inzwischen hatte die Nachricht vom Einmarsch der Basler Truppen
in Aarau, durch angeblich «wilde Gerüchte» vom Anmarsch immer
neuer fremder Truppen verstärkt, auch das ganze Oltener und Aarburger
Gebiet in die Waffen gebracht. «In Olten erscholl am 29. März
schon vor Tagesanbruch das Geschrei» von solchen neuen Anmärschen,
wie Vock berichtet. «Eilig lief der Weibel von Olten, Leonhard
Kandel, nach Aarburg, die Nachbarn um Hilfe aufzumahnen. Alsogleich
brachen die Aarburger, 200 Mann stark, auf und eilten bewaffnet,
mit Trommelschlag und fliegender Fahne, nach Olten. Als sie
gegen die Stadt anrückten, zogen ihnen die Oltener entgegen... Paar
und Paar und Arm in Arm, allemal ein Oltener und ein Aarburger,
marschierten sie durch die Stadt, hinaus auf's freie Feld, wo sie sich
zur Landsgemeinde bildeten; ... worauf die Aarburger und die Oltener
sich gegenseitig zu Schutz und Wehr mit einem Eide verbanden und
gelobten, die fremden Völker nicht in's Land hineinzulassen und die
Hereingekommenen wieder hinauszutreiben... Hierauf eilten die Aarburger,
vereinigt mit den Oltenern und andern Landleuten des Kantons
Solothurn, auf dem linken Ufer der Aare hinab nach Erlinsbach,
um den Bauern, welche die Stadt Aarau belagerten, Hilfe zu bringen.»

Nach Nabholz waren es lediglich die wilden Gerüchte über den
Anmarsch neuer Truppen, war es «dieses Gerede, das jeden Hintergrunds
entbehrte», was «bewirkte, dass nunmehr auch die Bürgerschaft
der fremden Besatzung gegenüber eine drohende Haltung einnahm und
um die Wette mit den Bauern deren Entfernung verlangte». Wie wenig
dieses «Gerede» «jeden Hintergrunds entbehrte», wie begründet diese
«wilden Gerüchte» waren, die die Bauern und Bürger des ganzen Mittellandes
im Zusammenhang mit dem ja nicht wegzuleugnenden Basler
Zug nach Aarau in Aufruhr versetzten, das geht aus folgenden Nachrichten
des Zürcher Herrenchronisten G. J. Peter hervor: «Die Solothurner
Bauern hatten das Schreiben des Bischofs von Basel an Zürich
abgefangen, mit der Anzeige, er wolle die nach Olten (!) bestimmten
Truppen gemäss dem Badener Abschied bereit halten! Auch war ihnen
infolge der ,unfürsichtigkeit' des Falkenwirts von Aarburg, Hans Jakob
Suters, zur Kenntnis gekommen, der Berner Rat habe im Elsass eine
Anzahl Söldner angeworben, um sie über die Schaf matt (!) kommen
und durch Hauptmann Jakob Anton Weyermann ,heimlicherweiss' als
Besatzung nach Aarburg (!) und Aarwangen (!) legen zu lassen.» Suter
(bei Vock: Hurter) und Weyermann waren jene Herrendiener, die eben


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 244 - arpa Themen Projekte
in diesen Tagen von Aarburg nach Olten gekommen waren, um dort
vom Hauptmann Gibeli Solothurner Regierungstruppen gegen die rebellischen
Aarburger auszuleihen, die dabei aber von den Oltener Bürgern
im Tumult überwältigt, gefesselt — «in Eisen geschlagen und
scharpf examiniert» —und den Aarburger Rebellen ausgeliefert wurden.
Ein Zeichen mehr für den zu allem entschlossenen Widerstandswillen
des Volkes gegen Ueberfälle durch «fremde Truppen»; ein Widerstandswille,
dem allein es zu verdanken war, dass die genannten
weiteren Ueberfallspläne unausgeführt blieben und der sich nun in so
überwältigender Weise gegen den Einfall der Basler Herrentruppen in
Aarau entfaltete.

Vock erzählt weiter: «Während nun in Aarau die Beratung auf
dem Rathause noch dauerte, kam Bericht von Erlinsbach, dass dort
die Kriegsscharen der Bauern stündlich anwachsen. Es entstand Lärm
und allgemeiner Schrecken.» Heusler berichtet: «Die ganze Bürgerschaft
lief zu den Waffen und der Brücke zu, um sie abzuwerfen» (d. h. um
den befürchteten Zuzug von noch mehr fremden Truppen zu verhindern),
«mit dem Rufe, es sei eine grosse Verräterei begangen, ihre Herren
handelten nicht redlich mit ihnen usw. Ohne nur Zörnlin ausreden
zu lassen, lief der ganze Rat in grösster Bestürzung auseinander und
den Waffen zu» um das Abwerfen der Brücke zu verhindern. In allen
Strassen der Stadt sah man auch fast ebensoviele Bauern als Bürger.
Schultheissen und Offiziere hatten genug zu tun, die Brücke zu erhalten
und Tätlichkeiten zu verhindern, bis die Truppen zwischen die
Brücken zusammengebracht waren.» Kurz, «es herrschte», wie Vock
erzählt, «grenzenlose Verwirrung, ohne dass man eigentlich den Grund
kannte. Die Basler und Mühlhauser Soldaten gerieten in solche Furcht,
dass sie das Morgenessen stehen liessen und nüchtern aus der Stadt auf
den Platz zwischen beiden Brücken flohen, wohin man ihnen, damit
sie nicht vollends Reissaus nehmen, Brot, Wein und Käse brachte.»
Hier ergänzt wiederum Nabholz: «Einzelne Soldaten verkrochen sich
in Häusern und Scheunen, aus Furcht, von den wütenden Bauern totgeschlagen
zu werden, andere schlichen sich vom Heere weg und suchten
einzeln aus der Stadt zu entkommen. Selbst den Offizieren war der
Schreck in die Glieder gefahren. Einer von ihnen erklärte, bei keinem
der Kriege, die er mitgemacht habe, sei es so gefährlich wie bei diesem
gewesen!»

Noch einmal schien sich für den vielgeplagten Zörnlin ein Ausweg
aufzutun, um der Schande eines schmählichen Rückzugs zu entrinnen:
«Laut Abrede mit den Vögten von Biberstein und von Schenkenberg
sollten die Truppen in diese beiden Aemter verlegt werden», berichtet
Heusler; «bald aber erfuhr man, dass das Volk der beiden Vogteien,
in Verbindung mit Leuten aus der Grafschaft Lenzburg, sich dem widersetzen
wolle.» Zörnlin liess also seine tapferen Truppen, «nachdem
sie gesättigt waren», vorläufig bis gegen Erlinsbach zurückmarschieren.
Aber, oh weh: «Hier lag das ganze Gösger Amt, 7 bis 800 Mann stark,


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 245 - arpa Themen Projekte
um den Pass zu sperren»! Es bedurfte tumultuarischen Parlamentierens
und eines «langen Streites wegen Auslöschens der Lunten», um
Zörnlins «Heer» schliesslich «den Durchzug mit brennenden Lunten
zu gestatten». Das war der einzige «Prestige-Erfolg», mit dem Zörnlin
seinen Rückzug versüssen konnte. Dies nun aber unter einem noch viel
böseren Spiessrutenlaufen «mitten durch die Reihen der in Erlinsbach
zusammengelaufenen Landstürmer », als jenes gewesen war, durch das
er seine Truppen nach Aarau hereingebracht hatte.

Als sie so unter einem Hagel von Fluch- und Schimpfreden über
die Schafmatt wieder ins Baselland abgeschoben waren, da machte der
Meister Zörnlin seinem Herzen Luft in einem Bericht an seine Herren.
Darin jammert er zum Schluss: «man habe jetzt spüren müssen, dass
die Bauernsamen beiderseits der Aare über einen Leist gespannen und
resolviert seien, kein fremd Volk ins Land zu lassen: was man aber
sonsten aller Orten von diesen wilden Leuten für schändliche Reden
wider allerseits hohe obrigkeitliche Stände hören müsse, wolle er lieber
vergessen, als mehr daran denken...» Begreiflich, denn die Lorbeeren,
die Meister Zörnlin auf seinem kühnen Feldzug nach Aarau für seine
allerseits hohen Herren von Basel und der ganzen löblichen Eidgenossenschaft
geerntet hatte, gingen auf keine Kuhhaut!

Dieser Ausgang des Aarauer Zuges der Basler Herrentruppen gab
noch den ergiebigen Stoff für viel Krach zwischen den Herren selber ab.
Denn, wie der moderne Zürcher Herrenchronist des Bauernkriegs
G. J. Peter bezeichnend genug sagt, «der Ausmarsch ungenügender
Truppen und deren Rückzug verschlimmerte die Lage» (der Herren
nämlich!) «entschieden, weil ersterer den agitatorischen Bauernführern
Stoff zur Verhetzung der ruhigeren Elemente gab, letzterer aber
als Schwäche der Regierungen zu deuten war». Gewiss ist dies vom
Herrenstandpunkt aus ganz richtig; gewiss wäre es im Interesse der
Ausbeuter und Bedrücker viel konsequenter gewesen, wenn eine genügende
Truppenzahl, am besten gleich die gesamte, von der Badener
Tagsatzung aufgestellte Truppenmacht, ins Feld gerückt wäre, um den
neuen, erst ins Keimen gekommenen Bund aller ausgebeuteten Bauern
und aller unterdrückten Bürger durch militärische Uebermacht bereits
im Keime zu ersticken. Im Interesse der Ausgebeuteten und Unterdrückten,
der Erniedrigten und Beleidigten, kurz der erdrückenden
Mehrheit des Schweizervolkes, lag es jedoch, dass ihm aus dem Zusammenbruch
der ersten militärischen Exekution auf eidgenössischem
Boden gegen seine Rechte und Freiheiten wenigstens ein Schimmer der
Hoffnung und darum ein Ansporn entsprang, sich nun besser als bisher
für den Kampf zur Rückeroberung und Wiederherstellung dieser seiner
Rechte und Freiheiten zu organisieren!

Dieser Ansporn ist dem Schweizer Volk —im Rahmen des damals
überhaupt Möglichen — aus dem «verunglückten» Aarauer Zug in der
Tat entsprungen. Das wird uns das nächste Kapitel lehren, das uns die
Geburt des einzigen allgemeinen, überkantonalen und überkonfessionellen,


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 246 - arpa Themen Projekte
des einzigen sozialen «Volksbundes» vor Augen führen wird,
den die Geschichte der Eidgenossenschaft gegen die Gesamtheit ihrer
Regierungen, gegen den «Herrenbund», hervorgebracht hat. Tatsache
ist, dass der Aarauer Zug mit allen seinen Folgen —und also eigentlich
der Urheber dieser Provokation, der «pater patriae» Bürgermeister
Wettstein von Basel —als geschichtlicher Geburtshelfer des in den
Wehen liegenden Bundes gar nicht überschätzt werden kann.

Hier wollen wir uns nur noch mit den Folgen des Aarauer Zuges
speziell für die Basler Bewegung beschäftigen. Trotz allem bisher Berichteten
können wir sagen, dass die Basler Bewegung zwar nicht erst
mit dem Aarauer Zug beginnt, wohl aber erst durch diese, im Dienst
und im Interesse der eidgenössischen Herrenklasse unternommene Aktion
zur Revolution gemacht wurde. Das geht auch aus dem Fazit hervor,
das der Basler Herrenchronist Heusler aus dem Aarauer Zug speziell
für Basel zieht: «Der verunglückte Zug nach Aarau hatte für den
Kanton Basel eine doppelte Folge. Erstlich wurde durch denselben die
Aufregung in den Nachbarkantonen ungemein gesteigert und gegen
Basel» (d. h. gegen die Basler Regierung!) «gerichtet; die Oberländer,
d. h. die Landleute der oberen Kantone, stellten Wachen gegen die
Landschaft Basel auf und liessen sie durch zahlreiche Aussendlinge mit
Verlockungen und Drohungen bearbeiten. Zweitens aber erschütterte
die Expedition auch das Ansehen der Regierung im Lande selbst. Von
diesem Zuge an nimmt daher die Bewegung im Kanton Basel eine immer
ernster werdende Gestalt an.»

Wie «alle Dörfer» der Basler Landschaft gerade in den Tagen
nach dem Aarauer Zug «mit Bauerngesandten aus Bern und Solothurn
überloffen» wurden, haben wir bereits aus einem Bericht an die Basler
Regierung vom 3. April vernommen, als wir aus dem Zusammenhang
der solothurnischen Bewegung daran gingen die Geschichte der Basler
Bewegung aufzuholen. Am gleichen 3. April «vernahmen die XIII (die
Basler Regierung), wie düster Schultheiss Imhoff die Sache ansehe; die
Liestaler, meinte er, steckten auch unter der Decke, er sei ohne Gewalt
und überall umlauert; und Obervogt Brandt in Homburg meldete von
Bewaffnungen im Solothurnischen und von Anwesenheit baslerischer
Ausschüsse bei einer dortigen Landsgemeinde». In der Tat waren der
Sonnenwirt von Bukten, Joggi Buser, und noch fünf andere Basler
Bauern auf der Landsgemeinde zu Olten am 31. März. Kurzum, der
Obervogt von Homburg bat die Basler Herren «dringend um Abstellung
der Landesbeschwerden...»

Wie blind und verstockt die Herren XIII waren, geht daraus hervor,
dass sie ausgerechnet den so schwer belasteten Obersten Zörnlin
zur «Abstellung» der Beschwerden aufs Land schickten, wenn sie ihm
auch noch zwei andere Ratsherren mitgaben. Er sollte dort «besonders
den Umtrieben benachbarter Auf wie gier entgegenwirken..., über die
der Regierung zugeschriebenen gefährlichen Anschläge und die ihr
von bösen Buben (!) untergeschobenen Briefe und Schriften Beruhigung


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 247 - arpa Themen Projekte
gewähren...», und anderes dergleichen. Das war die Sprache
des Badener «Gemeinen Mandats». «Das Soldatengeld und den Salzpreis
werden sich die gn. HH. (die gnädigen Herren) bester Massen
recommandiert halten»; die Bauern «könnten diese Begehren nach Belieben
anbringen, doch wäre es besser, es noch zu verziehen, damit es
ihnen mit besserem Glimpf und reputation der Obrigkeit bewilligt werden
möge und nicht das Ansehen gewinne, ob hätten sie sich gegenwärtiger
Unruhen und troubles zu ihrem Vorteil bedienen wollen». So legten
die Basler Herren Köder aus, um die Sache womöglich bis zu einer
erfolgreicheren militärischen Exekution der Eidgenossenschaft hinzuziehen.

Inzwischen hatten die Bauern der vier oberen Aemter, d. h. der
Aemter Farnsburg, Homburg, Waldenburg und Ramstein, samt dem
Amte Liestal (d. h. samt den von der Stadt Liestal regierten Dörfern),
auf den 6. April ins Schützenhaus zu Sissach eine Lands gemeinde zusammengerufen.
Diese wurde zwar nicht so sehr durch ihre Ergebnisse
als vielmehr durch den Umstand geschichtlich bedeutsam, dass auf ihr
zum erstenmal die beiden Hauptführer der ganzen Basler Bauernerhebung
vor die Oeffentlichkeit traten: Isaak Bowe von Bretzwil und
Uli Schad von Oberdorf.

Isaak Bowe trat hervor als Wortführer des Amtes Ramstein, das
aus dem einzigen Dorf Bretzwil und dem Weiler Lauwil bestand. Gerade
dieses Amt hatte die meisten Klagepunkte vorzubringen. Isaak
Bowe brachte auf der Sissacher Landsgemeinde in offensichtlich sehr
eindrucksvoller Beweisführung, die den Herren sehr auf die Nerven
ging, 13 Beschwerdepunkte vor: «betreffend ungebührliche Anmassung
von Nutzungen durch den Landvogt, Lästigermachung gewisser Dienste,
namentlich auch durch Entziehung üblicher kleiner Gegenleistungen;
Nötigung zu bisher nicht gewohnten Diensten, besonders aber über
willkürliche Strafen», wovon wir die Büssung von 30 Haushaltungen
mit über 300 Pfund Salzbussen innert 14 Tagen bereits kennen gelernt
haben. «Es macht im ganzen den Eindruck» — sagt selbst der Herrenchronist
Heusler — «als ob der auf die einzige Gemeinde Bretzwil angewiesene
Landvogt (Jeremias Fäsch), obschon damals der Sohn des
reichsten Baslers, des Bürgermeisters Fäsch, durch kleinliche Knickereien
und Erpressungen ersetzen wollte, was ihm in Bezug auf den
Umfang des Bezirks abging.» Ebenfalls von einem Fäsch, der früher
drei Jahre lang Landvogt von Homburg gewesen war, verlangten die
Homburger in Sissach übrigens die Rückerstattung von «150 Pfund
oder drei Monaten Soldatengelder», welche er «zu viel bezogen, weil er
aus einem Jahr 13 Monate gemacht hatte»!

Isaak Bowe hat sich also zweifellos aus tief begründetermassen
verletztem Rechtsgefühl zum Wortführer seiner schamlos ausgebeuteten
Gemeinde gemacht. Seine aufrechte Rechtlichkeit und seine charaktervolle
Solidarität gehen auch aus folgender Auseinandersetzung mit
dem Schreiber der Landsgemeinde hervor. Als solcher nämlich fungierte


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 248 - arpa Themen Projekte
eine höchst verdächtige, vom Stadtschreiber Bischoff von Liestal
der Landsgemeinde eiligst untergeschobene Person: Bischoffs Sekretär
J. J Stähelin, ein Lockspitzel der Regierung, von dem gefälschte Unterschriften
beider Liestaler Schultheissen, sowie Denunziantenberichte
an die Regierung vorliegen und der, weil die Bauern ihn wohl lange
nicht erkannt haben, auch auf späteren Landsgemeinden Schreiber der
Bauern war: «er schrieb auch die späteren Aktenstücke der Unzufriedenen»,
sagt Heusler und fügt naiverweise hinzu: «scheint aber deshalb
nicht zur Verantwortung gezogen worden zu sein». Kunststück —da
er für die Herren arbeitete! Mit diesem sauberen Herrn also hatte Isaak
Bowe bezeichnenderweise schon auf der ersten Sissacher Landsgemeinde
einen Wortwechsel. Bowe war Stähelin offensichtlich als höchst
ehrenwerter und untadeliger Mann bekannt, der zur Familie des Bürgermeisters
Fäsch in guten Beziehungen gestanden hatte; hatten doch
zwei Mitglieder dieser Familie eine Hypothek auf Bowes Gütern. So
stellte also Stähelin den Isaak Bowe zur Rede, «wie denn gerade er so
gegen den Landvogt auftreten möge»? Darauf antwortete Bowe: «es
müsse im Namen der Gemeinde so sein, und sei es an diesen Klagen
nicht genug, so wolle er noch mehr anbringen».

Die Parallele zwischen Bowe und Leuenberger, ja, auch mit dem
frühen Emmenegger, ist auffallend. Bowe war, wie diese beiden, zur
Zeit seines Auftretens 38jährig. Wie Leuenberger, der mit Tribolet
zusammen in den lokalen Gerichten sass, hatte auch Bowe nicht den
geringsten persönlichen Anlass zum Auftreten gegen seinen Landvogt,
zu dessen Familie er vielmehr offensichtlich gegenseitig wohlwollende
Beziehungen pflegte. Einzig die rechtliche Gesinnung und die Solidarität
mit seinen ärmeren und ausgebeuteten Klassengenossen trieb Bowe
auf die Seite der Revolution. Denn auch Bowe war, wie Emmenegger
und Leuenberger, ein wohlhabender Bauer: «Das Inventarium seines
Vermögens zeigt ihn als einen an Grundbesitz und Viehstand wohlhabenden
Bauern, dessen Hausrat und Leinenzeug aber sehr einfach
bestellt war; dabei hatte er eine aus einer Bibel, einer Postille und
einem Gesangbuch bestehende Bibliothek, in welcher er wohlbewandert
gewesen zu sein scheint.» Auch Bowe hatte, wie Leuenberger, eine
zahlreiche Familie und sorgte wie dieser aufopfernd für deren Glieder:
«Er war mit einer Weber von Bretzwil verheiratet und Vater mehrerer
Kinder; von seinem Lebenswandel wird gemeldet, er sei bis 1653 unsträflich
gewesen und ausser für Weib und Kinder habe er noch für
seine Schwiegermutter und für die Kinder eines Bruders seiner Frau
gesorgt.» Weiter urteilt Heusler, der Bowe erst eigentlich in seiner Bedeutung
entdeckt hat: «er ist ohne Zweifel der Gebildetste unter den
baslerischen Insurgenten; nicht nur schreibt er eine recht leserliche
und saubere Handschrift, er weiss auch seine Gedanken in wohlgeordnetem
Zusammenhang und nicht ohne einen Zug ansprechender
Gemütlichkeit auszudrücken. Täuscht nicht Alles, so war Isaak Bowe
der denkende Kopf der Bewegung, der Mann, der Mass und Ziel zu


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 249 - arpa Themen Projekte
halten suchte.» Auch von Emmenegger wie von Leuenberger werden
immer wieder ihre Gemässigtheit und Besonnenheit gerühmt.

Ein fast ebenso schroffer und dabei zwar nicht gleich, aber ähnlich
gearteter Gegensatz wie zwischen diesen beiden und Schybi klafft
zwischen Bowe und Uli Schad. Dieser galt bis auf Heusler als der einzige
überragende Bauernführer der Basler, weil er als «Haupträdelsführer
» unter besonders entehrenden Bedingungen —als einziger durch
den Strang — hingerichtet wurde, während Isaak Bowe durch die
Flucht ins Ausland entkam und sich so auch der Aufmerksamkeit der
Nachwelt entzog. Uli Schad ist auf der Landsgemeinde zu Sissach als
Wortführer seiner Gemeinde Oberdorf, aber zugleich auch — mit
Werli Bowe, dem Schlüsselwirt zu Waldenburg und Bruder Isaak
Bowes, sowie mit Daniel Jenny zusammen —als Vertreter des ganzen
Amtes Waldenburg, und zwar «als Vertreter der Heftigeren», aufgetreten.
«Insbesondere erklärten diese, sie würden keinen Eid des Salzes
halb mehr tun, es sei das bei ihnen bereits abgemehrt, denn man habe
es ihnen mit dem Salze gemacht, dass sie wohl daran denken werden.»
Die stürmischste Forderung der überhaupt stets am revolutionärsten
und tumultuarischsten auftretenden Waldenburger scheint aber die gewesen
zu sein, «nicht wider die Eidgenossen gebraucht zu werden»! Das
war die unmittelbare Folge des Aarauer Zuges und zugleich der Ausdruck
des bereits heimlich bestehenden Bündnisses mit den Bauern
und Bürgern von Solothurn, Bern und Luzern. Zweifellos also haben
wir in Uli Schad den Führer der Aktivisten unter den Basler Aufständischen
vor uns, und seine Gruppe war ebenso zweifellos die, die
am frühesten die revolutionäre Verbindung mit den Aufständischen
der inneren Schweiz aufnahm und sie am zähesten festhielt und die das
militärische Wach- und Signalsystem auf der ganzen Jurakette aufbaute.
Für beides lag ja Oberdorf —und das Amt Waldenburg überhaupt
— am oberen Hauenstein ausgesucht günstig.

Uli Schad war nicht Bauer, sondern Weber, wie ja auch Schybi
nicht Bauer, sondern Wirt war, wenn auch gewiss für beide gilt, dass
sie in bäuerlichen Verhältnissen lebten. Ueber seine persönlichen Lebensverhältnisse
ist unsere Kunde gering. Ueber sein Alter wissen wir
nur, dass er «im kräftigen Mannesalter» stand. «Er hatte sich, wahrscheinlich
1651, mit einer Wittwe aus dem Bipper Amt verheiratet,
welche ihm Stiefkinder zugebracht hatte; eigene Kinder hatte er nicht.»
Für die Heirat einer Auswärtigen und Uebernahme ihrer Kinder, «für
alle sowohl Abzugs als der Ungenossame und Leibeigenschaft halb
habende Anspruch», zahlte er 100 Gulden. Abzug, Zuzug, Geburt, Leben
und Tod —Alles war ja damals in ein Netz von würgerischen
Steuern eingespannt. Im übrigen muss auch Uli Schad nicht einer der
Aermsten und ein ziemlich geachteter Mann gewesen sein: «er war
seit 1649 Gerichtsmann in Waldenburg, seit 1652 Bannbruder in Oberdorf,
welch letztere Stelle sein Vater wegen schlechten Gehörs niedergelegt
hatte». Auch Uli Schad hatte, wie Schybi, typisch landsknechtische


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 250 - arpa Themen Projekte
Manieren, wenn wir auch nichts davon wissen, dass er in fremden
Kriegsdiensten gewesen wäre. So pflegte er nicht nur bei eigentlichen
militärischen Anlässen oder Aktionen, sondern auch auf den
Landsgemeinden «mit einem grossen Schlachtschwert den Oberbefehl»
zu führen, «welchem alle Bauern auf's pünktlichste gehorchten»,
wie Vock berichtet. «Was von ihm berichtet wird», sagt Heusler, «lässt
schliessen, er sei der Mann der Tat gewesen, der die Leidenschaften
des Volkes aufzustacheln wusste und es mit den Mitteln dazu nicht genau
nahm.) Von irgendeiner bemerkenswerten politischen Idee, oder
auch nur einer bestimmten Gesinnung wie bei Bowe hören wir bei Uli
Schad ebensowenig wie bei Schybi. Er war aber wohl ein besserer und
zuverlässigerer Organisator als Schybi.

Die Landsgemeinde auf dem Schützenhaus zu Sissach —welcher
übrigens auch eine Gruppe Solothurner, als Abgeordnete der Vogtei
Dorneck, beiwohnte —fasste ein paar klare und einfache Beschlüsse
bezüglich der wirtschaftlichen Beschwerden der Bauern, jedoch keinen
von erheblichem politischem Belang: «1. Erlass des Soldatengeldes für
die Zukunft; 2. gleicher Salzpreis wie bei den Nachbarn oder freier
Salzkauf; 3. Nichtverwendung zum Kriege gegen die Eidgenossen.. Eidgenossen...'
(Das ist der relativ bedeutendste Punkt, weil er der eidgenössischen Exekution
gegen die Bauern in den Arm fiel); «Nachlass der 2 fl. (Gulden)
bei Hochzeiten über 4 Tische.» (Ursprünglich eine Sittenbusse gegen
den Hochzeits-Luxus, 2 Gulden pro Uebertisch, jeder Tisch zu 12 Personen
gerechnet, längst aber zur Geldquelle für den Fiskus gemacht.
So überboten sich gerade hohe Geistliche, die solche Sittenerlasse mit
sittlichen Donnerpredigten zu begleiten hatten, gegenseitig mit dem
Ruhm, sich am meisten Uebertische bei ihrer eigenen Hochzeit leisten
zu können: «so hatte der Archidiaconus, spätere Antistes Lucas Gernler,
eine Hochzeit von 4 Tischen und 15 Uebertischen [also etwa 228
Personen], und der Archidiaconus, spätere Antistes Peter Werenfels
eine solche von 4 Tischen und 8 Uebertischen, wofür ersterer 61 Pfd.
5 Batzen und letzterer 35 Pfd. an Busse und Umgeld zahlte».) Der 5.
und letzte Punkt der Sissacher «Supplication» ist dann bereits die
Ueberleitung zur Kapitulation; er lautet: «man möge sie nicht für rebellische
Leute erkennen, wobei der Tumult bei Zörnlins Durchmarsch
durch Liestal mit Aufregung und Ueberraschung entschuldigt wird».

Aber man darf dabei nicht vergessen, welche Hand diese «Supplication»
abfasste: der Schreiber der Landsgemeinde war ja der Saboteur
und Lockspitzel der Regierung, Stähelin! Dessen Zusammenarbeit mit
den Herren XIII gab auch dem weiteren Verlauf das Gepräge. Am
9. April wurde das Machwerk Stähelins dem Rate von «Ausschüssen»
vorgelegt, von deren Wahlart wir nichts wissen. Wohl aber wissen wir
aus der Chronik des zeitgenössischen Dekans Brombach, dass dabei,
«eigenen Gewalts, unausgeschossen», als Wortführer die beiden Herrendiener
Untervogt Jakob Wir: von Buus, den wir bereits kennen, und
Amtspfleger J. J. von Arx von Sissach auftraten und dass diese «die


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 251 - arpa Themen Projekte
Sache etwas glimpflicher» bei den Herren anbrachten, «als aber den
Ausschüssen befohlen». Durch diesen Akt der Sabotage der Sache der
Bauern machten sich diese beiden «treuen» Herrendiener übrigens im
Volke als «Verräter» und «Ohrenträger» so verhasst, dass sie fortan
kaum mehr ihres Lebens sicher waren.

Wettstein, mit sechs Miträten, darunter wieder der unvermeidliche
Zörnlin, empfing also diese «Ausschüsse» und übergoss sie mit der von
ihm stets bereitgehaltenen «staatsbürgerlichen» und «religiösen» Moralpredigt.
Sie erhielten den salomonischen Bescheid: sie hätten Bedenkzeit
bis zum 15. April, und wenn dann «eine pflichtmässige (!) Antwort
(statt einer Antwort der Regierung!) erfolge, wie jüngst in Liestal (!)
geschehen, so werde er (der Rat) sich über die Beschwerden so erklären,
dass man seine väterliche Liebe und treueifrige Sorgfalt für ihre
zeitliche und ewige Wohlfahrt wohl erkennen werde»! Solch abgeschmackten
Bescheid liessen sich diese «Rebellen» als Antwort auf
ihre Forderungen, deren mit keinem Wort gedacht wurde, bieten! Ja,
sie wurden ausdrücklich gefragt, «ob sie der natürlichen und von Gott
gesetzten Obrigkeit an allen Orten, da es verlangt würde, alle schuldige
Treu und Unterthönigkeit ohne Beding und Vorbehalt leisten wollen?».
Worauf diese «Ausschüsse» sich «willfährig erzeigt» haben sollen,
besonders die des Farnsburger Amtes (<denen wir es», schreibt der
Rat, «nie vergessen wollen»); sie «erklärten aber doch, noch ihre Gemeinden
darüber anfragen zu wollen».

In den nächsten Tagen wurden jedoch nicht, wie man danach vermuten
sollte, örtliche Landsgemeinden veranstaltet wie in Luzern oder
Bern. «Die Gemeinden wurden nun durch die Vögte einvernommen.»
Allerdings lief dabei nicht alles glatt ab. Zum Beispiel wollte der Vogt
von Farnsburg, ein Schwager Wettsteins namens Eckenstein, in seinem
Amt von vornherein die Schafe von den Böcken scheiden, «den zuverlässigeren
obern Teil seines Amtes nach Gelterkinden, die Gemeinde
unter dem alten Bach aber nach Sissach berufen». Wenn er jedoch
hoffte, damit wenigstens in Gelterkinden eine einmütige Unterwerfung
zu erzielen, um damit im ganzen Lande Eindruck zu machen, so machten
ihm die eigentlichen Revolutionäre, die bestimmt nicht unter den
Ausschüssen in Basel gewesen waren, einen Strich durch die Rechnung,
durch Zusammenarbeit der rebellischen Majorität des unteren mit
der rebellischen Minorität des oberen Teils des Amtes. «Denn die
untern Gemeinden kamen nun unberufen in tumultuarischer Weise nach
Gelterkinden, und die hier im besten Zuge befindliche Versammlung
der obern Gemeinden wurde durch den Gelterkinder Hans Gerster gestört
und bewogen, den auf dem Schützenhause (zu Sissach) befindlichen
andern Gemeinden zuzulaufen, so dass auch der Landvogt sich
dahin begeben musste.» Bei diesem Tumult in Gelterkinden ist bezeichnenderweise
gerade den beiden Herrendienern Jakob Wirz und J. J.
von Arx, die in Basel als Saboteure der «Supplication» aufgetreten
waren, samt einem dritten, übel mitgespielt worden. Jakob Wirz


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 252 - arpa Themen Projekte
schrieb selbst in einem Bericht an die Herren: «Schon bei der Versammlung
in Gelterkinden sei er mit Schlägen bedroht und die Amtspfleger
von Sissach und Wintersingen gar übel geschlagen worden»!
Daraufhin wagte der famose «treue» Wirz bezeichnenderweise nicht
mehr, auch am 16. April wieder nach Basel zu gehen.

Auf dem Schützenhaus nun verlangten die beiden sehr energischen
Rebellen Jakob Senn, der Untervogt von Sissach, und Jakob Modlen
von Diegten (welch letzterer später unter die sieben Hingerichteten
gehören wird) «allererst das Versprechen, sie nicht gegen die Eidgenossen
(d. h. gegen die Aufständischen der andern Kantone) zu gebrauchen
und kein fremdes Volk durch ihr Land zu führen». Der Vogt
schlug dies natürlich ab; er konnte gerade in diesem Punkt unmöglich
seine Regierung im voraus binden. Trotzdem sollen sich «die Anwesenden»,
wenn auch nur «nach längerem Wortwechsel», für die «unbedingte
Unterwerfung» erklärt haben.

Dass dies jedoch nur die Minderheit gewesen sein kann — aus der
der Vogt dann natürlich auch die «Ausschüsse» zusammenstellte, die am
16. den Bittgang nach Basel tun mussten —, das geht aus einem schwerwiegenden
Widerspruch hervor, der sich in diesem Bericht Heuslers
findet. Unmittelbar nach der angeblichen «unbedingten Unterwerfung»
nämlich berichtet er von Wahlen —das heisst Mehrheitsentscheiden —,
die diese Versammlung vollzog, und zwar mit folgenden Worten: die
Bauern «wählten aber neue Ausschüsse, und unter diesen die fürnehmsten
Rebellen, namentlich jenen Hans Gerster von Gelterkinden,
Baschi Senn, Bruder des Untervogts von Sissach, und einen Hans Gysin
von Oltingen, welcher gesagt haben soll, die gnädigen Herren seien
vom bösen Geist besessen und können keine Wahrheit mehr reden»!
Das sind Worte, die ganz zweifelsohne die wahre und vorherrschende
Volksstimmung zum Ausdruck brachten, und es ist ja gewiss kein Zufall,
dass gerade auch der, der diese Worte sprach, in die «neuen Ausschüsse»
gewählt wurde. Das können aber nicht dieselben Ausschüsse
gewesen sein, die dann nach Basel gingen; sonst wäre das Ergebnis
ein anderes gewesen.

Auf ähnliche Weise —d. h. genau so zweifelhaft —erklärten sich
auch die anderen Aemter «für unbedingte Unterwerfung, und ordneten
ihre Ausschüsse mit dieser Erklärung in die Stadt ab». Mit andern
Worten: was da am 16. April in Basel sich abspielte, war ein von den
Vögten für die «Herren XIII» hergerichtetes Theater, das Wettstein
die Gelegenheit gab, vor aller Oeffentlichkeit seine gewöhnte Rolle als
«Friedensstifter» und als «gnädiger Vater seiner Kinder, der Untertanen»
zu spielen, um dafür alle späteren Anstrengungen des Volkes
zur Wiedererlangung seiner Rechte und Freiheiten von vornherein
umso schärfer als Hoch- und Landesverrat an der «gnädigen Obrigkeit»
brandmarken und danach bestrafen zu können. In diese Falle
gingen nur die Kapitulanten —und das ist ihr Teil der furchtbaren
Verantwortung an den späteren Greueltaten der Regierung am Volke,


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 253 - arpa Themen Projekte
sowie an der völligen Auslöschung der Volksrechte für anderthalb
Jahrhunderte, von der erst die Folgen der französischen Revolution
das Basler Volk erlösten...

Den so zustandegekommenen «Ausschüssen» — blossen Statisten
in dem am 16. April in Basel aufgeführten Schaustück —liess also der
Rat, d. h. natürlich Herr Wettstein, eröffnen: 1. «Wegen der Soldatengelder
wollen Unsere gnädigen Herren (wie sie ohne dies zu thun gesinnet
und im Werk gewesen) dieselben ihren getreuen Unterthanen
vom Eingang laufenden Jahres an aus sonderbaren Gnaden nachlassen...»
2. «Wegen Salzes seien die Salzherren befelcht, ihnen (wenn
die Kasten für diessmal geleert) das Küpflin» (etwa 6½ Pfund) «um
2 Batzen, oder da sie es selber holen wollen, umb 3 Batzen näher zu
geben... auch Verordnung thun, dass die Salzmütter auf der Landschaft
keinen unziemlichen Vorteil mehr gebrauchen». 3. «Uebrige
Punkte, als welche theils die Landesordnung, theils die Herren Obervögte
betreffen, habe man den Herren Deputierten» (des Rats!) «zu berathschlagen
übergeben.. übergeben...»

Das ist Alles an bewilligten «Konzessionen». Nur der «sonderbar
gnädige» Nachlass des Soldatengeldes kann halbwegs als solche gelten;
obschon dieser ohnehin längst fällig war, da diese Steuer lediglich eine
Kriegssteuer für besondere Aufwendungen gegen den äusseren Feind
während des 30jährigen Krieges und dieser Krieg seit fünf Jahren zuende
war. Die Regierung hatte also dem Volk bereits fünf Jahre zuviel
Soldatengelder abgepresst. Die «Ringerung» des Salzpreises um 2-3
Batzen ist ein Hohn; denn das Regierungsmonopol auf das Salz und
der drückende Kaufzwang blieben, und die lukrativen Salzbussen erst
recht —denn die waren eine zu bequeme Bereicherungsquelle für alle
jungen Herren, die sich als Landvögte die Sporen der höheren Regierungskarriere
verdienen wollten. Schon Punkt 3 aber kehrt den Spiess
um zur Offensive gegen das Volk: er bedeutet, dass so wichtige Forderungen
desselben wie die, nicht als Bürgerkriegstruppe gegen die Klassengenossen
der andern Kantone verwendet zu werden —und überhaupt
alle politischen Forderungen —der diktatorischen Entscheidung
des Ratsausschusses ausgeliefert werden sollten, an dessen Spitze Wetttein
stand.

Dann tritt der totalitäre Polizeistaatcharakter vollends hervor in
der «angehängten Vermahnung» an die Bauern, «ihren neulich geschworenen
theuren und schweren Eid zu beobachten, sich vor den
fremden Aufwieglern, sonderlich Entlebuchern und Oltenern zu hüten,
denen kein Gehör zu geben, sondern sie ihren Obervögten zu rügen»
(d. h. zu denunzieren!), «auch sonst sich alles Gehorsams, Friedens und
Einigkeit zu befleissen, weil sonst U. gn. H. (Unsere gnädigen Herren)
ihr Missfallen alles Ernstes würden sehen lassen»! Dann ist noch davon
die Rede, dass derselbe Ratsausschuss, an dessen Spitze Herr Wettstein
steht, dafür zu sorgen habe, wie künftig «das obrigkeitliche Ansehen
manuteniert » werden solle, wie die «Unschuldigen» (d. h. solche


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 254 - arpa Themen Projekte
«getreuen» Spitzel und Ohrenträger wie Wirz, von Arx und Konsorten)
«wider allerhand Tätlichkeiten geschützt und ihres Leibes und Lebens
versichert», wie «den bösen Buben (!) ihr Unrecht zu erkennen gegeben
und hiemit den verderblichen Bündnissen der Unterthanen zuvorgekommen
werden möge»! Und zum Schluss wird der Polizeiknüppel
selber hervorgeholt und die Auslieferung eines «Rädlinsführers » anbefohlen:
«Ein Michel Murrt, Glaser von Liestal, der den Emmentalern
als Schreiber gedient und zu Liestal nicht wenig Ungelegenheit, die
sich von da in die Aemter ausgegossen, verursacht, ist auf Betreten gefänglich
nach Basel zu schicken»!

Kurz, dieses Basler «Versöhnungsinstrument» vom 16. April ist
eine hundertprozentige praktische Anwendung des Badener «Gemeinen
Mandates». Und da sollen wir es gläubig hinnehmen, wenn unsere
Herrenchronisten (mit Heusler) durch die Bank weg behaupten: «Mit
grosser Freude (!) wurde dieser Beschluss von den Ausschüssen vernommen,
und sie eilten nach Hause, um die frohe Botschaft (!) ihren
Gemeinden mitzuteilen»! Diese «Freude» werde «gleichsam von Allen
bezeugt», sogar von Uli Schad und Isaak Bowe... Das ist zuviel verlangt,
da muss etwas nicht stimmen.

Und in der Tat: während die Kapitulanten, die Ohrenträger und
die Verräter am 16. April in den «Ausschüssen» zu Basel sassen und
sich als stumme Statisten in dem von den Obervögten zum Gaudium
der Herren XIII zurechtgemachten Schaustück vor dem Träger der
Hauptrolle, vor Wettstein, eines über das andere Mal bis auf den Boden
Buckten —genau zu derselben Zeit machten die echten Revolutionäre
draussen auf der Landschaft ihre erste richtige Revolution! Sie
konnten also gar nicht in Basel anwesend gewesen sein...

Es ist wahrhaft herzerfrischend, was für ein Sturm da auf einmal
durchs Land fegte! Und es ist nur natürlich, dass dieselben Herrenchronisten,
die uns soeben von der «grossen Freude gleichsam von
Allen» an der jämmerlichen Demütigung der Kapitulanten-Ausschüsse
berichteten, angesichts dieses allgemeinen Landsturms förmlich den
Atem verlieren und uns weismachen wollen, dieser Vulkanausbruch
eines ganzen Volkes sei lediglich auf einen grossen Jux zurückzuführen,
den ein paar junge Burschen, «untergeordnete Dorflärmer» und
«von durchschwärmter Nacht erhitzte Gesellen», in einer Wirtschaft
in Oberdorf ausgeheckt hätten. Wir wollen hier diese wahrhaft kindische
Fratze, die die Herrenchronisten der historischen Wirklichkeit
übergezogen haben, dieser wieder abstreifen und das edle Antlitz dieses
spontanen Volksaufstandes wiederherzustellen versuchen. Wir brauchen
uns dabei nur auf die Nachrichten zu stützen, die diese Herren
selbst uns liefern.

Mit welch verräterisch inniger Teilnahme schildert doch Heusler
die Enttäuschung der Kapitulanten, als sie schon bei ihrem Aufbruch
von Basel am Nachmittag des 16. April Kunde von den neuen Ereignissen
auf dem Lande bekamen! Und wie viel tiefere Ursachen müssen diese


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 255 - arpa Themen Projekte
gehabt haben, wenn ein Herrenchronist wie ein zweiter Jeremias
darüber schreiben muss! Heusler erzählt: «Als so die Ausschüsse frohen
und leichten Herzens die Stadt verliessen, kam ihnen unter dem
Aeschentor die Kunde zu von dem, was sich inzwischen auf der Landschaft
zugetragen. Schmerzhaft betroffen beschleunigten sie ihre Heimreise,
um dem Uebel zu steuern. Denn in demselben Augenblicke, als
die Obrigkeit den Beschwerden der Untertanen mit Abhilfe entgegenkam,
gingen im Amte Farnsburg Dinge vor, welche zeigten, wie tief
bereits das Ansehen von Gesetz und Recht erschüttert, in welche Gärung
die sonst in der Tiefe des Volkslebens schlummernden anarchischen
Kräfte übergegangen waren.»

Was war geschehen? Auf dem Land hatte sich gegen das Kapitulieren
vor der Regierung seitens der «Ausschüsse» und aller bisherigen
«Führer» eine wahre Wut angesammelt. Man hatte ja bereits einige
Erfahrung damit seit den «Verhandlungen» in Liestal, Gelterkinden
und Sissach und besonders seit dem Bittgang der «Ausschüsse» am
9. April nach Basel. Man fühlte sich durch deren angemasste Sprecher
und Leisetreter wie den Untervogt Jakob Wirz, den Amtspfleger J. J.
von Arx und andere verraten und verkauft. Bereits hatte sich ja diese
Wut in Gelterkinden an den Verantwortlichen in Prügeleien ausgelassen.
Da brauchte nur der bekannte Funke ins Pulverfass zu springen
—und das ganze Land ging in die Luft.

Dieser auslösende Funke, aber natürlich nicht die Ursache, war
ein durchaus sinnvoller Handstreich, den sich eine Gruppe von Oberdorfern
unter der Führung von Heid Erni und Xander Balz —die in
Oberdorf, wie wir sahen, von Beginn an in der Führung lagen —bereits
am Abend des 15. in der Wirtschaft in Oberdorf ausdachten und
sofort ausführten. Es war ganz logischerweise auf eine Strafexpedition
gegen alle erreichbaren Miesmacher und Kapitulanten abgesehen, und
zwar auf ihre Unschädlichmachung durch Gefangensetzung; in erster
Linie auf die Gefangennahme der beiden, die den Landschäftler Bauern
ihre ganze «Supplication» vom 6. April am 9. in Basel durch ihre
Unterwürfigkeit der Regierung gegenüber völlig verdorben hatten:
den Untervogt Jakob Wirz von Buus und den Amtspfleger von Sissach,
die es nach ihrer Verprügelung in Gelterkinden nicht mehr gewagt
hatten, abermals nach Basel zu gehen. Eine andere als Selbsthilfe, etwa
die Kaltstellung dieser von der Regierung bestellten und gestützten
Volksschädlinge durch Wegwahl oder andere politische Mittel, gab es
ja in einem politisch entrechteten Lande überhaupt nicht. Dass aber
die erdrückende Mehrheit des Volkes, nicht bloss eine Handvoll «untergeordneter
Dorflärmer», gegen diese Art von Vorteilfressern war,
bezeugt gerade die Schilderung des Herrenchronisten Heusler, wie aus
diesem «Streich loser Buben» innert 24 Stunden ein «wirklicher Landsturm»
wurde. Wir drucken den Bericht Heuslers hier in seinem vollen
Wortlaut ab:


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 256 - arpa Themen Projekte

Johann Rudolf Werdmüller

Generalmajor (Generalstabschef) der von der Tagsatzung gegen
die Bauern aufgebotenen eidgenössischen Herren-Armee.

Nach einem Originalstich von Auvray in der Landesbibliothek
in Bern.



Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 256 - arpa Themen Projekte
Abbildung 16


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 257 - arpa Themen Projekte


«Als nun am 5. (15.) Abends eine Anzahl untergeordneter Dorflärmer,
unter ihnen Hans Erni, genannt Heid Erni, und Balzer Waldner,
genannt Xander Balz von Oberdorf, in letzterem Orte zechten,
vernahmen sie, der Untervogt von Buus halte sich bei seinem Tochtermann
Martin Jenni, dem Senn auf dem obern Bölchen versteckt. Da
kam der Meyer des Alphofes Schwengi, Hans Stämpfli, zu ihnen und
erbot sich, sie über den Berg dahin zu führen. Ihrer 12 zogen mit ihm,
und als sie gegen den Bölchen kamen, liess sich der Schwengihans von
den Gesellen zum Schein binden, stossen, schlagen, um sich nachher
vor den andern Alpmeyern darauf berufen zu können, er habe nur gezwungen
bei dem Ueberfälle des Sennhofes den Weg gezeigt. So durchsuchten
sie den Sennhof, fanden aber den Untervogt nicht, worauf
Stämpfli sie ermunterte, ihn in Buus selbst aufzusuchen. Dieser Rath
fand bei den von durchschwärmter Nacht erhitzten Gesellen um so
leichter Eingang; sie rannten die Berghalde hinab nach Diegten, verstärkten
sich da mit freiwilligem und unfreiwilligem Zuzug, und stürmten
gleich einem durch Zuflüsse aus jeder Seitenschlucht anschwellenden
Waldstrom nach Sissach, nahmen hier den Amtspfleger von Arx
in seinem Wirthshause zur Sonne gefangen, und leerten ihm Küche und
Keller. Bereits hatte sich nun auch der Lärm dem Homburger Amte
mitgeteilt; von da kamen Schaaren nach Sissach, und was vorher ein
Streich loser Buben gewesen war, organisierte sich nun zum wirklichen
Landsturm. Unter Anführung von Amtspfleger Uli Gysin von
Läufelfingen, überfielen sie nun mit Ober- und Untergewehr die Dörfer
Gelterkinden, Ormalingen, Rothenflue, Anwyl, Oltingen, Wenslingen,
Zeglingen und andere, führten die treuen Beamten nach Sissach
ab und trieben allerlei Unfug. Der Vogt von Buus, auf den es zumeist
abgesehen war, hatte sich, zeitig gewarnt, nach Rheinfelden und
von da nach Basel geflüchtet; als sie ihn in seiner Wohnung nicht
fanden, entschädigten sie sich damit, dass sie allerlei Schaden bei ihm
anrichteten. —Gegen Abend kehrten die Ausschüsse aus der Stadt mit
dem günstigen Bescheide der Regierung nach Hause, worauf die Gefangenen
sofort wieder freigegeben wurden.»

Dazu ist nur noch Folgendes zu bemerken: wieso hatten die Bauern
es nötig, die ganze Reihe der angeführten Dörfer zu «überfallen»?
Merkwürdig, wo doch Heusler selbst sagt, dass ganze «Scharen»,
«gleich einem durch Zuflüsse aus jeder Seitenschlucht anschwellenden
Waldstrom», gen Sissach gestürmt seien und dass sich nun alles zum
«organisierten Landsturm» entwickelte! Woher sollte dieser gekommen
sein, wenn nicht eben aus den begeisterten «Zuflüssen» aus diesen Dörfern
selbst? Begeistert, ja: für den nur vorläufig allzu flüchtigen Traum
der Wiederherstellung des Rechts! Und leider wieder einmal —wie immer
in diesen Bauernkämpfen —mit ungeeigneten und nicht genügend
<>organisierten» Mitteln! Sodass der Begeisterungssturm ebenso rasch
wieder verfliegen konnte wie er aufgerauscht war und dass die heimkehrenden
Kapitulanten dank ihrem «günstigen Bescheide» —als welchen
sie den Fusstritt der gnädigen Herren submissest empfanden —
mit den ermüdeten und übernächtigten Landstürmern leichtes Spiel
gehabt zu haben scheinen...

Unser Herrenchronist beruft sich für sein Urteil über «die beiden
Urheber des Zuges» als «untergeordnete Dorflärmer» auf Uli Schad


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 258 - arpa Themen Projekte
selbst, der sie, offenbar in seinen späteren Verhören, «faule Lumpen»
genannt habe. Das kann sehr wohl sein; denn sie sind ihm offensichtlich,
ohne ihn zu fragen, einfach durchgebrannt, weil sie das blinde
Instrument des Volkszorns waren. Das mag den geltungssüchtigen
Basler Schybi umsomehr erzürnt haben, als es wohl stimmen wird, was
Heusler von Hans Erni, genannt Heid Erni, sagt, dass er «in den Akten
fast meist als ein ergebener Gehilfe von Schad» erscheine, «nirgends
aber als eigentlicher Führer». Ausserdem aber schildert Heusler den
Uli Schad selbst als einen, «der es mit den Mitteln nicht genau nahm».
Und schliesslich berichtet er auch, dass Uli Schad «im Anfange der
Bewegung krank» gewesen sei, sodass er möglicherweise nur wütend
darüber war, seine Führerrolle nicht schon in dieser ersten, gewissermassen
anonymen Rebellion durchführen zu können. Denn auch die
Anwesenheit Isaak Bowes in derselben ist nicht festzustellen; vielleicht,
weil die vom Waldenburger Amt aus im entfernteren Farnsburger Amt
vom Zaun gebrochene Bewegung in der Blitzesschnelle ihrer Entwicklung
nur noch das Homburger, nicht mehr das entlegenere Ramsteiner
Amt mitzuerfassen vermochte, wo Bowe zuhause war.

Tags darauf nun, am 17. April, am Gründonnerstag, als alle «Rebellanten»
längst wieder zuhause waren, schoss der Basler Rat mit 300
Mann Truppen gegen Liestal los, darunter 100 Mülhausern. Das tat
er sogar gegen den Rat des vorausgeschickten Zörnlin, den die Herren
XIII indigniert abfertigten, als er ihnen die inzwischen wieder eingetretene
Ruhe und die Freilassung der Gefangenen meldete. Letzterer
Meldung nicht achtend erklärten sie: «Es wäre das nicht dem obrigkeitlichen
Stande gemäss, getreue Unterthanen in böser Buben Gewalt
sitzen zu lassen, daher sollen die Truppen dort Poste fassen, das heisst
Liestal besetzen!

Das hatte gerade noch gefehlt, um endlich auch dieser Stadt den
Stachel des Zorns und der Empörung in die innerste Herzkammer zu
treiben. Denn Liestal war, ungeachtet noch mancher an Basel zu zählender
Steuer, die an ihre mittelalterliche Leibeigenschaft erinnerte (so
Manumissions-, Abzugs- und Zuzugsgebühren etc.), eine gegenüber den
Leuten der Landschaft unvergleichlich viel freiere Stadt, die stolz war
auf ihre Eigenrechte und sie auch bei viel geringeren Anlässen eifersüchtig
gegen alle Uebergriffe Basels verteidigte. Liestal war so frei,
«dass sogar von der (Basler) Regierung amtlich behauptet wurde, die
Obrigkeit habe die Liestaler, die doch erkaufte Eigenleute seien, freier
als ihre Burger und die Regimentsglieder selbst sitzen und wohnen
lassen». In der Tat wurden z. B. während des 30jährigen Krieges auf
die Stadt Basel «Lasten gelegt, mit denen man Liestal und das Land
verschonte». «Die Stadt Liestal hatte nicht nur ihre selbständige Munizipalverwaltung
unter einem durch Kooptation (eigenes Zuwahlrecht)
sich ergänzenden Rate von 18 Mitgliedern und zwei jährlich im Amte
wechselnden Schultheissen, welche der Form nach jedes Jahr durch
die (Basler) Regierung aus einem rechtlich unverbindlichen, aber faktisch


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 259 - arpa Themen Projekte
berücksichtigten dreifachen Vorschlage des Rates von Liestal ernannt
wurden. Sie hatte auch überdies eine Art von Regierungsrechten
über das aus den Dörfern Lausen, Seltisberg, Frenkendorf, Füllinsdorf
und Gibenach bestehende Amt Liestal. Schultheiss und Hat zu Liestal
behaupteten laut altem Herkommen das Recht, die Untervögte und
Meyer in diesen Ortschaften zu ernennen, der Schultheiss zu Liestal
hatte die Aufsicht über das Gericht Frenkendorf, die Mannschaft der
Dörfer stand unter den von Liestal ihr gesetzten Rottmeistern, und aus
allen Aemtern mussten die Masse in Liestal gefochten werden.» Das
Städtchen hatte mithin sogar eine winzige eigene «Armee» und selbstverständlich
eine eigene Stadtwache. Es hatte übrigens während des
dreissigjährigen Kriegs, den es ständig in nächster Nachbarschaft
hatte, starke Anstrengungen gemacht, seine nicht unbeträchtlichen Befestigungen
laufend zu verbessern. Ein im Juni, unmittelbar nach der
Niederschlagung des Aufstands, von Basel nach Liestal abgeordneter
Ratsherr, Jeremias Gemusäus, meldete dem Rat, «mit einer Art schreckhaften
Erstaunens», der Ort sei «mit festen Blätzen, Thürmen, Stückhen
(Kanonen), Geschoss, Munition und allerhand Defensionswerk dermassen
bewandt, dass man sich gegen etliche tausend Mann eine ziemliche
Zeit wehren und aufhalten könnte».

Nun hatte Liestal zu dieser Zeit zwei Schultheissen von ganz verschiedenem
Gepräge. Den einen, den erklärten Herrendiener Imhoff
kennen wir schon; er war seit 1650 im Amt und war zugleich Salz-
und Kornmeister; an ihm war im Jahre 1653 die Reihe als regierender
Schultheiss. Der andere, in diesem Jahr Altschultheiss, war Heinrich
Gysin, Schneidermeister; er war, hoch geachtet in Stadt und Land,
schon seit 1624 im Amt und war zugleich Zolleinnehmer; er stand jetzt
im achtzigsten Lebensjahr. Dieser achtunggebietende Mann nun, die
Verkörperung der Freiheitstradition der Liestaler, war zusammen mit
seinem feurigen Sohn Hans Gysin, einem Schuhmachermeister, die
Seele und Stütze der gesamten revolutionären Bürgerschaft Liestals,
und sie blieben es standhaft bis zum bitteren Ende. Grund genug für
einen Herrenchronisten wie Heusler, diese ehrwürdige Figur, die die
Sache der Rebellion umso sympathischer machen könnte, als er selbst
gestehen muss, Heinrich Gysin habe «zwar seit 29 Jahren sein Amt
untadelich geführt», nun wenigstens als altershalber unzurechnungsfähig
hinzustellen. «Der Aufgabe», sagt Heusler, «war er nicht mehr
gewachsen. Ihn beherrschte sein leidenschaftlicher Sohn, Hans Gysin
der Schuhmacher, den man den kleinen Schultheissen hiess; was dieser
wollte, musste sein, auch der Vater tat seinen Willen.» Aber selbst
Heusler erklärt: «Stadtschreiber Bischoff meinte ohne Zweifel den
Schultheissen Gysin, wenn er (22. Juni) schrieb: ,es sei unschwer zu
erachten, wenn nicht zu Anfang etliche ansehnliche Personen Wohlgefallen
an dem Aufruhr getragen, sondern bei guter Zeit dem glühenden
Funken ernstlich gesteuert hätten, so würde das Feuer nicht in so
grausame Flammen ausgebrochen sein'.» Und der Führer der revolutionären


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 260 - arpa Themen Projekte
Bürgerschaft Liestals, der uns bereits bekannte Seilermeister
Konrad Schuler, der als erster die Verbindung mit den Bauern aufgenommen
hatte, erklärte stolz noch vor dem Blutgericht, das ihn zum
Tode verurteilte: der Schultheiss Gysin «sei ein frommer Mann, sei bei
ihnen gestanden wie Moses», fügte aber, um ihn zu entlasten, hinzu, er
habe «kein ungeduldig Wort gegen die Obrigkeit nie geredt».

Nun ist leicht zu ermessen, welche Beleidigung es für die Bürgerschaft
dieser freiheitsstolzen kleinen Stadt bedeutete, als am Gründonnerstag
früh «die eine Basler Kompagnie, unter Hauptmann Ludwig
Krug, sich dem obern Tore nahte, dort ohne weiteres die Bürger mit
barschen Worten vertrieb und die Wache selbst übernahm, und als die
Mülhauser das gleiche bei dem untern Tore taten»! Es ist natürlich
nicht genug, wie Heusler zu sagen: es «entstand unter den Bürgern
grosser Unwille»; oder: «die Liestaler liefen zusammen und wollten
sie nicht übernehmen, doch wurden sie beschwichtigt und die Mannschaft
hereingelassen». Vielmehr bedeutete dieser Ueberfall der «Herren
XIII» von Basel —des Herrn Wettstein — auf die friedliche freie
Stadt, die an den Unruhen des Tags zuvor nicht einmal beteiligt war,
einen eklatanten Verrat an den Freiheitsrechten der Stadt aus rein
machtpolitischem Interesse, um sich nämlich einen festen Punkt
mitten in der Landschaft gegen die Bauern zu verschaffen. Recht war
eben auch für die Basler Herren, was ihnen nützte —aber dieser rechtsbrüchige
Missbrauch trieb, wie die Folge zeigen wird, die Bürger
Liestals nicht nur in die Arme der Basler Bauern, sondern geradenwegs
in den grossen Volksbund von Sumiswald und Huttwil!...

Doch vorläufig wollen wir hier nur noch zeigen, welches die unmittelbare
Wirkung auf das Verhältnis von Bürger und Bauer im
Baselland selber war.

«Die Kunde von dem Auszuge der Basler nach Liestal erregte im
Lande gewaltigen Lärm», berichtet Heusler. Die Bauern im ganzen
Land hatten kaum eben — am Tag zuvor —die Waffen abgelegt, als
sie diese fuchsteufelswild schon wieder anlegten und gegen Liestal
stürmten, wie sie tags zuvor gegen Sissach gestürmt waren. Wer hat
sie aufgeboten? Die Basler Herren beschuldigten die Liestaler, und
wenn auch diese keinen Anlass hatten, dies zuzugeben, so wäre es
doch naiv anzunehmen, dass jedenfalls die Revolutionäre unter den
Liestalern mit verschränkten Armen zugesehen hätten, wie die Basler
Herrentruppen ihre städtischen Rechte mit Füssen traten und die Bürger
als «Leibeigene» beschimpften. Gewiss haben die Aktivsten unter
den Bürgern, wie Konrad Schuler und der Schultheissensohn Gysin,
sofort Boten in alle Täler geschickt, um die Bauern, mit denen sie
längst gute Verbindung hatten, zur Hilfe aufzubieten.

Aber noch ein anderes Aufgebot erweckt unser besonderes Interesse:
«dass Arbeiter aus der Stadt (d. h. aus Basel!) das Reingoldswilertal
— die Reingoldswiler galten alle als ,hart', nur einer sei
,lind' — von dem Ausmarsche in Kenntnis gesetzt und dadurch umso


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 261 - arpa Themen Projekte
grössere Aufregung verursacht hatten, als man dort wohl von den Unfugen»
(Heusler!) «des vorigen Tages nur unvollkommen unterrichtet
sein mochte». Das zeigt uns, dass es selbst in der Hochburg des Herrengottesgnadentum
eine herrenfeindliche Partei gab. Und in der Tat
wissen wir —schon durch eine Nachricht vom 26. März —, dass «auch
in der Bürgerschaft ungleich geredt wurde» und deshalb die Einberufung
des Grossen Rates nötig gewesen war; also ähnlich wie in
Luzern.

Aber das Aufgebot ging nicht nur an die Basler Landschäftler,
sondern auch an die Solothurner; z. B. lief Urs Schweizer, Wirt von
Reigoldswil, über den Jura nach Mümliswil, um «die Oberländer aufzumahnen»,
d. h. die Aufständischen der übrigen, «oberen» Kantone
überhaupt! Darin zeigt sich, noch bevor ein förmlicher Bund geschlossen
war, die Wirksamkeit des nach dem Aarauer Zug durch die gemeinsame
Anstrengung der Berner, Solothurner und Basler Bauern
über dem ganzen Jura errichteten Wach-, Signal- und Botensystems.
«Der Lärm», berichtet Heusler, «verbreitete sich durch das ganze Waldenburger
Amt bis ins Solothurnische, von wo aus bewaffnete Scharen
über den Hauenstein aufbrachen».

So kam es, dass innert weniger Stunden —auch alles hier noch
Folgende läuft innert des einen Tages, des 17. April, ab —weit über
tausend gut gerüstete, grossenteils mit Musketen bewaffnete Bauern
vor den Toren Liestals lagen. «An der Spitze stand Hans Bernhard Roth
von Reigoldswil», berichtet Heusler (nach Vulliemin war es Uli Schad),
«ein Mann mit rotem Barte, der ein grosses Schlachtschwert führte,
das, wenn emporgehoben, die tiefste Stille, wenn zur Erde gesenkt,
das unsinnigste Toben und Wüten der Landstürmer hervorrief. Dieser
schickte den Trommelschläger Fridlin Tschudin von Lupsingen in
das Städtchen mit der Erklärung, sie wollten keine ,Spitzhosen' (Herrentruppen)
darin dulden, und bis Schlag drei Uhr müssten sie fort
sein; nach den Angaben der Liestaler» (welcher? Imhoffs und der
Seinen?) «wurde auch gedroht, im Gstadig, wo die Einwohner Scheunen
und Ställe hatten, zu brennen. Vergebens war nun alles Abmahnen,
vergebens liess Oberst Zörnlin unter Trommelschlag die gestrigen Zugeständnisse
der Regierung ausrufen, vergebens liess ihnen Schultheiss
Imhoff zwei Saum Wein (!) versprechen, wenn sie abziehen wollten»!

Zu dem Druck von aussen kam nun auch der Druck von innen.
Schultheiss Heinrich Gysin, ein Teil des Rates und zweifellos die erdrückende
Mehrheit der Bürgerschaft erzwang vom Obersten Zörnlin,
«gegen das Versprechen, den Abzug der Bauern zu bewirken», die Bewachung
der Tore wieder der Liestaler Bürgerwache zu übergeben.
«Aber die Bauern zogen nicht ab. Die Schultheissen» (? wahrscheinlich
Imhoff allein!) «befahlen nun, die Tore zu schliessen aber die Bürger
schnitten die Seile an den Fallbrücken ab, viele Bauern wurden hereingelassen,
die ganze Bürgerschaft lief zur Wehr, auch die Soldaten fassten


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 262 - arpa Themen Projekte
Posto. Da kam» (der regierungstreue) «Hans Gysin, Amtspfleger
von Höllstein, angeritten: er beschwor, man solle das Volk» (die Herrentruppen)
«abführen; von allen Orten, auch aus dem Solothurnischen
kommen Leute. Die Bauern drängten immer mehr dem Tore zu.»

Dabei spielten sich Szenen ab wie folgende. Von den Basler Truppen
und Offizieren wurden die Liestaler Bürger als «Leibeigene» insultiert,
die ihnen zu gehorchen hätten. Das nun war der böseste Schimpf,
den man den Liestalern antun konnte, gerade weil tatsächlich, wie wir
sahen, noch Reste von Leibeigenschafts-Steuern sie an die Basler Herren
banden. «Ihnen grauste», wie der Schultheissensohn Gysin sagte,
«vor der Leibeigenschaft», und «als Wortwechsel zwischen Soldaten
und Bürgern stattfanden... wurde daher abgeredt, Bürger von Basel,
die ihnen die Leibeigenschaft vorhalten würden, ziemlicher Massen zu
schlagen». Was denn wohl auch geschehen ist. Aber nicht nur in
Liestal «auch in den übrigen Aemtern» gab es, genau wie in Luzern,
genug solcher, «welche vermeinten, die Obrigkeit habe nicht Land und
Leute, sondern nur Zins und Zehnten gekauft». So hat sie der Sekretär
des Liestaler Stadtschreibers, Stähelin, an die Herren denunziert. Eine
tapfere Reigoldswilerin, Margrit Barthlome, wagte es z. B., zu sagen:
«sie wollten nicht wie bisher erkaufte Leute genannt werden, man sei
seither» (seit dem 14. Jahrhundert!) «für den Kaufschilling durch allerhand
Einnahmen wohl wieder bezahlt worden...»

War dies schon Grund genug für die Liestaler Bürger, sich auf
die Seite der Bauern zu schlagen, um auch diesen letzten Rest des mittelalterlichen
Joches mit ihrer Hilfe abzuwerfen, so reizten sie andererseits
besonders die Waldenburger in ihrem Stolze auf durch Reden
wie die: «Wenn wir Stücklin (Kanonen) hätten, wie die Liestaler, so
wollten wir durch die ganze Welt ziehen, Gottes Freund und aller Welt
Feind sein!» Oder sie versprachen geradenwegs, «sie wollten einen Ort
der Eidgenossenschaft aus Liestal machen!» Was ja auch der Traum
der Entlebucher und der Willisauer war. Und was schliesslich 1832
zur Tatsache wurde.

Der Ausgang des Liestaler Zuges war für Zörnlin und seine Auftraggeber,
die Herren XIII, eine womöglich noch schmählichere Niederlage
als der des Aarauer Zuges. Zwar wollten die Hauptleute «nun auf
Bauern und Bürger losgehen, aber die Ratsdeputieren erinnerten sie,
dass sie nichts Tätliches unternehmen dürfen, gingen dann zu den
Bauern hinaus, die sie durch Zureden so lange aufhielten, bis die Soldaten
abgeführt werden konnten». Auf dem Heimwege wurde noch
durch Leute von Füllinsdorf auf dieselben geschossen und ein Soldat
aus Mülhausen verwundet. «Nach Abzug der Basler zogen auch die
Bauern wieder nach Hause. Die Solothurner blieben dann über Nacht
in Langenbruck und Waldenburg, und am folgenden Tag, Karfreitag,
wurde dann von einzelnen der Gedanke betrieben, mit denselben vor
Basel zu ziehen... Daniel Jenny, der Sattler zu Langenbruck, wurde


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 263 - arpa Themen Projekte
dessen beschuldigt, und auf Bedrohen mit der Folter sagte er wenigstens,
er sei der Meinung gewesen, die Mümliswiler sollten bis Muttenz
ziehen und die Stadt fragen lassen, ob Freund oder Feind?... Heid
Erni äusserte in einem Verhöre, nur junge Buben hätten von einem
Zuge gegen Basel gesprochen, sie wollten alle reich werden, wenn sie
Basel bekommen.» Aber es war nicht nur ein Bubengespräch; weit im
Volke herum ist seither immer wieder von einem «Zuge der Oberländer
gegen Basel» die Rede gegangen, wenn dieser Zug auch nie ausgeführt
wurde wie der gegen Luzern oder der gegen Bern. So hören wir beispielsweise
auch von der wackeren Reigoldswilerin Margrit Barthlome
wieder, sie habe gehört, <'die Berner werden für Basel ziehen, die Stadt
in Rhein stürzen, und gingen die Basler Unterthanen nicht so gern an
eine Hochzeit als begierig sie sind, diesem Werk zuzusehen»! Ein Solothurner
äusserte: «er wollte ohne Blutvergiessen nach Basel kommen,
denn die halbe Bürgerschaft sei auf der Bauern Seite»!

So muss also dieser Gründonnerstag als ein grosser Sieg des Basler
Volkes über seine Herren bezeichnet werden: als eine Demütigung der
Herren XIII und insbesondere Wettsteins, mit der das Volk die ihm
am Tag zuvor von diesen Herren zugefügte Demütigung mit bewundernswerter
Promptheit völlig wieder auslöschte. Selbst Heusler muss
lamentierend gestehen: «Diese Vorgänge verwischten nicht nur vollständig
den guten Eindruck der Tags zuvor gemachten Zugeständnisse,
sie erschütterten auch das Ansehen der Regierung aufs tiefste.»

Damit waren denn sowohl die Landschäftler Bauern wie die
Liestaler Bürger als dafür reif erwiesen, in den grossen, nun mit Riesenschritten
zur umfassenden schweizerischen Volkserhebung heranwachsenden
Volksbund aufgenommen zu werden. Nur sieben Tage
noch —und die Abgesandten aller aufständischen Teile der Eidgenossenschaft
trafen sich in Sumiswald zur ersten feierlichen Beschwörung
dieses Bundes!

Am Ostertag, den 20. April, «fand dann eine Zusammenkunft in
Höllstein, in der Wirtschaft des Amtspflegers Gysin, statt», auf der
zweifelsohne die Delegierten der Basler Landschaft zum grossen Sumiswalder
Volkstag bezeichnet wurden, an deren Spitze Isaak Bowe, Uli
Schad, Uli Gysin, der Amtspfleger von Läufelfingen, und Baschi Wirt:
von Sissach, als offizielle Vertreter der Aemter Ramstein, Waldenburg,
Homburg und Farnsburg. Denn bereits am folgenden Tag, am Ostermontag,
den 21. April zogen Ausschüsse aus der Landschaft Basel unter
Führung dieser Männer, sowie Joggi Mohlers von Diegten, über die
Kantonsgrenzen, um an der grossen Landsgemeinde der nun wieder
revolutionär gewordenen Solothurner in Oberbuchsiten teilzunehmen,
wo ebenfalls Abgeordnete für Sumiswald gewählt wurden, trotz
flehentlichen Bittens der Solothurner Regierung, davon abzustehen,
und trotz des obrigkeitlichen Aufgebots zweier engelszüngiger Kapuziner,
die «das Verbrechen des Hochverrats in seiner ganzen Abscheulichkeit


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 264 - arpa Themen Projekte
darstellten». Und hier in Oberbuchsiten trafen die Basellandschäftler
auch auf eine ganze Schar von Willisauern und Entlebuchern,
die auf allen in diesen Tagen im gesamten Aufstandsgebiet aufgebotenen
Amts- und Kantonalgemeinden allgegenwärtig waren, um das Feuer
des grossen Bundes für seine Stiftung und Beschwörung in Sumiswald
anzublasen...

Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 265 - arpa Themen Projekte


XII.
Die «Entlebuchischen boessen Botten» und die
«Wildsau von Willisau» —«in Suchung der Erwyterung
ihres schaendtlichen Pundts»

Die Entlebucher und Willisauer, Bauern und Bürger, waren und
blieben die tätigsten und leidenschaftlichsten Propagandisten für den
neuen Bund. Standhaft verweigerten sie jede Anerkennung des gefälschten
«Rechtlichen Spruchs» und liessen sich zu keiner neuen Huldigung
auf die Kniee zwingen. Denn das hätte die Abschwörung ihres alten, des
Wolhuser Bundes bedeutet —und den galt es um jeden Preis zu retten,
weil er für sie das Sprungbrett zum neuen, grösseren Bunde war.

Was aber führte den Umschwung herbei, der schliesslich die Verwirklichung
des grossen Planes der Entlebucher und der Willisauer
ermöglichte? Zwei geschichtliche Hauptmotive zu diesem Umschwung
treten in allen bisherigen Darstellungen des Bauernkriegs —bald getrennt,
bald gemeinsam, oft auch nur eines von beiden —hervor: die
Beschimpfung und Bedrohung der Bauern durch das «Gemeine Mandat»
der Tagsatzung vom 22. März, sowie die Beleidigung des Rechtsgefühls
der Bauern durch den zynischen Vorbehalt der Berner Regierung
bei ihren «Konzessionen» vom 4. April, diese nach ihrem Belieben
zu mindern, zu mehren oder auch ganz abzutun. Wir können die allgemeine
Auffassung so ziemlich aller Geschichtsschreiber des Bauernkriegs
über die Rolle dieser beiden Motive, besonders was das Badener
Mandat betrifft, mit dem Satz Liebenaus kennzeichnen: «Diese gegen
die gemeinsame Ehre der Bauern und die Freiheiten der zahlreichen
Gemeinden gerichteten Worte bildeten den Vereinigungspunkt für die
neue Erhebung.»

Jedoch wir bezweifeln, dass die blosse Wirkung von noch so starken
Worten, mag diese Wirkung so unleugbar und so tief sein, wie sie
wolle, hingereicht hätte, um eine konkrete geschichtliche Bewegung
von solchem Ausmass und insbesondere den faktischen grossen Zusammenschluss
aller revolutionären Kräfte gerade der Bauern zustandezubringen,
der nun in Gang kam. Wir suchen also noch nach anderen,
geschichtlich greifbareren Motiven.

Schwerlich dazu zu zählen sind die «Gründe», die eine solche
Koryphäe der Schweizergeschichtsschreibung wie Hans Nabholz nicht
ansteht, uns für den grossen Umschwung im Bauernkrieg (allerdings
in einer Arbeit, die schon 40 Jahre zurückliegt) anzugeben. Waren


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 266 - arpa Themen Projekte
bereits die Proteste der Luzerner Bauern gegen die notorische Zwyer'sche
Fälschung des «Rechtlichen Spruchs» für Nabholz «bloss Vorwände,
um weiter im Ungehorsam verharren zu können», so fährt er nun, um
den grossen Umschwung zu erklären, folgendermassen fort: «Die Bauernführer
gefielen sich als Leiter und Gebieter und gaben diese Stellung
nur ungern wieder auf. Auch den Bauern selbst war mit dem Essen der
Appetit gekommen...»! Diese tiefsinnige Erklärung konnte Nabholz
allerdings schon bei Liebenau lesen, der das Motiv des Umschwungs
ebenfalls im «Entschluss der Dorfkönige, von der einmal erlangten
Stelle nicht wieder abzutreten», erblickt; und Liebenau hatte es von
Vock, und Vock von den Luzernischen Herrenchronisten der Bauernkriegszeit
Cysat und Wagenmann. Aber Nabholz fährt unmittelbar
fort: «Immer deutlicher trat zu Tage, dass die ganze Bewegung ihren
Charakter zu verändern anfing. Die Untertanen begnügten sich nicht
mehr damit, Erleichterungen von einzelnen, allzudrückenden Lasten
zu verlangen, sozialistische und revolutionäre Pläne stiegen in ihnen
auf...» (Liebenau schrieb: « ... sozialistische Tendenzen traten nackter
als je hervor»!) «... die umso schneller zu widersinnigen Phantomen
anwuchsen, je geringer ihre Einsicht in die Organisation und die
Bedürfnisse eines Staatswesens» (notabene: des absolutistischen Herrenstaates!)
«waren. Es erwachte die Lust...» (Liebenau schrieb —
nach Cysat-Wagenmann —: «Immer allgemeiner wurde die Revolutionslust»!)
«... überhaupt keine Zinsen und Zehnten mehr zu bezahlen,
Handel und Verkehr mit der Hauptstadt abzubrechen und vor
allein einen grossen Bund zu stiften». Man denke — aus purer «Lust»!...

Doch wir suchen nach einem ernsthaften historisch-politischen
Ereignis, das wirklich ursächlich erklärt, warum es den Entlebuchern
und Willisauern gerade zu diesem Zeitpunkt, um die Wende vom März
zum April, gelang, die — ausser in ihrem eigenen Gebiet —derart zerstreuten
und anarchischen Kräfte ihrer Revolution zu sammeln und
binnen drei Wochen in einem grossen, überkantonalen Bund zu organisieren.

Höchst merkwürdig mutet es uns an, dass bei sogut wie allen Geschichtsschreibern
des Bauernkriegs ein historisches Ereignis. das
sie doch alle nennen und zum Teil sogar ausgiebig schildern und das
zeitlich ausgesucht an der richtigen Stelle sitzt, um seinen ursächlichen
Zusammenhang mit dem entscheidenden Umschwung im Bauernkrieg
auf den ersten Blick zu erkennen, überhaupt nicht unter den von ihnen
gegebenen Motivierungen für diesen Umschwung erscheint: ich meine
den Aarauer Zug der Basler Herrentruppen vom 28./29. März, als von
der Basler Regierung eigenmächtig durchgeführtes Teilstück der ersten
eidgenössischen Exekution gegen die Bauern im Bauernkrieg. der von
der Tagsatzung am 21. März mit dem «Defensionalwerk» beschlossenen
und vom Vorort am 25. März mitten in der Durchführung unterbrochenen
militärischen Exekution.

Einen einzigen historischen Schriftsteller gibt es, bei dem dieses


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 267 - arpa Themen Projekte
Ereignis überhaupt in diesem Zusammenhang genannt wird (wenn
auch wirklich nicht mehr): es ist der Zürcher Herrenchronist G. J. Peter,
der Geschichtschreiber des Zürcher Anteils am Bauernkrieg. Auch
bei ihm zwar erscheint dieses Motiv nicht in der richtigen Auswertung.
Aber er erkennt dieses Ereignis doch wenigstens in seiner Wirkung
als militärische Provokation und er bringt diese in ursächlichen
Zusammenhang mit der Entstehung des neuen Bundes. G. J. Peter berichtet
zunächst, wie die Luzerner sich mit den Berner und Solothurner
Bauern in Verbindung setzten und fährt dann fort: «Denn es kam
unter den Luzerner Bauern das Gerücht auf» (hier müsste es heissen:
es bildete sich aus der bitteren Erfahrung mit der Tagsatzung die begründete
Ueberzeugung!), «sämtliche Obrigkeiten hätten zu Baden
einen Bund wider die Untertanen geschlossen und man wolle die Landschaft
Luzern mit Waffengewalt zum Gehorsam zwingen, und als die
Solothurner Bauern einen Brief des Bischofs von Basel auffingen, worin
er sich bereit erklärte, seine Truppen gemäss dem badischen Abschied
marschbereit zu halten und als Bericht einlief, dass die Basler
und Mühlhauser Truppen bereits bis nach Aarau vormarschiert seien,
um offenbar nach Luzern vorzurücken, erwachte bei den Willisauern
der Gedanke, dem Bunde der Regierungen und zum Schutze dagegen
sei ein grosser Bund der gesamten unzufriedenen Bauernschaft entgegenzustellen.
Dieser Gedanke zündete.»

Nun ist zwar der Bundesgedanke nicht erst dadurch erwacht und
nicht erst bei den Willisauern —aber «zündend» ist dieser, von den
Entlebuchern längst ausgebrütete Gedanke in der Tat erst durch den
Aarauer Zug und seine Folgen auf sämtliche Aufständischen der Schweiz
übertragen worden. Durch diesen Zug nämlich, d. h. durch eine Exekution
von Herrentruppen in eidgenössischem Dienst, aus dem Hoheitsgebiet
der einen Regierung in dasjenige einer andern, wurde der von
den Entlebuchern, dann von den Willisauern und schliesslich von allen
Luzerner Bauern von jeher hartnäckig festgehaltene Verdacht des
«Ueberfalls fremder Truppen» in den Augen aller Schweizerbauern, ja
auch aller Bürger der abhängigen Städte, glänzend gerechtfertigt!

Denn «fremde Truppen» bedeutete nicht etwa nur nichtschweizerische
Söldner wie die «gefrorenen Welschen», sondern überhaupt
Hilfstruppen der Herren untereinander, der einen Regierung an die
andere, zum Zweck der Niederhaltung von Volksbewegungen in deren
Gebiet. «Die Regierungen sollten» —wie Liebenau das Begehren der
Bauern in dieser Hinsicht richtig interpretiert — »weder einheimische,
noch fremde Soldaten gegen die Untertanen zu den Waffen rufen, sondern
die allfälligen Streitigkeiten durch ein Schiedsgericht entscheiden
lassen, bestehend aus Vertretern der Regierungen und der Untertanen.»
«Fremde Truppen» waren also in den Augen aller Unterdrückten und
Ausgebeuteten klar als solche erkannte Bürgerkriegstruppen, d. h. das
Unterdrückungsinstrument einer durch alle Kantone durchgehenden
herrschenden Klasse gegen die Klasse der Unterdrückten. Durch die so


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 268 - arpa Themen Projekte
leidenschaftliche Verfemung solcher gegenseitiger Truppenhilfe der
Regierungen untereinander sollte seitens der durch sie bedrohten
Bauern und Bürger nicht nur die eigene Regierung als Verräterin und
Unterdrückerin des eigenen Volkes mittels fremder Gewalt gebrandmarkt
werden. Vielmehr galt der ganze lodernde Hass des Volkes eben
der Vereinigung der Herren zu diesem Zweck, d. h. dem von den Bauern
selbst so getauften «Herrenbund».

Sein militärisches Gesicht nun hatte der Herrenbund zum erstenmal
eindeutig im Aarauer Zug allem Volk vor Augen geführt, wenn
auch nur in einem im Verhältnis zum Ganzen des Badener «Defensionals»
eher lächerlichen Bruchstück. Tatsache war: die Regierung
des zuletzt in die allgemeine Bauernbewegung einschwenkenden Kantons
hatte als erste einen solchen gefürchteten und berüchtigten «Ueberfall
fremder Truppen», die erste militärische Exekution auf anderem
als dem eigenen «souveränen» Herrschaftsgebiet, mithin die erste eidgenössische
Exekution, vor aller Welt vollzogen. Gerade der Umstand
nun, dass diese erste eidgenössische Aktion, dank der so leidenschaftlichen
Gegenwirkung des bewaffneten Volkes ohne Ansehen der kantonalen
Zugehörigkeit, so jämmerlich scheiterte, gerade dies gab dem
Volk den von da an ungeheuer anschwellenden Glauben an die Möglichkeit,
seine Rechte und Freiheiten durch dieselben Mittel zu schützen
und zu erkämpfen, durch die die Herren sie zu unterdrücken suchten:
durch Vereinigung aller Volkskräfte zu einem ebenfalls überkantonalen
«Volksbund» (auch diesen Namen haben die Bauern ihrem
Bund selber gegeben) und durch militärische Organisation!

In der Tat war die sofortige Wirkung des Aarauer Zuges —und
also die erste konkrete Form eines faktischen, wenn auch noch nicht
formell beschworenen Bundes — die einer Verbindung über alle Kantonsgrenzen
hinweg zum gegenseitigen bewaffneten Schutz gegen das
Ueberzogenwerden mit «fremden Truppen». Die erste unmittelbarste
Folge nämlich war die, dass das militärische Wach-, Signal- und Bereitschaftssystem
der Bauern, das die Entlebucher erfunden, die Willisauer
und Rothenburger in allen zehn Aemtern eifrig entwickelt und
die Emmentaler schon früh von den Entlebuchern übernommen hatten,
sich nun mit einem Schlag auf alle übrigen aufständischen Gebiete,
und besonders intensiv auf die allerjüngsten, ausbreitete: auf alle
Brücken, Strassen, Bergpässe und Hochwachten im Ober- und Unteraargau
und in den Freien Aemtern, auf den ganzen Jura vom Weissenstein
bis zu den Lägern und das ganze Baselbiet hinab bis vor die
Tore Basels.

Die andere, kaum weniger unmittelbare Folge war eine grundlegend
politische. Jetzt endlich sah auch der dümmste Bauer in allen
von der Unruhe erfassten Gebieten ein, dass jede lokale Selbsthilfe
gegen eine Regierung, die von vielen verbündeten Regierungen jeden
Tag Truppen bekommen konnte, zwecklos und nichts als verpuffte
Kraft war; dass also nur die grosse Zusammenfassung aller Kräfte in


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 269 - arpa Themen Projekte
einem überlokalen Bund, dass nur ein allgemeiner Volksbund die Möglichkeit
schuf, die Rechte und Freiheiten des ganzen Volkes gegen den
Herrenbund der Räuber dieser Rechte und Freiheiten durchzusetzen.

Wie positiv in diesem Sinne die Rückwirkungen gerade des
Aarauer Zuges waren, geht schon aus der galligen gegenseitigen Kritik
hervor, die sofort nach dem Misslingen dieses Zuges unter den Herren
selbst einsetzte. So schrieb der Basler Rat — also Wettstein — die
Schuld daran dem Versagen der anderen «Miteidgenossen» inbezug auf
die Ausführung der Badener Beschlüsse zu. Wie dem Zürcher Rat, so
schrieb er auch dem Berner Rat am 31. März — vom Herrenstandpunkt
aus ganz richtig —: «dass man am besten getan hätte, die Beschlüsse
der Tagsatzung von Baden in Bezug auf die Bewaffnung und die Verteidigungsanstalten
vorerst einmütig und genau zu vollziehen und dann
erst sich in Unterhandlungen mit den Bauern einzulassen». (Verhandlungen
unter dem Druck militärischer Gewalt: das also war, nebenbei
gesagt, das offen eingestandene Ziel des «Friedensstifters» Wettstein
dem eigenen Volk gegenüber!). In einem anderen Satz dieses Schreibens
nun malt der «starke Mann» des Basler Regiments den Miteidgenossen
den Teufel an die Wand, den sie dadurch heraufbeschworen
hatten, dass sie seine Exekution im Stiche liessen: «Aus solchen widersprechenden
und veränderlichen Beschlüssen werde nur grössere Verwirrung
und Unruhe hervorgehen, die Verzögerung und Unentschlossenheit
der Regierungen die Rebellen mutiger und unternehmender
machen und auch die bisher noch treuen Untertanen der Gefahr der
Verführung preisgeben.» Gerade das aber lag im Interesse der Bauern,
im Interesse ihrer Rechte und Freiheiten! Der Berner Ratsherr und
Venner Willading zahlte die Vorwürfe Wettstein persönlich heim in
einem Schreiben vom 2. April, in welchem er das Verhalten der Basler
Regierung als Provokation blosstellt (scheinheilig genug, denn sie war
ja vom Berner Rat ausgegangen, als da die Kriegspartei noch obenauf
war!), indem er schreibt: das Verhalten der Basler Regierung habe den
Bauern im Aargau «ein Herz gemacht, sich gleich denen im Emmental,
ja noch ärger, zu empören; jetzt seien die Bauern Meister und schrieben
vor, was sie wollten»! Gerade dies aber zeigt, wie positiv die Rückwirkungen
des Aarauer Zuges für die Sache der Bauern war.

Kein Zweifel also: dieser Aarauer Zug machte in der ganzen
Schweiz die wirksamste Propaganda für die Sache der Bauern. Nicht
nur trieb er die eigenen Bauern der Basler Regierung erst eigentlich
gegen sie in die Waffen; nicht nur versetzte er die von diesem Zug betroffenen
solothurnischen und bernischen Aemter in hellen bewaffneten
Aufruhr. Er ist durch die eben auseinandergesetzten Rückwirkungen
vielmehr zum eigentlichen historisch-politischen Geburtshelfer des
Sumiswalder und Huttwiler Bundes geworden.

Es war darum sehr logisch und konsequent von den Entlebuchern
und den Willisauern, den Aarauer Zug sofort, ohne einen Tag zu verlieren,


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 270 - arpa Themen Projekte
zum Alarmsignal zu machen, um alle zehn Aemter, und wenn
möglich auch gleich die Bürgerschaft der Hauptstadt, wieder zu mobilisieren
und für ihre neuen, grossen Absichten fest in die Hand zu
bekommen. In der Tat stellten sie schon seit dem 28. März im ganzen
Land herum wieder Wachen auf und sperrten bald auch wieder, so
viel an ihnen lag, die Zufuhr von Korn und Vieh in die Stadt Luzern.
«Die mit der Ausstellung der Wachen gleichzeitig beginnende Sperre
gegen die Städte» —sagt Liebenau — «hatte den Zweck, die Bürger»
(d. h. die rebellisch Gesinnten der Stadt Luzern sowohl wie die anderer
Städte) «gegen die Regierungen aufzureizen. Von dieser Massregel
versprachen sich die Bauern den Sturz der ihnen verhassten Aristokraten.
Gerade deshalb knüpfen die Häupter der Revolutionäre in den kritischen
Momenten immer neue Verbindungen mit den Bürgern an...»
In der Tat berichtet der Luzerner Priester Jodokund Knab, der im
Jahr 1653 zum Bischof von Lausanne erhoben wurde, unterm 8. April:
«Die Bürger in hiesiger Stadt haben sich neuerdings erhoben und verlangen...
auch ihrerseits Zutritt zum geheimen Rate und die Berechtigung,
an den Ratswahlen teilzunehmen. Obwohl ihnen bei Todesstrafe
(!) verboten worden ist, Zusammenkünfte zu veranstalten, versammeln
sie sich gleichwohl fast täglich in ihren gewohnten Lokalen.»
Es kann wohl keinem Zweifel unterliegen, dass sie dies nur in Verbindung
mit dem wieder mächtig anwachsenden Aufstand der Bauern im
Lande draussen wagen durften. Dennoch vermochten die Bauern diese
latente Bundesgenossenschaft nicht auszunützen. Dazu fehlte sowohl
ihnen wie den Bürgern von Luzern einstweilen noch das volle Bewusstsein,
worum es ging, und den Bürgern wohl auch der Mut. Denn auf
alle Verbündungsversuche der Bauern erklärten die Bürger nach Liebenau
«konsequent: wir wollten gern zu euch fallen, aber wir dürfen
nicht»!

Die fieberhafte Errichtung von Wachposten, die die Entlebucher
zusammen mit den Emmentalern hauptsächlich deshalb betrieben,
um Briefe der Herren untereinander über militärische Pläne abzufangen,
tarnte Hans Emmenegger übrigens mit der Vorgabe, «Mordbrenner
haben sich heimlich ins Gebiet von Bern und Luzern eingeschlichen».
«N. Willading von Bern dagegen bezeichnete in einem Schreiben
an den Abt von St. Urban die angeblichen Mordbrenner als Emmissäre
der revolutionären Emmentaler»! Das war in denselben Tagen,
als die andern Emmentaler mit Leuenberger an der Spitze nach Bern
gingen, um dort den Fussfall zu tun.

In eben diesen Tagen strengten sich die Luzerner Herren gewaltig
an, es den Berner Herren gleich zu tun, «Konzessionen» zu versprechen,
die man entschlossen war, nicht einzuhalten und auf Grund dieses
Köders von den Aemtern die neue Huldigung und damit die Anerkennung
des gefälschten «Rechtsspruchs» zu erschleichen. Aber der Erfolg
dieser vielen «Umritte» der Herren —denn von den Luzerner
Bauern war, ausser natürlich den heimlichen Spionen und Kapitulanten,


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 271 - arpa Themen Projekte
keiner in die Stadt zu bringen —war jämmerlich. Was da etwa
am 5. April in den Landvogteien Malters, Büron, Triengen und Knutwil
«huldigte», waren winzige Grüppchen von Kapitulanten und
Ohrenbläsern, die die Herren selbst nicht ernst zu nehmen vermochten.
«Am 4. April sollte Kriens dem Landvogt Jost Pfyffer huldigen;
allein es kam zu einer ,Affront' und der Landvogt kehrte unverrichteter
Dinge heim.» «Als Schultheiss Dulliker und Rudolf Mohr in Ruswil
erschienen, fanden sie nur den vierten Teil der Bevölkerung auf
dem Platze; sie begnügten sich aber damit und nahmen die Huldigung
vor. In Horw war so wenig Volk anwesend, dass die Beerdigung auf
den 6. verschoben wurde.» Usw.

Einen Erfolg allerdings brachte diese Kampagne den Herren ein:
Kaspar Steiner fiel wieder um, ja, er spielte ihnen sogar — wenn auch
sehr vorübergehend —das ganze Amt Rothenburg wieder in die Hände!
Diese traurige Figur glaubte, für ihre ehrgeizigen Pläne wieder einmal
auf den Sieg der Herren setzen und deshalb sich um sie verdient machen
zu müssen. Darum «gelang es —wie Liebenau berichtet —der
Regierung von Luzern, anlässlich der am 3. April nach Rothenburg
einberufenen Gemeindeversammlung, den Demagogen Kaspar Steiner
für sich zu gewinnen, worauf das ganze Amt Rothenburg der Stadt
Luzern unter der Bedingung» (das war Steiners demagogisches Feigenblatt)
«huldigte, dass den übrigen Aemtern ihre Freiheiten und Rechte
bestätigt werden». Das war Kaspar Steiners zweiter Eidbruch gegenüber
seinen Wolhuser Schwurgenossen.

Bevor aber die Herren diesen Erfolg mit Hülfe Steiners weitertreiben
konnten, warfen ihnen die Entlebucher einen erratischen Block
in den Weg, wie nur sie es vermochten. Sie waren ja bei den Aelplersportfesten
der Innerschweiz immer die berühmtesten Steinstosser. Als
am 6. und 7. April eine feierliche Ratsabordnung mit Schultheiss Fleckenstein
an der Spitze —in Begleitung der beiden «Ehrengesandten»
Beat zur Lauben von Zug und Landammann Schorno von Schwyz und
des zu den Herren übergelaufenen päpstlichen Protonotars und Dekans
zu Ruswil Melchior Lüthard —überraschend ins Entlebuch kam, der
Meinung, durch solch ansehnlichen Aufmarsch das Land überrumpeln
und zur Huldigung bringen können, da liess sich der Landespannermeister
Hans Emmenegger «krank melden' und sein Stellvertreter,
der Landesfähnrich, «machte sich heimlich davon»! In der Kirche von
Escholzmatt, «vor nur 500 Personen, hielten Fleckenstein, der Dekan
und Landesammann Schorno zierliche Reden». Dann verlangte der
Weibe! Emmenegger, Hansens Vetter: «zuerst soll der Artikel 9 des
Spruchbriefes gestrichen werden». Das war der berüchtigte, von Zwyer
eingeschmuggelte Hauptartikel zur Verfemung des Wolhuser Bundes!
Alsdann verlangte der Landeshauptmann Glanzmann, dass «die hinterhaltenen
Urkunden ausgehändigt werden, damit sie sehen, welche
Rechte sie besitzen». Schliesslich, und das schien schon der Gipfel:
«Das Mandat der 13 eidgenössischen Orte vom 22. März soll aufgehoben


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 272 - arpa Themen Projekte

Johann Georg Werdmüller

Zürcher Ratsherr und Militärdirektor,

Generalfeldzeugmeister der von der Tagsatzung gegen die Bauern
aufgebotenen eidgenössischen Herren-Armee.

Nach einem Originalstich von Conrad Meyer in der Landesbibliothek
in Bern.



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Abbildung 17


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 273 - arpa Themen Projekte

werden. Die Tagsatzung solle dasselbe widerrufen und durch eine
Druckschrift eine Ehrenerklärung der 10 Aemter verbreiten»!

Dann aber trat der Bundeskanzler des Wolhuser Bundes, der
tapfere Schulmeister Müller, hervor und fragte den Schultheiss Fleckenstein
ins Gesicht: «Im Spruchbrief ist wohl die Rede von den Strafen,
welche die 10 Aemter treffen sollen, wer soll aber die Obrigkeit
strafen, wenn sie Fehler begeht?» Darauf Schultheiss Fleckenstein
empört: «Gott!» Als darauf aber der Pfarrer von Escholzmatt, ein
«Linder», in dieselbe Kerbe hauen und zugunsten der Regierung von
Gottesgnaden das Wort ergreifen wollte, da entstand «ein arger Tumult»,
und er wurde von den Bauern unsanft vor die Kirchentüre gesetzt!
Jetzt verlangten die Rädelsführer der Bauern: zuerst soll die
Obrigkeit schwören, dass sie die Rechte des Volkes respektieren wolle»!
Und Schulmeister Müller fragte den Schwyzer Landammann Schorno:
«Warum dürfen eure Leute Gemeinden halten, wir aber nicht?» (Er
hielt also diese Landsgemeinden immer noch für demokratisch!)
Zuletzt aber trat Stephan Lötscher auf und erklärte vor Volk und Regierung:
«Wir schwören nicht, sondern wollen aus unsern Suppenhäfen
und Sennkesseln Kanonen giessen»! Das war das Ende des Bekehrungsversuchs.
Die hohen Herren räumten entsetzt das Feld —aber
noch an der Kirchentüre «händigten ihnen die Entlebucher ihre Postulate...
schriftlich ein». Das muss man sagen: diesen grossartigen Stil
der Behandlung ihrer Herren hat den Luzerner Bauern kein anderer
Kanton nachgemacht.

Aber noch in einem andern Punkt überragten sie ihre Klassengenossen
in den andern Kantonen um Haupteslänge. Sie, die erzkatholischen
Entlebucher, versuchten wahrhaftig, um ihren protestantischen
Berner Kampfgenossen gerade im Moment ihrer tiefsten Demütigung
den Weg zum neuen Bunde zu erleichtern, niemand Geringeren als
das Oberhaupt der bernischen protestantischen Kirche selbst zur Anerkennung
ihres guten Rechtes zu bringen, sich mit den Berner Bauern
zur Wahrung ihrer Rechte und Freiheiten zu verbünden! Wie hoch
sie mit dieser kühnen Durchbrechung aller abergläubischen Religionsschranken
den geistigen Horizont ihrer eigenen katholischen Herren
überstiegen, geht aus einem Bericht des päpstlichen Nuntius hervor,
der am 8. April nach Rom schrieb: « ... Besagte Leute (die Luzerner
und Berner Bauern) wollen an ihrem Bunde festhalten, und die Herren
hier wollen und können dies nicht zugestehen; denn das Zugeständnis
würde unserer heiligen Religion zum schweren Nachteil gereichen»!
Jedoch war es in Wirklichkeit nicht die heilige Religion den den Luzerner
Herren dieses «Zugeständnis» nicht erlaubte —das war nur der
immer beliebte und stets wirksame, weil auf allgemeinem Vorurteil
beruhende Vorwand —; vielmehr war es ihr durchaus reales Klasseninteresse,
im ungeteilten Besitz ihres Machtmonopols zu bleiben. Genau
so aber war es bei den Entlebucher Bauern ihr Klasseninteresse, das sie
die «heilige Religion» hintansetzen und das Bündnis mit den Berner


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 274 - arpa Themen Projekte
Bauern zur Wiedererlangung ihrer Rechte und Freiheiten nun mit allen
Mitteln, unter Durchbrechung sowohl der kirchlichen wie der staatlichen
Schranken, zu verwirklichen hiess. Insofern ist dies nichts Neues;
sie waren schon lange auf diesem Wege.

Neu und erstaunlich ist das Mittel, da sie nun wählten: ein hochoffizielles
Schreiben vom 9. April, das «Landessiegler, Pannermeister
und die übrigen Vorgesetzten des Amtes Entlebuch» an das «bernische
Ministerium», d. h. an die geistliche, protestantische Oberbehörde des
Staates Bern, richtete, deren Vorsteher — «Antistes» —der Theologieprofessor
Christoph Lüthard war; seltsamerweise also ein Namensvetter
des inzwischen der Bauernsache abtrünnig gewordenen Dekans von
Ruswil und päpstlichen Protonotars, der den Wolhuser Bund feierlich
eingesegnet hatte. Es ist ein Schreiben, in dem die Entlebucher in rührendem
Idealismus, aber —wie der Zürcher Herrenchronist G. J. Peter
schreibt — «natürlich vollkommen erfolglos, die Berner Geistlichkeit
für sich zu gewinnen und darzutun suchten, dass sie zu einer neuen
Erhebung gegen die Regierung durchaus gezwungen seien und das
Recht auf ihrer Seite sei».

So einfach, wie dieser Herrenchronist sie darstellt, war die von
den Entlebuchern vorgebrachte Sache jedoch nicht. Wie aus der bei
Liebenau allein und nur im Auszug wiedergegebenen ausführlichen
Antwort des Antistes Luthard vom 19. April, die er natürlich im Auftrag
seiner Berner Herren verfasste, hervorgeht, haben die Entlebucher
zunächst sehr energisch das Recht der Berner Herren bestritten, «Volk
gegen sie aufzubieten, da die Erhebung ein Akt der Notwehr sei, die
durch allzu harte Bussen, Bestrafung der Verstorbenen und Eingriffe
in die alten Freiheiten und Rechte des Landes sei hervorgerufen worden»;
ein Akt der Notwehr gegen «die übermächtige, grosse Geldsaugerei
der luzernischen Amtleute » und die «Erfolgslosigkeit der...
Beschwerden, die oft sogar mit Einkerkerung der Kläger geendet habe».
Jedoch dies war nur die Rechtfertigung der Entlebucher für ihre rebellische
Haltung gegen ihre eigene, luzernische Obrigkeit. Und natürlich
nimmt Lüthard diese in seiner Antwort heftig in Schutz: «Die
Obrigkeit von Luzern werde doch auch das Recht der Verteidigung besitzen»!

Der Kernpunkt aber war ein anderer. Indem die Entlebucher den
Berner Herren das Recht bestritten, «Volk gegen sie aufzubieten»,
gingen sie unmittelbar zum Angriff gegen die Tagsatzung über und
forderten den Widerruf des sie beschimpfenden «Gemeinen Mandats».
Denn Lüthard kehrt in seiner Antwort den Spiess unverfroren um und
herrscht die Entlebucher an: «Die schimpfliche Behandlung der Obrigkeit
und der Tagsatzung der XIII Orte wegen des Patents (Mandats)
könne die Geistlichkeit nicht billigen. Der verlangte Widerruf sei mit
der Ehre der Obrigkeit unvereinbar»! Und auch sonst sei das Hauptbestreben Lüthards in dieser «klugen, reich mit biblischen Beispielen


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belegten Druckschrift» —wie der katholische Herrenchronist Liebenau
diese protestantische Herrenrechtfertigung rühmt, — den «Bund der
XIII Orte und ihrer Zugewandten gegen die Untertanen», also den Herrenbund,
in allen Tonarten zu rechtfertigen, weil derselbe nur zu dem
Zwecke geschlossen sei, die Hoheit und die von Gott gegebene Gewalt
zu schützen». «Das Gesetz der Natur wie das Wort Gottes erlaube die
Hilfeleistung an die bedrohte Regierung einer verbündeten Stadt.» Dass
dasselbe «Gesetz der Natur» und dasselbe «Wort Gottes» auch die
Hilfeleistung der bedrohten Völker untereinander gestatte —das hingegen
war in den Augen des Berner Obergeistlichen eine Gotteslästerung.
Denn er wettert nun dagegen, «dass die Entlebucher das Landvolk
von Bern, das sich mit seiner Obrigkeit verglichen hatte, durch
,heimliche Zusammenkünften' wieder von der Treue gegen die Obrigkeit
abwendig zu machen suchen». Und er schleudert das Anathema
gegen sie: «Diese neue Verbindung gegen die Obrigkeit führe zum Eidbruch
und müsse mit dem Untergange der Untreuen enden»! Damit
sollte der nun in der Tat mächtig aufkeimende allgemeine Volksbund
ins Herz getroffen werden, zu dessen Wegbereitung die Entlebucher
das ganze Schreiben verfasst, das sie nur in hoffnungsloser «christlicher»
Blindheit an eine so falsche Adresse gerichtet hatten...

Als das Schreiben übrigens in Bern eintraf, war die protestantische
Koryphäe der Herren-Eidgenossenschaft, der Zürcher Bürgermeister
Waser, noch dort anwesend und eben damit beschäftigt, die von ihm
bewirkte Demütigung und Unterwerfung der Berner Bauern gegenüber
den Berner Herren weidlich auszukosten. Das Schreiben der Entlebucher
war für ihn das erste Sturmzeichen der neuen Erhebung. Was
tat Waser? Er schrieb sofort, schon am 11. April, der katholischen
Koryphäe des Herrenbundes, dem Herrn Feldmarschall Zwyer! Wie
Peter berichtet: «Kaum hatte Waser Kenntnis erhalten von der Zuschrift
der Entlebucher an die Antistes zu Bern, so wandte er sich an
Zwyer von Evibach mit der Bitte, ,durch seine bekannte fürsichtigkeit
und villgüetige weitere Interposition dem Lutzernischen gschefft seine
richtigkeit geben zu helfen'...»

Das «Lutzernische gschefft» aber hatten inzwischen nicht nur die
Entlebucher Bauern, sondern auch die Willisauer Bürger auf ein derartiges
Geleise gebracht, dass hier selbst von dem grossmächtigen Feldmarschall
nicht ein Korn mehr für die Herren herauszuholen war.
Noch am 7. April zwar schrieb Herr Zwyer an den Schultheissen Dulliker
vom Schloss Hilfikon aus in etwas galligem Humor: «Die Wildsau
in Willisau muss man wüten lassen; man muss diesen Leuten nur nicht
zu viel Rechte einräumen, dann wird mit der Zeit alles gut und den
Herrn Viktoria.» Aber bereits am 10. sah er keinen andern Ausweg
mehr als den, «ein Regiment, wie man sie in Italien habe», als «gutes
Mittel» zu verwenden —also den Krieg!

In der Tat waren auch die tapferen Willisauer inzwischen ihren


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 276 - arpa Themen Projekte
Weg leidenschaftlich weitergegangen, ohne sich um das heisse Bemühen
der gnädigen Herren, gerade ihren Fussfall herbeizuführen, zu
kümmern. Die Willisauer verwandelten jeden Versuch der Herren, eine
Kapitulanten-Gemeinde zustandezubringen, sofort in eine revolutionäre
Versammlung. Die Führer der Willisauer Bürger, der Sternenwirt Hans
Ulrich Amstein, der Kronenwirt Heinrich Peyer, der Metzgermeister
Hans Jakob Stürmli bildeten zusammen mit den Führern der Landschaft,
dem hitzigen Hauptmann Hans Diener von Nebikon, dem gerissenen
Bauernkrämer Jakob Schlüssel von Altishofen (der sich später
als gefährlicher Lockspitzel der Zürcher Herren entpuppte), dem Hofbesitzer
Fridolin Bucher von Steinaren bei Hilferdingen, jetzt Landesseckelmeister
des Amtes Willisau, und dem zähen Däywiler Bauer Hans
Häller eine Art von revolutionärem Klub oder Komitee, das permanent
in Aktion war. Sie entwickelten sich immer mehr zu den eigentlichen
Exekutoren der hochfliegenden Pläne der Entlebucher. In den Mauern
von Willisau wurde der grosse Plan des neuen Bundes am heftigsten
ausgegoren, und Hans Diener war dabei sein feurigster Prophet (aber
natürlich nicht sein Urheber, wie Liebenau es darstellt). Und die Spezialität
der Willisauer Stadtbürger war dabei begreiflicherweise die
Gewinnung anderer Städte für den Bund: der Nachbarstadt Sursee, die
sich lange dagegen sperrte, der solothurnischen Stadt Olten, die sie
seit dem Aarauer Zug in wenigen Tagen sturmreif zu machen verstanden,
der bernischen Städte Lenzburg und Aarburg und der baslerischen
Stadt Liestal, in welche alle sie ständig Briefe und Boten abfertigten.

Schon am 3. April — mithin genau an dem Tag, als die Solothurner
Bauern in Oberbuchsiten durchs Joch gingen — waren daher von
Olten der Mondwirt Hans Jakob von Arx, der Färbermeister Leonz
Müller und ein dritter Oltener Bürger namens Kaspar Klein, ebenfalls
Färber, nach Willisau herübergekommen, um sich bei dem Komitee
zu erkundigen, «in was Massen und Gestalt sie mit ihnen einen Bund
machen wollen». Dann fand wenige Tage später bereits eine Versammlung
auf dem Rathaus zu Olten statt, in der zwei Schreiben des rebellischen
Rates von Willisau verlesen wurden und zwei Willisauer und
zwei Entlebucher zusammen den Beitritt der Stadt Olten zum neuen
Bunde erwirkten. Es war die entscheidende Versammlung, die erst
eigentlich «Organisation in die Bewegung brachte», d. h. auf der der
allgemeine Volksbund über die Grenzen des Wolhuser Bundes hinaus
in andere Staatsgrenzen verstiess. Die Propaganda für den neuen Bund,
die durch den sensationellen Uebertritt des gesamten Behörde-Apparates
der grössten solothurnischen Stadtgemeinde ausser der Hauptstadt
gemacht wurde, war umso wirksamer, als an den Oltener Beratungen
ständig auch Berner Bürger aus Aarburg und Basler Bürger aus
Liestal, so Heinrich Stutz, aber auch Baselbieter Bauern, wie Werli
Bowe, der Bruder Isaak Bowes, sowie der leidenschaftliche Vorkämpfer


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des neuen Bundes im Baselland, der Amtspfleger von Läufelfingen
Uli Gysin, teilnahmen. Dieser Uebertritt stürzte darum in der Folge
nicht nur den ganzen, eben errungenen «Frieden» der Solothurner Herren
um, er machte auch starken Eindruck in Bern und Basel, geschweige
in Luzern, aus dessen Gebiet die «Anstifter» nach Olten gekommen
waren.

Bereits «am 9. April brachte der Abt von St. Urban in Erfahrung,
dass nächstens in Willisau eine Versammlung der Bauern aus den
Kantonen Luzern, Bern, Zürich (!), Basel, Solothurn und Freiburg (!)
gehalten werden sollte». Wenn wir auch nicht wissen, auf welche bestimmte
Tatsachen dieses Gerücht sich stützte, so ist es doch für sich
allein schon charakteristisch für die grosse Ausdehnung der Tätigkeit
der Willisauer und Entlebucher Emissäre, aber auch für die zentrale
Bedeutung, die der Stadt Willisau in dieser Phase hinsichtlich der Entstehung
des neuen Bundes zugeschrieben wurde.

Begreiflich, dass nun die Luzerner Regierung abermals alle Hebel
in Bewegung setzte, um diese Veste von innen her zu Fall zu bringen —
abermals vergeblich, wie schon einst, kurz vor der Errichtung des
Wolhuser Bundes. Diesmal aber hatte sie für ihre «Diversion» einen
gewichtigen Verräter einzusetzen: Kaspar Steiner! «Die vermittelnde (!)
Haltung Steiners» —schreibt beschönigend der Herrenchronist Liebenau
— «erfüllte den Rat von Luzern mit den grössten Hoffnungen auf
eine gütliche Beilegung des Streites.» Diese «gütliche Beilegung» bestand
für die Luzerner Herren nämlich darin, «durch den einflussreichen
Siegrist Steiner das Willisauer Amt vom Entlebuch zu trennen»!

Noch hatten die Willisauer dessen Rolle nicht erkannt und schrieben
ihm immer noch vertrauliche Briefe. Steiner lieferte sie dem Schultheiss
Dulliker aus. So z. B. einen Brief Hans Ulrich Amsteins vom
7. April, in dem dieser im Namen der Willisauer das Amt Rothenburg
vor Truppen warnte, die die Luzerner Herren in Basel geworben hätten:
«Die Rothenburger sollen diese Truppen nicht durchpassieren
lassen und nach Willisau berichten.» Aehnliche Aufmahnungen zu
Wachsamkeit und militärischer Bereitschaft schrieben die Willisauer
in diesen Tagen an die Mitverschworenen in allen rebellischen Gebieten.

«Steiner ersuchte nun am 10. April den einflussreichen Stürmli
in Willisau, zu ihm nach Emmen zu kommen, von wo er sich mit ihm
nach Rathausen begeben wolle, um mit Schultheiss Dulliker sich in
Sachen der Entlebucher (!) ins Einvernehmen zu setzen.» Der Jesuitenschüler
Steiner hatte also einen grossen Dreh eingeleitet, um
einen der Hauptführer der Willisauer zu korrumpieren und ihn dann
als eindrucksvollen Saboteur bei den Entlebuchern einzusetzen! Er beging
dabei nur den Fehler, sich gerade an den ehrlichsten und senkrechtesten
Kämpfer unter den Willisauern zu wenden. Jetzt erkannten
diese ihren Judas und stiessen ihn mit Verachtung weg. Die Sprache


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unseres Herrenchronisten wird sehr zartfühlend, wo er über das Misslingen
dieser heiklen Sache eines Verräters im Dienste der Herren berichtet.
Und der mitfühlende Schmerz über dieses Misslingen wirft
Herrn von Liebenau sogar eine richtige und wichtige Erkenntnis ab:
«So beredt Steiner auch war, so einflussreich er auch in seiner Gemeinde
scheinen mochte, die Sache war nun einmal so weit gediehen,
dass nicht mehr die Anschauungen eines Einzelnen, wer dieser auch
sein mochte, im Lager der Bauern durchdringen konnte.»

Da Steiner sich seinen Herren nach dieser missglückten Diversion
weiter nützlich erweisen musste, wenn ihm der erhoffte Judaslohn
nicht gänzlich verloren gehen sollte, trieb er die Regierung dazu an,
sofort eine allgemeine Gemeinde von Ausgeschossenen aller zehn
Aemter zu veranstalten; er mochte dabei hoffen, die widerspenstigen
Entlebucher und Willisauer durch die anderen Aemter, auf Grund der
von der Regierung versprochenen «Konzessionen», majorisieren zu
können. Er hatte umso mehr Grund zur Eile damit, als die Herren bereits
am Tag seiner Abfuhr bei den Willisauern, am 10. April, einen
eigenen Weg zur Abhilfe beschritten hatten: sie mahnten «Zürich und
die andern Orte um getreues Aufsehen und Bereithaltung der Mannschaft».
Es war derselbe Weg zum Kriege, den Zwyer am gleichen Tage
empfohlen hatte. Zwar führte Luzerns Aufmahnung zu «getreuem
Aufsehen» noch nicht direkt zur Einberufung der Tagsatzung, d. h.
zur Kriegsberatung des Herrenbundes. Aber als dazu am 13. und 14.
April Bern, durch die starke Bewegung im Luzernischen und ihre
Rückwirkung aufs Bernbiet geängstigt, noch ausdrücklich die Wiedereinberufung
der Tagsatzung verlangte, da legte der Zürcher Rat die
Einladungsschreiben bereit, die dann zu der am 29. eröffneten Tagsatzung
führten. Schon am 11. aber erhoben die Willisauer —nicht
anders, als wären sie bereits ein souveräner Stand der Eidgenossenschaft
—die Forderung, ihre Klagen und ihre Rechtsansprüche durch
eigene Gesandte vor der Tagsatzung selbst zu vertreten. Dasselbe verlangten
sofort auch die Entlebucher. Und siehe da: «Der Rat von Zürich
entsprach dem Begehren der Bauern und gab den Delegierten von
Willisau und Entlebuch freies sicheres Geleit; ersuchte sie aber, inzwischen
sich ruhig zu verhalten.»

Inzwischen aber trieb gerade die auf Betreiben Steiners überhastet
in Gang gesetzte Maschinerie der zehn Aemter die revolutionäre Entwicklung
vorwärts. Und zwar waren es wieder die Willisauer, die sie
aus einem Mittel der Kapitulation zu einem Vehikel der Revolution
verwandelten. Auf den 13. April war die Delegiertenversammlung der
zehn Aemter ausgerechnet nach Schötz einberufen, an das sich für
alle Willisauer so stolze Erinnerungen an die kühnen «Schötzer Artikel»
knüpften, die man hier im Februar, ein paar Tage vor dem Bundesschwur
in Wolhusen, beschlossen und die man stets leidenschaftlich
aufrecht erhalten hatte. Am Tag vorher, am 12., machte man noch


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dazu den unter den gegebenen Umständen ganz sinnlosen, ja provokatorischen
Versuch, noch vorgängig der Zehn-Aemter-Versammlung
das Amt Willisau einzeln zu unterwerfen und es dabei sogar zu
spalten. «Am 12. April versuchten Abgeordnete von Luzern, im Beisein
des Abtes von St. Urban, in Schötz die Huldigung des Amtes Willisau
vorzunehmen» (d. h. der Landschaft Willisau). «Trotz des Zuspruchs
von Seite mehrerer Geistlicher war rein nichts auszurichten.» Am gleichen
Tage, am 12., wollte man durch eine Parallelaktion die Stadt
Willisau überrumpeln: «Als an diesem Tage der Landvogt Jost Pfyffer»
(ausgerechnet der eigene, bestgehasste Tyrann der Willisauer!) und
Johann Leopold Bircher in Willisau erschienen, um die Huldigung zu
verlangen, waren äusserst wenig Leute anwesend, die sich meist sehr
trotzig benahmen» — sogar die Wenigen, die überhaupt erschienen und
unter denen bestimmt kein einziger der revolutionären Führer war!
Die nämlich waren nach Schötz geeilt, um der Landschaft den Rücken
zu stärken. Es blieb Jost Pfyffer nichts anderes übrig, als den «äusserst
wenigen» Anwesenden mit den Folgen zu drohen, «die aus dieser Verweigerung
der Huldigung entspringen könnten», und gänzlich unverrichteter
Dinge wieder abzureiten.

Dass unter diesen Umständen auch die Delegiertenversammlung
in Schötz am darauffolgenden Tag ein glatter Misserfolg der Regierung
werden musste, ist klar. Diese Versammlung soll zwar «scheinbar
ruhig» verlaufen sein —aber nur weil all die jämmerlich kleinlichen
«Konzessionen» der Regierung, die hier als Köder ausgelegt wurden,
überhaupt keinen Eindruck mehr machten. Ja, gerade die umständliche
Wichtigtuerei für lauter —nicht einmal ernst gemeinte —Bagatellen
(in 25 Artikeln, sowie in 4 Extra-Artikeln für das Amt Kriens
und Horw, wie sie dann am 17. vom Rat zu Luzern feierlich promulgiert
wurden) musste im Vergleich mit dem Preis, der dafür gefordert
wurde, lächerlich wirken und auch die sanfteren Gemüter förmlich mit
der Nase darauf stossen, dass «Konzessionen» rein nichts als eben ein
Köder seien, für den es sich nicht lohnte, den Wolhuser Bund abzuschwören
und sich mit gebundenen Händen und Füssen an die Rechtsfolgen
der im «Rechtlichen Spruch» gebrandmarkten «Fehler» der
Bauern auszuliefern.

Kurz und gut: niemand hat ernstlich angebissen, mag auch der
Herrenchronist Liebenau versichern: «die Vertreter von acht Aemtern
(ausser Entlebuch und Willisau) erklärten, den Abgeordneten des Rates
Gehorsam leisten zu wollen...» Das werden die Ausgeschossenen nur
vorgeschützt haben, um Zeit zur Ausführung anderer, bereits beschlossener
Pläne zu gewinnen. Der Beweis für unsere Auffassung ist der:
schon am Tag darauf, am 14., konnte der revolutionäre Rat von Willisau
«je zwei Delegierte aus jedem der zehn Aemter zu einer neuen Versammlung
auf den 16. April nach Wolhusen» einberufen — und sämtliche
zehn Aemter folgten dieser Einladung! (Das war gerade an dem


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Tag, als die Baselbieter Ausschüsse in Basel gedemütigt wurden und
in der darauffolgenden Nacht der Baselbieter Landsturm gegen Liestal
losbrach.)

Schon die Wahl des Ortes der neuen Versammlung sprach deutlich
genug aus, was alle zehn Aemter wollten: nicht nur die Behauptung,
sondern sogar die Erneuerung und Erweiterung ihres Bundes. Hier
wurden die «Konzessionen» der Luzerner Regierung auch nicht eines
Wortes gewürdigt. Die Gegenstände ihrer Beschlüsse waren vielmehr
durchweg hochpolitische. Das drückte sich auch in ihrer Form aus.
Nicht nur an die Luzerner Regierung, sondern auch an die «sechs
katholischen Orte», die in Werthenstein und Ruswil unter Zwyers Direktion
«vermittelt» hatten, richteten die zehn Aemter ihre Beschwerden
und Forderungen. In erster Linie wiederholten sie ihre Anklage,
dass der «Rechtliche Spruch» der eidgenössischen «Ehrengesandten»,
dessen Anerkennung man ihnen mittels der «Konzessionen» abpressen
wollte, eine Fälschung sei: «der Rechtsspruch entspreche nicht den in
Ruswil getroffenen Vereinbarungen, da dort der Wolhuser Bund nicht
aberkannt worden sei», referiert der Herrenchronist Liebenau. Ferner
reklamieren sie ihr Rekursrecht an die sechs katholischen Orte gegenüber
der luzernischen Regierung: in Ruswil sei nämlich «auch zugestanden
worden, wenn Luzern wieder neue Aufsätze mache, sollen die
zehn Aemter berechtigt sein, bei den sechs katholischen Orten zu klagen».
Sodann verlangen sie, «im Spruchbriefe müsse das Wort ,Fehler'
getilgt werden», ja, wie Stephan Lötscher drei Tage später diese Forderung
vor dem versammelten Landrat von Nidwalden — «wo das Volk
sehr für dieselben (d. h. für die aufständischen Luzerner Bauern) eingenommen
war» —referiert: «Korrektur des rechtlichen Spruches in
dem Sinne, dass es dort heissen solle, nicht die zehn Aemter, sondern
die Regierung von Luzern hätte gefehlt»! Dann stellen sich alle zehn
Aemter einmütig vor die schon am 7. April von den Entlebuchern vor
dem in Schüpfheim erschienenen Schultheiss Fleckenstein erhobenen
zwei Hauptforderungen. Die eine formulierten sie jetzt so: «Dem Lande
Entlebuch müsse abschriftlich der Hauptbrief, wie Entlebuch an Luzern
gekommen sei, mitgeteilt werden.» Hinter dieser Forderung steckt
der zäh festgehaltene, ja immer hartnäckiger werdende Wille zur Unabhängigkeit
der Landschaft vom absolutistischen Regiment der Stadt
Luzern überhaupt. Und schliesslich gipfeln auch diese Wolhuser Beschlüsse
in dem nun unermüdlich wiederholten Verlangen: «das Mandat
von Baden sei zu revozieren»! Eine Forderung, die nun durch eine
Reihe von Gesandtschaften seit diesem Wolhuser Tage hartnäckig in
die Urkantone getragen wird, um sie zur Forderung der dortigen
Landsgemeinden zu machen.

Aber damit scheinen die Verhandlungsgegenstände dieser Wolhuser
Delegiertenversammlung der zehn Aemter noch nicht erschöpft
gewesen zu sein. Jedenfalls spricht Liebenau die wichtige Vermutung


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aus: «Offenbar wurde dort schon der Entwurf zum Huttwiler Bundesbrief
von Schullehrer Müller von Entlebuch vorgelegt.» In der Tat wird
das sehr wahrscheinlich gemacht durch die Tatsache, dass schon am
18. April in Willisau eine geheime Zusammenkunft von «Ausschüssen
der luzernischen Aemter » mit «Vertrauensmännern aus den Kantonen
Bern und Solothurn» veranstaltet werden konnte, die bereits «in die
artikelweise Beratung eines Bauernbundes» eintrat, «der an der Landsgemeinde
von Sumiswald vorgelegt werden sollte»! Und zwar berichtet
im Zusammenhang damit Liebenau: «Wie der Wolhuser Bund war auch
derjenige von Sumiswald nach den Geständnissen Emmeneggers... von
Caspar Unternährer ausgegangen.» Daran, wie auch an der soeben gemachten
Erwähnung des Schulmeisters Müller, ist jedenfalls soviel
wahr, dass auch der neue, grössere Bund, wie schon der Wolhuser
Bund, vom Entlebuch ausgegangen ist.

Wenn Vock dagegen, ebenfalls im Zusammenhang mit dieser geheimen
Willisauer Versammlung von Vertrauensmännern aus den Kantonen
Luzern, Bern und Solothurn vom 18. April, berichtet: «Der vom
bernischen Notar Johann Konrad Brönner entworfene Bundesbrief, der
auf der nächsten Landsgemeinde beschworen werden sollte, ward in
allen einzelnen Artikeln besprochen und beraten» — so kann daran
nur das Eine richtig sein: dass die Entlebucher und Willisauer die
weitere Ausarbeitung und vor allem die öffentliche Errichtung des
neuen, umfassenden Bundes den anwesenden Bernern zuschoben, was
durch die folgenden Ereignisse bestätigt wird. Es war von den katholischen
Luzerner Bauern und Kleinbürgern eine sowohl staatspolitisch
wie klassenpolitisch höchst kluge und weitsichtige Entscheidung: den
neuen Bundes plan aus seiner bisherigen Verschränkung mit dem Wolhuser
Bund, d. h. aus den Schranken des Luzerner Staats gebiets und
der katholischen Religion, herauszulösen und seine Realisierung auf
den Boden eines andern Staats und der protestantischen Religion zu
verpflanzen! Wir wissen wenig Genaues von dieser geheimen Willisauer
Versammlung. Aber wenn die eben genannte Entscheidung in ihr
fiel, dann stellt sie, konkret politisch gesehen, die Geburtsstunde und
das tapfere Städtchen Willisau die historische Wiege des einzigen allgemeinen,
an keine Kantons- und Religionsgrenzen gebundenen Volksbundes
der Schweizergeschichte dar.

Jedenfalls aber ist aus den auf diese Versammlung unmittelbar
folgenden Ereignissen mit Bestimmtheit zu schliessen, dass in Willisau
am 18. April Zeit und Ort der ersten, planmässig als solche einberufenen
interkantonalen Lands gemeinde beraten und beschlossen worden
sind: Sumiswald, den 23. April. Denn vom 18. April an vergeht kein
Tag, an dem nicht örtliche, Amts- oder Kantonal-Landsgemeinden in
allen vier aufständischen Kantonen, «zu Beratung der Artikel und zu
Ernennung der Deputierten» für die kommende grosse Landsgemeinde
stattgefunden hätten. Nach Vock «wählten die Luzerner ihre Ausgeschossenen


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 282 - arpa Themen Projekte
zur Landsgemeinde in Sumiswald» bereits auf der Willisauer
Geheimversammlung selbst.
Ein starker elektrischer Strom ging schon seit Tagen von den unausgesetzten,
fieberhaften Beratungen in Willisau aus; er stärkte den
Verzagten den Rücken, er richtete sogar bereits umgefallene Kapitulanten
wieder auf. Alles wandelte sich jetzt schnell. Noch zur Zeit der
Delegiertenversammlung der zehn Aemter in Wolhusen am 16. schrieb
Hans Emmenegger im Namen der Geschworenen des Entlebuchs an
die Willisauer: «Steiner von Emmen sei bereits abtrünnig und ein der
Regierung angenehmer Denunziant geworden. Er sei selbst auf die
Knie gefallen und habe, wie man sage, um Verzeihung gebeten.» Schon
am 18. lief in Luzern zum grossen Aerger der Regierung die Kunde
ein: «Steiner von Emmen... sei wieder zur Partei der Bauern übergetreten
und habe diesen die Aeusserungen des Schultheissen Dulliker
hinterbracht»! Und am 19. schrieben die Willisauer selbst, die ihn
noch vor wenigen Tagen verachtungsvoll abgewiesen hatten, treugläubig
an die Entlebucher: «Steiner stehe wieder treu zum Bunde. In
Rothenburg werden am 20. April 3000 Mann zusammenkommen» —
d. h. zu einer Landsgemeinde, die trotz der eben erfolgten, von Steiner
bewirkten Unterwerfung und Abschwörung des Wolhuser Bundes
wieder zu diesem stehen und Delegierte zur Beschwörung des neuen
Bundes nach Sumiswald senden sollte. Und sie sandten sie wirklich, an
ihrer Spitze —Kaspar Steiner!...

Auch ein anderer Kapitulant von einiger Bedeutung wurde von
dem neuen Aufschwung mitgerissen. Es war der «Führer» der Solothurner
Bauern, der Schälismüller Adam Zeltner, Untervogt in Niederbuchsiten,
der mit andern Solothurnern zusammen an der Geheimversammlung
vom 18. in Willisau als neutral sein wollender Beobachter
teilnahm. Dort aber war es, wo «dieser ehrliche, seiner Regierung getreue»
Untervogt, wie Vock sagt, «vom Sturme der allgemeinen Verwirrung
(sic!) nur auf Augenblicke hingerissen» wurde. Aber das ist
nur ein sicheres Zeichen dafür, dass die Masse der Solothurner Bauern
von der neuen Bundesidee bereits «hingerissen» und auch ohne Adam
Zeltner entschlossen war, ihre Delegierten nach Sumiswald zu schicken.
Genau so wie das «Wiederaufstehen» Kaspar Steiners nur dem Druck
der 3000 Rothenburger zu verdanken war, die sonst über ihn weg
nach Sumiswald gerannt wären. Jetzt schien es eben wieder aussichtsreich,
auf den Sieg der Bauern zu setzen — und man wundert sich
nur über die schafsfromme Langmut der Bauern, dass sie solche Spekulanten,
die die Sache der Bauern in jedem gefährlichen Augenblick
von vorn und hinten verrieten, immer wieder treugläubig in ihre brüderlichen
Arme schlossen.

Wichtiger war der durch diesen neuen Begeisterungsaufschwung
herbeigeführte Neugewinn eines ganzen grossen Landstrichs, benachbart,
aber ausserhalb der luzernischen Kantonsgrenze: der oberen


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Freien Aemter, einer «gemeinen Herrschaft», die unter der besonders
drückenden Ausbeutung von abwechselnd aus den sieben ältesten eidgenössischen
Orten —besonders also aus den «demokratischen» Urkantonen
—bestellten Landvögten litt, für die dieses Land ein fremdes
Untertanenland war, dem man skrupellos Reichtümer abpressen konnte.
Die Vögte bezahlten deshalb den biederen «Landgemeinden» der Urkantone
horrende Summen, um in Besitz dieser idealen Erpressungsposten
zu gelangen. Unter den Freiämtler Bauern, diesen wirklichen
«eidgenössischen Proletariern», zündete daher der Gedanke des neuen,
das ganze werktätige Volk umfassen sollenden Bundes begreiflicherweise
ganz besonders. Schon früher hatten sie durch heftige Zuckungen
ihre tiefe Sympathie mit dem Bund der zehn Aemter bewiesen.
Aber dem nur kantonal luzernischen Wolhuser Bund konnten sie nicht
beitreten, ohne sofort der Exekution durch die Tagsatzung, ihrer direkten
Regierung, zu verfallen. Jetzt sah das anders aus — wo das
gesamte werktätige Volk von vier «souveränen» Kantonen einen Bund
für alle Ausgebeuteten und Unterdrückten, Erniedrigten und Beleidigten
im ganzen Schweizerland errichten wollte!

Hören wir den Bericht des Solothurner Domdekans und frommen
Herrenchronisten Vock über diesen Neugewinn für die allgemeine
schweizerische Bauernsache. Das ist umso angemessener, als gerade
im Gebiet der Freien Aemter — wenn auch in ihrem unteren Teil. der
erst nach Sumiswald revolutioniert wurde —das Schlachtfeld liegt,
wo nach einigen Wochen die bewaffneten Massen der Bauernarmee
mit der Herrenarmee der Tagsatzung zusammenstossen werden. Nachdem
Vock beklagt hat, dass weder ein «rührendes Schreiben» des eidgenössischen
Vororts an die Willisauer, «worin er sie dringend hat,
von ihrem Beginnen abzustehen und die Ruhe des Vaterlandes ferner
nicht zu stören», noch ein ebensolches Schreiben, das die Solothurner
Regierung «an dieselben erlassen hatte, um sie, in wahrhaft väterlichem
und ganz unbefangenem Tone, zum Frieden zu ermahnen», bei den
Willisauern auch nur das geringste gefruchtet hätten, fährt er fort:
«Sie, mit den Entlebuchern, sannen nur auf glückliche Durchführung
und Befestigung des begonnenen Werks, und in allen X Aemtern des
Kantons Luzern war der Eifer und die Tätigkeit dafür lebhafter als
jemals, sodass auch die benachbarten Einwohner der obern freien
Aemter vom allgemeinen Taumel (sic!) ergriffen und in den gefahrvollen
Kampf hineingezogen wurden. Die Hochdorfer, im Amte Rothenburg,
redeten im täglichen Verkehr mit den Genossen der Pfarrei
Hitzkirch viel von dem neuen Wesen und von dem Bunde, den die
Bauern aus allen Kantonen bald miteinander gegen die Regierungen
schliessen werden. Uli Ineichen, aus dem obern Klotensperg. der
Pfarrei Hitzkirch, Hans Ineichen und Martin Moser, beide von Hitzkirch,
Hans Hegli, Sattler von Gelfingen, und der Statthalter Stoll. von
Aesch, wurden durch die Mitteilungen und Berichte der Hochdorfer


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 284 - arpa Themen Projekte
ganz begeistert und durch die häufigen Zuschriften der Rothenburger
darin bestärkt. Sie ruhten nicht, bis sich das Amt in der Kirche von
Hitzkirch zur Gemeinde versammelte. In dieser Versammlung machte
Hans Hegli ... den Vortrag und schilderte, wie die freien Aemter unter
dem Drucke der Landvögte aus den VII alten Orten schmachten müssen,
wie sie, wohl noch viel härter als die Luzerner, um unbedeutende
Fehler gestraft werden, dem Landschreiber» (das war zur Zeit der
Zuger Altammann und Zwyer-Diener Beat Jakob Zur Lauben) «für
seine Schreibereien, die nichts taugen, viel zahlen müssen» (der Originalbericht
lässt Hans Hegli sagen: «das Schreiben, so von der Oberkeit
herkomme, koste viel und sei nit eine Schlottermilch werth»!), «und
mit neuen Verordnungen, von denen die eine die andere wieder aufhebe,
täglich geplagt werde; jetzt, fügte er hinzu, sei ein schicklicher
Anlass, sich von diesen Beschwerden zu befreien; man solle der Einladung
der X Aemter von Luzern folgen und gemeinschaftliche Sache
mit ihnen machen». Obwohl nun nach vielem weiterem Hin- und Herreden
«ein Teil der Versammlung lärmend schrie: ,den Bauern zu!'»,
kam vorläufig nur ein Neutralitätsbeschluss zustande (denn hier waren
noch viele, die vor der sofortigen Exekution der Tagsatzung zitterten):
«dass man gemeiniglich still sitzen und keinem Teile beistehen wolle».
Aber Vock fährt fort: «Durch diesen Beschluss sahen sich zwar die
Rädelsführer in ihren Erwartungen getäuscht; sie liessen sich aber
nicht abwendig machen, sondern, durch den Zuspruch der Rothenburger
und Hochdorfer angefeuert, reisten Hans Hegli von Gelfingen,
Hans Ineichen und Martin Moser von Hitzkirch nach Willisau zur Versammlung
der X Aemter und baten um Aufnahme des Amts Hitzkirch
in den Bund. Ihrem Begehren wurde freudig entsprochen und ihnen
die Aufnahme mit Siegel und Brief bescheinigt. Einige Tage nach
ihrer Zurückkunft wurde durch Anstiftung (sic!) derselben die Amtsgemeinde
Hitzkirch wieder versammelt, der Beitritt zum Bunde der
X Aemter von Luzern beschlossen und eine Abordnung zur Landsgemeinde
in Sumiswald gewählt.»

Damit war also gewissermassen ein fünfter «Kanton» für den
Bund gewonnen, wenn dieser «Kanton» auch nur aus einem der
«freien» Aemter bestand, deren «Freiheit», wie zum Hohn ihres Namens,
einzig in der Fessellosigkeit der «demokratischen» Herren bei
der Ausbeutung dieses eroberten Untertanenlandes bestand. Aber eben
deshalb erregte der Beitritt der Freiämtler Bauern zum grossen neuen
Volksbund bei den Herren der ganzen Eidgenossenschaft nicht geringen
Schrecken. Denn nun fürchteten sie die ansteckende Wirkung
dieser Erhebung auf alle übrigen «gemeinen Herrschaften», d. h. mitten
in der Eidgenossenschaft gemeinsam unterworfenen und gemeinsam
ausgebeuteten Untertanenländer. Es gab darin durchaus keinen
Unterschied zwischen den sog. «demokratischen» und den offen aristokratischen
Regierungen. Denn «selbst die Stände Zug und Nidwalden»,


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 285 - arpa Themen Projekte
sagt Liebenau über die beiden relativ bauernfreundlichsten Orte unter
den Landsgemeinde-Kantonen, «mussten gegen ihren Willen die Lokalisierung
des Bauernaufstandes betreiben helfen, weil derselbe auch
auf die gemeinsamen eidgenössischen Vogteien sich auszudehnen begann,
aus denen sie ihre Staatseinkünfte bezogen und mit der Vernichtung
der Herrschaftsrechte in den eidgenössischen Vogteien der
Sieg der reformierten Konfession in der Schweiz entschieden war».

Die Erhebung der «eidgenössischen Vogteien» oder «gemeinen
Herrschaften» zu selbständigen Ständen der Eidgenossenschaft —also
ungefähr das, was erst über 150 Jahre später wirklich eintrat —wäre
zweifellos zu einer der wichtigsten geschichtlichen Auswirkungen des
Bauernkriegs geworden, wenn dieser nur um ein weniges länger gedauert
und für die Bauern auch nur halbwegs erfolgreich geendet hätte.
Das erkannte beispielsweise auch der venezianische Gesandte in Zürich,
der deshalb mit direktem Bezug auf dieses anscheinend winzige lokale
Ereignis an die Serenissima der Republik Venedig am 26. April schrieb:
«Man fürchtet hier sehr, dass auch die Leute von Baden und Bremgarten,
sowie die Thurgauer, Rheintaler und andere Bezirke und Gerichtssprengel
sich erheben werden, und daher hat man schon vor
zwei Tagen einflussreiche Personen ins Freiamt geschickt, die das
Verhalten der Landvögte und der Beamten prüfen und sich erkundigen
sollen, ob sich jemand zu beschweren habe, mit der Zusicherung, man
werde alles befriedigend erledigen... . diesen «einflussreichen
Personen» war, nebenbei, niemand Geringeres als der Seckelmeister
von Zürich Johann Konrad Werdmüller, der als bereits designierter
Generalissimus der gegen die Bauern aufgestellten Herrenarmee der
Tagsatzung die Gelegenheit dieser Reise nutzbringend dazu verwenden
konnte, das künftige Schlachtfeld zu studieren, für das ohnehin das
Freiamt schon deshalb die geeignetste Gegend war, weil es der Tagsatzung
und deren Vorort direkt unterstand und hier also keine Rechte
einer «souveränen» Kantonsregierung zu respektieren waren...

Die so ausserordentlich entschlossen vorgehende Tätigkeit der
Entlebucher und der Willisauer hatte natürlich ihrerseits eine direkte
Wirkung auf die Kriegsentschlossenheit der eidgenössischen Herren insgesamt.
Schon am 15. April waren «die Geheimräte von Luzern in Verbindung
mit den Kriegsräten der Urkantone» in Luzern unter dem Vorsitz
des Obersten Zwyer zusammengetreten. Letzterer hatte auf dieser
geheimen Sitzung auch bereits «über die missliche Lage der freien
Aemter und der Grafschaft Baden wie über die neuen Umtriebe von
Bern» Bericht erstattet. Es kann uns daher nicht wundern, dass Zwyer
am 17. aus Altdorf ausgerechnet an den Landvogt Samuel Tribolet in
Trachselwald schrieb: «Wenn man nicht mit gesamter Hand und zwar
so rasch wie möglich einschreite, so werde nicht mehr zu helfen sein;
denn diese Leute wollen nun einmal von ihrem nichtigen Bunde nicht
abstehen, sondern denselben immer mehr durch den Beitritt der Untertanen


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 286 - arpa Themen Projekte
anderer Orte stärken.» Und Zwyer übermittelte dem Tribolet zuhanden
des Schultheissen Dachselhofer in Bern gleichzeitig auch bereits
«ein Parere über das gemeinsame Vorgehen», d. h. einen Schlachtenplan.
Am gleichen Tag schrieb auch die Luzerner Regierung an den
Vorort: «dann nun ohne Rigor und Gewalt nicht mehr zu helfen sein
werde». Und «als Luzern am 18. April den Vorort von den unbilligen
Zumutungen und Begehren der Untertanen des Landes Entlebuch und
des Willisauer Amtes verständigte» — so formuliert der Zürcher Herrenchronist
G. J. Peter —, da drang auch «beim Zürcher Rat die Meinung
durch, dass man ,disser vast durchgehenden Revolution mehrteils
eidgenössischer Underthanen gegenüber die öffentliche Gewalt
anwenden" müsse». Die Berner Herren aber, immer zu jeder Brutalität
bereit, ja, stets ungeduldig darauf erpicht, dass keine Gelegenheit dazu
verpasst werde, warfen Zürich bereits «Unmüetigkeit» und «Zögerung»
vor und verlangten «daher am 19. April kategorisch, dass der Vorort
einlade, da die ,Schwierigkeiten' bei den bernischen Untertanen immer
bedeutender würden, ,ohnzwyfelich usa antrieb der hin- und her- im
Landt gespürten Entlebuchischen bossen Betten, in suchung der erwyterung
ihres schändtlichen Pundts'»! Bereits begannen nämlich auch
die Oberaargauer, Prügel und hölzerne Kanonen anzufertigen...»

Denn nun richtete sich auch der Berner Bär wieder gefährlich
auf. Schon am 13. April, so teilt Bögli mit, «berichtete der Landvogt
von Trachselwald» (der gerade in diesen Tagen, wie wir wissen, im engsten
Kontakt mit dem Obersten Zwyer zusammenarbeitete), «dass die
Emmentaler von den Entlebuchern zu einem gemeinsamen Bundschwur
auf gereizt würden». «Aus Landshut kam schon am 14. April
die Kunde» —also gerade als Wasers und Hirzels «Ehrengesandtschaften»
ihre «Pacificationstour» durchs Bernbiet beendeten — «dass die
Untertanen die Abmachungen der Ausschüsse nicht annähmen und an
einer Lands gemeinde zu Signau, wo sich auch Simmentaler, Lenzburger
und Entlebucher gezeigt, beigewohnt hätten. Von den Brandisern
vernahm die Regierung, dass sie aufrührerischer seien als zuvor. Die
Melchnauer, Rohrbacher und Madiswiler» —stets lauter hundertprozentig
revolutionäre Gemeinden — «verlangten heftig das Reisgeld
heraus. Auch Aarwangen war unruhig, und Aarburg» (d. h. der Landvogt,
nicht die schon längst aufrührerische Bürgerschaft) «begehrte
Truppen gegen Empörungen». «An diesem Aufstande», fügt Bögli lakonisch
hinzu, «nahmen auch die benachbarten Solothurner Anteil.»

In der Tat, jetzt fielen auch zwischen den Kantonen Bern und
Solothurn, genau wie auch zwischen den Kantonen Solothurn und
Basel, die staatlichen wie die religiös-konfessionellen Schranken für die
aufständischen Bauern und Bürger vollständig und endgültig. Die von
Langenthal im Bernischen schrieben am 15., wie Vock erzählt, an die
von Kestenholz im Solothurnischen, um sie für den neuen Bund anzufeuern,
und in ihrem Schreiben nahmen sie die luzernischen Klassengenossen


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 287 - arpa Themen Projekte
gegen die Verleumdungen seitens der Regierungen, besonders
auch der solothurnischen, in Schutz. «Dieses Schreiben liess Urs Rohr
an der versammelten Gemeinde von Kestenholz durch den Schulmeister
verlesen und schickte es dann nach Oensingen, Niederbuchsiten und
Olten. Daraus erfolgte neuer Tumult.»

Das war die direkte Ursache dafür, dass «einige Vorsteher aus
verschiedenen Gemeinden» den Untervogt Adam Zeltner, sowie den
Altwirt Georg Baumgartner von Oensingen zur «neutralen» Erkundigung
an jene entscheidende geheime Beratung der Revolutionäre in
Willisau vom 18. April absandten — «nach Willisau zu reiten und dort
zu vernehmen, was denn nun eigentlich wieder vorgehe». Wie der
stürmische Geist der Willisauer dort den Kapitulanten Adam Zeltner
in seine (objektiv, nicht subjektiv) revolutionäre Rolle hineinriss, haben
wir bereits erfahren. Bei seiner Rückkehr wurde dieser Revolutionär
wider Willen durch die Massenstimmung auf demselben Wege um
den entscheidenden Schritt weitergestossen. «Die Willisauer gaben
ihnen (Zeltner und Baumgartner) bei der Abreise die schriftlich verfassten
Artikel mit, welche auf dem nächst abzuhaltenden Bundestage
(zu Sumiswald) beschworen werden sollten. Nach der Heimkehr der
beiden Abgeordneten wurde von den Gemeindevorstehern und andern
Aufrührern» — so erzählt Vock — am 20. April «eine Zusammenkunft
auf dem Rathause zu Olten gehalten, wo die von den Willisauern mitgeteilten
Punkte beraten, die aufgefangenen Briefe eidgenössischer Regierungen
(!) geöffnet und abgelesen und dann, auf Antrag des Färbers
Kaspar Klein von Olten, der Untervogt Adam Zeltner zum Landeshauptmann,
und zu geheimen Räten der Altwirt Georg Baumgartner
von Oensingen, der Untervogt Meyer von Dulliken, der Untervogt von
Gösgen und der Löwenwirt von Olten mit dem Auftrage gewählt wurden,
dass sie zur Verteidigung gegen fremde Truppen (!), die ins Land
kommen möchten, die nötigen Befehle erteilen sollen.» Jetzt gab es
auch für die Solothurner, das bisher schwächste Glied in der Gesamtfront
der Bauern, bezw. in der Volksfront der Bauern und Bürger,
kein Zurück mehr.

Dennoch war die Wahl Adam Zeltners zum Landeshauptmann
der Solothurner eine für die Bauernsache verhängnisvolle. Diese falsche
Wahl, und sie allein, bewirkte, dass das Solothurner Glied auch künftighin
das schwächste in der Gesamtfront blieb, trotz dem nun auch
im Solothurner Volk so prachtvoll aufgeflammten Kampfwillen für die
gemeinsame Sache. Das zeigte sich schon am nächsten Tag, am 21. April,
an dem die bereits im Zusammenhang mit den Baslern erwähnte grosse
Lands gemeinde von Oberbuchsiten stattfand, eine solothurnische Kantonallandsgemeinde
zur Vorbereitung des Bundestags von Sumiswald,
auf der denn auch die Delegation für Sumiswald gewählt wurde. «Die
Landsgemeinde war sehr zahlreich besucht; fast aus allen Vogteien
erschienen Abgeordnete», berichtet Vock. «Sie liessen» — so erzählt


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 288 - arpa Themen Projekte

Sigismund von Erlach

der Bauernschlächter',

General der Berner Herren-Truppen im Bauernkrieg.

Nach einem zeitgenössischen Originalstich in der Landesbibliothek
in Bern.



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Abbildung 18


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er weiter, ohne genauer zu sagen, wer die «sie» waren — «am gleichen
Tage die Regierung durch den Urs Borer aus Büsserach mündlich ihrer
Ergebenheit und Treue versichern.» Die «sie» aber waren vermutlich
nur die mit der Regierung einig gehenden Kapitulanten unter Adam
Zeltners Führung.

Die Regierung ihrerseits hatte vorgesorgt, dass die Kapitulanten,
mit denen sie so einig war, des Stichworts seitens der Herren nicht
ermangelten. Sie richtete ein feierliches «väterliches» Schreiben an die
Landsgemeinde. Darin versuchte sie, zu beweisen, wie überflüssig diese
Landsgemeinde bei der von ihr als vollkommen supponierten Harmonie
zwischen Volk und Regierung sei, «wie väterlich und aufrichtig Wir
gegen Euch alle insgemein gesinnt sind, und Ihr nicht weniger Euch
gegen Uns erklärt habet...» etc. Auch leugnet sie alle und jede Gefahr
«fremder Truppen», erklärt, dass sie «keine eigentliche oder nur
die wenigste Wissenschaft» davon habe und treibt ein schlaues Spiel
damit, indem sie feierlich versichert, die solothurnische Regierung sei
«nicht des Sinnes, dergleichen ins Land führen zu lassen». Dass auch
sie jedoch der von der Tagsatzung gegen die Bauern insgesamt aufgestellten
Truppenmacht ebenso feierlich zugestimmt hatte, verschweigt
sie natürlich. Und dies alles waren die von den Bauern so gefürchteten
«fremden Truppen», nicht bloss die «welschen» Söldner, die ausserdem
von den verschiedenen Herrenregierungen, unter ausdrücklicher
Billigung, ja Förderung seitens der Tagsatzungsherren, hinzugemietet
waren.

Der geschichtlich — und demagogisch — interessanteste Teil aber
dieses schlauen Rechtfertigungsschreibens der Solothurner Regierung
an das in Oberbuchsiten versammelte Volk ist ihr Versuch, den sie
darin macht, sich von der Mitschuld an dem Zwyerschen «Rechtlichen
Spruch» reinzuwaschen! Sie geht in diesem Bestreben so weit, die
Stände Uri, Unterwalden und Zug als mit dieser Schuld allein belastet
blosszustellen und davon die Stände Schwyz, Freiburg und Solothurn
ausdrücklich auszunehmen. Diese geschichtlich hochwichtige Stelle
lautet wörtlich: «Nun euch allen bösen Argwohn aus dem Grunde zu
benehmen, so haben wir rathsam befunden, euch hiemit des höchsten,
und so hoch eine Obrigkeit bezeugen kann, zu verständigen, 1. dass
Wir, vermöge beigelegter Abschrift des Wollhausischen Briefs, jederzeit
gern gesehen und gewünscht hätten, dass die Punkte, welche denen
von Willisau und Entlebuch zugesagt wurden, in den Rechts- oder gütlichen
Spruch wären eingesetzt worden, wie dass Wir schon vor diesem.
und noch dieser Tage, sowohl den drei Herren Ehrengesandten von
Uri, Unterwalden und Zug, —weil die drei übrigen, als: Schwyz, Freiburg
und Solothurn sich dessen einmündig (d. h. zu diesem Standpunkt
der Solothurner Regierung) bekennt, —als unsern Eidgenossen
der Stadt Luzern zugeschrieben haben, dass sie die Punkte, so zu Wertenstein»
(hier fehlt: und Ruswil) «versprochen worden, halten und


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 290 - arpa Themen Projekte
einschreiben sollen; dabei, das könnet ihr abnehmen, dass Wir diessfalls
keine Schuld tragen.»

Hut ab vor dieser Ehrlichkeit und Offenheit — die allerdings
deutlich von der Angst vor dem eigenen Volk erzwungen wurde! Aber
ist das nicht das Eingeständnis, dass der «Rechtliche Spruch» des
Herrn Zwyer wirklich eine Fälschung war? Und hatten denn die Luzerner
Bauern nicht —bei allem, was Menschen heilig ist —Recht,
sich diesem krassen Unrecht zu widersetzen? Einem Unrecht, das ihnen
im Namen einer eidgenössischen «Ehrengesandtschaft» und unter Androhung
einer (auch von der solothurnischen Regierung gebilligten!)
eidgenössischen militärischen Exekution aufoktroyiert werden sollte?
Und hatten dann nicht sowohl die Solothurner als auch die Berner,
Basler und alle übrigen Rebellen Recht, wenn sie sich in einer Frage,
die nicht ein kantonales, sondern ein eidgenössisches Unrecht betraf,
auch eidgenössisch erhoben? Das heisst als Bundesgenossen der durch
dieses eidgenössische Unrecht vergewaltigten Luzerner Bauern, ohne
Ansehen des Kantons und der Religion.

Es ist ein Ehrenzeugnis für das solothurnische Volk, für sein eidgenössisches
Rechtsbewusstsein und sein eidgenössisches Pflichtgefühl,
dass es sich von dieser Solidaritätspflicht andern Eidgenossen gegenüber
trotz dem überaus schlauen, beschränkt kantonalen Ablenkungsmanöver
seiner Regierung nicht abspenstig machen liess! Dass es auch
dem moralischen Wettern der «beiden E. E. Väter Kapuziner» standhielt,
die auf Geheiss der solothurnischen Regierung das aussprechen
mussten, was diese selbst im innersten Gemüt zwar genau so empfand,
aus demagogischen Gründen jedoch nicht selber zu sagen wagte. Sie
selber nämlich «vermahnte» in ihrem Schreiben die Landsgemeinde
nur, «ihr wollet doch Uns und euch Ruhe schaffen, still sitzen, kein
Geläuf machen», und verwahrte sich nur dagegen, dass die Schuld an
den Folgen einer andern Handlungsweise der Bauern über sie, die Regierung,
komme. Die Kapuziner dagegen, der Pater Guardian derselben,
sowie der Pater Damian, «warnten sie vor dem Besuche der Landsgemeinde
zu Sumiswald, indem sie ihnen die Folgen dieser Verbindung
mit den Untertanen anderer Kantone schilderten und das Verbrechen
des Hochverrats in seiner ganzen Abscheulichkeit darstellten»! Da also
hatten diese katholischen Geistlichen vollkommen die Rolle der Prädikanten
in den protestantischen Kantonen übernommen: die der Hetzhunde
ihrer Herren.

Trotzdem beschloss die Lands gemeinde von Oberbuchsiten vom
21. April die Teilnahme am Bundesschwur in Sumiswald! Denn dabei
wirkten ja, neben dem durch die Eröffnung im Schreiben der Herren
nur umsomehr bestärkten eidgenössischen Rechts- und Pflichtgefühl
im Volkssinne, die noch viel elementareren Gründe der sozialen Solidarität
mit ihren Klassengenossen in den anderen Kantonen umso bestimmender
mit, als es ihre wahren eigenen Gründe zur Erhebung


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 291 - arpa Themen Projekte
waren: die fortdauernde wirtschaftliche und soziale Unterdrückung der
Bauern- und Kleinbürgerklasse, die eine ebenso allgemein-schweizerische
war wie das Zwyersche Unrecht, das seine Wurzel ja auch seinerseits
nur in der Klassenunterdrückung hatte.

Dennoch kam auch hier wiederum bei der Ausschiessung der Delegierten
für die überkantonale Landsgemeinde zu Sumiswald eine falsche
Wahl zustande. Denn bei der demagogisch so geschickten Haltung der
Regierung war es für die Kapitulanten immerhin ein Leichtes, an die
Spitze zu kommen und der Delegation ihre Richtlinie aufzudrängen.
Gewählt wurden: Adam Zeltner, als Führer der Delegation, und das
war bereits eine zwangsläufige Folge der falschen Wahl desselben zum
Landeshauptmann; ferner: Veit Munzinger und Klaus Zeltner von
Olten, der Weibe! Hans Joggi Rauber von Egerkingen, sowie Joggi
Strub, der Sohn des Untervogts von Trimbach. Doch dies geschah
nicht ohne leidenschaftliche Opposition der wirklichen Revolutionäre!
Als Adam Zeltner — leider erst nach bereits erfolgter Wahl — das
Wort ergriff, um die mit der Regierung abgekartete Richtlinie zu propagieren:
«dass sie, die Landleute von Solothurn, mit ihrer Regierung
vollkommen zufrieden seien und dass, wenn sie auch nach Sumiswald
gehen, sie nichts reden oder tun werden, als was den Gnädigen Herren
und Obern zum Frieden und Besten gereiche» — da erhob sich ein
Sturm der Empörung. «Hier fielen Urs Rohr von Kestenholz und Klaus
Zeltner von Niederbuchsiten dem Untervogt Zeltner ins Wort und nannten
ihn vor allem Volke einen Landesverräter, Schelmen und Dieben,
der es heimlich mit der Regierung halte und, was er von den Bauern
und an den Lands gemeinden vernehme, sogleich wieder dem Landvogte
hinterbringe und zu Ohren trage»!

Aber es war zu spät —man hatte den Bock bereits am Tag zuvor
allzu blindgläubig zum Gärtner gemacht. Immerhin hatte dies zur
Folge, dass die echten Revolutionäre, besonders die Oltener, sich nun
als zweite, inoffizielle, aber viel stärkere Delegation organisierten und
zur Korrektur ihres Fehlers ebenfalls nach Sumiswald eilten: «Nebst
diesen Abgeordneten (den fünf offiziellen) liefen aber auch Urs von
Arx, der Färber, Hans Jakob von Arx, der Mondwirt von Olten, und
viele andere nach Sumiswald, sodass die Zahl der daselbst anwesenden
Solothurner Landleute sehr beträchtlich war, indem auch die Vogteien
Kriegstetten, Leberen und Flumental, auf ihren besonderen Landsgemeinden,
die erstere zu Subingen, die zweite zu Selzbach und die dritte
am ,Scheidewege', ihre eigenen Deputierten ernannt und nach Sumiswald
geschickt hatten.» So berichtet der Herrenchronist Vock.

Zu diesem Ergebnis hatte zweifellos die Anwesenheit einer starken
Willisauer Delegation, sowie der bedeutenden und entschlossenen Basler
Landschäftler-Gruppe unter Isaak Bowe und Uli Schad Entscheidendes
beigetragen. Und es war nur konsequent von der Solothurner
Regierung, dass sie daraufhin, um der Kapitulanten-Delegation des


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 292 - arpa Themen Projekte
Adam Zeltner den Rücken zu stärken, noch am Tag vor Sumiswald,
am 22., ein eigenes Schreiben an diese richtete, in dem sie es zwar jetzt
noch versuchte, sie überhaupt vom Besuch Sumiswalds abzuhalten, jedoch,
da dieser nun einmal beschlossen war, Nutzen auch daraus zu
ziehen verstand, da dies ja eine glänzende Gelegenheit bot, durch die
Kapitulanten sogar in Sumiswald selbst Sabotage und Zersetzung zu
betreiben: da deren (der Delegation Adam Zeltners) «Verrichtung aber
anderes nichts sei, als dass ihr unsere getreuen Unterthanen zu bleiben
begehret... bei eurem gethanen Versprechen gegen Uns zu beharren
und euch aller obrigkeitlichen Gutmüthigkeit, wie bisher, also auch
fürbass unzweifentlich zu versehen...»

Seit der entscheidenden Beratung der revolutionären Führer der
verschiedenen Kantone in Willisau am 18. April fanden nun überall,
im. ganzen Aufstandsgebiet, derartige Landsgemeinden zur Vorbereitung
des Bundesschwures und zur Abordnung von Delegationen zu
demselben nach Sumiswald statt. Aber von keiner einzigen, hören wir,
dass auf ihr die Kapitulanten auch nur im geringsten eine ähnliche
Rolle gespielt hätten wie auf der Landsgemeinde von Oberbuchsiten.
Sie waren eben meistens direkt von Entlebuchern und Willisauern
organisiert, die ihre erstaunlich expansive Energie ganz besonders dem
Bernerland zuwandten, dem sie die Errichtung des neuen Bundes in
so weitblickender Weise anvertraut hatten. So verliefen die Landsgemeinden
in Signau, Langnau, Biglen, Konolfingen und Langenthal im
Zeichen des begeisterten Bewusstseins, einer grossen geschichtlichen
Aufgabe zu dienen. In Signau hatten sich, ausser zahlreichen Entlebuchern,
übrigens auch, wie Vock berichtet, «Solothurner aus den»
(hundertprozentig rebellischen!) «Vogteien Kriegstetten und Bucheggberg
eingefunden und sich zu gemeinschaftlichen Massregeln verabredet'
—zweifellos, um den eigenen solothurnischen Saboteuren von
vornherein das Handwerk zu legen...

Von den Herren in Bern dagegen wurden, so berichtet Bögli, «bei
der ersten Kunde von den neuen Umtrieben wieder kriegerische Anstalten
getroffen und Zürich um Einberufung der Tagsatzung ersucht.
Ein Ratsbeschluss bestimmte, dass die gesamte Bürgerschaft, die Studenten
und die fremden Handwerksburschen für die Zeit ihres Aufenthalts
beerdigt wurden'. Damit sollte einer ähnlichen Erhebung der unterdrückten
Bürger gegen die Aristokraten vorgebeugt werden, wie sie
in Luzern zur selben Zeit ständig gärte, ja selbst in Basel und Zürich.
nicht ganz ausgeschlossen schien, und wie sie in den kleineren Landstädten
faktisch fast überall in Gang gekommen war. «Auf das Land
schickte man am 19. April eine Gesandtschaft aus zur Entgegennahme
der Huldigung. Aber zur Huldigung war nicht grosse Geneigtheit vorhanden».
händen», wie Bögli bemerkt. «Aus den Aemtern Burgdorf und Wangen
kam Bericht, dass die Leute sich nicht unterwerfen wollen. Die Wiedlisbacher'
— das kleine Landstädtchen war das revolutionärste im


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 293 - arpa Themen Projekte
ganzen Bernerland — «besetzten die Pässe und fingen Briefe der Obrigkeit
auf. Grosser Lärm erhob sich wegen des Gerüchts vom Anzug der
welschen Völker. Dieser Verdacht der Bauern war freilich kein unbegründeter.
Denn am 23. April» —mithin am Tag von Sumiswald selbst
— «ermahnte die Regierung von Bern die Städte Biel, Neuenburg, Neuenstadt
und Genf zur Bereithaltung ihrer Hülfstruppen. In Bern hoffte
man im Ganzen 4700 Mann aufbringen zu können...»

So sah die Bilanz der Kräfte und Gegenkräfte aus, die die ungeheure
Aktivität der Entlebucher und der Willisauer (die «pestilenzialische
Unersättlichkeit», wie die Luzerner Regierung am 21. April an
den Vorort schrieb) auf den Plan gerufen hatte —als die Ausschüsse
des zum erstenmal ohne Ansehen des Kantons und der Religion geeinten
Schweizervolkes zum Eidschwur auf den ersten und einzigen allgemeinen
«Volksbund» gegen den «Herrenbund» seiner Regierungen
aus allen Teilen des Landes gen Sumiswald hinaufeilten.


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 295 - arpa Themen Projekte


XIII.
Das Fest der Freiheit in Sumiswald:
Die letzte Bauern-Verfassung der Eidgenossenschaft —
ein erster Lichtblick in die Bürgerfreiheit einer neuen
Schweiz

Jetzt war das Richtfest des Aufruhrs zur Sache der Berner Bauern
geworden. Das war keine leichte Sache für sie, trotz der Hülfe der
Entlebucher und der Willisauer. Als diese die zehn Aemter mit solchem
Erfolg zu dem geschlossenen Bau des Wolhuser Bundes zusammenschweissten,
da konnten sie ihn auf ein immer noch vorhandenes
Grundgerüst ihrer alten Volksfreiheit abstützen. Gerade dieses aber
war im Bernischen teils überhaupt nie vorhanden gewesen, teils inzwischen
längst —bis auf wenige, bedenklich angefaulte Pflöcke — aus
dem Boden gerissen. Dabei sollte auf diesem an sich schon schwankenden
Fundament jetzt ein viel grösserer Bau errichtet werden, der nicht
allein die Volksfreiheit der Berner zum Teil erst überhaupt begründen,
sondern auch die der Luzerner beschützen und dazu die der Solothurner,
der Basler und die der Freien Aemter, ja, nach Plan und Absicht
die Volksfreiheit der ganzen Schweiz umfassen sollte. Und dabei mussten
die Berner von den Solothurnern, den Baslern und den Freiämtlern
in so mancher Hinsicht grad ebenso verfaulte Fundamente der Volksfreiheit
übernehmen, wie sie sie selber hatten.

Der Ausführung dieses grossen und kühnen Planes waren die
Berner Baumeister des neuen Bundes nicht gewachsen. Das muss zum
vornherein gesagt werden. Drei mächtige Anläufe machten sie innert
drei Wochen: in Sumiswald am 23. April, in Huttwil am 30. April, und
abermals in Huttwil am 14. Mai 1653. Aber sie gelangten damit niemals
bis zum First! Nicht einmal das Grundgerüst des neuen Bundes war
fertig geworden —als es bereits von der intellektuell wie militärisch
überlegenen Gewalt des Herrenbundes mit Stumpf und Stiel aus dem
Boden gerissen wurde... Und niemand, nicht einer aus dem gesamten
herrschenden Schweizer Bürgertum, der ihm seine intellektuelle und
darum auch militärische Unterlegenheit hätte ausgleichen helfen können,
kam dem Schweizervolk dabei zuhilfe! Im Gegenteil: die Schweizer
Herrenbürger waren sämtlich Klienten und Kapitulanten des europäischen
Absolutismus, der die Schweiz rings umschloss und in dessen
Sold sie alle standen, und sie überboten sich gegenseitig darin, das


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 296 - arpa Themen Projekte
eigene Volk zu übertölpeln, um es ihren Profitinteressen zu unterwerfen.
Das darf nicht vergessen werden, wenn man den so himmeltraurigen
Ausgang dieses tragisch ungleichen Ringens um den neuen Bund
gerecht beurteilen will...

Vergeblich sieht man sich übrigens während der ganzen Zeit der
fieberhaften Vorbereitungen der Entlebucher und Willisauer für den
neuen Bund nach den Berner Baumeistern desselben um. Wir konnten
nur vermuten, dass Uli Galli, der von Anfang an immer besonders innig
mit den Entlebuchern —seinen Nachbarn in Eggiwil —zusammengearbeitet
hat, unter den Bernern war, die in der Geheimversammlung
vom 18. April in Willisau den Bundesbrief mitberieten. Und nur vermutlich
ist auch Johann Konrad Brönner dabei gewesen. Ganz sicher
war derjenige nicht dabei, der zum Oberbaumeister des neuen Bundes
ausersehen war: Niklaus Leuenberger. Der bestellte während all der
Zeit friedlich sein Haus, sein Vieh, seine Felder rings um seinen Hof
in Schönholz und sass abends wohl still über die Postille gebückt, ins
Lesen der Bibel oder frommer Wiedertäufer-Gebete versunken. Auf
keiner einzigen der zahlreichen vorbereitenden Versammlungen auch
im Bernbiet war er anzutreffen. Er hatte sich als frommer Mann geschworen,
seinen Gnädigen Herren den Eid zu halten, den er ihnen
bei seinem Kniefall am 4. April zu Bern geschworen. Dies, trotzdem
die Gnädigen Herren ihrerseits bis zu diesem Sumiswalder Tag nicht
daran gedacht hatten, die dem Land feierlich gemachte Zusage zu halten,
die «Konzessionen», für die er mit so vielen anderen sich derart
gedemütigt, in Brief und Siegel herauszugeben. Dies allerdings erzürnte
ihn tief, und das Mass musste auch für ihn früher oder später voll werden.
Für das ganze Land war es schon voll, das merkte er an seinen
Nachbarn.

Denn da wurde nun im ganzen Emmental von Haus zu Haus zur
grossen Landsgemeinde nach Sumiswald aufgeboten. Auch zu Leuenberger
kamen sie. Einer seiner besten Freunde wurde ihm ins Haus
geschickt: Hans Uli Neuhus von Schwanden, in der gleichen Kirchhöri
Rüderswil, zu der Leuenbergers Weiler gehörte. Wer mag ihn geschickt
haben? Wohl sicher der Uli Galli! Denn Uli Neuhus war ein richtiger
Galli-Jünger; auf allen Landsgemeinden und geheimen Versammlungen
tauchte er auf; für sich allein mobilisierte er das ganze «Schwandenviertel»
für die Bauernsache und nun auch für den Bundschwur in
Sumiswald. Seit Leuenberger, der noch vor einem Monat so tatkräftig
mitgeholfen hatte, das ganze Emmental bis vor die Tore Berns mit
einem Netz von Bauernwachen zu überziehen, nach Bern gegangen
und dort zu einem Treueid übertölpelt worden war, war Uli Neuhus
für ihn eingesprungen. Er war, wie Uli Galli, nicht mit nach Bern gegangen;
er war es jetzt, der an Leuenbergers Stelle die Bewachung und
Sperrung der Pässe besorgte. Leuenberger hatte wohl also ein moralisches
Schuldkonto bei Uli Neuhus: war er selber inzwischen aus religiösen


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 297 - arpa Themen Projekte
Gewissensgründen der Sache der Bauern sogut wie untreu geworden,
so war Uli Neuhus jetzt sein politisches Gewissen, das ihn
wieder zur revolutionären Solidarität antrieb.

Aber es war für Uli keine leichte Sache, Klausens tiefeingewurzelte
Skrupeln wegen des Eides zu überwinden, den er den Herren geleistet
hatte. Gewiss, auch die Herren hatten ihr Wort gebrochen; das mochte
ihm Uli in allen Tönen vorhalten. Doch ein Wort. ist ein Wort; ein
Eid aber ist ein Eid — der verpflichtet nicht gegenüber Menschen,
sondern gegenüber Gott! Mögen die Menschen, die ihn einem abgedrungen
haben, auch selbst Wortbrecher sein. Was kümmern mich
die Menschen? Ich habe meine Sache nicht auf Menschen gestellt,
sondern auf Gott... So sprach der gläubige Sektierer in Leuenberger.
Und darum, einzig darum schon, war er keine tragende Säule im Entscheidungskampf
für die menschliche Gerechtigkeit. Denn sein Gewissen
konnte in jedem Augenblick ins Jenseits ausweichen, statt in der
rauhen Wirklichkeit standzuhalten. Und ehe man sich's versehen, hat
man um des eigenen «Seelenheils» willen seine Menschenbrüder bereits
verraten. Und dies vielleicht im schwersten Augenblick, wo allein
irdisch zupackende Hilfe, wo vielleicht nur Aufopferung der eigenen
Person sie vor der immer irdisch zupackenden Ungerechtigkeit, vor
Not und Tod hätte retten können! Ist das nicht vielleicht die richtige
«Frömmigkeit» —du anderer Bruder Klaus?...

Und so rang in dem zwiespältigen Leuenberger das politische Gewissen
dem religiösen das Versprechen ab, zu kommen nach Sumiswald.
Aber «nicht in der Absicht, eine Führerrolle zu spielen»; das
nämlich war die Versuchung, der Teufel, der Asmodaj, der ihm die
Welt zeigte, in der er, der schöne, gesunde und intelligente Mann mit
seiner grossen Redegabe, doch allzugern gerade eine solche Rolle hätte
spielen mögen. Darum schützte er unentwegt seine «noch habende Jugend
und Unkönnenheit» vor —bis er auf dem aus Wirtshaustischen
errichteten Thron der Führung stand! Aber er war ja nur gekommen,
«um zu erfahren, was verhandelt wurde.. wurde...»

Schon am Abend des 22. April wimmelten die Gasthöfe und Bauerngüter
in Sumiswald und weitherum bis Trachselwald, Lützelflüh, Ramsei
und Affoltern von den zu Fuss, zu Ross und auf Wagen weither gekommenen
Gästen der Bauernsame und Kleinstadtbürger aus vier
Kantonen, sowie aus den Freien Aemtern Hitzkirch und Meyenberg.
Sumiswald liegt wunderbar frei und stolz hingelagert auf dem breiten
Rücken eines Hügelzuges, der vom Napfmassiv wie die Pranke eines
ruhenden Löwen nach dem Westen gestreckt wird. Das Dorf bedeckt
gerade das westliche Ende der fruchtbaren Hochfläche, die mit fetten
Wiesen und reichtragenden Kornäckern wohlbestellt und in weiten
Abständen von Obstbäumen bestanden ist. Ein tiefer Schachen trennt
es von dem südlich gegenüber, auf einem höheren Rücken liegenden
Trachselwald, von dem nur die Türme des Schlosses, des Sitzes des


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 298 - arpa Themen Projekte
Landvogts Samuel Tribolet, über die Spitzen des Tannenwaldes herüberschauen,
der jenseits des Schächens steil und düster ansteigt. Die
Häuser Sumiswalds dagegen sind allseitig schon von weit her sichtbar.
Sie gehören zu den stattlichsten des Emmentals, d. h. zu den schönsten,
die man in der ganzen Welt finden kann. Ihre weit ausladenden Dächer,
die seitlich wie abwärts gespreizte Adlerflügel oft bis fast auf
den Boden streichen, ragen über mächtigen Giebelbögen dem auf sie
Zuschreitenden weit entgegen und scheinen ihn schon aus der Ferne
unter ihre schützenden Fittiche nehmen zu wollen. In der Tat machte
die unvergleichliche Gastfreundlichkeit der Emmentaler Bauern, im
Verein mit dem schönen, milden Frühlingswetter, diesen und den folgenden
Tag mitten in der Woche —der 23. war ein Mittwoch —für
jeden der tausend Hergesandten zu einem unvergesslichen Fest. Aber
auch für Ordnung hatten die Emmentaler ihren Gästen gegenüber gesorgt:
«alle, wie sie eintrafen, mussten sogleich Name, Geschlecht und
Heimat angeben, die von einem Schreiber pünktlich aufgezeichnet
wurden», so berichtet Vock.

«Am 23. April zogen die Landleute, mehr als 1000 Mann» —
andere, z. B. Liebenau, sagen zwei- bis dreitausend —, «aus Sumiswald
auf das nahe dabei liegende freie Feld, wo ein langer Tisch zur Rednerbühne
bereitet und aufgestellt war.» Bevor es jedoch zur Eröffnung
der Landsgemeinde kam, gab es ein langes Parlamentieren darüber,
wer den Vorsitz führen sollte. Im Entlebuch war diese Frage stets im
vornherein gelöst: denn die noch immer bestehende Bestellung der
Landesämter durch Volkswahl stellte für jede solche Gelegenheit den
Landespannermeister, den Landeshauptmann und Landessiegler automatisch
an die Spitze, und ausser ihnen standen immer noch alle
übrigen von den vierzig Landesgeschworenen zur Stellvertretung bereit.
Im Emmental war nichts von alledem vorhanden.

Da war aber Niklaus Leuenberger schon am frühen Morgen mit
Uli Neuhus aus Rüederswil herübergekommen, und auch sein unmittelbarer
Nachbar und Vertrauter, Hans Bieri aus Schönholz, war dabei
— sein späterer Judas, der ihn für einen silbernen Becher dem
Landvogt Tribolet in die Hände liefern wird... Nun gab es aber keinen
Emmentaler Bauernführer, der Klaus Leuenberger die reitende
Tat vergessen hätte, die er vor genau einem Monat drüben in Trachselwald
an ihnen allen vollbracht hatte, als er Samuel Tribolet in zäher
und geschickter Redeführung das obrigkeitliche Instrument aus der
Hand wand, kraft dessen sie alle inzwischen längst hinter Schloss und
Riegel hätten sitzen können. Gegen dieses Verdienst fiel der unglückselige
Gang nach Bern schon deshalb nicht ins Gewicht, weil selbst
der ärgste Feind einem Leuenberger auch nicht den Schatten einer
Verratsabsicht zugetraut hätte, ihn vielmehr dabei, wie auch alle
andern Beteiligten, ganz selbstverständlich als unschuldiges Opfer der
Infamie der Herren empfand. Ausserdem empfahl ihn für den Vorsitz


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 299 - arpa Themen Projekte
der grossen Versammlung vom heutigen Tag eben die in Trachselwald
von ihm zum Staunen Aller entwickelte starke Redegabe.

So fiel es Uli Neuhus nicht schwer, alle andern Bauernführer für
Leuenbergers Vorsitz zu gewinnen, umso weniger, als sich ihm bei diesem
Werben der leidenschaftliche Daniel Ruch aus Waldhus bei Lützelflüh
zugesellte, der wie Uli auf allen Landsgemeinden und Geheimversammlungen
zu sehen und ebenfalls nicht nach Bern gegangen war
und der später einer der tätigsten Kriegsräte Leuenbergers wurde, der,
entflohen, in contumaciam zum Tode verurteilt und dessen ganzes
Vermögen als hablicher Bauer von der Regierung konfisziert wurde.
Leuenberger selbst aber musste auch hier noch —wie es in seinem
Todesurteil steht — «auf ihm gethanes Tröuwen und Hans Uli Neuhausen
Gebieten und ernsthaftes Anhalten», sowie «auch Daniel
Ruchon von Waldhaus überlästiges, offenes Begehren», «wider alle
gesuchte Ausreden und fürgewendte noch habende Jugend und Unkönnenheit»
förmlich gezwungen werden, «ihr Redner sein zu müssen»;
«worauf sie ihm versprochen, dass ihm dress nüt schaden, sondern
er vielmehr dessen von ihnen zu geniessen haben solle».

So schwer hielt es hier, den Führer an die Spitze zu stellen, der
doch von der ganzen Masse frenetisch als solcher begrüsst wurde. Mit
ihm bestiegen dann ganz selbstverständlich auch Uli Galli, der eigentliche,
aber bislang soviel wie möglich geheime Organisator der Berner
Revolution, sowie Johann Konrad Brönner, der Notar aus Münsingen
und seit der ersten Konolfinger Landsgemeinde Schreiber der Bauern,
den Rednertisch. Es ist das erstemal, dass Uli Galli öffentlich sichtbar
in Führung tritt. Dann aber —und das war das eigentliche grosse Ereignis,
das alle zu einem Beifallssturm begeisterte —bestieg den Tisch
auch Hans Emmenegger, der Pannerherr des Entlebuchs und längst
anerkannte, ja bereits sagenumwobene Führer der luzernischen nicht
nur, sondern der gesamten bisherigen Revolution; und mit ihm stieg
auch Niklaus Binder, der Landessiegler des Entlebuchs, sein Stellvertreter
und Gehilfe, hinauf. Aber auch der Führer und Verführer des
Rothenburger Amtes, der nun wieder zum Scharfmacher gewordene
Demagog und Kapitulant Kaspar Steiner, bestieg mit Emmenegger zusammen
den langen Rednertisch. Mit dem Erscheinen der Luzerner
Bauern auf der bäuerlichen Tribüne von Sumiswald aber war ein für
allemal der überkantonale und überkonfessionelle Charakter der Revolution,
ihr bäuerlicher Klassencharakter, in den Augen aller Bauern
der Schweiz öffentlich besiegelt.

Ihr allgemein schweizerischer Charakter als Erhebung des unterdrückten
und ausgebeuteten Volkes gegen den Bund der Regierungen
wurde auch durch das erste Traktandum auf das denkbar nachdrücklichste
unterstrichen. Dieses nämlich war: die Verlesung des berüchtigten
Mandats der Tagsatzung vom 22. März 1653! Man muss sich die
masslosen Beschimpfungen und zornrauchenden Drohungen in Erinnerung


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 300 - arpa Themen Projekte
rufen, die der Bund der eidgenössischen Herren in Baden in
diesem Manifest nicht nur gegen die Luzerner Bauern, sondern —unter
dem Albdruck der eben auch im Bernischen ausgebrochenen Rebellion
—gegen das gesamte unterdrückte und ausgebeutete Volk der Schweiz,
an der Spitze die Bauernklasse, geschleudert hatte: dann begreift man
die einmütige Begeisterung, mit der bereits auf dieser ersten allgemein
schweizerischen Landsgemeinde der Volksbund gegen den Herrenbund
beschlossen und beschworen wurde.

Doch bevor es zu diesem imponierenden Abschluss kam, ergriff
je ein Hauptredner jedes beteiligten Kantons das Wort, um dessen
besondere konkrete Beschwerden gegen das Badener Mandat ins Feld
zu führen. So verlas, im Auftrag Emmeneggers, der Landessiegler
Niklaus Binder —der soeben auch das Mandat selbst vorgelesen hatte
—«gleichsam zur Widerlegung desselben» wie Vock erzählt, «die
schriftlich verfassten Klagepunkte der X Aemter des Kantons Luzern
gegen ihre Regierung, worüber er mündlich noch weiter sich verbreitete.
Nach Beendigung seines Vortrags wurden vom Notar Brönner
die ebenfalls schriftlich verfassten Klagen und Beschwerden der Berner
Bauern gegen ihre Regierung herabgelesen, und Uli Schad, der Weber
von Oberdorf setzte die Versammlung von dem in Kenntnis, was jüngster
Tage im Kanton Basel vorging und was das dortige Landvolk gegen
seine Regierung zu klagen habe».

Der einzige Mission, der in diesem Text der Einmütigkeit erklang,
kam vom Vertreter der Solothurner Bauern, den wir vielleicht besser
als Vertreter der Solothurner Regierung bezeichnen. Adam Zeltner
nämlich soll, nach seinem Lobredner, dem Herrenchronisten Vock,
erklärt haben: «Sie, die Solothurner Landleute, seien mit ihrer Regierung
zufrieden; sie haben ganz und gar nichts über dieselbe zu klagen,
und sie können daher auch keinen einzigen Klageartikel vorbringen»;
sie seien hierher nur «geschickt worden, um zu vernehmen und anzuhören»,
etc. Nach dem Luzerner Herrenchronisten Liebenau soll er
immerhin hinzugefügt haben (was Vock unterdrückt): sie «seien aber
doch bereit, fremden Truppen den Durchpass durch ihr Gebiet zu verwehren».
Aber die Solothurner Opposition gegen den Kapitulanten
Adam Zeltner —die, wie wir wissen, sehr zahlreich nach Sumiswald
geeilt war —wird bei den Führern der andern Kantone schon dafür
gesorgt haben, dass diese wussten und auch der Versammlung zu verstehen
gaben, was von Adam Zeltners Rede zu halten sei. Zwar wissen
wir nicht, wie die Versammlung selbst diese Rede aufgenommen hat, —
wie wir überhaupt von den Verhandlungen dieser grundlegenden Gesamtlandsgemeinde
im Einzelnen verdächtig wenig überliefert bekommen,
weniger als von mancher winzigen lokalen Gemeinde. Aber mag
uns auch die Wut der Herren und Herrenchronisten jener Zeit über
das Zustandekommen dieser ersten wirklichen Gegen-Tagsatzung des
Volkes die Einzelheiten unterschlagen haben — wie sie uns die


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 301 - arpa Themen Projekte
ganz gewiss gehaltenen Reden Emmeneggers, Uli Gallis, Isaak Bowes,
der Willisauer- und Freiämtler-Führer und der Solothurner (besonders
der Oltener) Opposition, ja selbst die Reden Leuenbergers unterschlagen
hat —: die Unterschriften der zahlreichen Solothurner Aemter auf
dem nun zustandegekommenen Bundesbrief zeugen eindeutig dafür,
wo auch das Solothurner Volk in Wirklichkeit gestanden hat!

Ehe wir jedoch zu diesem Bundesbrief und zum Bundesschwur
übergehen, mag noch ein kleines Bocksspiel erzählt werden, das die
Berner Herren selbst hier einschalteten und dessen Ausgang die Wut
dieser Herren ganz besonders erklärt. Es war nämlich auch eine
Deputation der Berner Regierung auf der Sumiswalder Landsgemeinde
erschienen; ihre Namen werden uns nicht überliefert, offensichtlich
deshalb, weil dabei die Exzellenzen (wie sich die Räte in Bern betiteln
liessen) allzusehr gedemütigt wurden und dem neuen Schultheissen
die erste schwere politische Schlappe eintrügen. Die Deputation muss
aber ansehnlich gewesen sein; denn, wie Tillier berichtet, war sie «eine
Gesandtschaft von vier Mitgliedern des kleinen (der eigentlichen Regierung)
und vier Mitgliedern des grossen Rats».

Diese acht Herren waren schon seit dem Montag, dem 21. April —
an welchem Tage die Führung der Staatsgeschäfte «aus den Händen
des bisherigen Amtsschultheissen Niklaus Dachselhofer in diejenigen
des Schultheissen Anton von Grafenried», d. h. des Führers der unversöhnlichsten
Kriegspartei im Berner Herrenlager, überging —auf der
Reise «von Kirchspiel zu Kirchspiel» gewesen, wo sie «die neuen Artikelbriefe
mitteilen» (d. h. nur vorlesen, nicht etwa ausliefern!) «und
den Huldigungseid aufnehmen sollten». Gleichzeitig aber hatten sie
den Auftrag, mit allen Mitteln «die grosse Vereinigung in Sumiswald
zu hintertreiben»! Es war also auch von der bernischen Regierung —
genau gleich wie in ähnlichen Fällen von der luzernischen — eine
grosse «Diversion» gegen Sumiswald in Gang gesetzt worden. Allerdings
musste die Ratsdeputation schon von der Reise aus nach Bern
berichten, dass «weder der Huldigungseid erhältlich, noch die grosse
Vereinigung in•Sumiswald zu hintertreiben sein würde». So berichtet
ein späterer Nachfahre dieser Herren selbst, der Herrenchronist Anton
von Tillier, dessen Vorfahre, der Welschseckelmeister Johann Anton
Tillier, der mit Vorliebe für solche «Pacificationen» verwendet wurde,
mit grösster Wahrscheinlichkeit Mitglied auch dieser Diversions-Gesandtschaft
zur Verhinderung des Sumiswalder Bundesschwures war.

Vom Eingreifen dieser selben Gesandtschaft in die Verhandlungen
der Sumiswalder Landsgemeinde selbst, und zwar unmittelbar vor dem
Bundesschwur, ist nun die Rede, wenn Vock schreibt: «Die Regierung
von Bern hatte eine aus mehreren Ratsgliedern bestehende Gesandtschaft
nach Sumiswald mit dem Auftrage geschickt, die Verbindung
ihrer Angehörigen mit den Landleuten anderer Kantone auf alle Weise
zu hindern, und diese Ratsabordnung erschöpfte das mögliche Mass


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 302 - arpa Themen Projekte
freundlicher Zusicherungen und vernünftiger Vorstellungen, jenen Zweck
zu erreichen; allein vergebens. Die Bauern achteten weder auf Bitten
noch auf ernste Zusprüche, und die Gesandtschaft der Regierung
kehrte ohne den mindesten Erfolg ihrer Sendung nach Bern zurück.»
Ja, wie der alte Herrenchronist Lauffer, den Vock in einer Fussnote
anführt, berichtet, wurden die Berner Herren besonders «von den Entlebuchern
zu Sumiswald mit Schmäh- und Lästerworten schimpflich angegriffen»!
Zwar mag dabei die besondere Anschwärzung der Entlebucher
einem tendenziösen Zweck des protestantischen Herrenchronisten
Lauffer gegen die katholischen Bauern entsprochen haben, die
ihm als die «Anstifter» der Berner Revolution besonders verhasst waren.
Dennoch ist doch wohl soviel gewiss, dass eine direkte Intervention
der Berner Herren von der geschilderten Art auf der überkantonalen
Landsgemeinde zu Sumiswald nicht ohne dramatische Zuspitzung
von Rede und Gegenrede vor sich gehen konnte. Das ist umso sicherer
anzunehmen, als auch der katholische Herrenchronist Liebenau von
den «Schmäh- und Lästerworten» der Entlebucher zu berichten weiss
und dabei die wahre Ursache dazu entschlüpfen lässt, indem er von
den Regierungsabgeordneten berichtet: «als die Güte nichts half, gingen
sie zu Drohungen über»! Die Berner Herren haben also provoziert und
dabei offensichtlich die Entlebucher als die Urheber des Bundes besonders
auf's Korn genommen. Aber auch ohnedies ist es klar, dass
dieser Sabotierungsversuch am neuen Bunde in dem Augenblick, als
er eben feierlich aus der Wiege gehoben werden sollte, den besonderen
Hass der wirklichen Urheber dieses Bundes auf die Berner Herren lenken
musste. Ja, den Hass aller der tausend Gesandten des Schweizervolkes,
die einen so weiten und gefährlichen Weg — einschliesslich so
mannigfaltig angedrohter Leibes- und Lebensstrafen wegen «Hochverrats»
— nicht gescheut hatten, um mit Hand anzulegen, wo es galt, der
wiedererstandenen eidgenössischen Volksfreiheit Bahn und Sieg zu bereiten.

Dies nämlich war wirklich die Meinung der tausend Gesandten
des Schweizervolkes, als sie die acht Gesandten der Herren, die sich
an diesem eben neu erstehenden Volksheiligtum vergriffen, aus ihrer
Gemeinschaft ausstiessen. Denn nun hörten, beschlossen und beschworen
sie —nach artikelweiser Durchberatung des in Willisau aufgestellten
Entwurfes, über welche wir leider sehr wenig wissen —in tiefster,
durch Gebet bestärkter Frömmigkeit vereinigter Katholiken und Protestanten
einmütig folgenden


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 303 - arpa Themen Projekte


«Bundesbrief
der Unterthanen der vier Städte Bern, Luzern,
Solothurn und Basel,

samt andern ihren Beipflichtern,
zu Sumiswald aufgerichtet und beschworen
am 23. April 1653.

Zu Wissen und kund ist Jedermänniglich, was sich Anno 1653 in
der Herrschaft Luzern im Land Entlebuch für ein Spann und Streit
erhoben wider ihre gnädige Obrigkeit der Stadt Luzern selbst, der Ursache,
dass die ihnen viele neue Aufsätze, grosse Strafen und Beschwerden
aufgeladen und bezwungen hat wider ihre Brief und Siegel. Darum
sie gesandte Männer an ihre Obrigkeit geschickt, welche freundlich,
unterthänig und mit grosser Bitt angehalten, solcher Beschwerden sie
zu entlassen, und abzuthun; aber nicht allein nichts erlangen mögen,
sondern man hat sie noch ausgebalget. Derowegen die Bauern erzörnt
worden, und haben zusammengeschworen, Leib und Leben daran zu
setzen, und haben alsdann ihnen keine Zins oder Geldschulden mehr
lassen zukommen, bis ihre gnädige Obrigkeit ihnen ihre alten Brief'
und Rechtungen wieder zu Handen stelle, die sie ihnen genommen hat.
Darum ihre Obrigkeit ihre übrigen Unterthanen aufmahnen wollte,
sie damit zum Gehorsam zu bringen. Als sie aber die Ursachen vernommen,
haben sie sich auch mit gleichen Beschwerden beladen gefunden.
Darum sie auch zu denen im Entlebuch gestanden, und zu
Wollhausen zusammengeschworen haben, weil sie mit Bitte nichts besonderes
erlangen mochten, was ihnen gehörte. Derowegen war ihre
Obrigkeit übel zufrieden, beschrieb (liess kommen) sie Herren Abgesandten
aus den VI kathol. Orten, welche Herren gar lang mit der
Sache umgegangen sind, und wurde also der Handel je länger je böser,
also dass die Aemter vor die Stadt Luzern gezogen, weil die Herren
ihren verbündeten Bundsgenossen Kriens und Horb stark gedroht,
alles zu verderben, wenn sie nicht zur Stadt fallen und schwören wollen.
Und indem haben die der XIII und unterschiedlichen Zugesandten
Orte der Eidgenossenschaft abgesandte Herren zu Baden ein ungutes,
unwahrhaftes Mandat gemacht, des Inhalts, dass sie allerhand höchst
sträfliche Fehler und Muthwillen unverantwortlich, wie offenbar am
Tage, verübt haben sollen; und haben sie solches über die obgenannten
Anfänger im Entlebuch mehrteils und über alle, die ihnen behelfen
sein würden, geschehen und ausgehen lassen, damit sie von aller Orte
Unterthanen verhasst würden, und sie nicht auch zu ihnen fielen, also
dass sie zu den Nachbarn in allen Orten nicht mehr kommen dorften
wegen des Mandats, weil sie so hoch verkleinert und verläumdet worden,
dass sie ihres Leibs und Lebens nicht mehr sicher waren, sondern
ihnen schon thätlich und feindlich begegnet worden, auch darzwischen
fremde und heimische Kriegsvölker auf sie sollten einfallen.

Darum sie mit uns Bernerbauern zu reden gekommen und abgeredet
haben, dass wir kein Leid und Schaden einander wollen zufügen,
noch einheimisches und fremdes Volk wollen durchziehen lassen, damit
wir, als getreue, liebe Nachbarn, mit einander handeln und wandeln,
auch unsere Häuser, Höfe, Hab und Gut, Weib und Kinder in


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 304 - arpa Themen Projekte

Propagandablatt der Herren gegen die Bauern

Nach einem zeitgenössischen Einzelholzschnitt in der Landesbibliothek
in Bern.

(Identisch mit einem Zusatzblatt zu: Cysat-Wagenmann, Brevis
Retatio Discordiae, Motus et Belli ab Rusticis, aliisque Subditis
contra suos Magistratus in Helvetia.)



Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 304 - arpa Themen Projekte
Abbildung 19


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 305 - arpa Themen Projekte

gutem friedlichem Wohlstand erhalten können. Und weil wir im Bernergebiet
oft Willens gewesen, unsere GH Herren und Obern zu bitten,
dass sie unsere Beschwerden uns nachlassen und abthun sollen, wie
denn vor Jahren im Thuner Krieg unser alter Spann auch dergleichen
hätten vereinbart sein sollen, aber schlechtlich gehalten worden, darum
haben wir abermal Gesandte vor unsere Gnädigen Herren gen Bern
geschickt, und sie unterthänig und hoch gebeten, sie sollen unsere
Beschwerden ab uns nehmen; darüber aber sie unsere Gesandten gezwungen,
dass sie in unser aller Namen haben müssen auf die Knie
fallen und um Gnade bitten und annehmen, und haben hernach dasselbige
doch nicht gehalten, was sie unsern Gesandten versprochen
haben. Darum haben wir Ursache genommen, uns in allweg zu versehen,
ist derowegen auf den 13. (23.) April im obgesetzten 1653. Jahr
zu Sumiswald eine Landsgemeinde gehalten worden wegen unserer
Klagartikel und des unguten Mandats willen, welches unsere Ehr und
guten Namen antreffen thäte, daran uns nicht wenig gelegen.

Darum wir, aus der Herrschaft Bern, Luzern, Solothurn und Basel
Gebiet, und aus hienach genannten Orten, zusammengekommen sind
wegen der Beschwerden und sonderbaren Ursachen halber, allda wir
uns freundlich ersprachet (besprochen), und darüber auf freiem Felde
einen ewigen, steifen, Staten und festen Eid und Bund zu dem wahren
und ewigen Gott zusammengeschworen haben, diese nachkommenden
Artikel treulich zu halten, wie folgt:

Im Namen der hochheiligen Dreifaltigkeit, Gott Vater's, Sohn's,
und hl. Geistes, Amen

so haben wir zusammengeschworen und zwar:

1. In diesem ersten Artikel,. dass wir den ersten Eidgenössischen
Bund, vor etlichen hundert Jahren zusammengeschworen, wollen haben
und erhalten, die Ungerechtigkeit einander helfen abthun und die
Gerechtigkeit äufnen; und alles, was den Herrn und Oberkeiten gehört,
soll ihnen bleiben und gegeben werden, und was den Bauern
und Unterthanen gehört, soll uns auch bleiben und gegeben werden.
Hiebei wollen wir einander schützen und schirmen mit Leib, Hab,
Gut und Blut; dress zu allerseits der Religion unschädlich und unvorgreiflich.

2. Wollen wir helfen einander, alle unguten neuen Aufsätze abschaffen,
und sollen aber jedes Orts Unterthanen ihre Gerechtigkeiten
von ihrer Obrigkeit selbst fordern. Wenn sie aber einen Streit gegen
ihre Obrigkeit bekommen möchten, sollen sie doch nicht ausziehen
ohne Wissen und Willen der andern Bundesgenossen, dass man vorher
sehen könne, welche Parther Recht oder Unrecht habe. Haben
unsere Bundesgenossen dann Recht, so wollen wir ihnen dazu verhelfen;
haben sie Unrecht, so wollen wir sie ab- und zur Ruhe weisen.

3. Wenn die Obrigkeiten wollten fremde oder einheimische Völker
uns Unterthanen auf den Hals legen oder richten, so wollen wir
dieselbigen gar nicht dulden, sondern, wo es vonnöthen, wollen wir einander
helfen, sie zurückweisen, und einander tröstlich und männiglich
beispringen.

4. Wenn auch die eint oder andere Person in Städten oder Landen,
durch dieses aufgelaufenen Handels willen, von einer Herrschaft
oder andern Leuten eingezogen, oder an Leib und Leben und Gut geschädigt
würde, sollen alle Bundsgenossen denselben helfen mit Leib,
Hab, Gut und Blut erledigen, als wenn es einem jeden antreffen thäte.

5. So soll dieser unser geschworene Eid und Bund alle zehn Jahre
vorgelesen und erneuert werden von den Bundsgenossen, und so dann


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 306 - arpa Themen Projekte
das eine oder andere Ort eine Beschwerde um ihrer Obrigkeit, oder
anderes, hätte, so will man allzeit demselben zum Rechten helfen, damit
unsern Nachkommen keine Neuerungen und ungebührliche Beschwerden
mehr aufgeladen werden können.

6. Soll auch keiner unter uns so frech und vermessen sein, der
wider diesen Bundschwur reden solle, oder Rath noch That geben
wolle, weder davon zu stehen und zu nichten zu machen. Welcher
aber dieses übersehen würde, soll ein solcher für einen meineidigen,
treulosen Mann gehalten, und nach seinem Verdienen abgestraft
werden.

7. Es sollen auch keines Orts Bundsgenossen mit ihrer Obrigkeit
diesen Handel völlig vergleichen und beschliessen, bis die andern unsere
Bundsgenossen auch an allen Orten den Beschluss machen können,
also dass zu allen Theilen und gleich mit einander der Beschluss
und Frieden solle gemacht werden.

Folgen nun die Orte und Vogteien, so in diesem Bundbrief begriffen
sind und geschworen haben. Aus der Herrschaft Luzern: Allererst
das Land Entlebuch, sammt den IX übrigen Aemtern, welche zu
Wollhausen geschworen haben. —Aus der Herrschaft Bern: Die Vogtei
Trachselwald, —Brandis, —Sumiswald, —Hutwyl, —das ganze Land
Emmenthal, —Signau, —die Landschaft und das Freigericht Steffisburg,
—Hilfterfingen, — Hans Büeler zu Sigriswil für sich und seine
Nachkommen, —die Vogtei Interlaken und Brienz, —Frutigen, —das
Landgericht Sternenberg, — Zollikofen, Konolfingen, Seftigen, — die
Grafschaft Nidau, Büren, — die Vogteien Fraubrunnen, Aarberg,
Landshut —die Grafschaft Burgdorf, ausgenommen die Stadt, —Stadt
und Amt Aarburg, —die Vogteien Wangen, Aarwangen und Bipp, —
Stadt und Grafschaft Lenzburg, —nebst der Vogtei Schenkenberg. —
Aus der Herrschaft Solothurn: die Grafschaft Gösgen, — Stadt und
Amt Olten, — die Vogteien Bechburg, Falkenstein, Kriegstetten, Flumenthal,
Leberen, Bucheggberg, Dorneck, Thierstein und Gilgenberg.
—Aus der Herrschaft Basel: die Stadt Liestal sammt ihren Dörfern, —
die Grafschaft Farnsburg, —die Vogtei Waldenburg, Homburg und
Ramstein. —Die freien Aemter, die Vogteien unter den alten Orten der
Eidgenossenschaft.»

Dies also, war die definitive Basis, welche durch die zähe und ausdauernde
Werbearbeit der Entlebucher und der Willisauer für den
neuen, grösseren Bund erkämpft worden war, der nun an Stelle des
Wolhuser Bundes trat. Zwar ist der Wortlaut des Bundesbriefs, wie er
hier —nach Vock —wiedergegeben ist, erst durch einige Bereinigungen
auf der nachfolgenden Huttwiler Landsgemeinde in diese endgültige
Form gebracht worden. Was jedoch in Sumiswald beschworen
wurde, war in allem Wesentlichen bereits genau dasselbe. Was die
geographische Ausbreitung der in den Unterschriften auf dem Sumiswalder
Brief erscheinenden Aemter, Vogteien, Landgerichts und Ortschaften
betrifft, so umschreibt auch sie im Wesentlichen bereits die
endgültige Ausbreitung des Bundes durch vier Kantone und die Freien
Aemter. Er ist in der Folge nur noch durch unbedeutende Zunahmen
ergänzt worden, meist nur noch durch vollständigere Erfassung
der hier bereits durch Ausschüsse vertretenen Landesteile. So waren
beispielsweise die Freien Aemter nur durch ihren oberen Teil, die Aemter


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 307 - arpa Themen Projekte
Hitzkirch und Meyenberg, in Sumiswald vertreten; aber eben der
Erfolg der Sumiswalder Landsgemeinde revolutionierte auch den unteren
Teil endgültig, sodass dessen Aemter insgesamt den Bund dann
in Huttwil begeistert mitbeschworen. Aehnliches gilt von Stadt und
Grafschaft Lenzburg.

«Nach Verlesung des Bundesbriefs» — so berichtet Tillier —
«sprach Leuenberger die Worte der Eidesformel laut vor; die Versammlung
wiederholte sie, und der Bund wurde geschworen.» Und zwar
wurde, wie Heusler berichtet, «weil ein Gelübde nicht genüge, mit gebogenem
Knie und aufgehobenem Finger der Eid geleistet». Man kann
sich den religiösen Ernst und die tiefe Erschütterung leicht vorstellen,
womit Leuenberger die Formel dieses neuen Eides versprach und beschwor,
der seinem zu Beginn des Monats in Bern geschworenen Eid
so schnurstracks zuwiderlief.

Der Eindruck der Persönlichkeit Niklaus Leuenbergers auf alle
tausend Hergesandte muss wohl eben deswegen ein gewaltiger gewesen
sein. Denn unmittelbar nach dem Schwur wurde dieser bislang allen
Nichtbernern völlig unbekannte Mann, der nicht bei einer einzigen
Vorberatung des neuen Bundes anwesend gewesen war, einmütig zum
«Obmann» des Bundes gewählt. Dies geschah nicht, wie manche Geschichtschreiber
es darstellen, erst in Huttwil, sondern bereits hier in
Sumiswald: das beweisen die zahlreichen Aktionen, denen Leuenberger
sich nun sofort und mit restloser Hingabe widmete und die er nur als
bestellter Bundesführer durchführen konnte. Mit Recht, und mit berechtigtem
Stolz, haben deshalb spätere Sumiswalder zum Gedächtnis
dieses Ereignisses einen Gedenkstein in ihre Kirchhofmauer eingelassen,
der dort, wo man auf der Hauptstrasse vom Tal heraufkommend das
Dorf betritt, jeden mit der Inschrift begrüsst: «Klaus Leuenberger
wurde in Sumiswald zum Obmann des Bauernbundes gewählt
23. April 1653.»

Was aber die Entschlossenheit der Landsgemeinde zu Sumiswald
ganz besonders beweist und was ihr auch abgesehen von Bundesbrief
und Bundesschwur höchsten geschichtlichen Rang verleiht, das sind
die ebenfalls bereits dort gefassten Beschlüsse über die «Konstituierung
eines Kriegsrates», sowie über «die Verteilung der von den Angehörigen
des Bundes aufzubringenden Kriegsmacht». Ueber diese Verteilung der
Kriegsleistungen auf die einzelnen aufständischen Gebiete besitzen wir
zwar keine Dokumente mehr, und wir müssen sie in den Hauptlinien
aus den nachfolgenden Ereignissen selbst erschliessen. Ueber das Ergebnis
der Wahlen zum Kriegsrat aber sind wir bis zu den einzelnen Namen
schon deshalb genauer unterrichtet, weil die Zugehörigkeit zum Kriegsrat
bei den späteren Aburteilungen der «Rädelsführer» des Aufstandes
in jedem einzelnen Fall ein sehr strafverschärfendes Argument bildete
und vielen der Besten den Kopf gekostet hat.

Etwa an die hundert «Kriegsräte» haben schliesslich den Kriegsrat


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 308 - arpa Themen Projekte
der gesamten bäuerlichen Truppenmacht gebildet. Zwar wurden
sicher bei weitem nicht alle bereits in Sumiswald gewählt; vielmehr
steht es fest, dass viele von ihnen erst im Lauf der Ereignisse ad Hec
und in Rücksicht auf lokale Bedürfnisse und Eitelkeiten nachträglich
hinzugewählt wurden, sodass schliesslich allzuviele Köche den Brei
verdarben So gelangten beispielsweise allein im bernischen Sektor ihrer
dreizehn erst während der Belagerung von Bern in den Kriegsrat, der
bereits vorher an die 60 Berner umfasste. Luzerner waren verhältnismässig
viel weniger, nicht mehr als 20, im Kriegsrat. Dafür aber stellten
sie die gesamte Oberleitung desselben (mit Ausnahme eines Solothurners).
Als «General-Oberster» nämlich wurde in Sumiswald der
Entlebucher Pannermeister Hans Emmenegger bezeichnet, womit man
offensichtlich den gerechten Ausgleich zu der Wahl des Berners Leuenberger
zum Obmann des Bundes herstellen wollte. Als «Oberst-Wachtmeister'
stellte man Emmenegger Stephan Bislig aus Ruswil zur
Seite, als «Obersten» den Fridolin Bucher, jetzt Richter und Landesseckelmeister
des Amtes Willisau. Wohl mehr aus propagandistischer
Rücksicht auf die Beteiligung Solothurns am Aufstand setzte man den
sonst nirgends hervortretenden Solothurner Hauptmann Urs Lack,
einen in fremden Kriegsdiensten erfahrenen Mann, zum Stellvertreter
Emmeneggers, als «Oberst-Lieutenant», ein. Daneben verfügte Emmenegger
über einen Stab von je zwei Kriegsräten der Aemter Entlebuch,
Willisau, Ruswil, Rothenburg, sowie von je einem aus den Aemtern
Malters, Triengen, Knutwil und dem Michelsamt. Auch in dieser gleichmässiger
und auf wenige Leute verteilten Verantwortung zeigt sich die
straffere und erfahrenere Organisation der an ein gewisses Mass von
Volksfreiheiten noch gewöhnten Luzerner. Aber, merkwürdig —keiner
der uns, aus den bisherigen Kämpfen so vertrauten Namen ist darunter,
nicht einmal der Kriegsmann Pat excellence Schybi! Auch Käspi Unternährer
nicht, der doch, wie wir aus einer Anwesendenliste der Sumiswalder
Landsgemeinde wissen, an dieser teilnahm.

«Aber', wie Liebenau mit Recht betont, «die Rechte und Kompetenzen
des General-Obersten wurden, so weit bis jetzt bekannt, nie
streng ausgeschieden. Dieser Dualismus hemmte unstreitig die Entwicklung
des Bauernbundes.» Eine Folge dieser Unklarheit mag es gewesen
sein, dass gerade von da an Hans Emmenegger im Bund merkwürdig
wenig öffentlich führend hervortritt und dass an seiner Stelle Leuenberger
— von einer fast mystischen Volkssympathie getragen — erstaunlich
schnell in die vorderste Linie, ja an die Spitze der Führung
des ganzen Aufstands rückt.

Als Folge davon wiederum gleitet auch der Kriegsrat unter die
Leitung Leuenbergers und wird zu einer überwiegend bernischen Angelegenheit.
Eben dies drückt sich in der Tatsache aus, dass die grosse
Mehrzahl seiner Mitglieder schliesslich Berner sind. Unter ihnen gehören
die drei alten Kämpfer aus dem «Thuner Handel», Uli Galli,


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 309 - arpa Themen Projekte
Hans Rüeggsegger, der Weibel von Röthenbach, und Daniel Küpfer,
der mutige «Schmied von Grosshöchstetten», zu den Hauptstützen —-
und Hauptantreibern — Leuenbergers, auch ohne besondere Titel.
Ebenso seine nahen Freunde Lienhart Glanz mann, der Wirt von Ranflüh,
und Daniel Ruch, der ihn nach Sumiswald gebracht hatte und
der erst im Feldlager vor Bern in den Kriegsrat eintrat. Mancher andere
unter den über 70 Kriegsräten Leuenbergers machte ihm nicht wenig
zu schaffen; so vor allem der tolle Heissporn Michel Aeschlimann, genannt
«der Bergmichel», ein Berner Schybi jugendlichen Alters. Und
schliesslich wurde der Notar Johann Konrad Brönner in Sumiswald
nicht nur zum Schreiber des neuen Bundes, sondern auch zum «Kriegsrats-Schreiber»
ernannt — und auch er drängt von da ab seinen Entlebucher
Kollegen, den Schulmeister Müller, den sonst so eifrig tätigen
«Ratsschreiber» des Wolhuser Bundes, von dem wir im Zusammenhang
mit Sumiswald überhaupt nichts hören, merkwürdig schnell in den
Hintergrund.

Wenn man die positiven Ergebnisse der Sumiswalder Landsgemeinde
überblickt, so staunt man nicht nur über den reichen Umfang
der dort an einem einzigen Tag erledigten Geschäfte, sondern auch
über die Tragweite und die fast systematisch zu nennende Planmässigkeit
derselben. Erstens gaben sich die Bauern hier nichts weniger als
ein neues Grundgesetz, eine von Kantons- und Religionszugehörigkeit
unabhängige, wenn auch noch sehr einfache und lückenhafte Verfassung,
samt einer bereits persönlich designierten Exekutive (dem Obmann).
Zweitens errichteten sie im Inhalt dieses Bundesbriefes eine
eigene Rechtsprechung samt eigener Rechtsexekutive, unabhängig von
jeder sowohl in den Einzelstaaten (Kantonen) wie in der Föderation
(Tagsatzung) geltenden Jurisdiktion, obschon auch dies nur in den
primitivsten Grundzügen. Drittens schufen sie eine eigene Heeresorganisation,
auch dies unabhängig von jeder anderen, in der Eidgenossenschaft
bereits bestehenden, und sie designierten auch bereits persönlich
einen Oberbefehlshaber samt einem ganzen Generalstab (Kriegsrat);
obzwar auch dieses, unter dem Druck einer zu raschem Handeln zwingenden
geschichtlichen Situation, ebenfalls in höchst primitiver und
provisorischer Weise.

Wir wollen hier nur im Vorübergehen darauf hinweisen, dass
solch erstaunlich umfassende positive Ergebnisse, die eine zum erstenmal
tagende Landsgemeinde von politisch weitgehend entrechteten
und darum unerfahrenen Bauern und Kleinbürgern an einem einzigen
Verhandlungstag unter Dach brachte, eine ganz ausserordentlich
gründliche und gewissenhafte Vorarbeit voraussetzt. Wer sie geleistet
hat, ist niemals gründlich untersucht worden und ist — wenn nicht
etwa glückliche Aktenfunde sich einstellen —über das bereits Berichtete
hinaus vielleicht niemals im Einzelnen nachzuweisen; und dies
zwar hauptsächlich deshalb, weil wohl alle wirklichen Urheber dem


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 310 - arpa Themen Projekte
Richtschwert zum Opfer gefallen, oder dann auf der Flucht in einem
Elend verschollen sind, das keine schriftliche oder auch nur mündliche
Kunde mehr zuliess, da solche fortan stets mit Lebensgefahr verbunden
war. Und die Herrenchronisten der Zeit wären die letzten gewesen,
aus Wahrheitseifer nach solcher Kunde zu fahnden, viel eher die
ersten, einen aufgespürten Urheber und Mitwisser an den Galgen zu
liefern.

Die Beschlüsse der Sumiswalder Landsgemeinde — und sinngemäss
auch die der nachfolgenden beiden Landsgemeinden zu Huttwil
— werden jedoch grundsätzlich dadurch gewiss nicht weniger wichtig,
weil ihre Urheber und Verfechter kurz hernach unters Rad der Geschichte
kamen und daher keine Gelegenheit mehr hatten, die grossartigen
Entwicklungskeime auszureifen, die sie in der Sumiswalder
Verfassung und Organisation ihrer Sache gegeben hatten. Und doch
scheinen unsere sämtlichen Schweizergeschichtschreiber, fast ohne
Ausnahme, gerade dieser Meinung zu sein. Einzig Dändliker fasste —
ohne näher darauf einzugehen — die Sumiswalder Landsgemeinde als
so etwas wie das erste schweizerische Volksparlament auf. Jawohl, das
war sie. Und zwar als solche etwas, wie es dies auch in der ganzen,
von den Bauern selbst stets rückblickend als Vorbild und Rechtfertigung
beschworenen Ur-Eidgenossenschaft nicht gab! Auch das Stanserverkommnis,
auf das sich die Bauern mit Vorliebe beriefen, ist ja
nichts als das Produkt eines Herrenparlaments (das noch dazu gerade
die Landsgemeinde-Bauern der Urschweiz mittels des «heiligen» Niklaus
von der Flüe zugunsten der Städte-Aristokratie hereinlegte).

Aber die drei oben hervorgehobenen Hauptbeschlüsse der Sumiswalder
Landsgemeinde machen aus dieser grundsätzlich noch bedeutend
mehr. Sie stellen im Prinzip nichts weniger als den ersten Geburtskeim
eines neuen, einheitlichen Staatswesens dar: es sind die
Grundgeschäfte einer konstituierenden Nationalversammlung! Und
zwar zeigen diese Beschlüsse die Grundzüge eines Staatswesens von
besonderer, in der Schweizergeschichte durchaus einmaliger Art: eines
bäuerlichen Klassenstaats, der sich aus allen Fesseln der damaligen
Staats-, Rechts- und Religionsgrenzen heraus — gewissermassen unter
ihnen hindurch — ans Licht ringen will. Und sowohl die im Bundesbrief
erstrebte Rechtsordnung wie die in Sumiswald faktisch aufgerichtete
Heeresorganisation sind hundertprozentige, naiv offen als
solche bekannte Instrumente des Klassenkampfs der Bauern gegen ihre
Herren. So naiv rückschrittlich die ständige Berufung der Bauern auf
einmal, weit hinten in der Geschichte, gehabte (und oft nur vermeintlich
gehabte!) spezifisch bäuerliche Klassenrechte auch ist —- so revolutionär
ist ihr ganzes Vorgehen, ist die Vorbereitung und die Durchführung
der Sumiswalder Beschlüsse! So revolutionär ist vor allem
auch die Gesinnung der Urheber dieser Beschlüsse, die sie hiess, die
Vorkämpfer für die Freiheitsrechte des ganzen Volkes zu sein, was


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 311 - arpa Themen Projekte
sie darin zum Ausdruck brachten, dass sie ihren Bund — bereits in der
Sumiswald vorhergegangenen Propaganda —selber als «Volksbund»
gegen den «Herrenbund» bezeichneten. Wenn irgendwo, so kommt
darin der revolutionierende Einfluss der entrechteten Bürger, besonders
der Willisauer, zum Ausdruck, die von den Bauern in ihren Bund
aufgenommen worden waren.

Wie immer bei Umwälzungen, die sich auf die Geschichte berufen,
war zwar wohl, das Bewusstsein der Schweizer Bauern von 1653 an
Dinge der Vergangenheit gefesselt und wurde dadurch immer aufs
neue unheilvoll von der Gegenwart abgelenkt. Dennoch war der instinkt,
der sie zur Umwälzung der bestehenden Ordnung trieb, von den
realen Nöten der Gegenwart, d. h. von den Folgen dieser Ordnung,
inspiriert und aufgepeitscht, und dieser Instinkt trieb sie auch gegen
ihr Bewusstsein zu einer neuen Ordnung, zu neuen Rechten und Gesetzen.
«Die Bauern... errichteten in Sumiswald am 23. April eine
neue Eidgenossenschaft», wie wiederum als beinahe Einziger Carl
Hilty mit Nachdruck hervorhebt. Wir dürfen nicht die subjektive
Täuschung der Bauern, ihre eigene, rückschrittliche Geschichtsillusion,
zur objektiven Ursache dieser Revolution machen, wie es beispielsweise
Bögli —stellvertretend für jeden andern unserer Herrenchronisten
—tut, wenn er schreibt: «Man sieht aus dem angeführten Bundesbrief,
dass die Bauern sich als die Vertreter der Stände und Inhaber
der Souveränität betrachteten, da sie die Bestimmungen der alten eidgenössischen
Bünde und des Stanserverkommnisses zu erneuern und
zu bestätigen erklärten.» Das ist Aktenweisheit, die über die historische
Wirklichkeit der Schweizer Bauern von 1653 blind hinwegschreitet.

Nur wenn man sich den von Bögli —im Gegensatz zu andern Geschichtschreibern
—wenigstens ahnungsweise richtig herausgefühlten
Willen der Bauern, «Vertreter der Stände» und «Inhaber der Souveränität»
zu werden, in die historische Realität der damaligen Eidgenossenschaft
wirklich eingedrungen denkt, wenn man sich gar vorstellt,
diesem Willen wäre der militärische Sieg zugefallen: dann erst erkennt
man seinen objektiv revolutionären Charakter, der ganz unabhängig
von dem historisch-rückschrittlichen Bewusstsein der Bauern ist. Dann
nämlich wäre es wohl unausbleiblich gewesen,. dass auf der Woge
eines solchen Sieges sämtliche unterdrückten Burgerschaften der
Schweizerstädte, unter denen es ständig rumorte, insbesondere die der
Hauptstädte Zürich, Basel, Bern und Luzern, sich gegen die absolutistische
Oligarchie der «regierungsfähigen» Familien, d. h. gegen die
Willkürherrschaft und Privilegienwirtschaft einer winzigen aristokratischen
Minderheit, erhoben hätte. Wäre aber einmal die Bürgerschaft
durch einen Sieg der Bauern zur Entscheidung für die Revolution gedrängt
worden, dann hätten die Bürger die Führung der Bauern übernommen,
und sie hätten sich bestimmt weniger auf Briefe und Siegel
der alten Eidgenossenschaft (deren Gründer sie ja nicht waren), als


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 312 - arpa Themen Projekte
vielmehr auf die bürgerliche Revolution ihrer Gegenwart, auf Cromwell
und sein Parlament, berufen. Damit wäre der Anschluss der Schweiz
an die progressive Menschheit jener Zeit vollzogen gewesen — und die
Bürger hätten die Bauern aus ihrem Traum der Vergangenheit mit auf
die Bahn der Zukunft gerissen, wie Cromwell es zur selben Zeit wirklich
tat und wie es die Schweizerbürger schliesslich, wenn auch erst
150 bis 200 Jahre später, ebenfalls tun mussten. Dann allerdings ohne
noch eine überhaupt revolutionäre Bauernschaft vorzufinden...

Erst eine solche Eingliederung in die Entwicklungsmöglichkeiten
der Klassenlage des ganzen Zeitalters macht die geschichtliche Bedeutung
des Sumiswalder Bundes und des schweizerischen Bauernkriegs
überhaupt in ihrem vollen Umfang klar. Diese Erhebung der Bauernklasse
enthüllt sich im Lichte des Klassenkampfes in der Tat als eine
Vorstufe zur allgemeinen bürgerlichen Revolution, die auf den Sturz des
gesamten aristokratisch-absolutistischen Systems hinzielte.

Selbstverständlich blieben die Bauern, solange sie im wesentlichen
auf sich selbst angewiesen waren, auf ihre spezifisch bäuerlichen Mittel
beschränkt: auf das Ausspielen des uralten Gegensatzes von Stadt
und Land, auf historische Erinnerungen an ihre, auf einer früheren
Entwicklungsstufe der menschlichen Gesellschaft gespielte ausschlaggebende
Rolle, auf Vieh- und Fruchtsperren gegenüber den Städten,
auf Steuer- und Zinsstreiks, und auf allerlei andere lokale Forderungen
und Verweigerungen, und diese vorwiegend defensiven Mittel des
Kampfes blieben —leider —auch im neuen Bunde grundlegend. Aber
bereits die Beteiligung der unterdrückten Burgerschaften der Kleinstädte
Willisau, Olten, Lenzburg, Aarburg und Liestal veranlasste die
Bauern, ihren Bund zum allgemeinen Volksbund zu proklamieren.
Dies hatte zwangsläufig zur Folge, dass der Bund zur richterlichen
Oberinstanz für alle Streitigkeiten seiner Glieder nicht nur untereinander,
sondern auch mit ihren verschiedenen Regierungen ausgestaltet
werden musste. Eine weitere Zwangsfolge war die Organisierung und
Zentralisierung einer gemeinsamen Militärmacht, so keim- und bruchstückhaft
sowohl diese wie die Rechtsorganisation vorläufig auch in
Erscheinung treten mochten.

Der Eintritt der paar —auch in ihrem Wesen stark bäuerlich gebliebenen
— Landstädte konnte jedoch den bäuerlichen Klassencharakter
des ganzen Bundes nicht wesentlich verschieben. Dazu waren
ihre progressiv bürgerlichen Kräfte im Verhältnis zu der grossen konservativen
Bauernmasse zu gering; sie mussten sich vielmehr dieser
einfügen und konnten innerhalb derselben lediglich als Sauerteig wirken,
der die Organisationskraft steigerte, aber immer noch nur in dem
Sinne der Steigerung der Schlagkraft im Kampf für das spezifische
Klasseninteresse der Bauern.

Nun muss man sich aber vorstellen, was aus dem Bund geworden
wäre, wenn sich nicht nur ein relativ —wirtschaftlich und allgemein


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 313 - arpa Themen Projekte
kulturell — so rückständiger Teil des schweizerischen Bürgertums wie
die Bewohner der paar ländlichen Kleinstädte sich an ihm beteiligt
hätte: wenn vielmehr die in den Zunftfesseln der Obrigkeiten sich windenden
Produktivkräfte des Kaufmanns-, Handwerks- und stellenweise
bereits Manufaktur-Bürgertums der grossen Hauptstädte des Landes
unter dem Eindruck auch nur eines ersten Sieges des Volksbundes
über den Herrenbund ihre Fesseln gesprengt und mit voller Kraft auf
die Seite des Volksbundes getreten wären! Dann nämlich wäre das
bürgerliche Element durch das Eigengewicht seiner grösseren wirtschaftlichen
Bedeutung, seiner grösseren Welterfahrung, seiner höheren
Bildung und der aus alledem erfliessenden tieferen Einsicht in die
zeitgenössischen Weltzusammenhänge, notwendig führend geworden
in diesem Bund; ja, der Bund selbst, samt seiner bäuerlichen Massengrundlage,
wäre zu dem entscheidenden Kampfinstrument der bürgerlichen
Klasse für ihre Rechte und Freiheiten geworden, an denen die
der Bauern natürlich beteiligt, in die sie mit eingeschlossen worden
wären, wie dies fast zweihundert Jahre später endlich geschah.

Jedoch gerade die geschichtliche Tatsache, dass das unterdrückte
Bürgertum der Hauptstädte nicht in den grossen Kampf eingriff, sondern
sich mit den Herren nur um die Beteiligung an deren lokalen
Privilegien stritt, beweist eindeutig, dass auch das Bürgertum der
Hauptstädte —nicht nur dasjenige der kleinen Landstädte —in seiner
wirtschaftlichen wie in seiner kulturellen Entwicklung noch zu rückständig
war, um ein genügend klares politisches Bewusstsein von seiner
Rolle in der Geschichte entwickeln können. Dies ganz im Gegensatz
zum englischen Bürgertum der gleichen Epoche, dessen Produktivkraft
und damit sein politisches Bewusstsein durch die aktive Teilnahme
am neuerschlossenen Ueberseehandel revolutionär entwickelt
wurden. Dennoch können wir es als tragisch für die gesamtschweizerische
politische und kulturelle Entwicklung empfinden, dass die Kraftentfaltung
des Sumiswalder Bundes nicht bis zur Entfesselung des
damals allüberall in der Schweiz wenigstens lokal gärenden Bürgertums
der Hauptstädte gelang.

Das zeigen die geschichtlichen Folgen der brutalen Niederschlagung
dieses Bundes: als anno 1798, infolge der Französischen Revolution und
ausgelöst durch die napoleonische Invasion, nicht aus eigener Kraft,
das schweizerische Bürgertum der Hauptstädte sich erhob, um die verrotteten
Fesseln der feudalen Zunftwirtschaft der aristokratischen Obrigkeiten
endlich abzuwerfen —da gab es in der Schweiz keine überhaupt
noch organisierbare, geschweige revolutionierbare Bauernklasse
mehr: ihr war durch die Vernichtung des Sumiswalder Rundes das geschichtlich-politische
Rückgrat für immer zerbrochen worden! Sie
tauchte vielmehr, wenn auch nur in ihren traurigsten Teilen, auf der
Seite der schwärzesten aristokratischen Reaktion wieder auf, die den
stinkenden Leichnam ihrer an innerer Fäulnis zusammengebrochenen


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 314 - arpa Themen Projekte
Gewaltherrschaft schon in Neuenegg und Grauholz und dann in Nidwalden
und in der Schlacht bei Zürich mit Hülfe ausländischer Fürsten,
Pfaffen, Gelder und Truppen wiederaufzurichten versuchte. Die
ganze Helvetik, ein Versuch des Schweizer Bürgertums, seine immerhin
kühne und progressive Revolution auch seinerseits auf fremden Bajonetten
aufzurichten, ist an der sturen Verweigerung des Schweizer
Bauerntums gescheitert, in dem jeder Funke des stolzen Rebellengeistes
des Sumiswalder und Huttwiler Bundes längst in den Staub getreten
war. Und erst nach vielen inneren Kämpfen und Gewittern gelang
es 1847 dem schweizerischen Bürgertum, seine durchschlagende
Revolution, den Sonderbundskrieg, mit erfrischender Unbedenklichkeit
vom Zaun zu reissen —und auch dabei war es wiederum nur gegen
den sturen Widerstand wenigstens eines Teils des schweizerischen Bauernturns,
nämlich desjenigen gerade der Urschweiz, möglich, endlich
dem Fortschritt in unserem Lande freie Bahn zu schaffen, der dann
auch dem Bauerntum wieder einen menschlichen Aufschwung ermöglichte,
wenn auch seine selbständige geschichtliche Bedeutung ausgespielt
war...

Im Lichte der hier nur angedeuteten geschichtlichen Folgen der
Niederschlagung des Bauernaufstandes vom Jahre 1653 — durch die
der Sumiswalder Bund bereits in der Wiege erstickt wurde —, nehmen
sich die Beurteilungen der geschichtlichen Bedeutung dieses Bundes
seitens unserer modernen Herrenchronisten höchst merkwürdig aus.
Alle unsere Geschichtschreiber des Bauernkriegs nämlich — mit einer
einzigen Ausnahme, die wir gesondert behandeln müssen — werfen
dem Sumiswalder (bezw. Huttwiler) Bund unisono vor: ihm habe jede
«staatsrechtlich» in die Zukunft weisende Bedeutung gefehlt; und dies
zwar deshalb, weil die Bauern darin, wie Bögli formuliert, «nicht auf
das einfache Mittel verfielen, für sich selbst einen verfassungsmässigen
Anteil an der Regierung anzustreben». Auch Dierauer wirft ihnen ja
vor, dass sie in diesem Bund nicht den Versuch gemacht hätten, «sich
einen Anteil an der Ausübung der obrigkeitlichen Gewalt zu sichern».
G. J. Peter treibt das Argument auf die Spitze, in dem er fettgedruckt
schreibt: «Dem grossen Bauernbund mangelt gänzlich, was ein produktives
Ergebnis hätte zeitigen können: Das Postulat der politischen
Gleichberechtigung der ländlichen Bevölkerung mit der aristokratischen
der Städte»! Das klingt erzdemokratisch und scheint «staatsrechtlich»
sehr fortschrittlich im Sinne der späteren, radikal-demokratischen
Eidgenossenschaft —ist aber trotzdem nichts als barer Unsinn.
Was allerdings nicht verhinderte, dass er auch von den nachfolgenden
Bearbeitern des Stoffs immer aufs neue abgeschrieben wurde. Wie —
Absolutismus und Demokratie, Feuer und Wasser, Wölfe und Schafe,
Ausbeuter und Ausgebeutete.. . sollten zusammen kutschieren? Das
ist echte Herrenweisheit; denn wer dabei den Kürzeren zöge, ist ja
nicht zweifelhaft.


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 315 - arpa Themen Projekte

Da loben wir uns den aufrechten Instinkt der Bauern von 1653:
für sie, die Ausgebeuteten und bis aufs Blut Gepeinigten, gab es gar
keine Gemeinschaft mit ihren Ausbeutern und Peinigern —sie konnten
also einen «Anteil» an dieser Regierung, an diesem Staate ehrlicherweise
überhaupt nicht ins Auge fassen! Für sie gab es nur eine Möglichkeit:
dieser Staat musste weichen, gänzlich. Was sie an seine Stelle setzen
wollten, das konnte, solange sie auf sich allein gestellt waren — d. h.
solange kein progressives Bürgertum da war, das sie in eine neue Demokratie
hätte führen können —, gar nichts anderes sein, als die alte,
primitive Demokratie der Bauernfreiheit, auf der die echte alte Eidgenossenschaft
gegründet war und auf die sich die Bauern daher im
Artikel 1 ihres Bundesbriefes mit Recht berufen.

Vielleicht noch peinlicher berührt ein anderes, auch von den Demokraten
unter den Geschichtschreibern des Bauernkriegs stereotyp
wiederholtes Argument gegen den Bund der Bauern von 1653; ein Argument,
das sie den Herren von 1653 selber immer aufs neue gedankenlos
nachschreiben. Es läuft darauf hinaus, dass man um Gotteswillen
den bestehenden Staat —gleichgültig welchen —nicht angreifen soll!
G. J. Peter z. B. wirft dem Sumiswalder Bund, der die Demokratie der
Bauern der Aristokratie der Herren entgegenstellte, direkt vor, dass er
«eine mittelalterliche Auffassung» des Staats «der Idee vom kräftigen
modernen (!) Staat» entgegenstelle, «indem er auf eine Schwächung
der Staatsgewalt ausgeht». «Ja», so fährt Peter fort, «der Bauernbund
verfolgte mit seiner Verweigerung der Steuerzahlung und der Heeresfolge
entschieden anarchische Tendenzen und eben dadurch» (mithin
wegen mangelnder Subordination unter die Willkür einer rechtlosen
totalitären Gewaltherrschaft!) «benahm er sich selbst Lebensfähigkeit
und Existenzberechtigung»! Faschistischer kann man gar nicht mehr
sein als dieser «gute Demokrat», obschon G. J. Peter dies bereits im
Jahre 1909 publiziert hat. Der noch bessere «Demokrat» Johannes
Dierauer wiederholt in seiner Geschichte der schweizerischen Eidgenossenschaft
(IV. Band, 1912) dieses Argument unbedenklich, indem
er, unter ausdrücklicher Berufung auf diese Stelle bei Peter, gegen die
Verfasser des Sumiswalder Bundesbriefes schreibt: «Sie bedachten nicht,
dass, wie sie ihre Föderation als kontrollierende Instanz dem ,Herrenbund'
zur Seite stellten, die Staatsgewalt gelähmt und untergraben
werden musste»; ja, Dierauer identifiziert die «nationalen Interessen»
und das «eidgenössische Wesen» derart mit der «Staatsgewalt» der
absolutistischen Herren von 1653, dass er unmittelbar fortfahren kann:
«... und dass ihr Vorgehen überhaupt den nationalen Interessen, dem
eidgenössischen Wesen zuwiderlief»! Da hätten die Bauern von 1653
sich allerdings nicht auf die alten Schweizerbunde berufen dürfen —
die waren ja bekanntlich von Aristokraten vom Kaliber Wasers und
Wettsteins, Werdmüller und Erlachs, oder auch des «alten Raubgeiers»
Fleckenstein gemacht! Und überhaupt: wie wäre die alte Eidgenossenschaft


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 316 - arpa Themen Projekte
entstanden ohne «Lähmung» und «Untergrabung» der «Staatsgewalt»
der Habsburger?... Ueberhaupt hätten die Bauern von 1653
eben auf der Ofenbank sitzen bleiben sollen, wenn sie sich nicht just
ihrer «Pflicht» hingaben, aus ihrem Hunger die Zinsen für die Gülten
dieser Herren herauszuschinden, um deren «moderne Staatsgewalt» zu
starken... Sie hätten damit den «demokratischen» Herrenchronisten
des 20. Jahrhunderts die Mühe erspart, ihrem «staatsrechtlich» zermarterten
Gehirn so ungereimtes Zeug — von ein- und denselben Herren
im gleichen Atemzug behauptetes Zeug —über den Sumiswalder
Bund abpressen zu müssen wie dies: dieser Bund sei zu wenig demokratisch
im Sinne einer «Beteiligung» an der (aristokratischen) Regierung
von damals, mithin zu reaktionär in Bezug auf die spätere bürgerliche
Revolution, gewesen —zugleich aber sei er zu revolutionär in
Bezug auf die damalige absolutistische «Staatsgewalt» gewesen, indem
er «rein destruktiv» (sagt Peter) «die Staatsgewalt gelähmt und untergraben»
habe (sagt Dierauer Peter nach). Wobei nicht vergessen werden
darf, dass die ganze Staatsgewalt von damals, bei ihrer antidemokratischen
Strenge und Unbedingtheit, hätte in die Luft gehen müssen,
wenn auch nur der geringste Fortschritt im Sinne der Demokratie
überhaupt hätte erzielt werden sollen. Was dann den «nationalen
Interessen« und dem «eidgenössischen Wesen» fraglos förderlicher
gewesen wäre als die 155 Jahre absolutistischer Pestilenz, die nun
folgten und dem Schweizer Volk das Mark aus den Knochen
sogen...

Ausserdem aber gab es in diesem Sumiswalder Bund, besonders
in der Tatsache seiner überkantonalen und überkonfessionellen Organisation,
Elemente, die trotz der rückschauenden Ideologie der Bauern
faktisch höchst fortschrittlich waren. Gerade diese Elemente haben
nicht die (angeblichen) Erz demokraten unter den Bauernkriegs-Chronisten
entdeckt —sie haben vorgezogen, vom hohen Ross ihrer «staatsrechtlichen»
Bildung herab dieses urlebendige Stück schweizerischen
Volksleben formal juristisch und rechtsgeschichtlich (und dies noch
verkehrt) in Grund und Boden zu stechen. Kein Wunder — sind es
doch diese selben «Demokraten», die die erzreaktionäre Rolle der
späteren, erbarmungswürdig heruntergekommenen Bauern bei Neuenegg,
im Grauholz und in Nidwalden zum unantastbaren «nationalen
Heiligtum» erhoben haben!

Nein, die progressiv-revolutionären Elemente im Sumiswalder
Bund entdeckte einzig und allein der katholisch-konservative Erzreaktionär
Theodor von Liebenau. Nicht aus Sympathie und Liebe, versteht
sich, und noch weniger aus tieferer Erkenntnis der Klassenbedingtheit
der Geschichte; wohl aber aus einem richtigen Klasseninstinkt, der ihm
die Gefahr beim Gegner richtig anzeigt. Im Spiegel dieses eindeutig antidemokratischen
Klasseninstinktes —mithin nur sehr getrübt (denn Instinkt


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 317 - arpa Themen Projekte
ist noch keine Erkenntnis) und ausserdem gewissermassen spiegelverkehrt,
nämlich negativ bewertet — spiegeln sich wenigstens
ahnungsweise die Umrisse einer grossen Wahrheit über den urdemokratischen
Sumiswalder Bund; einer Wahrheit die wir nicht zufällig
an den Schluss dieser Auseinandersetzung über seine geschichtliche
Bedeutung stellen.

Liebenaus Herz hing ganz und gar an der aristokratischen Herren-Eidgenossenschaft,
wie sie das Stanserverkommnis begründete, gegen
die sich die Bauern von 1653 erhoben hatten und die durch die Niederwerfung
dieser Bauern derart in «Blüte» kann, dass sie ihre absolutistische
Unterdrückungspolitik, fortan von keinem Volksrecht mehr geschmälert,
bis ins Jahr 1798 fortsetzen konnte. Diese «alte» Eidgenossenschaft
meint Herr von Liebenau, wenn er im übrigen völlig richtig
schreibt: «Wäre der in Sumiswald geschworene Bund lebensfähig geworden,
so hätte die alte schweizerische Eidgenossenschaft ihm weichen
müssen, obwohl der Bauern-Bund sich nur als eine Erneuerung des
Schweizer-Bundes hinstellte.»

Das ist Liebenaus erste Entdeckung: unabhängig von der rückschauenden
Ideologie der Bauern, hätte der Sumiswalder Bund, wenn
er Zeit gehabt hätte, richtig auszuwachsen, eine völlig neue geschichtliche
Wirklichkeit geschaffen, die weder mit der Herren-Eidgenossenschaft
von 1481-1798 vereinbar, noch eine Neuauflage des echten
Volksbundes der Bundesgründer von 1273 beziehungsweise von 1291
gewesen wäre, wie die Bauern selbst meinten. Hätte er sich in dem
oben von uns angedeuteten Sinn entwickeln können, dann wäre er,
über seinen anfänglichen bäuerlichen Klassencharakter hinaus, eine
Uebergangs form oder Vorstufe des Bundesstaates von 1848 geworden
— welche Schlussfolgerung Herrn von Liebenau durchaus nicht fern
liegt, wie wir noch sehen werden, die er jedoch negativ bewerten
muss, da sie die Bejahung einer echt revolutionären Entwicklung zur
Voraussetzung hat.

Gerade darum aber, weil ihn sein gut funktionierender Klasseninstinkt
darin nicht täuscht, macht Liebenau seine zweite Entdeckung.
Zwar kleidet er sie zunächst in die vage moralisierende Form eines
Zitats nach dem Berner Staatsrechtslehrer Hilty, eines Zeitgenossen
Liebenaus, der einstmals ragenden protestantisch-konservativen Säule
der modernen Herren-Eidgenossenschaft, eines typischen Repräsentanten
des längst wieder reaktionär gewordenen Bürgertums. In folgender
Weise wittert und denunziert Liebenau die versteckt revolutionäre
Tendenz des Sumiswalder Bundes: «Denn der Sumiswalder-Bund beruhte,
wie Dr. Hilty bemerkt, nicht mehr auf der von Gott gegebenen
Basis, er schützt nicht mehr Recht und Gerechtigkeit» (d. h. nicht mehr
das Profitinteresse der Herrenklasse, nämlich:) «nicht das wohlerworbene
Privatrecht» (der «regierungsfähigen» Familien), «nicht die historische
Entwicklung der Schweiz» (die es nur für die Herrenklasse gab),


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 318 - arpa Themen Projekte
«sondern führte eine demokratisch-sozialistische Richtung ein...» Zwar
ist es schief, hier von «Sozialismus» zu reden; das ist nur die Redeweise
eines konservativen Reaktionärs, der damit gerade das Antisozialistische,
nämlich alles lediglich Auflösend-Anarchische meint, das mit
einem Umsturz unvermeidlich verbunden ist. Was nun aber Liebenau
— nach einer einfältigen Charakterisierung der Wahl Leuenbergers
zum Obmann als «Verletzung des demokratischen Prinzips» (!) als
wirklich innewohnendes revolutionierendes Prinzip des Sumiswalder
Bundes entlarvt, das hat, abgesehen von der negativen Tendenz-Formulierung,
seine tiefere Richtigkeit, Liebenau schreibt: «Der Bund
von Sumiswald vernichtete, was seine Urheber nicht einsehen wollten,
die Kantonalsouveränität wie alle Landeshoheit» (natürlich nicht alle,
sondern nur die aristokratisch-absolutistische der Herren-Eidgenossenschaft!)
«indem er bestimmte, dass die Bundesbrüder die Streitigkeiten
zwischen Obrigkeit und Untertanen entscheiden sollten, mochten diese
über Gesetzgebung oder Verwaltung sich entspinnen. Der Wolhuser
Bund war damit durch einen weit über die Kompetenzen der Tagsatzung
hinausreichenden Bund verdrängt»!

Mit diesem Prinzip sollte der Sumiswalder Bund «die historische
Entwicklung der Schweiz» — zwar nicht die der Herren, aber umsomehr
die des Volkes wirklich nicht gefördert haben? Von uns aus —
ja, doch! und zwar gewaltig! Gerade in dieser — wenn auch subjektiv
negierend vorgetragenen —Feststellung des katholisch-konservativen
Herrenchronisten liegt für uns objektiv die allergrösste Anerkennung
des eminent progressiven Charakters und damit der wahrhaft geschichtlichen
Bedeutung des Sumiswalder Bundes: dass in ihm nämlich -—
widerspruchsvoll wie in allem Lebendigen —bereits der Keim der Entwicklung
vom Staatenbund zum Bundesstaat lag, die staatsrechtlich
fruchtbarste und stärkste fortschrittliche Idee der Eidgenossenschaft,
die erst anno 1847/48, dann aber als Kraft der wirtschaftlich befreiten
Bürgerklasse, nicht mehr der wirtschaftlich ruinierten Bauernklasse,
geschichtlich siegte!

Unsere positive Auffassung des Sumiswalder und des Huttwiler
Bundes gilt es umso nachdrücklicher auszusprechen, als sie allein steht
und als es sich hierbei um eine der originalsten und stärksten Lebensäusserungen
des Schweizervolkes und um einen der volkstümlichsten
Stoffe unserer Geschichte handelt, über dessen lebendige Wirklichkeit
man allzulange mit kaltherziger Aktenweisheit hochmütig hinweggeschritten
ist.

Die lebendige Wirklichkeit der Bauern von 1653 aber, die notgedrungen
den Sumiswalder Bund hervorbringen und ihn ebenfalls notgedrungen
zum Träger einer eminent fortschrittlichen Idee machen
musste, selbst unabhängig von dem wie auch immer beschaffenen Bewusstsein
seiner Schöpfer, das war die folgende:

Was da aufbrach im tiefsten Schosse der absolutistisch bis in ihr


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 319 - arpa Themen Projekte
Gegenteil verfälschten «Eidgenossenschaft», das war die vor Not und
Druck schon fast betäubte Masse der Unterdrückten und Ausgebeuteten
gegen ihre Ausbeuter und Unterdrücker. Was da nun in den schweizerischen
Volksmassen gegen die generationenalte Erstarrung in kantonalen
und konfessionellen Abschnürungen, gegen alle traditionellen
und politischen und sozialen Fesseln durchzubrechen begann, das war
überall derselbe soziale Instinkt der Zusammengehörigkeit aller Unterdrückten
und Ausgebeuteten gegen die unterdrückende und ausbeutende
Klasse. Gleich welcher Herkunft, ob Bauer oder Bürger, gleich welchen
Kantons oder welcher Konfession: jetzt suchte der Ausgebeutete und
Unterdrückte nicht mehr allein seiner eigenen lokalen Regierung zu
widerstehen, sondern wagte es, der übergeordneten, interkantonalen
Organisation des Klassenfeindes, der Tagsatzung und ihrer Militärmacht,
die Stirn zu bieten. Denn das war das Instrument der damaligen ausbeutenden
und unterdrückenden Klasse in der Eidgenossenschaft.
Darum begegnen wir fortan überall der leidenschaftlichen Forderung,
das «Gemeine Mandat» der Tagsatzung zu widerrufen, sowie der bewaffneten
Auflehnung gegen jeden Versuch, das «Defensional» in die
Tat umzusetzen.

Es ist also die geschichtliche Grösse des nun aus dem Schosse
des Schweizervolkes mit grosser Wucht empordrängenden Volksbundes,
dass er eine echte soziale Solidaritätsaktion der Ausgebeuteten und Unterdrückten,
ohne Ansehen ihrer Kantons- oder Religionszugehörigkeit,
gegen die ausbeutende und unterdrückende Klasse war. Und zwar war
dies seit der Gründungsaktion der Eidgenossenschaft das erste und bis
ins 19. Jahrhundert das letzte Mal in der Geschichte der Eidgenossenschaft,
dass das Bedürfnis der sozialen Solidarität einer Klasse alle bestehenden
politischen und konfessionellen Schranken durchbrach und
auf eine Klassenabrechnung auf allgemein gesellschaftlicher Basis hinsteuerte.

Es war also schon ein ahnungsvoller Engel, der protestantische
Geistliche aus dem Wallis, der da einmal während des Bauernkriegs
in einem anonymen Schreiben an den Schultheissen von Graffenried
in Bern, das sonst dem edlen Bestreben rabenschwärzester Religionshetze
oblag, schrieb: «Das schweizerische Bauerngift» (nämlich: die
Erhebung des Volks ohne Ansehen der Religion!) «spreitet sich auch
unter unser Volk aus und so plötzlich, dass es zu verwundern ist...
Nach Inhalt alter Historien ist keine Veränderung plötzlicher, verderblicher,
als wenn durch böse Anschläge die Aristokratien in Demokratien
verwandelt werden, die gewöhnlich den dritten Stand nach sich gezogen
haben»!


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 320 - arpa Themen Projekte

Eine Sitzung der Tagsatzung in Baden

Nach einem Originalstich in der Graphischen Sammlung der
Zentralbibliothek in Zürich.



Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 320 - arpa Themen Projekte
Abbildung 20


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 321 - arpa Themen Projekte


XIV.
Der «Zunder der zu besorgenden mehrern Unruhen in
der ganzen Eydtgenossenschaft»


Nun waren also nicht mehr nur die Untertanen der Luzerner Herren
«als herren- und vernunftlose Menschen mit den allerbösesten Exzessen
in alle Wege vertieft» —wie die Luzerner Regierung einmal die Bundesbrüder
des Wolhuser Bundes den Tagsatzungsherren denunzierte.
Kaspar Steiner, der immer obenauf schwamm, wenn die Flut der Revolution
hoch ging und immer zu Füssen der Herren strandete, wenn
sie ebbte, Kaspar Steiner verkündete nun: «jetzt dürfen die Bauern sich
nicht mehr fürchten; denn durch den Sumiswalder Bund seien sie stark
genug». Und die Bauern in vier Kantonen und darüber hinaus redeten:
«wir wollen 200 000 Mann zusammenbringen und Sturm laufen». «Mit
diesem Bunde», sagt Heusler, «war nun der Knoten geschürzt, und eine
neue Frage war aufgeworfen, welche alle Kantonalfragen an Bedeutung
weit überragte.»

Nach dem Fest der Bauernfreiheit in Sumiswald kam in der Tat
alles ins Brodeln, bei den Herren wie bei den Bauern in der gesamten
Eidgenossenschaft. Die Herren betrieben fieberhaft die Vorbereitungen
zur neuen Tagsatzung in Baden, die ausschliesslich der Beratung über
die Niederwerfung der Bauern gewidmet sein sollte. Die Bauern, von
Sumiswald heimgekehrt, betrieben nicht weniger fieberhaft die Annahme
des Bundes in den Gemeinden, sowie die Wahl von Ausschüssen
für ihre Gegen-Tagsatzung, für die schon in Sumiswald beschlossene
zweite überkantonale Landsgemeinde in Huttwil. «Immer mehr», sagt
Heusler, «gestaltete sich die Sache zur grossen offenen Verschwörung.
die für niemand ein Geheimnis sein sollte, als für die Oberbeamten.
Denn an offener Gemeinde, unter der Linde, oder am Brunnen oder im
Wirtshause kam man zusammen, die Untervögte und Geschworenen
übernahmen die Leitung und gaben dadurch der Sache ein amtliches
Ansehen. Aber Anzeigen an die Obrigkeit wurden mit dem Tode bedroht.
» Diese Schilderung des Basler Herrenchronisten gilt nicht nur
für die Basler Landschaft, sondern für alle aufständischen Gebiete der
Schweiz. Im Basellandschäftler Volk sprach man sogar bereits —wie
der Homburger Landvogt Brand am 27. April an den Basler Rat berichtete
— «von einem Bunde nicht nur mit den Schweizern, sondern


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 322 - arpa Themen Projekte
auch mit Sundgäuern und Markgräflern»! Ein untrügliches Zeichen dafür,
wie sehr die Sache der Bauern eine Klassensache war, die sie in
ihren Augen ganz selbstverständlicherweise auch mit den Leidensgenossen
ihrer Klasse jenseits der eidgenössischen Grenzen, mit Untertanen
fremder Fürstengewalt, verband.

Sogar die unterdrückten Burgerschaften einiger Hauptstädte der
Eidgenossenschaft regten sich, als ob der Lärm der Bauern sie aus
ihrem Schlaf geweckt hätte. So in Luzern, so in Basel; aber auch in
Zürich und Bern hörte man jetzt die Bürger ziemlich vernehmlich gegen
ihre Herren brummen. Erneute Beerdigungen der Zünfte oder der
ganzen Bürgerschaft, sowie besondere Mahnungen und Ratsbeschlüsse
erwiesen sich als notwendig. «In der Stadt Basel», berichtet Vock, «fingen
die Bürger an, sich sehr freimütige Reden über die obwaltenden
Unruhen der Bauern zu erlauben; viele lobten die Landleute und zeigten
sich nicht ungeneigt, das nämliche Spiel in der Stadt zu beginnen.
Diese Gärung und Räsonniersucht (!) nahm besonders unter den Metzgern
überhand; zwei derselben liess die Regierung verhaften und ihr
freches Maul (!) bestrafen.» Unter diesen Umständen beschloss, nach
dem Bericht Häuslers, der Basler Rat am 30. April «eine Abordnung
auf alle Zünfte, an die Gesellschaften der mindern Stadt und die Aufenthalter».
Jedoch «soll dabei keine Gegenrede zugelassen werden, sondern
der Meister der Zunft soll einfach die Zunftbrüder ermahnen, dem
Gehörten nachzukommen». «Wettstein und Hummel wurden mit dieser
Ansprache an die Zünfte beauftragt.» Wettstein, ein ebenso schreib-
und redseliger Mann wie sein Zürcher Kollege Waser, hat seine Rede
hinterlassen. Darin sagt er (nach Heuslers Referat) unter anderem:
«Durch die Unruhen in den andern Kantonen seien nun die Untertanen»
(d. h. auch die Basler Bürger) «veranlasst worden, auf ungewohnte und
verbotene Weise den Nachlass des Soldatengeldes und Anderes zu begehren»;
jedoch habe «man bald verspüren müssen, dass es ihnen nur
darum zu tun sei, die Obrigkeit allerseits so weit einzutun, dass Alles in
ihrer» (der Untertanen!) «Gewalt stehe, wozu sie sich durch hochsträfliche
Eidespflicht zu einander verbunden hätten. Das sei aber dem obrigkeitlichen
Stand und gemeinem Wesen höchst präjudicirlich, und es
liege daher demselben ob, sich, wenn gütliche Mittel nicht zum Ziele
führen, durch alle erdenklichen Mittel dagegen zu schirmen. Die Bürgerschaft
werde daher vor ungleichen Reden gewarnt und aufgefordert,
gehörigen Ortes Anzeige von solchen zu machen.» Das war Erziehung
zum Angeber- und Spitzeltum, getreu im Geiste des Badener Mandats.
Gleichzeitig baute man vor, indem man, nach Vock, ernsthaft rüstete:
«Es wurden 800 Mann Fussvolk und eine Kompanie Reiter angeworben,
und der Rat liess beim französischen Gouverneur zu Breisach (!)
für den Notfall um Hilfstruppen ansuchen, die, wenigstens 300 Mann
Fussvolk und 100 Reiter, auf erstes Verlangen zugesichert wurden.» (Das
waren also auch im strengsten, landsfremden Sinne die «fremden»


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 323 - arpa Themen Projekte
Truppen, die Herr Wettstein vor dem Volk bei jeder Gelegenheit ableugnete
und bezüglich derer sämtliche Tagsatzungsherren ganz gleichzeitig
die Bauernausschüsse und die Huttwiler Landsgemeinde direkt
hoch und heilig beschworen, doch nicht an solche Ammenmärchen und
Verleumdungen zu glauben!) «So rüstete sich die Regierung von Basel
tätig zu Bekämpfung des Volksaufstands mit Waffengewalt.»

In Luzern war dieses System längst eingeführt. Aber auch dort,
und dort ganz besonders, erhob die Bürgerschaft nach der Stiftung des
Sumiswalder Bundes erneut ihr Haupt. Alle ansehnlichsten Räte nämlich
waren in den Tagen seit dem Sumiswalder Schwur aufs Land geschickt
worden, um mit aller Kraft die Annahme des Bundes in den
Aemtern und Gemeinden zu hintertreiben. Da fühlten sich die Bürger
unkontrolliert, um sich beinahe täglich zu versammeln, obwohl darauf
die Todesstrafe stand. «Die Abwesenheit so vieler der einflussreichsten
Ratsherrn», berichtet Liebenau, «benutzten die Bürger zu Besprechungen
unter sich und mit den Bauern... Der Rat war daher gezwungen,
auf den 30. April den Grossen Rat einzuberufen.» «Hier wurde zunächst
referiert, wie sich die Lage des Streithandels» (zwischen den Bürgern
und der Regierung) «seit dem Abschlüsse des Sumiswalder Bundes verändert
habe, wie die Bauern immer arroganter und gewalttätiger auftreten,
wie sie mit neuen Begehren auftreten...» Etc.

Der Grund für diese neue Bewegung der Luzerner Stadtbürger war
also ganz gewiss die grosse, allgemeine Bauernfrage. Liebenau gibt jedoch
dafür noch einen speziellen Grund an: «Die Kunde von den Vorschlägen
der Zuger auf der Konferenz in Gersau brachte (gemeint ist:
bei den Luzerner Bürgern) alles in Konfusion.» Was war diese «Konferenz»,
was enthielten die Zuger Vorschläge?

Die «Konferenz» von Gersau war eine richtige katholische Sonder-Tagsatzung
der Urkantone, die am 25. April zusammengerufen wurde,
um womöglich eine gemeinsame innerschweizerische Richtlinie für die
auf den 29. einberufene gesamteidgenössische Tagsatzung, d. h. für die
Behandlung der gesamten Bauernfrage auf eidgenössischem Boden, zustandezubringen.
Die Abgeordneten an diese Sonder-Tagsatzung von
Gersau waren «meist jene Landammänner, die den rechtlichen Spruch
erlassen hatten, daneben aber auch, als Vertreter von Zug, Ammann
Georg Sidler und alt Ammann Peter Trinkler». Die wahren Einpeitscher
dieser Versammlung waren aber Zwyer und Dulliker.

Dulliker besonders hatte das brennendste Interesse, einen einmütig
bauernfeindlichen Beschluss zustandezubringen; denn dieser sollte die
Plattform für die grosse Aktion der Luzerner Ratsherren werden, die
damit am Tag darauf, am 26., in allen Richtungen über die zehn Aemter
herfallen und sie auf diese Weise demoralisieren und von der Beschwörung
des neuen Bundes abhalten sollten. Diese Plattform sollte natürlich
unter der schönen Flagge der «Versöhnung», des «Friedens», des
«Ausgleichs» zwischen den Herren und den Bauern segeln. Auf Grund


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 324 - arpa Themen Projekte
dieser Plattform sollte ein «neuer Vergleich» zwischen den beiden Parteien
geschlossen werden: «Wenn die 10 Aemter auf den Wolhuser
Bund verzichten» (den Sumiswalder Bund ignorierte man absichtlich)
«und keine Zusammenkünfte mehr halten, so sei der Rat von Luzern
seinerseits bereit, das Manifest» (gemeint war lediglich das Luzerner
Schimpfmanifest, nicht das der Tagsatzung) «rückgängig zu machen.»
Also: für die blosse Aufhebung gemeiner Beschimpfungen, aus denen
die Luzerner Manifeste — es war inzwischen noch ein weiteres hinzugekommen
—bestanden, sollten die Bauern feierlich auf ihre Grundrechte
verzichten!

Das fanden selbst diese für den «Rechtlichen Spruch» verantwortlichen
Landammänner —natürlich mit Ausschluss Zwyers —zuviel.
«Die Gesandten der fünf Orte» nämlich, so berichtet Liebenau, «teilten
diese Ansicht nicht, vielmehr erklärten sie, dass ihre Regierungen aus den
Verträgen der Delegierten der 10 Aemter die Ueberzeugung gewonnen
haben, dass ein Ausgleich nicht möglich sei, da die Aemter nun auch die
Angelegenheiten der Untertanen der (andern) eidgenössischen Orte mit
in den Streit hineinziehen und die Gültigkeit des Bundes in den Vordergrund
stellen.» Ja, noch mehr: die Gesandten von Nidwalden und Zug
teilten mit, dass sie aus Protest gegen die Behandlung der Luzerner Bauern
durch die Luzerner Regierung die eidgenössische Tagsatzung nicht
besuchen werden! (Richtiger wäre natürlich gewesen, sie wären nach
Baden gegangen und hätten dort protestiert!) Und damit noch nicht
genug: die Zuger und die Nidwalder machten der Luzerner Regierung
die Hölle heiss, indem sie in Gersau erklärten, dass die Gesandten der
zehn Aemter «in der Stadt mehr Anhang haben als die Herren», und
diese Gesandten «hätten gedroht, wenn ihrem Begehren betreffend
Aenderung der Sprüche und Mandate nicht entsprochen werde, so wollen
sie ,ansehnliche Landvogteien an sich bringen'...» Zwyer aber
provozierte unentwegt und schlug in Gersau vor,. man solle den «Rechtlichen
Spruch» (sein «gefälschtes Machwerk») «von der ganzen Tagsatzung»
(d. h. der gesamteidgenössischen in Baden) »besiegeln lassen
und den Bauern keine Kopien der Urkunden aushändigen»! Kurzum,
bereits in Gersau geriet «alles in Konfusion», aus der für die Herrensache
nicht das mindeste Kapital zu schlagen war.

Was war denn passiert, dass es —diesmal unter den Herren — soweit
kommen konnte? Wer waren jene «Delegierten der 10 Aemter»,
aus deren «Vorträgen» die Regierungen der fünf Orte die Ueberzeugung
gewonnen hatten, «dass ein .Ausgleich nicht möglich sei»?

Das war ein Meisterstück der Entlebucher! Schon am 23. April,
mithin genau am gleichen Tag, an dem sie in Sumiswald mit den Berner,
Solothurner und Basler Bauern den neuen Bund aufrichteten, hatten
sie eine Gruppe von sechs Entlebucher Führern an die Landsgemeinde
in Schwyz, eine andere Gruppe an den Landrat von Uri, und
andere Emissäre in die anderen Orte geschickt, mit dem Begehren,


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 325 - arpa Themen Projekte
ihre Sache, die Sache des Bauernbundes, vor die dortigen Landsgemeinden
zu bringen. Zwar wurden sie hierin von den regierenden Herren
in Schwyz und Uri abgewiesen; ja in Schwyz wurden die sechs
Entlebucher «hierauf von der Regierung eingekerkert». Die Reaktion
der dortigen Bauern, insbesondere in Zug und Nidwalden, fiel indessen
eindeutig zugunsten der Entlebucher aus. In Stans und Zug wurden
ihre Boten mit Beifall angehört und erwirkten den Beschluss, die
Tagsatzung zu Baden nicht zu besuchen. Der Zuger Rat gab seinen
Gesandten für Gersau die Instruktion mit: «Damit die luzernischen
Untertanen von den Beamten nicht wieder so erbärmlich tribuliert werden,
so soll man ihnen eine Urkunde geben, dass sie wieder zu den
katholischen Orten ihre Zuflucht haben mögen, wenn sie von der Obrigkeit
nicht geschirmt würden»; ausserdem sollen sie in Gersau «die
Aufhebung des Mandats von Baden» beantragen. (Im Protokoll der
Gersauer Konferenz sind allerdings diese «Zuger Vorschläge», die wir
nur aus den Zuger Akten kennen, offensichtlich unterschlagen worden!
Kein Wunder, wo ein Zwyer dabei ist...)

Die bauernfreundliche Partei war also in Zug völlig obenauf gekommen
—dank der unermüdlichen Arbeit der Entlebucher und Willisauer
Boten und dank der entschlossenen Mitarbeit des senkrechten
Volkstribunen Peter Trinkler, der der Bauernsache unentwegt treu
blieb und sie auch nach der Niederlage nicht verleugnete. Sein Bild als
aufrechter Charakter kann auch dadurch kaum getrübt werden, dass
er auf derselben Gersauer Konferenz auch als katholischer Religionsfanatiker
erscheint. «Landammann Trinkler», sagt Liebenau —und
hier ist Trinkler für den katholischen Herrenchronisten auf einmal
nicht mehr der «Demagog» und «Händelstifter», als den er ihn früher
denunziert hat —, «machte dann auf die bedenkliche Lage der eidgenössischen
Vogteien aufmerksam, wo neben der politischen auch eine
religiöse Bewegung sich Bahn breche, indem die Bauern nach der
Bibel verlangen und die Freistellung der Religion begehren.» Die Ueberwertung
der angestammten Religion in politischen Dingen, die darin
zum. Ausdruck kam, teilte er mit dem allgemeinen Vorurteil der höchst-'
gestellten Herren seiner Zeit, auch im protestantischen Lager (und
wie!). Dass er aber die Religion nicht nur als Vorwand, vielmehr fanatisch
ernst nahm, ist ja nur die Kehrseite seines mutigen und intransigenten
Charakters und dessen konsequente Anwendung auf den allgemeinen
Zeitirrtum. So witterte er denn in der eben bevorstehenden
Visitationsreise des Zürcher Seckelmeisters — und designierten Oberbefehlshabers
der Tagsatzungsarmee — Johann Konrad Werdmüller
in die hauptsächlich den katholischen Orten unterstellten Freien Aemter,
in Begleitung des ebenfalls protestantischen Landammanns Martin
von Glarus, eine Benachteiligung der katholischen Religion durch den
protestantischen Vorort Zürich. Das war übrigens der Standpunkt aller
Vertreter der fünf katholischen Orte. «Deshalb sollte man», wie Trinkler


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 326 - arpa Themen Projekte
in Gersau vorschlug, «die von Zürich beantragte Bereisung der Vogteien
hintertreiben.» Und in der Tat sind die Vertreter von Uri, Unterwalden
und Zug, die von Tagsatzungs wegen die Visitation der Freien
Aemter hätten mitmachen und an eben diesem 25. April dort hätten
eintreffen sollen, gar nicht abgereist, ohne Werdmüller und Martin das
auch nur mitzuteilen. Aber Peter Trinkler wird auch seine Bauerngründe
gehabt haben, um gegen diese, ihm von Werthenstein und Ruswil
her bekannte Art der Herrenbefriedungspolitik gegenüber Bauern
aufzutreten. Dort waren es ja katholische Herren gewesen, denen er
wahrlich nicht weniger scharf entgegengetreten war.

Aber nicht nur Zug, sondern auch die andern Regierungen der
Landsgemeinde-Kantone standen in Gersau unter dem Druck ihrer
Bauern; so sehr, dass ein auf der Gersauer Konferenz gestelltes Begehren
Luzerns, «zur Widerlegung der von den Bauern ausgestreuten
Verleumdungen» Delegierte an deren Landsgemeinden senden zu dürfen,
von den Gesandten in Gersau «als überflüssig abgelehnt» werden
musste. Luzerner Herren vor ihre Landsgemeinden von Bauern zu
rufen, um diesen die Sache des Bauernbundes schlecht zu machen —
das wagte selbst ein Zwyer seinen «Untertanen» nicht zu bieten! Kurzum,
all diese Widersprüche im Herrenlager der Urkantone spiegeln
sich in der «Konfusion» der Verhandlungen in Gersau auf das getreueste
wieder. Sie sind ein Erfolg der Bauernpropaganda.

Die Entlebucher, nun längst Meister in der Propaganda, waren also
der Herrenpropaganda, wie sie in Gersau gegen den Sumiswalder Bund
aufgezogen werden sollte, mit erstaunlicher Präzision zuvorgekommen.
Wie genau dies alles im voraus überlegt war, geht schon aus den
mitgeteilten Daten hervor. Vielleicht aber auch aus einem Brief Hans
Emmeneggers, den dieser, mitsamt allen in Sumiswald anwesenden
Entlebucher Führern, aus Sumiswald am 23. April an die Luzerner
Regierung richtete und mit dem er einen schon vorher von dieser gemachten
Versuch, durch Verhandlungsvorschläge störend einzugreifen,
ironisch auf die lange Bank schob. Darin nämlich lud Emmenegger
die Luzerner Regierung zu einer grossen Landsgemeinde beim Heiligen
Kreuz im Entlebuch auf den 3. Mai ein, zu einer autonomen Versammlung
von der Art also, wie sie die Regierung als Hochverrat unter Todesstrafe
gestellt hatte; eine Landsgemeinde, die mithin vorsorglich
bereits vor der Stiftung des Sumiswalder Bundes beschlossen und angesetzt
worden war. Begreiflich, dass ein Herrenchronist wie Liebenau
berichtet: «Mit schamloser Unverfrorenheit (!) schrieben am 23. April
Landespannerherr — der damals in Sumiswald war — Fähnrich und
Geschworene von Entlebuch an Schultheiss Dulliker, sie wollten gerne,
dem Ansuchen des Rates entsprechend, zu den Verhandlungen nach
Luzern kommen; allein der gemeine Mann sei unwillig und wolle es
nicht mehr dulden, dass man Gesandte nach Luzern schicke und dem
Rat entgegenlaufe.» (Schon am 19. April hatten die Willisauer den


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 327 - arpa Themen Projekte
Entlebuchern geschrieben: «Ist ihnen etwas an den Sachen gelegen,
so können sie uns nachreiten und uns an bestimmten Orten finden».)
«Wenn die gnädigen Herren etwas Fruchtbares ausrichten wollen, so
sollen sie am 3. Mai ins Heilig Kreuz —einen bekannten Wallfahrtsort
—im Entlebuch kommen.» (Vorher war also «Fruchtbares» keinesfalls
auszurichten!) «Man wolle dort ihnen ,alles Lieba und Guts,
Fried und Geleit erzeigen'. Dann brachten sie wieder ihre vier Begehren
wegen Aenderung des rechtlichen Spruches vor. Bevor dies arrogante
(!) Schreiben eintraf, berief der Rat die Tagsatzung der Urkantone
auf künftigen Freitag (25. April) nach Gersau.»

Mit der Art und Weise, wie die Entlebucher zur «Vorbereitung»
dieser «Tagsatzung der Urkantone» beitrugen, schlugen sie also zum
vornherein auch der grossen Diversions-Aktion der Luzerner Räte in
den zehn Aemtern, die am 26. gestartet wurde, den Boden aus dem
Fass. Schon am 25. —also am Tag selbst der Gersauer «Konferenz» —
nahmen die Entlebucher Gemeinden den neuen Bund feierlich an und
wählten bereits ihre Delegierten für die Landsgemeinde in Huttwil,
auf den 30. April, und zwar, als Führer der Delegation, Hans Emmenegger,
den Landessiegler Binder, den Landesweibel Lymacher und den
Schulmeister und Bundesschreiber Müller. «Gleich trotzig benahmen
sich die Ruswiler, indem sie am 25. April dem Rate schrieben, wenn
die Regierung ihre Versprechungen nicht halte, so müssten die Bauern
auf andere Mittel denken und sich miteinander verbinden.» Wozu
Liebenau bemerkt: «Das sollte wohl heissen: wir haben bereits den
Sumiswalder-Bund ratifiziert.» Das Amt Willisau genehmigte den Sumiswalder
Bund ebenfalls bereits am 26., und zwar in zahlreichen, zu
diesem Zweck einberufenen Gemeinden, an denen keine männliche
Person, die über 14 Jahre alt war, fehlen durfte. Das Amt Rothenburg
nahm am 28., im Beisein dreier Deputierter des Luzerner Rates, statt
mit diesen einen «Vergleich» zu schliessen (sie wurden «gar schlechtlich
respectiert»!), «trotz ernstlichen Abmahnens», die verbotene Aemterbesetzung
vor; der regierungstreue Amtsfähnrich, sowie andere Anhänger
der Regierung wurden weggewählt und dafür der Bruder Kaspar
Steiners, Sebastian Steiner, zum Amtsfähnrich bestellt. Ebenfalls
am 28. versuchte eine besonders ansehnliche Ratsdeputation, an der
Spitze der Schultheiss Dulliker persönlich, abermals, die Stadtbürger
von Willisau, mit dem Köder, man wolle «ihre Begehren der Tagsatzung
unterbreiten», aus dem neuen und soeben beschworenen Bund
herauszubrechen. «Aber die Leute beharrten bei den weitgehendsten
Forderungen, welche eine Vereinbarung unmöglich machten.»

Kurz, für die Luzerner Herren war ihre grosse Diversions-Aktion
abermals nichts anderes als eine Kette von Niederlagen. Begreiflich,
dass die militärischen Hitzköpfe unter ihnen über das ewige, nutzlose
Verhandeln mit den Bauern schier aus der Haut fuhren. So Kaspar
Pfyffer, der sich am 1. Mai mit den Worten Luft machte: «Alles ist


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 328 - arpa Themen Projekte
entrüstet, dass man die verfluchten Gesellen nicht angreift. Die Herren
sollen doch einmal eine Resolution fassen, dass die Stadt nicht
von aller 'Welt — der Herrenwelt — verhasst und verspottet werde»!

Aber die Entlebucher und Willisauer begnügten sich nicht mit
ihren Erfolgen in den zehn Aemtern und in der Innerschweiz. Sie griffen
in erstaunlicher Voraussicht noch viel weiter aus. So sandten sie
dieselben fünf Delegierten, die sie zum Landrat von Uri geschickt
hatten, gleich weiter «über das Gebirge..., um die italienischen Vogteien
von der Sendung von Hilfstruppen abzumahnen»! Ja, sie sandten
sogar eine Delegation an den Rat von Zürich, um den Vorort, im Hinblick
auf die bevorstehende Tagsatzung, von der Gerechtigkeit ihrer
Sache zu überzeugen und ihn in seiner Bauernfeindlichkeit wankend
zu machen! Ein gewiss kühnes Unterfangen —und doch hatte es, so
unwahrscheinlich dies scheint, einen gewissen, wenn auch naturgemäss
nur vorübergehenden Erfolg. Das Schönste daran aber ist die strahlend
reine Gesinnung der Solidarität der Entlebucher und Willisauer gegenüber
ihren Berner Bundesbrüdern, die in diesen Verhandlungen zum
Ausdruck kommt. Doch hören wir!

Sie hatten das Mahnschreiben des Vororts an sie vom 19. April, sich
in Erwartung der Tagsatzung ruhig zu verhalten, sowie auch wohl ein
«Erinnerungsschreiben», das der Vorort in demselben Sinne direkt an die
Sumiswalder Landsgemeinde gerichtet hatte, als Anknüpfung benutzt.
Nach vorangegangener Korrespondenz über freies Geleit, das ihnen
Zürich — jedoch gemeint für eine Delegation an die Tagsatzung in
Baden —zusagte, entschlossen sich die Willisauer und Entlebucher
zu einer sofortigen Delegation nach Zürich, noch vorgängig der Tagsatzung.
Sie sandten Leodegar Theiler, den Weibel von Escholzmatt,
den Zeugen der betrügerischen Verlesung des «Rechtlichen Spruchs» auf
dem Kriensfeld am 19. März, Hans Roth von Schüpfheim, über den
wir nichts Näheres wissen, sowie Hans Ulrich Amstein, den Sternenwirt
von Willisau, einen der ersten Anknüpfer der Unterhandlungen
mit den Entlebuchern über die Stiftung des Wolhuser Bundes.

Am 26. April war Audienz vor dem Zürcher Rat. Dieser wies die
«dreifache» Gesandtschaft an eine eigens dafür bestellte Ratskommission,
die darauf einige Stunden lang mit den Bauern Sitzung hielt. An
deren Spitze stand der Bürgermeister Waser selbst; die übrigen Mitglieder
waren die Statthalter Hirzel, Leu und Landolt, sowie der Bannerherr
Bräm, der Landvogt Escher und der Bergherr Lochmann. Diesen
überreichten die drei Bauern eine Reihe von Dokumenten zur Einsicht,
die die Herren in der Rechenstube sofort kopieren liessen, darunter
den Wolhuser Brief und (nach Liebenau) auch den Sumiswalder
Brief. Als Hauptgegenstände des denkwürdigen Gesprächs — das das
einzige dieser Art zwischen Bauern und Herren im ganzen Bauernkrieg
ist —gehen aus den Verhandlungsberichten Peters und Liebenaus
folgende hervor: Die Bauern fragten:


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 329 - arpa Themen Projekte

1. «ob man nit schuldig seie, Ire Freiheiten zu schirmen»; nach
Liebenau: «ob die Regierung von Luzern nicht verpflichtet sei, ihnen
Auskunft über die urkundlich festgesetzten Rechte und Pflichten der
Untertanen zu erteilen?»

2. «ob ess nit billig, dass die Obrigkeit im ,Friden' (d. h. im
«Rechtlichen Spruch») das Wort ,fehler' auskratze»; nach Liebenau:
«ob nicht im Rechtsspruche das Wort ,Fehler' getilgt werden könnte,
da durch eine etwas moderirte Form das sonst tief eingewurzelte Misstrauen
und die hieraus erwachsenen Unruhen wieder beseitigt werden
könnten, wie denn überhaupt die Untertanen sonst keinen bösen Willen
gegen die Obrigkeit hätten.» (Zum Verständnis muss bemerkt werden,
dass das Wort «Fehler» eine höchst schwerwiegende rechtliche
Folge hatte: wer dreimal sich eines «Fehlers», nach der völlig beliebigen
Auffassung der Herren, schuldig machte, war diesen unwiderruflich
mit Leib und Gut verfallen! Mindestens dreier «Fehler» beschuldigt
zu werden, hatten aber zu diesem Zeitpunkt schon Tausende zu
befürchten!)

3. «ob es fit zu erlangen, dass das Badener Mandat aufgehoben,
das sie verderbte Leute schelle»; nach Liebenau: «ob nicht das Mandat
der Tagsatzung, welches die Bauern an ihrer Ehre angreife, durch
ein anderes ersetzt werden könnte, welches ihre Ehre wahre?»

4. «ob es nit zu erlangen, dass man Iren in Wolhusen geschworenen
Bund Alsa zu Recht bestehend anerkenne»; nach Liebenau: «ob
der Bund zu Wolhusen wirklich gegen Vernunft und Ordnung sich
verstosse. »

Diese Fragen der Bauern unterbreitete die Kommission sofort
dem versammelten Rat, der, «nachdem man Inen (den Bauern) gehörig
zugesprochen», folgenden «Recess» beschloss: «der ersten drei
Wünsche halber könne man Jnen wo! Hoffnung auf Erfüllung machen;
niemals aber würden die Obrigkeiten Iren Wolhuser Bund annemmen».
Im übrigen «möchten sie ihre Angelegenheiten bei der Tagsatzung
anhängig machen». Ausserdem beschloss der Rat: «der Entlebucheren
Fürbringen Bern und Luzern zu communicieren».

Dies nun war entschieden kein Erfolg! Schon die kategorische
Aberkennung des Wolhuser Bundes musste in den Augen der Bauern
die —ohnehin zu nichts verpflichtende —freundliche Geste der gemachten
«Hoffnung auf Erfüllung» bezüglich der drei ersten Punkte
vollends entwerten. Dies trotz den nichts weniger als wohlwollenden
Worten, mit denen Liebenau den Zürcher Herren die ernsthafte Absicht
unterschiebt, aus ihrer gemachten «Hoffnung auf Erfüllung» bezüglich
der drei ersten Punkte Konsequenzen zu ziehen. Liebenau
schreibt: «Die Deputierten des Rates von Zürich glaubten den einschmeichelnden
Worten der Demagogen (!) und gaben ihnen über die
drei ersten Punkte ganz beruhigende Auskunft, in der Meinung, es
liesse sich durch eine Erläuterung des ersten eine Beruhigung des Volkes
erzielen.» Im übrigen war ja alles der Tagsatzung zur Entscheidung


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 330 - arpa Themen Projekte
zugeschoben —und was von dieser zu erwarten stand, das wussten
die Bauern! Sie müssen ihre Niederlage in Zürich durchaus als
solche empfunden haben. Denn sie haben von sich aus weder die
Sache an die Tagsatzung weitergezogen, noch haben sie sich, nach der
Zürcher Erfahrung, in Huttwil dazu entschliessen können, eine direkte
Delegation mit Verhandlungsvollmacht an die Tagsatzung zu schicken.

Aber es gab noch einen 5. Punkt —und der führte, objektiv geschichtlich,
tatsächlich zu einem gewissen Erfolg, wenn die Bauern
ihn auch nicht in Zürich zu spüren bekamen. Dieser Punkt betrifft den
Sumiswalder Bund, und von diesem Punkt berichtet allein Liebenau
als von einem Gegenstand des Zürcher Gesprächs: «Als dann aber die
Rede auf den in Sumiswald geschlossenen Bund kam, legten die drei
Delegierten selbst eine Abschrift desselben vor und erläuterten denselben
in einer Weise, dass die Deputierten von Zürich sich dem
Wahne (!) hingaben, es sei ,kein böser Wille wider den Stand Bern
nicht vorhanden, sondern wenn die Untertanen Brief und Siegel über
die Konzessionen mit etwas Moderation im Eingang und Ende des
ihnen vorgelesenen Conceptes empfangen haben und wenn die Besatzungen
aus den Schlössern abgeführt seien, werde sich das Misstrauen
und der grosse Schrecken der Landleute legen, der durch die
Verstärkung der Besatzungen, Transport von Munition auf der Aare.
und vielfache Drohungen entstanden sei' . . . Bürgermeister und Rat von
Zürich boten daher am 16.126. April den Rat von Bern, in diesem Sinne
ihren Untertanen entgegenzukommen.»

Das nun war ein Erfolg der Entlebucher und Willisauer in Zürich!
Und zwar — wenn die Darstellung Liebenaus stimmt — ein Erfolg
ausgesprochen zugunsten ihrer Berner Bundesgenossen! Sie müssen
deren Sache wirklich mit Kraft und Feuer vertreten haben, wenn es
ihnen gelang, eine Herrenregierung wie den Zürcher Rat unter der
Führung Wasers zu einem Staatsakt zu bringen, der seiner Substanz
nach gegen eine andere Herrenregierung, gegen den aggressivsten und
gefährlichsten Feind der Bauern, gerichtet war. Das bleibt ein Erfolg,
und sogar ein einigermassen erstaunlicher, auch wenn anzunehmen
ist, dass die Berner Junker sich nicht viel aus dieser Moralpauke der
Zürcher gemacht haben werden. Auch die Zürcher Herren sind ja dann
übrigens wenige Tage darauf, auf der Tagsatzung in Baden, von ihrem
erstaunlichen Milde-Anfall gründlich zurückgekommen! Auch muss
bei diesem Staatsakt der stets unter der Decke glimmende Eifersuchtskomplex
zwischen den beiden Aristokratenmächten mit in Anschlag
gebracht werden, der die Zürcher Regierung ja auch früher schon —
und auch in der Folge noch —veranlasst hat, ihre Oberstellung als
Vorort nicht ungerne zu einer sanften Demütigung ihres stolzen Rivalen
zu verwenden. Möglich ist auch, dass eine allerdings nicht sehr ansehnliche
Zweier-Delegation aus dem bernischen Aargau, aus der Grafschaft
Lenzburg, die am selben Tag von Waser und Hirzel empfangen


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 331 - arpa Themen Projekte
wurde, um ihre Klagen anzubringen, einen gewissen Anteil an
dem Entschluss der Zürcher Herren zu dem Staatsbrief an Bern gehabt
hat. Allerdings machen diese beiden Bauernvertreter, die Untervögte
Hans Lüscher von Schöftland und Albrecht Kuli von Niederlenz,
nach dem was Peter von ihnen berichtet — «dass sie aber sonst gegen
die Regierung nichts zu klagen hätten und jedermann gerne in aller
Untertänigkeit verharrte» —, durchaus nicht den Eindruck, dass sie,
jedenfalls nicht allein, die Kraft gehabt hätten, die Zürcher Herren zu
der Aktion gegen Bern zu bestimmen.

Uebrigens liess man in Zürich die Abgeordneten der Luzerner
Bauern vor ihrer Abreise noch freundlich «auf Staatskosten bewirten»,
wie Peter berichtet; «ja, sie wurden, zum lebhaften Bedauern des Rates,
von den Gesellschaftern ins Obmannamt und ins Zeughaus geführt,
wo man ihnen die grossen Vorräte an Getreide, Munition und
Waffen zeigte, was zu scharfem Tadel gegenüber Zürich Anlass gab»
(womit besonders Bern den Zürchern gern heimzahlte!). Peter fügt hinzu:
«Die Gesandtschaft verliess das Gebiet des Kantons Zürich nicht,
ohne den übrigens unbegründeten Verdacht erweckt zu haben, sie hätten
versucht, auch zürcherische Untertanen ,ufflüpfisch' zu machen.»
Ob dieser Verdacht so unbegründet war, ist allerdings nicht sicher.
Jedenfalls weist Liebenau aus echten Quellen nach, dass am Tag nach
dem Besuch der Entlebucher und Willisauer, am 27. April, «in Zürich
vier Entlebucher, zwei Berner und ein Solothurner wegen Aufwiegelung
eingesteckt» worden sind! Oder war dies nur die echt herrenmässige
Schlussfolgerung der Zürcher Herren aus dem Eindruck der
Stärke und «Gefährlichkeit», den ihnen die «dreifache» Gesandtschaft
der Entlebucher und Willisauer eingeflösst hatte?

Die «löbliche Gesandtschaft von den würdigen, rebellischen und
aller Vernunft beraubten Bauern» —wie der Landsgemeinde-Gewaltige
von Uri, der Altlandammann Emanuel von Roll, in einem unterwürfigen
Brief an den Schultheissen Fleckenstein, die Bauerndelegation
dieser Tage an die eidgenössischen Orte bezeichnete —begnügte
sich in der Tat nicht mit der Mission beim Zürcher Vorort. Die Entlebucher
und Willisauer sandten ihre Boten bis ins Toggenburg und an
den Bodensee. Nach Liebenau wären es dieselben gewesen, die nach
Zürich abgeordnet waren: «Der Rat von Luzern hatte inzwischen in
Erfahrung gebracht, dass die Abgeordneten von Willisau und Entlebuch
nach Vollendung ihrer Mission in Zürich sich ins Thurgau und
Toggenburg gewendet haben, um dort das Volk aufzuwiegeln; deshalb
erliess er am 29. April ein Mahnschreiben an den Abt von St. Gallen.»
Wer nun auch die Boten gewesen seien, Tatsache ist, dass die Thurtaler
kurz nach dieser Zeit Schritte unternahmen, die nicht gut anders
zu erklären sind, als durch eine geheime Abmachung zwischen ihnen
und den Luzerner Bauern, Solidarität zu üben: «Die Thurtaler machten
zweimal dem Abte von St. Gallen Vorstellungen wegen der Hilfeleistung


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 332 - arpa Themen Projekte
an Luzern, die ohne ihre Mitwirkung zugesagt worden sei.» Liebenau
bemerkt dazu mit Recht: «Die Folgen dieser gegen den Volkswillen
versprochenen Hilfeleistung blieben nicht aus.» Bei der späteren Aushebung
der Truppen für die Herrenarmee gegen die Bauern nämlich
meuterten viele Thurgauer und Toggenburger, der Rest rückte missmutig
ein, und viele suchten noch während des Kampfes das Weite.

Inzwischen war auch im Bernischen alles wieder in hellen Aufruhr
geraten. Mit Recht behauptet der Zürcher Herrenchronist G. J.
Peter, «dass die Erbitterung der bernischen Bauern hauptsächlich wieder
zum Ausbruch gekommen war, weil ihnen der Berner Rat die
mündlich eröffneten ,Concessions-Artikel' nicht rechtzeitig urkundlich
bestätigte». Aber es muss hinzugefügt werden, dass dies nur einer der
Grunde war und dass die Berner Regierung in einem Schreiben dieser
Tage an die Zürcher Regierung sicherlich mit Recht behauptete, die
Berner Bauern hätten in Sumiswald «auch sonderlich das letzte Badische
Edikt mit sinnlich widrigem gmüt eingesogen, ein früsche starke
Zusammenverbindnuss der oberkeiten gegen den underthanen betitlet
undt zu einer Ursach der gegen Verbindtnus genommen...» Und die
Berner Regierung beschreibt in demselben Schreiben den Gang der
Dinge ganz richtig und gewissermassen mit dem Scharfsinn der Angst
für die kommenden Dinge, wenn sie darin sagt, «dass bereits eine Zusammenverbindung
ihren vortgang genommen und eine früsche Zusammenrottung
uff nechstkünftigen Mittwochen (30. April) angestellt
worden, bei welcher die noch mehreren Artickel und ungereimbten anmutungen
neben anderem herfürbrechen werdend...» Sicher ist, dass
nur der ungeheure Aufschwung der ganzen Volksstimmung, den schon
die Propaganda für Sumiswald, geschweige die Beschwörung des Bundes
selbst und dann dessen Hinaustragung bis in den hintersten Winkel
des Landes bewirkt hatten, eine genügende Erklärung dafür abgibt,
was sich nun. im Bernerland abspielte.

Als Auftakt dazu möge hier erwähnt sein, dass schon am Tag des
Bundesschwures selbst, am 23. April, ein einfacher Emmentaler Bauer
den für jene Zeit halsbrecherischen Mut fand, an den Zürcher Bürgermeister
Waser selbst zu schreiben und ihm ins Gesicht zu sagen, man
sage im Emmental, er «habe in Langnau die Unwahrheit und mehr gesagt,
als die evangelischen Gesandten von der Bernischen Regierung erlangt»!
Es war der Schaffner Jakob Peter zu Trueb im Emmental, der
dies schrieb und damit Waser zwar nicht des gleichen, aber eines ähnlichen
Volkstäuschungsbetruges bezichtigte, wie ihn Zwyer an den Luzerner
Bauern beging. Worauf übrigens der hohe Herr am 26. höchst
eigenhändig antwortete! Und zwar in einem ellenlangen Schreiben,
das von Versicherungen seiner moralischen Integrität, sowie seiner
«Mühe und Arbeit» mit der Vermittlung in Bern übertrieft, im übrigen
aber ein Musterbeispiel für die aristokratische Arroganz ist, mit der


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 333 - arpa Themen Projekte
die damaligen Herren das Gottesgnadentum als Schild für ihre Unterdrückungspolitik
in Anspruch nahmen. «Man muss aber», heisst es
da, «eine hochansehnliche Obrigkeit nicht immer mit beharrlichen
neuen verdächtigen Zusammenkünften und Bundesmahnungen beleidigen...:
es verlautet, dass nächstkünftige Woche zu Huttwil ein
Bund sollte geschworen werden, was ich aber keineswegs weder glauben
kann, noch will, in Anbetracht, dass bei Euch, als christlichen Untertanen,
diese gottselige Beherzigung stark sein und Platz finden
werde, dass der höchste Regent des obrigkeitlichen Ansehens seiner Statthalter
allhier auf Erden jederzeit eine gar hohe, besondere Rechnung hat,
und wo das verletzt wird, es nicht ungestraft abgehen lässt... dass
man sich dadurch an der hohen Majestät Gottes vergreifen und versündigen
könnte... So habe ich hiermit alles aus wohlmeinendem
Herzen und vaterländischem Gemüt andeuten wollen...»

Wie hoffnungslos volksfremd und volksfeindlich dieser Herrengeist
war, das geht aus nichts deutlicher hervor als daraus, wie das
Berner Volk auf die arroganten Ansprüche der Herren jetzt allgemein
reagierte. Vock berichtet: «Niklaus Leuenberger, früher wankend und
unentschlossen, widmete sich nun der Leitung des Aufruhrs mit entschiedener
Gesinnung und Tätigkeit. Das obere und niedere Simmental,
wohin die Volksbewegung noch nicht gedrungen war, wurden
durch eigene Zuschriften zur Teilnahme aufgefordert, in allen Dörfern,
auf allen Landstrassen und an den Ufern der Aare zahlreiche
Wachen, in so geringer Entfernung, dass sie sich einander zurufen
konnten, aufgestellt und durch dieselben alle Reisenden untersucht,
Boten und Briefe aufgefangen. Und in diesem kriegerischen Feuer und
Mute wetteiferten die Weiber der Bauern mit ihren Männern. Sie bewachten
die Wälder, ermunterten die Männer und liefen umher, ihnen
Waffen aufzusuchen und herbeizuschaffen.»

Am 24. April, also unmittelbar nach dem Sumiswalder Tag, war
von der Regierung im Kanton Bern —und gleichzeitig, auf Betreiben
Berns, auch im Kanton Basel —ein allgemeiner Buss- und Bettag an
geordnet worden, «um mit vereinten Bitten Gott anzurufen, dass er
die verblendeten Gemüter erleuchte». Aber — «wer sollte es glauben»,
sagt der fromme Dekan Vock, «dass die Bauern auch in dieser frommen
Gesinnung nur Hinterlist und Tücke und in der Feier des Busstags
einen Fallstrick erblickten?». «Also schickten die Bauern des Kantons
Bern am 24. April ihre Weiber in die Kirche; sie selbst gingen
nicht hin, sondern standen in den Waffen, und eine Wache löste die
andere ab.» Und vom Kanton Basel berichtet der nicht minder fromme
Heusler: «Aber so gross war bereits das Misstrauen, dass die Bauern
besorgten, es sei auf einen hinterlistigen Ueberfall in der Kirche
abgesehen. Sie ordneten also Wachen und Lärmzeichen an und fanden
sich mit Ober- und Untergewehr zum Gottesdienste ein. Mit welcher
Andacht hörten wohl diese, gegen vermeinte Mordanschläge ihrer väterlichen


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 334 - arpa Themen Projekte
Obrigkeit bis an die Zähne bewaffneten Bauern stundenlange
Predigten über den Gehorsam gegen die an Gottes Statt gesetzte Obrigkeit
an?» Das also war der Zweck dieses Buss- und Bettags, was Heusler
in diesen Worten mit anerkennenswerter Offenheit kundgibt.

In der Nacht dieses selben Tages sollten die Berner Bauern einen
schlagenden Beweis für die Richtigkeit ihres Misstrauens gegen Anschläge
seitens ihrer «an Gottes Statt gesetzten Obrigkeit' erfahren.
Da fuhr nämlich im Schutze der Nacht ein Warenschiff der Zürcher
Firma Heidegger die Aare hinab. Es hatte, nebst «Eisenwaren», auch
200 Handgranaten geladen, die die Berner Regierung an ihre Besatzung
im Schloss zu Aarburg schickte. Sie waren in Fässchen verpackt, die
zur Tarnung die Aufschrift getragen zu haben scheinen: Süsser
Wein»! Das Schiff aber «wurde von der zu Berken am Ufer der Aare
aufgestellten Wache bemerkt; diese machte Lärm und die Bauern
liefen zusammen. Das Schiff ward angehalten, und die Schiffleute
wurden sogleich als Gefangene erklärt.» Als die Bauern unter der
Schiffsladung auch die getarnten Handgranaten entdeckten, da schrien
sie: «Das sind also die süssen Weinbeeren, womit man uns tränken
will!» Jetz gseht me, was mer für ne schöni Obrigkeit hei!» Eine
Obrigkeit nämlich, «die solches Unheil dem Vaterlande bereitet und
so den Friedensschluss verletzt'. So berichtet Vock nach Markus Huber,
dem Hauslehrer des Landvogts Willading in Aarwangen, einem
Zürcher Kandidaten der Theologie, der als Augenzeuge vieler Vorgänge
des Bauernkriegs eine besonders herrenfromme lateinische Chronik
darüber verfasst hat, in der, mitten im lateinischen Text, auch der
mitgeteilte Satz in echtem bernischem Dialekt steht. «Die Wut und
Raserei der Bauern», so berichtet Vock weiter, «war auf's höchste gestiegen.
Die gefangenen Schiffsleute wurden samt den Eisenwaren,
auf Leuenbergers Befehl, nach Langnau geführt, um vor die nächste
Landsgemeinde zu Huttwil gestellt und beurteilt zu werden.» Am Tag
darauf fingen dieselben Bauern übrigens auch den Hauptmann Rümmelt
aus Bern, der von der Berner Regierung zur Leitung der Besatzung
nach dem damals bereits belagerten Schloss Aarwangen geschickt
worden war. Auch er wurde auf Befehl Leuenbergers nach
Langnau geführt, um vor die Huttwiler Landsgemeinde gestellt zu
werden. Die Folge der Schiffsgeschichte war übrigens, dass die Solothurner
Regierung, von dem «Geschrei über das Schiff' und von den
möglichen Folgen ähnlicher heimlicher Kriegssendungen der Berner
Regierung für die Aufwiegelung ihrer eigenen solothurnischen Untertanen
geängstigt, die Aare bei der Brücke in Solothurn mit einer
dicken Kette Tag und Nacht sperren liess. Auch reklamierte sie über
den Vorfall bei der Berner Regierung, woraus, ein langwieriger Zwist
zwischen diesen beiden Herrenregierungen erwuchs. Schon diese Folge
also hatte die Wachsamkeit der Oberaargauer Bauern reichlich gelohnt.
Wieviel mehr noch das «Geschrei über das Schiff» und über


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 335 - arpa Themen Projekte
den «Süssen Wein», das im ganzen Schweizerland erscholl und nicht
mehr verstummte.

Am Tag danach, am 28., wurde die Basler Regierung durch eine
von Isaak Bowe und Uli Schad in aller Stille offenbar gut vorbereitete,
allgemeine bewaffnete Lands gemeinde der Landschäftler in Liestal
derart überrascht, dass sie nicht die geringsten polizeilichen oder militärischen
Vorbeugungsmassnahmen mehr zu treffen vermochte. Der
Basler Rat konnte nur noch durch Eilpost dem Rat und den Schultheissen
von Liestal, sowie einigen Landvögten, befehlen, sich sofort
an die Landsgemeinde zu begeben, «sie zu versichern, dass keine gefährlichen
Anschläge vorhanden seien, auf die jüngsten gnädigen Resolutionen
hinzuweisen und mit den Strafen Gottes und der Obrigkeit
zu drohen». Aber nur einer der beiden Schultheissen, der offene Parteigänger
der Basler Herren, Imhoff, sowie nur ganz wenige Räte gehorchten
dem Befehl. Als sie, in Begleitung der Landvögte Eckenstein
von Farnsburg und Pfannenschmied von Waldenburg, auf dem alten
Markt zu Liestal erschienen, wimmelte alles von schwerbewaffneten
Männern, «mit Ober- und Untergewehr». Sie konnten sich angesichts
der drohenden Haltung der Menge nur eiligst ihres Auftrags entledigen
und nahmen dann Reissaus.

Dann erst wurde, nach Heuslers Bericht «mit kniefälligem Gebet»,
die Landsgemeinde eröffnet. «Hauptredner waren Isaak Bowe und Uli
Schad. Ersterer begründete den Abschluss des Bundes (von Sumiswald)
unter grossem Beifall des Volkes: die Anwerbung fremder Völker,
die Verbindung der Regierungen gegen die Untertanen, der Zug
nach Aarau, die darauf erfolgten schweren Drohungen der Nachbarn
gegen die Landschaft, der Zug nach Liestal, als sie infolge der Zugeständnisse
die Waffen niedergelegt und sich zu christlicher Begehung
der heiligen Zeit und des evangelischen Bettags rüsteten, die Besetzung
der Tore von Liestal durch die Basler, das Alles wurde zur Rechtfertigung
des Bundes angeführt.» «Von Uli Schads Rede wird erwähnt,
dass er das Volk durch das Vorgehen aufzureizen versucht habe, es
seien falsche Briefe der Obrigkeit gefunden worden, wodurch sie das
Volk gänzlich zu unterdrücken suche; diese Briefe werde er nach Beschwörung
des Bundes zeigen.»

Was unter diesen «falschen Briefen» zu verstehen sei, ist nie aufgeklärt
worden, obschon sie bei den späteren Verhören eine grosse
Rolle spielten. Vermutlich handelte es sich nicht um «gefälschte»
Briefe im eigentlichen Sinn, sondern um aufgefangene Korrespondenzen
der Herren untereinander, deren Inhalt —wie der so mancher
anderer, von den Berner und Luzerner Bauern aufgefangener Briefe —
das Aufgebot der Herrentruppen betraf; ein solcher Inhalt aber bewies
den Bauern die Falschheit und Hinterlist, die in der ständigen Versicherung
der Herren lag, «dass keine gefährlichen Anschläge vorhanden


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 336 - arpa Themen Projekte

Der Bundesschwur in Huttwil am 30. April 1653

Volkstümliche Darstellung aus dem Schweizerischen Bilderkalender
des Jahres 1840 von Martin Disteli.



Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 336 - arpa Themen Projekte
Abbildung 21


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 337 - arpa Themen Projekte

seien», — eine Versicherung, die ja soeben wieder vom Basler
Rat durch den Mund Imhoffs der Landsgemeinde selbst abgegeben
worden war. Nach der Aussage einer Wirtin in Niederbuchsiten habe
Uli Schad «einmal vier Tage in ihrem Wirtshaus in einer absonderlichen
Kammer geschrieben, welche Schreiben er hernach bei der Landsgemeinde
herausgezogen und gesagt, da sehe man, was sie für eine
Oberkeit haben, sie wollen Alles verderben mit fremden Völkern». Das
ist ein ziemlich klarer Hinweis auf den Inhalt dieser «falschen Briefe».
Und das viele Schreiben Uli Schads in der «absonderlichen» (d. h. einfach
abgesonderten) Kammer wird ein Abschreiben der ihm in Niederbuchsiten
von den Luzernern und Oltenern zu diesem Zweck überlassenen
erbeuteten Originalschreiben der Herren gewesen sein; denn
es ist in den späteren Verhören auch von «dergleichen Briefen 7 zu
Olten», sowie davon die Rede, es sei bei «Aufsetzung» eines der erwähnten
Briefe «nichts gethan» (d. h. nichts hinzugetan) worden,
«sondern es sei derselbe, seines Behalts, von einem Luzerner aufgesetzt
worden». Und jedenfalls beweist diese Bemühung Uli Schads,
dokumentarische Beweise für die immer verstärkt auftretenden Gerüchte
wegen «Ueberfalls fremder Truppen» in die Hände zu bekommen,
nichts anderes als die Ernsthaftigkeit seiner revolutionären Gesinnung.

Nun schritten die Basellandschäftler in Liestal zur Beschwörung
des Sumiswalder Bundes. Zunächst verlas niemand anderes als der
heimliche Spion des Basler Rates, der Stadtschreibergehilfe J. J. Stähelin,
den Sumiswalder Bundesbrief. Als man aber zur Beschwörung
schreiten wollte, machten die verwirrten und unschlüssigen Liestaler.
Bürger solche Schwierigkeiten, dass es zu Drohungen seitens der Bauern
und zu einer höchst ergötzlichen Szene kam. Heusler berichtet:
«Sowie aber die Liestaler keinen Abgeordneten nach Sumiswald geschickt,
so wollten sie auch jetzt noch von Beschwörung des Bundes
nichts wissen. Sie kehrten vor Ableistung des Eides in das Städtlein
zurück. Die Waldenburger aber begehrten ihren Beitritt unter Drohung,
Alles zu verheeren. Vergeblich verlangten die Bürger einen Tag
Bedenkzeit; sie versammelten sich dann mit Ausschluss des Rates auf
dem Rathaus und liefen bald darauf ,wie die Schweine'» — so erzählte
es der Schlüsselwirt Samuel Merian von Liestal, einer der Führer des
Aufstandes in der Stadt — «zum Tore hinaus und schwuren den Eid
zu den Waldenburgern»! Was die Bürger in der Versammlung auf
dem Rathaus «mit Ausschluss des Rates» so erschüttert hat, dass
sie alsbald «wie die Schweine» zur Eidesleistung liefen, das ist das
Geheimnis der Geschichte geblieben. Vielleicht hat ihnen dort der
Schultheissensohn Hans Gysin die nötigen Beine gemacht.

Aber auch ein weiteres Bocksspiel bei dieser Eidesleistung können
wir uns nicht mitzuteilen versagen, weil es eine der traurigsten Figuren


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 338 - arpa Themen Projekte
bäuerlichen Kapitulantentums, die es im ganzen Bauernkrieg gibt,
ergötzlich in den Vordergrund stellt. Es betrifft den «getreuen Beamten»
Untervogt Jakob Wirz von Buus, der uns bereits als Hauptsaboteur
der bäuerlichen Begehren bei Gelegenheit der ersten «Supplication»
in Basel am 9. April, sowie als tapferer Ausreisser vor der Volksstrafe
beim Landsturm in der Nacht vom 16./17. April begegnet ist.
Jakob Wirz war mit der Gruppe Imhoffs und der Landvögte, die den
Auftrag der Regierung ausrichtete, bei der Landsgemeinde vor dem
Tor erschienen. «Er war», wie Heusler nach dem eigenen Bericht des
tapferen Herrendieners erzählt, «um Misshandlungen zu entgehen, mit
den Landvögten in das Städtlein zurückgekehrt, wo er, weil auch die
Bürger (!) über ihn ergrimmt waren, Todesangst ausstand (!). Dann
kam sein Tochtermann, mit der Kunde, es seien schon 30 Musquetiere
als Vortrab bestellt, Andere würden folgen und ihm sein Haus plündern,
oder gar verbrennen, wenn er sich nicht einstelle, um zu Gnaden
angenommen werden. Er fragte die Landvögte (!), was er tun solle,
und diese rieten ihm zu gehen, ein gezwungener Eid sei Gott leid. Mit
weinenden Augen (!) nahm er von den Herren Abschied und kam unter
Bedeckung (!) nach dem alten Markt. Er wurde vor den Tisch geführt,
auf dem Uli Schad stand, und nachdem er auf denselben gestiegen,
erklärte ihm Schad die Bedeutung des Bundes, ,zu dem sie
niemand zwingen wollen'. Wirz erklärte seine Zustimmung, bat um
Verzeihung und leistete den Eid.» (!)

Auf diese Weise wurde noch eine ganze Reihe anderer «getreuer
Beamter» ins echt bäuerlich-spöttische und handgreifliche Gebet genommen.
«Der Eid wurde knieend geleistet, der Amtspfleger Gysin von
Höllstein erteilte ihn den Beamten, der 75 jährige Amtspfleger Heinrich
Giegelmann, Arxmeyer (Meyer auf dem Arxhof), dem Volke;
neben ihnen und den schon Genannten stand als Redner für Liestal
Hans Brödtlin auf dem Tische. Hierauf wurden die Ausschüsse zur
Versammlung nach Huttwil gewählt. Nochmals fiel das Volk auf die
Kniee, Gott um seinen Segen anzurufen, und trat dann den Heimweg
an.»

Am Tag darauf setzten die entschlossensten Führer der aufständischen
Bürgerschaft in Liestal, der Schultheissensohn Hans Gysin,
Heinrich Stutz und der Seilermeister Konrad Schuler, den Liestaler
Rat unter Druck, den Bundeseid auch seinerseits zu leisten: «die Untervögte,
die doch von der Obrigkeit gewählt seien, hätten es ja auch
getan, wie vielmehr der Rat, der freier dastehe und sich selbst ergänze.
Der Rat brachte es dahin, dass ihm der Eid erlassen wurde, doch
musste er versprechen, wenn es das Vaterland antreffe, wolle er bei
ihnen leben und sterben.» Dafür aber brachte in diesen Tagen Hans
Gysin, als «Rottmeister der Frenkendörfer», die sieben Dorfschaften,
die der Hoheit der Stadt Liestal unterstanden, an den Bund.


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 339 - arpa Themen Projekte

Inzwischen brachten die Luzerner, und zwar «die von Rothenburg
und Hochdorf», mit Hülfe derer von den oberen Freien Aemtern,
auch die unteren Freien Aemter an den Bund. «Uli Ineichen, Ammann
Lüscher von Gelfingen und der Schuster Brunner von Aesch gingen
nach Samenstorf,. Wohlen, Villmergen, Dottikon und in die übrigen
untern freien Aemter, und» — so berichtet der Herrenchronist Vock —
«sie sparten weder Vorspiegelungen und Verheissungen, noch Drohungen
und Scheltworte, um die Gemeindevorsteher zur Teilnahme an
dem Aufruhre zu bereden oder zu zwingen. Sie schilderten die Herrlichkeit
des neuen Bundes der Bauern, die Schwäche der Regierungen,
was jene, die es mit den Bauern halten, zu gewinnen, und was die,
welche dem Bunde nicht beitreten, zu befürchten haben werden...»
Damit war nun auch das künftige Schlachtfeld des Bauernkriegs in
die Revolution einbezogen.

Kurzum: «der Stolz und Hochmut» der Bauern war, wie Vock
meint, «durch den Bund von Sumiswald» so «ausserordentlich gesteigert
worden», dass sie glaubten, «nicht nur ihrer Obrigkeit, den Kantonen
und Städten der Eidgenossenschaft und den Zugewandten Orten,
sondern auch den Fürsten und Königen, dem römischen und türkischen
Kaiser und der Macht der ganzen Welt Trotz bieten zu können».
Doch damit zeichnet Vock nur die Karikatur nach, die der zeitgenössische
luzernische Landvogt Cysat, unterstützt vom zeitgenössischen
Kaplan Wagenmann von Willisau, in seiner Herrenchronik von den
Bauern in der Zeit nach der Stiftung des Sumiswalder Bundes entworfen
hat.

Gewiss aber ist, dass es nie seit der Gründerzeit der Eidgenossenschaft
eine so stolze, selbstbewusste und tatkräftige Bauernsame in
der Schweiz gegeben hat, wie die vom Sumiswalder Bund befeuerte,
die nun zur zweiten und zur dritten, immer begeisterteren, immer entschlosseneren
Bekräftigung dieses Bundes in Huttwil schritt.

Das war —wie die angeblich bauernfreundliche Solothurner Regierung
am Tag des Bundesabschlusses selbst an die Luzerner Regierung
schrieb —der «Zunder der zu besorgenden mehreren Unruhen
in der ganzen Eydtgenossenschaft», den die Herrentagsatzung zu gleicher
Zeit «aus der Wurzel zu exstirpieren» (auszurotten) sich anschickte.


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 341 - arpa Themen Projekte


XV.
Zweites Stück vom eidgenössischen Zwischenspiel —
und das Gegenspiel der Bauern in Huttwil

Am 29. April trat der Herrenbund zu seiner Tagsatzung in Baden
zusammen und tagte bis zum 10. Mai. Am 30. versammelte der Volksbund
seine 2 bis 3000 —nach Vock «ungefähr 5000» -—Ausgeschossenen
und Parteigänger aus zahllosen Gemeinden für einen Tag in
Huttwil. Aber Leuenberger und sein zahlreicher Stab von Schreibern,
Boten, Räten und Kriegsräten stellten in der ganzen Zwischen- und
Folgezeit eine Art von ständigem Bauernparlament dar — ein fliegendes
Parlament gewissermassen, das immer da seinen Platz hatte, wo
der Obmann sich gerade aufhielt. Und so bildete sich für mehr als
einen vollen Monat —d. h. für den ganzen Rest der Zeit, in der die Bauernfreiheit
sich so gewaltig wie nie vorher entfalten konnte, bis zur
Katastrophe —ein Verhältnis zwischen Herrenbund und Volksbund
heraus, das dem zwischen zwei souveränen Mächten zum Verwechseln
ähnlich sah. Mehr und mehr wurde dabei Leuenbergers Person von seiten
der Herren gewissermassen als Vorort des Volksbundes anerkannt,
an den sich jede Regierung zu wenden hatte, wenn sie beim Bund als
Ganzem oder bei seinen Einzelgliedern etwas erreichen wollte, ja, an
den sich sogar die Vertreter einer ausländischen Macht direkt wandten.
Daneben behielt jedoch Hans Emmenegger, mit seinem Entlebucher
und Willisauer Stab, seine bisherige Stellung an der Spitze der zehn
Aemter im Verkehr mit der Luzerner Regierung bei, ohne im übrigen
als «General-Oberster» des Gesamtkriegsrats der Bauern von vier Kantonen
irgendwie hervorzutreten; ja es scheint fast, als habe er diese
Funktion Leuenberger stillschweigend und neidlos überlassen.

Bereits am 28. beschloss der Rat von Zürich als Vorort der Herrentagsatzung,
«usa anlaass der Purenzusammenkunfft in Huttwil an
sie ein Schryben abgahn ze lassen» — und also gewissermassen die
offiziellen diplomatischen Beziehungen mit dem als «hochverräterisch»
verfemten Bauernbund aufzunehmen! Damit wurde ein Doppelspiel
hochoffiziell auf eidgenössischen Boden verpflanzt, das bisher nur von
den einzelnen Regierungen ihren direkten »Untertanen» gegenüber geübt
worden war; etwa auch zwischen dem Vorort und einzelnen Personen
oder lokalen Ausschüssen, wie soeben zwei Tage zuvor in dem


Mühlestein Schweizer Baurenkrieg 1653 - 342 - arpa Themen Projekte
Gespräch zwischen dem Zürcher Rat und' den Willisauern und Entlebuchern.
Man machte zähneknirschend viele fromme Sprüche, gab Ermahnungen
zu Treue und Gehorsam, die man mit versteckten Drohungen
spickte, schrieb freundliche Briefe und machte darin halbe Zusagen,
beteuerte die väterliche und vaterländische Wohlmeinendheit
und Fürsorge für das gemeine Volk und stellte vor allem jedes «Ueberziehen
mit fremden Truppen» hochheilig in Abrede —während man
zu derselben Zeit fieberhaft rüstete und militärische Pläne schmiedete,
zu dem einzigen Zweck, die so mächtig wieder aufgestandene Bauernfreiheit
diesmal völlig und für immer mit dem Schwerte auszurotten!
Gewiss hat man dabei anfänglich gehofft —schon weil das billiger
und bequemer war —, die Bauernfront durch «f